Linke Jugendopposition in der DDR-Revolution

Foto: https://www.flickr.com/photos/seven_resist/ CC BY-NC-SA 2.0
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„Das Gefühl etwas bewegen zu können.“

von Sebastian Foerster

Ende der 1980er Jahre kochte in der DDR die Unzufriedenheit und Wut der Menschen gegen das unterdrückende stalinistische Regime hoch und entlud sich in einer Revolution, die als politische Revolution für eine andere DDR begann und in einer sozialen Konterrevolution endete.

Während beim Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 die Bauarbeiter in der Berliner Sonnenallee die Ersten waren, die aufstanden und eine massive Welle des Widerstands gegen die Führung der Sozialistischen Einheitspartei (SED) lostraten, war es 1989 in der DDR zuerst vor allem die Jugend, die sich bewegte und mit radikalen Protestaktionen erste Schritte gegen das stalinistische Regime bestritt. Eine andere Gesellschaft sollte es sein – sozialistisch, aber eben ohne die SED-Bürokratie.

Die DDR-Jugend war von den Herrschenden stark umworben. Leo Trotzki, der in Verratene Revolution die Verzerrung der Idee des Sozialismus in der Sowjetunion durch die Parteibürokratie um Josef Stalin analysierte, schrieb zu dem Phänomen des Wegbrechens der Unterstützung der russischen Jugend für das Regime, dass seine politische Unfähigkeit „sich im Verlust der Fähigkeit [bewies], die Jugend um das eigenen Banner zu scharen“. Die von Trotzki beschriebene Sowjetunion unter Stalin war alles andere als eine lebendige und sozialistische Gesellschaft, in der die Jugend „frei atmen, kritisieren, irren und heranreifen“durfte.

Ähnliches lässt sich auch auf die Situation in der DDR übertragen, die nach dem Vorbild der stalinschen Sowjetunion errichtet wurde. Jugendliche in der DDR hatten aufgrund des repressiven Charakters des Staates oft massive Schwierigkeiten, ihren eigenen Weg zu finden und sich unabhängig zu entwickeln. Weil niemand die Macht der Bürokratie hinterfragen sollte, entstand ein enormer Kontroll- und Überwachungsapparat. Es war fast alltäglich, dass junge Menschen grundlos von einer Polizeistreife angehalten wurden. Und wenn sie ein „auffälliges Äußeres“ hatten, also ein wenig nach Punk, Tramper oder Blueser aussahen, wurden sie nicht selten mit auf die Wache genommen.

Zwar gab es Unterstützung für die Ideen des Marxismus unter breiten Teilen der Jugend. Da der eingeschlagene Weg allerdings nicht „von unten“, sondern allein durch die verdrehten Kommandos der Führungsclique der SED bestimmt wurde, war es für die Parteioberen nicht einfach, die Jugend hinter sich zu bringen.

Die SED-Führung hatte ein höchst gespaltenes Verhältnis zu dieser Bevölkerungsgruppe, die die Zukunft sein sollte, letztendlich aber nicht steuerbar war. Rockstars in Jeans waren unter Jugendlichen weitaus populärer die Ulbrichts und Honeckers. Dass die Obrigkeit schlichtweg Angst vor Jugendlichen hatte, wird deutlich wenn man ihre Politik gegen unabhängige Jugendkulturen betrachtet. So behauptete die SED-Führung ernsthaft, dass die bei Jugendlichen so populären Jugendkulturen aus dem Westen von der Bourgeoisie allein eingesetzt würden, um die DDR ideologisch anzugreifen. Trotz gewisser Zick-Zacks in der Jugend- und Kulturpolitik der SED, gab es doch nie die Möglichkeit einer tatsächlich freien kulturellen Entfaltung für Jugendliche.

Mit der Freien Deutschen Jugend (FDJ) existierte eine von der Bürokratie kontrollierte Massenorganisation, der Ende der 1980er Jahre über 80 Prozent der Jugend angehörten. In ihr herrschte ein strenges Regime. Mitgliedschaft war zwar „freiwillig“, eine Verweigerung des Beitritts konnte jedoch erhebliche soziale Nachteile verursachen, da die FDJ zum Beispiel bei der Vergabe von Abitur-, Studien- und Arbeitsplätzen mitwirkte.

Unabhängige Jugendbewegungen wurden nicht geduldet. Aber die Macht der SED- und FDJ-Oberen wurde in den 1980er Jahren brüchig. 1987 kam es zu massiven Protesten von etwa 3.000 Jugendlichen in Ost-Berlin, die einem auf der westlichen Seite des Brandenburger Tors stattfindenden Rock-Konzert zuhören wollten. Sie skandierten „Die Mauer muss weg!“ und sangen die Internationale. Ein Jahr später musste selbst die FDJ Open-Air-Konzerte mit West-Bands veranstalten, um nicht völlig den Einfluss auf die Jugend zu verlieren.

Seit dem Bestehen der DDR gab es immer wieder Initiativen von Jugendlichen, sich eine eigenständige Bewegung zu schaffen. Aufgrund der Repression hiergegen erreichten diese einen ungewöhnlich hohen Grad der Politisierung. Besonders verfolgt wurde die rebellische Punkszene in der DDR. Die Szene sollte durch gezielte Angriffe und mehrere Verhaftungswellen durch die Stasi zerschlagen werden.In der Offenen Arbeit, die unter dem schützenden Dach einiger Kirchengemeinden von unten aufgebaut wurde, fanden aus der Gesellschaft ausgeschlossene Jugendliche wie die Punks eine Heimat. Hier kamen sie in Kontakt mit Oppositionellen, denen sich Viele anschlossen.

Auch außerhalb dieser Jugendbewegungen fanden sich Jugendliche, die aufgrund ihrer individuellen Erfahrung mit dem repressiven Staatsapparat in die Opposition rückten. Eine Schülerin, die sich im Mathematikunterricht wehrte, die Flugkurve einer Handgranate zu berechnen und die die “Friedenspolitik” der SED hinterfragte, wurde diszipliniert. Es gab Fälle, wo SchülerInnen, die mit dem Abzeichen der staatsunabhängigen Friedensbewegung “Schwerter statt Pflugscharen” herum liefen, verhaftet oder von der Schule verwiesen wurden.

Nicht wenige Jugendliche erkannten, dass das Regime, das das Meinungsmonopol auf Themen wie Antikapitalismus, Frieden und Internationalismus besaß, diesen Idealen massiv entgegengesetzt handelte und nicht fähig war, seinen Kurs zu revidieren.

Ein Beispiel sind die ostdeutschen Jugendlichen, die sich in der Schule oder der Universität mit linken Bewegungen im westlichen Ausland beschäftigten und ein anderes Verständnis vom Sozialismus entwickelten als es die SED-Führung ihnen vorschrieb. Sie gründeten in verschiedenen Städten Solidaritätsgruppen, die internationale Bewegungen wie die nicaraguanische Revolution unterstützten und wendeten sich beeinflusst durch die lebendigen ausländischen Bewegungen gegen die unterdrückende Politik in der DDR.

Eine der wichtigsten Entwicklungen, die dafür sorgten, dass viele Jugendliche sich gegen die SED-Führung richteten, war dann die Reformpolitik des neuen Staats- und Parteichefs Gorbatschow in der Sowjetunion. Die SED-Oberen wehrten sich mit Händen und Füßen dagegen, dem Beispiel Russlands zu folgen und irgendetwas an ihrem Kurs zu verändern, was großen Widerwillen in der Gesellschaft und der Jugend hervorrief. Dies fiel zusammen mit einer tabuisierten wirtschaftlichen Stagnation und einer ungenügenden Versorgung der Bevölkerung mit einfachen Konsumartikeln. Die Unzufriedenheit in großen Teilen der Bevölkerung stieg drastisch.

Die Opposition im Aufwind

Die offensichtliche Fälschung der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 führte zu wachsender Aufmerksamkeit für oppositionelle Gruppen. Einige junge Ost-Berliner Oppositionelle organisierten nun an jedem Siebten des Monats Proteste gegen den Wahlbetrug. Die Jugendlichen blieben bei ihren monatlichen Aktionen auf dem Alexanderplatz jedoch anfangs nur wenige. Eine Protestaktion gegen das Regime zu veranstalten war höchst gefährlich. Die Gefahr der Unterdrückung hielt die Bevölkerung noch davon ab, sich anzuschließen.

Eine andere Massenbewegung brach sich zuvor Bahn, und zwar Richtung westlichem Ausland. Immer mehr Leute hielten es in der DDR nicht mehr aus und stellten Ausreiseanträge. Eine Massenflucht von Zehntausenden brach sich Bahn. 70 Prozent der Ausreisenden waren unter 30 Jahre alt.

Zur selben Zeit wuchs die Opposition und es gründeten sich viele neue Gruppen wie Neues Forum, Demokratischer Aufbruch und Vereinigte Linke.

Die politische Führung der neu gegründeten Gruppen setzte sich aus den Personen zusammen, die auch in den Jahren zuvor schon in der Opposition großen Einfluss hatten. Viele der neuen und älteren linken oppositionellen Strukturen wie die Umweltbibliothek wiesen starke Gemeinsamkeiten auf. Sie beschäftigten sich vordergründig miteinzelne Themenbereiche wie Friedens- oder Umweltpolitik, kritisierten die undemokratische Herrschaft der SED-Führung und stritten für mehr demokratische Rechte wie freie Wahlen und Reisefreiheit. Viele verfolgten die Idee des “Sozialismus mit menschlichem Antlitz”, wobei ihre Vorstellungen hiervon sehr neblig waren. Auch anarchistische Ideen waren verbreitet.

Die jugendlichen Mitglieder der Oppositionsstrukturen nahmen oft die Ansichten von älteren Aktiven an und blieben zahlenmäßig eher die Minderheit.

Revolutionärer Autonomer Jugendverband (RAJV)

Eine Ausnahme war hierbei der Revolutionärer Autonomer Jugendverband (RAJV), der sich 1989 in einigen ostdeutschen Städten bildete. Diese oppositionelle Gruppe unterschied sich von den anderen, da sie eine reine Jugendgruppe war und viele Mitglieder eine konkrete Idee von einer anderen Gesellschaft fernab von Stalinismus und Kapitalismus hatten. Obwohl inspiriert von der Bewegung der westdeutschen Autonomen standen RAJV-Mitglieder für eine Entmachtung der SED-Führung zugunsten einer sozialistischen Rätedemokratie. Die Planwirtschaft sollte beibehalten werden, jedoch sollte diese von unten, über die Räte organisiert werden. Auch wenn Trotzkis Bücher in der DDR strengstens verboten waren und den Mitgliedern die theoretische Untermauerung fehlte, so näherten sich die Jugendlichen doch seinen Ideen an. Etliche Mitglieder traten während der Revolution dem Committee for a Worker‘s International (CWI) bei, dem auch die SAV angehört. Der RAJV wuchs später auf viele hundert Mitglieder an, arbeitete in der Vereinigten Linken mit und war an vielen der oppositionellen Proteste beteiligt.

„Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“ (Lenin)

Der Startschuss für die revolutionäre Bewegung im Herbst 1989 war die erste Montagsdemonstration in Leipzig am 4. September. Es kamen vor allem junge Menschen, die mit dem Slogan „Wir bleiben hier!“ der Ausreisebewegung antworteten und für eine Refomierung der DDR protestierten. Auch am nächsten Montag beteiligten sich hauptsächlich Jüngere an den Protesten.

In Ost-Berlin ging es am 7.10.1989 los, als sich Tausende der Wahldemonstration der Jugendlichen anschlossen. Die Wahldemo traf nun die Stimmung vieler Menschen, die sich endlich trauten auf die Straße zu gehen. Es waren auch hier wieder überwiegend junge Leute, die sich trotz massiver Polizeigewalt dem Protest anschlossen und Richtung Palast der Republik marschierten.

Die Demonstrationen und die massenhafte Auswanderung von jungen Menschen waren Zündpulver für die Fässer der Unzufriedenheit und Wut in der Bevölkerung.

In den oppositionellen Gruppen konzentrierten sich Jugendliche eher auf öffentliche Aktionen, während Ältere über neue Strukturen nachdachten und oppositionelle Zeitschriften verfassten. Beides trug dazu bei, dass sich eine revolutionäre Bewegung im Herbst 1989 formieren konnte.

Politische Revolution und die soziale Konterrevolution

Die Oppositionsgruppen erwiesen sich in dieser revolutionären Bewegung als unfähig, einen Weg zu einer sozialistischen Demokratie aufzuzeigen und waren anfangs nicht zu einem völligen Bruch mit der SED bereit, so wie sie später der Vereinigung mit der Bundesrepublik auf kapitalistischer Basis nichts entgegenzusetzen hatten. Bereitwillig trat sie mit der SED-Führung an den Runden Tischen in Dialog. Die Jugendopposition wurde an dem zentralen Runden Tisch der Jugend eingebunden. Zwar wurden an den Verhandlungstischen Verbesserungen für die Bevölkerung erzielt, letztendlich führten die Runden Tische jedoch zu einer Einbindung der revolutionären Bewegung.

Nach der kapitalistischen Vereinigung von DDR und BRD suchten viele linke Jugendliche ihren Weg indem sie Proteste gegen Privatisierungen und Stellenabbau organisierten, sich der antifaschistische Bewegung anschlossen oder Häuser besetzten.

Die Rolle der Jugend in der DDR-Revolution war die eines Katalysators, der 1989 die Massen elektrisierte und ein wichtiger Faktor dabei war, eine breite gesellschaftliche Bewegung in Gang zu setzen. Das Resultat der Bewegung war allerdings ganz und gar nicht das, wofür die linke Jugendopposition in der DDR gestritten hatte. Aber auch sie konnte die wachsenden Illusionen bei großen Teilen der Jugendlichen in die Marktwirtschaft nicht verhindern. Dass der Jugend durch die kapitalistische Vereinigung die Zukunft verbaut wurde, wird vielen erst heute bewusst.

RAJV- und CWI-Mitglieder gehörten zu den Wenigen, die eine Perspektive einer demokratischen und sozialistischen Planwirtschaft vertraten. Der Vorschlag Räte in Fabriken, Stadtteilen, Unis und Schulen zu gründen fand auch Anklang in der Bewegung. Allerdings waren diese Kräfte zu klein und hatten zu wenig Einfluss, um den Weg in die Konterrevolution und Restauration des Kapitalismus zu verhindern.