Eine Bilanz der kapitalistischen Wiedervereinigung
20 Jahre nach der ‚Wende‘ in der DDR sehen sich Millionen Ostdeutsche als VerliererInnen, haben selbst bürgerliche Politiker die Propaganda vom Aufschwung Ost aufgegeben und empfehlen Berater dem Bundesminister Tiefensee den Rückzug aus der wirtschaftlichen Förderung niedergehender ostdeutscher Regionen. Kapitalismus in Ostdeutschland heißt Bananen, Reisefreiheit, demokratische Wahlen und glitzernde Konsumtempel. aber auch Suppenküchen, platt gemachte Betriebe, das Recht zu wählen, wer einem das Fell über die Ohren zieht…
Ist es das, wofür die Menschen 1989/90 auf die Straße gingen? Ist es das Ende der Geschichte oder kommt da noch was?
von Christine Lehnert
Wer heute an das Versprechen von Helmut Kohl aus dem Jahre 1990/91 erinnert, dass „wir in den nächsten drei bis vier Jahren in den neuen Bundesländern blühende Landschaften gestalten werden“, der erntet nur ein müdes Lächeln oder den Hinweis, dass sich die Natur in vielen stillgelegten Industrielandschaften wieder ihren Raum zurückerobert hat. Allerdings hatten wir DDR-BürgerInnen das Versprechen des Kanzlers etwas anders verstanden. Doch statt Aufbau Ost kam es zum Absturz Ost.
DDR-Ausverkauf
Die DDR war in den Achtzigern das Land mit der zehntstärksten Wirtschaftskraft auf der Erde. Trotz des ökonomischen Rückstands im Vergleich zur Bundesrepublik, war die DDR-Wirtschaft lange nicht so marode und unproduktiv, wie sie heute in den pro-kapitalistischen Medien immer dargestellt wird.
Die DDR besaß die weltgrößte Hochseeflotte. 55.000 haben im DDR-Schiffbau-Kombinat (Werften & heutige Zulieferer) mal gearbeitet. Dies hatte bei Fischereifahrzeugen den ersten und bei Stückgutfrachtern den zweiten bzw. dritten Platz im Weltschiffbau, war also durchaus international wettbewerbsfähig. Im Bergbau (Kali, Kohle) war die DDR international ganz vorne. Der größte Schaufelradbagger der Welt ist in der DDR hergestellt worden und war dort im Braunkohletagebau Lausitz im Einsatz. Weltspitze war die DDR auch bei Fototechnik, Linsen und Optik sowie dem Gerätebau dafür. Namen wie Carl-Zeiss-Jena und Pentacon Dresden klingen noch heute nach und nur Japan war auf diesem Bereich in den achtziger Jahren besser.
Doch mit dem Ende der DDR und der Restauration der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wurde sich der ostdeutschen Konkurrenz entledigt und der Markt für die westlichen Konzerne bereinigt. Dies vollzog sich vornehmlich von 1990 bis 1992, als die Treuhandanstalt mit der Leitlinie „privatisieren statt sanieren“ über 8.000 Betriebe zu Spottpreisen verhökerte oder ganz dicht machte. Bis zu ihrer Auflösung war der Großteil der fast 14.000 Unternehmen oder Teile von Unternehmen privatisiert. Die Folge davon war die Vernichtung von 2,5 Millionen industrieller Arbeitsplätze in Ostdeutschland und über 200 Millionen Schulden bei der Treuhand selbst. Dieses Defizit ist entstanden, weil die Treuhand den westdeutschen Investoren neben den DDR-Betrieben auch noch Millionen Subventionen mit auf den Weg gab.
Krumme Geschäfte á la Treuhand
So wurde zum Beispiel die ehemals weltgrößte Hochseeflotte, die Deutsche Seereederei (DSR) aus Rostock an die zwei Hamburger Kaufleute Rahe und Schüss verscherbelt – für zehn Millionen D-Mark. Nun, besser als nichts könnte man meinen, wenn da nicht der Fakt wäre, dass diese beiden Herren ihre eigene kleine Reederei vor dem Kauf der DDR- Flotte selbst an die Treuhand veräußerten und dafür einen Erlös von zwanzig Millonen einstrichen. Davon konnten sie dann die zehn Millionen für den Kauf der DSR natürlich locker hinblättern und bekamen zur Belohnung neben der Hochseeflotte auch noch ihre eigene kleine Firma zurück. Ein Beispiel von vielen, dass es nicht das Ziel der Treuhand war, die ostdeutsche Wirtschaft zu retten, sondern die Interessen der westdeutschen Kapitalisten vertreten wurden, die sehr dafür waren, dass die ostdeutsche Konkurrenz ausgeschaltet wurde und sie neue Absatzmärkte bekamen.
Bischofferode 1993
Das beste Beispiel für Kahlschlag und kapitalistische Marktbereinigung ist das Kali-Bergwerk in Bischofferode. Dieses war das modernste und erfolgreichste in der DDR. Die Kali-Salze wurden in alle Welt exportiert und in Hochzeiten beschäftigte das Werk 2.000 Menschen. Doch nach der Wende ging es bergab. Die Treuhand verwaltete den Betrieb und baute in den Jahren 1990 bis 1993 mehr als eintausend Arbeitsplätze ab. Ende 1992 beschloss sie dann die Schließung. „Wir konnten nicht begreifen, warum man das tut“ sagte der damalige Vize-Betriebsratschef Gerhard Jüttemann. „Wir wussten, dass die Kali-Nachfrage kräftig steigen würde, und mit ihr der Preis.“ Laut Prognosen hätten die Kumpel noch 47 Jahre lang Kali abbauen können. Doch die Treuhand hatte den Plan alle ostdeutschen Gruben (vereinigt in der Mitteldeutschen Kali AG MdK) mit einer Tochter der BASF zu fusionieren und dieser war an dem Ausschalten der Konkurrenz gelegen. Ein privater Investor, der sich bereit erklärte, den Betrieb zu erhalten, wurde ausgebremst und unter Druck gesetzt. Die Zeitungen zitierten ihn im Nachhinein: „Es ging nicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um die Bewahrung der westdeutschen Kali-Kartelle.“
Die zum Zeitpunkt der Schließungsabsichten noch im Kali-Werk beschäftigten 700 KollegInnen führten einen harten einjährigen Kampf gegen die Pläne der Treuhand. Protestaktionen, eine bundesweite Unterschriftenaktion, Kundgebungen, Demonstrationen und zum Höhepunkt ein Hungerstreik der Arbeiter und eine Besetzung der Grube durch die Frauen der Kollegen – aber all das konnte das kapitalistische Räderwerk nicht zum Stillstand bringen. Der Kapitalismus ist gnadenlos. Der Zwang Profit zu machen und die Konkurrenz, treibt das System an und in diesem Räderwerk werden die Menschen zerquetscht. Eine Erfahrung, die Ostdeutsche in den letzten 20 Jahren sehr häufig machten.
Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit
So wie Bischofferode ging es vielerorts zu. Großbetriebe aus DDR-Zeiten wurden platt gemacht oder schrumpften stark zusammen. So arbeiteten beim Maschinenbauer Sket vor der Wende 30.000 Leute, in den Nachfolgeunternehmen waren es zehn Jahre später gerade mal 680. Die Folge dessen ist, dass es von den Ende 1989 circa zehn bis elf Millionen Erwerbstätigen in der DDR heute noch 5,72 Millionen in Ostdeutschland gibt. Allein zwischen 1989 und 1993 schrumpfte die ostdeutsche Industrie um etwa zwei Drittel. Von mehr als drei Millionen Industriebeschäftigten blieben ungefähr 600.000 übrig. Hunderttausende ostdeutsche Beschäftigte pendeln zur Arbeit in den Westen oder wandern ab. Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist hoch, im Zuge der aktuellen Krise wird eine durchschnittliche Quote von 14 Prozent prognostiziert. Das ist doppelt so hoch, wie im Westen des Landes. Und laut Ansicht des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) müsse sich Ostdeutschland durch die Wirtschaftskrise auf einen Verlust von bis zu 50.000 Arbeitsplätzen im Jahresdurchschnitt einstellen. Hier bestätigt sich der Satz Heiner Müllers: „Die Arbeitslosigkeit geht durchs Land als ein neues Regime der Furcht, das keine Stasi braucht, um die Menschen einzuschüchtern.“
Industrieleer …
Im Jahr 2005 bezeichnete der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt den Zustand in Ostdeutschland als „Mezzogiorno ohne Mafia“, dem wirtschaftlich abgehängten Süden Italiens – eine gänzlich industrieleere Region. Natürlich gibt es mit Nordex in Rostock oder BMW in Leipzig Industrieansiedlungen, die vom Establishment eifrig bejubelt werden, aber diese Leuchttürme ändern nichts daran, dass es in weiten Teilen Ostdeutschlands dunkel ist.
Und diejenigen, die Arbeit haben, schuften zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Bedingungen. Heute fallen nur 41 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten unter einen Flächentarifvertrag (im Westen sind es immerhin 56 Prozent). Irgendeine Art von Tarifvertrag haben 53 Prozent – 1998 waren das noch 63 Prozent. Der Durchschnittstundenlohn im Osten lag 2008 circa ein Viertel unter dem des Westens – 15,19 Euro im Vergleich zu 20,98 Euro. Und auch in modernen, produktiven Betrieben verdienen die Ost-KollegInnen weniger, als Arbeiter in möglicherweise weniger produktiven Werken im Westen.
Die viel beschworene Aufholjagd der ostdeutschen Wirtschaft ist verpufft. In den Jahren 1992 bis 1996 gab es zeitweilige Wachstumsphasen mit 6,5 Prozent, aber zum einen wird laut einer Studie der Hypo Vereinsbank im Osten Deutschlands trotzdem bisher nur 71 Prozent der westdeutschen Wirtschaftsleistung erreicht und zum anderen schlägt die Wirtschaftskrise heute erbarmungslos zu. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle sieht für Ostdeutschland in diesem Jahr einen Rückgang um 15 Prozent in der Industrieproduktion. Eine Annäherung an die westdeutsche Leistung sei bis 2025 (!) möglich – vorausgesetzt, das ostdeutsche Wirtschaftswachstum liegt drei Prozentpunkte höher als im Westen. Angesichts des vorausgesagten sechs Prozent Wirtschaftsrückgangs im Westen und fünf Prozent im Osten in diesem Jahr sind dies wohl selbst längerfristig keine realistischen Aussichten – oder die Anpassung verläuft vom Westen an den Osten.
… menschenleer
Dabei sieht die Realität auch jetzt schon sehr viel dramatischer aus als die nackten Zahlen vermuten lassen. In manchen Gemeinden gibt es neben dem Bürgermeister nur noch Alte oder Arbeitslose. Im Osten wandern Menschen massenhaft ab, besonders junge und gut gebildete Menschen, überproportional Frauen. Seit Ende der DDR bis 2006 zogen 1,7 Millionen Menschen in den Westen. Zurück bleiben diejenigen, die keine Perspektive haben. Das Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung stellte fest, dass nirgendwo in Europa großflächig so viele junge Frauen abgewandert sind wie im Osten. „Durch Deutschland verläuft nach wie vor die alte Grenze zwischen den Systemen. Sie trennt den hilfsbedürftigen Osten vom wirtschaftsstarken Westen.“
Die Folgen davon sind Verarmung und Perspektivlosigkeit. Jeder fünfte Ostdeutsche wird als arm eingestuft und laut Paritätischem Wohlfahrtsverband drohen ganze Landstriche zu verarmen. Waren 1999 noch 59 Prozent der Ostdeutschen mit ihrem Leben zufrieden, sind es 2006 nur noch 39 Prozent gewesen.
Sozialer Abstieg
Laut einer Umfrage der Friedrich Naumann Stiftung aus diesem Jahr sind 84 Prozent der Ostdeutschen der Meinung, „es hätten mehr von den Errungenschaften der DDR bewahrt werden sollen, z.B. das Gesundheitssystem oder das Bildungssystem“. Die Gesundheitsversorgung in den staatlichen Polikliniken war flächendeckend, gut erreichbar in den Wohngebieten und völlig kostenfrei. Das Schulsystem war ohne soziale Selektion und die polytechnische Oberschule gewährte ein gemeinsames Lernen bis zur zehnten Klasse. Weil es de facto keine Arbeitslosigkeit und keinen Mangel an Lehrstellen gab, und somit keine Zukunftsangst, ist auch der Leistungsdruck, die Ellenbogenmentalität gravierend geringer gewesen, als es die heutigen Schülerinnen und Schüler unter kapitalistischen Bedingungen ertragen müssen. Die soziale Sicherheit war groß. Auch wenn viele Konsumgüter Mangelware gewesen sind, so wurden Lebensmittelpreise, Kinderklamotten und Mieten staatlich geregelt und subventioniert und waren für jeden erschwinglich. Das systematische Netz der Kinderversorgung mit Krippen, Kindergarten und Hort ermöglichte es den Frauen in der DDR, Beruf und Kind zu verwirklichen. Diese Errungenschaften waren möglich, weil die Wirtschaft nicht nach dem Ziel der Profitmaximierung funktionierte, sondern geplant wurde – trotz der gleichzeitig existierenden Misswirtschaft, Privilegien und Ineffizienz aufgrund der Herrschaft der stalinistischen Bürokratie.
Heute ist die ostdeutsche Arbeiterklasse und Jugend (ebenso wie die im Westen) mit Arbeitslosigkeit, Armut und Angst konfrontiert. Eine Situation, die im Jahr 2007 35 Prozent der 14- bis 25-jährigen und 37 Prozent der 35- bis 50-jährigen in Ostdeutschland dazu veranlasst, „lieber im Osten“ leben zu wollen, würde die Mauer wieder errichtet.
Lösungsvorschläge im Kapitalismus
Natürlich ist auch den heute Herrschenden klar, dass etwas getan werden muss gegen das Krisengebiet Ostdeutschland. Doch die Vorschläge aus Regierungskreisen sind alles andere als sozial oder positiv für die Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen. Die Berater des Bundesministers Tiefensee bezeichnen Ostdeutschland in weiten Teilen als „verlorene Räume“. Sie empfehlen einen Rückzug aus niedergehenden ostdeutschen Regionen, in denen dann nur noch ein Minimum an staatlichen Leistungen gewährt werden soll.
„ Gerade in solchen Regionen ist es wichtig, entgegen der bisherigen Praxis der Öffentlichkeit klar zu sagen, dass die grundgesetzlich festgelegte ‚Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse‘ nicht mehr gewährleistet werden kann“ fordert eine entsprechende Studie. Dies heißt, dass es keine flächendeckende Versorgung mit Krankenhäusern, Schulen oder Ämtern mehr geben soll. Forderungen, die heute in Teilen Ostdeutschlands schon der Realität entsprechen – ein Blick auf das Schulsterben in den ländlichen Regionen belegt dies.
Entfremdung vom System
Solche Lösungsansätze machen Angst vor der Zukunft und so ist es auch kein Wunder, dass die Hälfte aller Ostdeutschen davon ausgeht, dass es ihnen in den nächsten fünf Jahren schlechter gehen wird. Jeder vierte Ostdeutsche fühlt sich laut der aktuellen Studie des Verbandes der Volkssolidarität als Wendeverlierer. Waren es 1999 noch knapp die Hälfte aller Befragten, die ihre eigene Situation als gut einschätzten, so sind es heute nur noch 32 Prozent.
Nur elf Prozent der Ostdeutschen sind zufrieden mit der Demokratie und nur knapp sieben Prozent sind zufrieden mit ihrem politischen Einfluss. Sage und schreibe 0,4 Prozent gaben an, dass sie den Aussagen der Politiker vor den Wahlen Glauben schenken.
39 Prozent der Ostdeutschen sind der Meinung, dass Sozialismus „auch heute noch einen Versuch wert ist“. Angesichts solcher Erkenntnisse stellt sich die Frage, warum die Ostdeutschen, die sich die Lügen der SED-Bürokratie nicht länger gefallen lassen wollten, nicht auch hier und heute den Lügen der Herrschenden eine Absage erteilen.
Widerstand und Organisation
In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung gab es eine Reihe von harten Kämpfen in Ostdeutschland, die sich gegen die Ausplünderung und das Plattmachen der Wirtschaft richteten – so wie 1993 der Kampf der Kalikumpel in Bischofferode oder der erste Streik in der Werftenindustrie gegen Tarifbruch.
Doch trotz einzelner bitter geführter Kämpfe besteht insgesamt ein Widerspruch zwischen einem radikalisierteren politischen Bewusstsein und einem niedrigeren Grad an Widerstand, Streiks und sozialen Bewegungen im Osten. Das hat verschiedene Gründe.
Zum einen hat der Stalinismus über vierzig Jahre eine unabhängige Selbstorganisation der Arbeiterklasse verhindert. Entsprechend fehlen Traditionen des Kampfes und der Organisation, auf die die Menschen zurück greifen könnten. Dies gilt umso mehr, da diese De-Aktivierung der Arbeiterbewegung ‚von innen‘ kam und eine entsprechend größere Wirkung hatte, als Repression von außen. Nach dem Zusammenbruch der DDR-Planwirtschaft fehlten den ArbeiterInnen in Ostdeutschland vor allem aber auch politische und ideologische Antworten auf die Offensive des Kapitals. Die kapitalistische Marktwirtschaft wurde als einzig mögliche Alternative präsentiert und von vielen auch so gesehen. Die Mischung aus Hoffnung, dass die Deindustrialisierung der ersten Einheitsjahre nur eine vorübergehende Talsohle sei, und der fehlenden Alternative musste zu einer geringeren Kampffähigkeit führen. Nicht zuletzt aber war die Deindustrialisierung eine materielle Schwächung der ostdeutschen Arbeiterklasse, die ihr Selbstbewusstsein vorübergehend untergraben musste.
Ein großer Teil des Unmuts äußerte sich in erster Linie durch wachsende Wahlunterstützung der PDS, die als Stimme des Ostens wahrgenommen wurde. Während der Stimmenanteil der CDU von 41,8 Prozent im Jahr 1990 auf 25,3 Prozent bei den Bundestagswahlen 2005 fiel stieg das Ergebnis der PDS von 11,1 Prozent im Jahr 1990 auf 21,6 Prozent 1998, fiel dann ab und erreichte in der gemeinsamen Kandidatur mit der WASG bei den Bundestagswahlen 2005 25,3 Prozent.
Montagsdemos reloaded
2004 dann gab es eine Welle von Protesten, die ganz Ostdeutschland erfasste. Schon der Ostmetallerstreik für die 35-Stunden-Woche im Jahr zuvor zeigte eine hohe Kampfbereitschaft bei ostdeutschen Beschäftigten. Der Streik ging dann für die IG Metall auch weniger im Osten verloren, sondern wurde durch westdeutsche Betriebsratsfürsten boykottiert, die sich gegen negative Auswirkungen des Streiks auf die Produktion in ihren Betrieben wehrten.
Es waren dann die Hartz-IV-Gesetze, die Hunderttausende auf die Straße trieben. Und wie sich das für einen Aufstand im Osten gehört, passierte dies montags. Die Montagsdemos brachten in Ostdeutschland das erste mal nach der Wiedervereinigung wieder die Menschen landesweit zusammen auf die Straße. Untersuchungen haben nachgewiesen, dass bis zu 58 Prozent der Teilnehmenden an den Montagsdemos 2004 im Osten Beschäftigte waren. Darüber hinaus wurde dargelegt, dass die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden nach links tendierte, auch wenn die Nazis versuchten, sich zu profilieren. Doch das gelang ihnen selten und so schnitten die Nazis bei den auf die Montagsdemobewegung folgenden Wahlen immer dort schlechter ab, wo die Demos groß gewesen waren.
Doch anders als im Stalinismus sind Demonstrationen im Kapitalismus für die Herrschenden eher aus zusitzen und tangieren die kapitalistische Wirtschaft nicht sonderlich. Die Bosse und ihre Sachverwalter in der Regierung reagieren meist erst dann, wenn es durch Streiks an ihre Profite geht oder der politische Druck eine solche Qualität erreicht, dass sie Angst vor größeren Verwerfungen bekommen. 2004 wollte die Kapitalistenklasse unter allen Umständen einen qualitativen Abbau der sozialen Sicherungssysteme durchsetzen und die Löhne auf breiter Front dadurch unter Druck setzen. Dazu waren sie auch bereit einen gewissen politischen Preis zu zahlen.
Das Nicht-Agieren und Bremsen von damaliger PDS- und Gewerkschaftsführung verhinderte, dass es zu einer Ausweitung des Kampfes auch in die Betriebe, hin zu den Beschäftigten kam. Die Folge war das Ende der Anti-Hartz-Bewegung, denn keine spontane Bewegung kann endlos ihre Dynamik erhalten. Das gilt umso mehr, wenn es keine klare Strategie und programmatische Vorstellung einer Alternative gibt.
WASG, Linkspartei.PDS, DIE LINKE
Dabei gab es sehr wohl – im gesamtgesellschaftlichem Kontext betrachtet – einen sehr wichtigen Erfolg aus der Bewegung der Montagsdemonstrationen: die Gründung der WASG, als Versuch eine neue politische Interessenvertretung für Lohnabhängige und Erwerbslose zu schaffen, die nicht wie die SPD bürgerliche Politik macht oder wie die damalige PDS faule Kompromisse eingeht, um Regierungsposten zu erlangen.
Die Fusion mit der WASG war dann die Rettung für eine im Niedergang begriffene PDS. Diese hatte zwar als Interessenvertretung der Ostdeutschen in den neunziger Jahren bei Wahlen deutlich zugelegt, war aber nie in der Lage gewesen, im größeren Umfang ArbeiterInnen, Erwerbslose und Jugendliche zu organisieren und zu aktivieren. Während sie im Westen niemals das Vertrauen relevanter Teile der Bevölkerung gewinnen konnte, verlor sie immer mehr das Vertrauen und die in sie gesetzten Hoffnungen unter den Ostdeutschen aufgrund ihrer Anpassung an den Kapitalismus und das bundesdeutsche System. Die Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt wurde gefolgt von Regierungskoalitionen mit der offen pro-kapitalistischen SPD in Mecklenburg-Vorpommern von 1998 bis 2006 und in Berlin seit 2002. In allen Fällen bedeutete dieser Kurs Unterstützung für Sozialabbau oder Arbeitsplatzvernichtung, eine wachsende Distanz der Partei von den ‚einfachen Leuten‘ und den sozialen Bewegungen und Gewerkschaften – und drastische Stimmenverluste bei nachfolgenden Wahlen. Als Konsequenz flog die PDS 2002 aus dem Bundestag, abgesehen von zwei Abgeordneten, die Direktmandate holten. Ohne das Lebenselexier WASG und Oskar Lafontaine wäre die PDS immer weiter zur angepassten und etablierten ostdeutschen Regionalpartei verkommen.
Wenn die Linke versagt … „national befreite Zonen“
Doch der Anpassungsprozess der Partei DIE LINKE, die in Ostdeutschland weitgehend eine personelle und politische Fortsetzung der PDS ist, geht weiter. Die zu erwartenden Regierungsbeteiligungen in Thüringen und möglicherweise auch in Brandenburg sind Ausdruck davon.
Dies wird auch in Zukunft wieder Auswirkungen auf die Stellung der Faschisten im Osten haben, so wie schon in der Vergangenheit das Fehlen einer überzeugenden linken Alternative eine große Rolle beim Erstarken der Rechtsextremen gespielt hat.
Das war schon in Sachsen-Anhalt so, wo seit 1994 eine SPD-Minderheitsregierung durch die PDS toleriert wurde und 1998 bei den Landtagswahlen die DVU mit dem Slogan „Diesmal Protest wählen!“ 12,9 Prozent der Stimmen erhielt und die PDS Stimmen verlor. Noch deutlicher wurde es in Mecklenburg-Vorpommern. Dort erhielt PDS bei den Landtagswahlen 1998 24,4 Prozent und die NPD-Ergebnisse wurden am Wahlabend unter „Sonstiges“ geführt. Nach acht Jahren Regierungskoalition mit der SPD, sackte die PDS bei der Landtagswahl 2006 auf 16,8 Prozent ab. Und die NPD zog mit 7,3 Prozent in den Landtag ein. Da, wo die PDS versagte, wurden die Nazis stärker.
Und insgesamt kann man sagen, dass es das Zurückweichen von PDS und Gewerkschaften vor der Marktwirtschaft und deren Folgen war, das es den Faschisten überhaupt erleichtert hat, sich im Osten aufzubauen. Die Bildung der Partei DIE LINKE, deren bundesweites Profil als linke Oppositionspartei auch in Ostdeutschland wirkt, hat die Nazis auf der Wahlebene etwas zurück gedrängt. Das ist eine Chance, die durch den Aufbau einer kämpferischen sozialistischen Partei, die sich in betrieben und Stadtteilen für die Interessen der Menschen konkret einsetzt und verankert, genutzt werden kann. Geht DIE LINKE aber den Anpassungsprozess weiter und beteiligt sich in mehr Bundesländern an Sozialabbau und Arbeitsplatzvernichtung, wird die Desillusionierung mit ihr den Faschisten neue Chancen eröffnen.
Natürlich liegt die erste Verantwortung für die faschistische Gefahr bei einem kapitalistischen System, das Massenarbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit produziert und zudem noch durch Parteien und Medien selber eine rassistische Spaltung in die Bevölkerung treibt, an der die Faschisten ansetzen können. Aber ein gemeinsamer Kampf von Lohnabhängigen und Erwerbslosen gegen die Folgen der kapitalistischen Vereinigung könnte die Nazis zurück in ihre Rattenlöcher treiben.
Aufbau Ost nicht mit Kapitalismus
Der Osten Deutschlands bleibt für die herrschende Klasse aber ein ‚unsicherer Kantonist‘, es ist die Region mit dem größten Potenzial für eine starke sozialistische Bewegung. Diese könnte aufgebaut werden, wenn eine linke Partei statt auf Anpassung auf Widerstand und offensiver Propagierung einer sozialistischen Alternative setzen würde.
Dabei muss ein spezielles Forderungsprogramm für die Entwicklung des Ostens aufgestellt werden. Dazu muss gehören:
* Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
* Sofortige Angleichung der Arbeitszeiten und -bedingungen
* Sofortige Angleichung aller sozialer Leistungen, weg mit Strafrenten und anderen Diskriminierungen
* Schluss mit den Subventionen in die Taschen der privaten Konzerne
* Statt Solizuschlag bezahlt von westdeutschen Lohnabhängigen – ran an die Profite der Banken und Konzerne und die Milliarden der Superreichen zur Finanzierung eines massiven öffentlichen Investitionsprogramms unter Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Ostdeutschlands
* Enteignung aller Betriebe, die Entlassungen durchführen und Fortführung der Produktion unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung gewählter Belegschaftskomitees und von VertreterInnen der arbeitenden Bevölkerung
Letztlich aber ist eine lebenswerte Zukunft für die Menschen in Ostdeutschland untrennbar verbunden mit dem Kampf für eine lebenswerte Zukunft im ganzen Land. Einen langfristigen und nachhaltigen Aufbau Ost kann es im Kapitalismus nicht geben. Dieser bedarf eine – diesmal tatsächliche – sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.