Interview mit Jörn Boewe über seine Erfahrungen in der DDR-Opposition und im Jahr 1989
Jörn Boewe, Jahrgang 1967, gehörte in den letzten Jahren der DDR zu linksoppositionellen Kreisen und begründete 1989 die Vereinigte Linke mit. Heute ist er Redakteur bei der Tageszeitung junge Welt. Mit ihm sprach Sascha Stanicic.
Du hast in der DDR gelebt und dort in den 80er Jahren eine linksoppositionelle Haltung zum SED-Regime entwickelt. Wie ist es dazu gekommen?
Das war nahe liegend für Leute, die mit dem Sozialismus nicht gebrochen hatten, aber sich andererseits auch nicht individuell arrangieren konnten oder eine Karriere im Apparat anstrebten. Wenn man die falschen Fragen stellte, sah man sich schnell als linker Kritiker an der herrschenden Linie der Partei bzw. wurde in diese Rolle gedrängt, egal ob man sich selber als Dissident oder Oppositioneller verstand. Dazu wurde man gemacht, sobald man aneckte und seinen Kopf nicht dauerhaft einzog.
Was waren die Knackpunkte in den gesellschaftlichen Verhältnissen, die bei Dir Kritik hervorgebracht haben?
Es gab in meiner Generation seit Anfang der 80er Jahre ein weit verbreitetes Gefühl gesellschaftlicher Stagnation, was vor allem darauf zurück zuführen war, dass man praktisch keine Möglichkeiten hatte, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Alle wichtigen Beschlüsse wurden äußerst bürokratisch getroffen. Es gab teilweise skurrile Nischen kleinbürgerlicher »Selbstverwirklichung«, aber keine Arbeiterdemokratie. Das wäre aber notwendig gewesen, damit diese Gesellschaft sich in Richtung Sozialismus hätte weiter entwickeln können.Gesellschaftliches Eigentum an den Hauptproduktionsmitteln braucht demokratische Verkehrsformen, ansonsten funktioniert der Staat nur wie ein schlecht verwalteter bürokratischer Trust.
Was meinst Du mit Arbeiterdemokratie ?
Das fängt an mit der Bildung von Räten auf der Ebene der Fabrik oder was immer die Organisationseinheit sein mag, die tatsächlich Einfluss auf betriebliche und unternehmerische Entscheidungen nehmen können. Aber auch darüber hinaus hätte es gewählter Organe bedurft, die auch auf einer höheren Ebene die politische Macht im Staate inne haben und in denen politische Parteien wirken, anstatt dass eine Partei per Verfassung in allen Fragen das letzte Wort hat – in Wiklichkeit war es natürlich nicht die Partei, sondern nur ihr Apparat.
Hast Du versucht, den Weg durch die offiziellen Strukturen zu gehen?
Nein. Das hätte mir vielleicht zehn oder zwanzig Jahre früher passieren können. Ich war natürlich in der FDJ, wo ich versuchte, mit ähnlich Gesinnten Diskussionen und Veranstaltungen anzuschieben, wobei wir schnell gegen Wände gelaufen sind.
Gab es Maßregelungen?
Ich glaube 1981, nach den israelischen Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon, haben wir ein paar Bands zusammengetrommelt, um ein Solidaritätskonzert für Palästina zu organisieren. Das war eigentlich völlig linientreu, aber den »Organen« erschien es so suspekt, dass sie es unterbunden haben. Während meiner Abiturzeit in Königs Wusterhausen haben wir im Rahmen der FDJ, aber auch mit unorganisierten Jugendlichen, eine, nun wirklich nicht oppositionelle, aber selbstorganisierte Struktur für Kulturarbeit an der Schule auf die Beine gestellt. Das war 1983/84, während des ‚zweiten Kalten Kriegs‘. Die Sicherheitsorgane in der DDR reagierten damals sehr allergisch auf alles was in Richtung unabhängige Organisation, Friedensbewegung oder Pazifismus ging. Wir traten zwar nicht offensiv für Wehrdienstverweigerung ein, weil wir das Recht der DDR auf Selbstverteidigung nicht in Frage stellten. Aber wir lehnten die Repression gegen Leute ab, die mit dem Aufnäher ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ rum liefen. Da gab es ein paar Eklats und, wie man es damals nannte, „Aussprachen“, die damit endeten, dass ein paar Leute von der Schule entfernt werden sollten. Was uns rettete war die Tatsache, dass einer der Beteiligten einen Vater hatte, der ein hoher Funktionär im Staatsapparat war.
Konnte die Gruppe weiter existieren?
Es gab keine juristische Repression, aber der Druck wurde für uns zu hoch, um auf diese Weise weiter zu machen. Sicher war die Maßregelung milde. Aber wenn wir aufgrund einer überzogenen Reaktion von der Schule geflogen wären, hätte sich der Lebensweg für uns anders gestaltet.
Was waren denn Bezugspunkte in Deiner politischen Entwicklung? Die Debatten um Rudolf Bahro und Wolf Biermann waren ja schon vorbei.
Die Debatten waren vorbei, wir wussten, woran wir waren. Die Biermann-Ausbürgerung, die hinterhältige Weise, in der sie vollzogen wurde – das war eine Bankrotterklärung. Kleinkarierte Provinzpotentaten, wenn sie in Panik geraten, mögen so agieren – zu einer sozialistischen Regierung, die eine höher entwickelte Gesellschaft aufbauen will, passte es nicht.
Kassetten mit Konzerten von Wolf Biermann kursierten immer noch. Die wurden immer wieder neu kopiert, in unendlich schlechter Qualität. Das war lange, bevor Biermann auf die andere Seite der Barrikade überlief: Damals engagierte er sich im Westen mit der IG Metall für die 35-Stunden-Woche und den Eurokommunismus.
Wir lasen, was wir kriegen konnten. Angefangen bei Ernst Bloch, Mao, anarchistischer Literatur, Havemann, Peter Weiss – was man so in die Hände bekommen konnte.
Viele Sachen musste man gegen den Strich lesen. Damit meine ich linientreue Literatur gegen so genannte Konterrevolutionäre, die z.B. den Trotzkismus als antirevolutionär entlarven sollte. Das hat man gelesen, um zu rekonstruieren, was da kritisiert wurde, weil man an die Originale nicht so leicht herankam.
Du hast dich dann in Richtung Trotzkismus entwickelt, wobei Trotzki ja eine Unperson war und die Schriften nicht zugänglich waren. Wie entwickelte sich das bei Dir?
Das erste, was mich neugierig gemacht hat, war John Reeds Buch über die Oktoberrevolution ‚10 Tage, die die Welt erschütterten‘. Darin ist immer von der ‚Regierung Lenin-Trotzki‘ die Rede. Das war durch den Militärverlag, bei dem das Buch erschienen war, nicht verändert worden und diese Passagen warfen Fragen auf über das uns vermittelte Geschichtsbild.
Als ich 1988 anfing zu studieren, hatte ich dank der wohlwollenden Unterstützung meiner Hochschullehrer die Möglichkeit, mir Literatur zu verschaffen, die für den Normalbürger nicht zugänglich war, Trotzki, Mandel, Isaac Deutscher, die Zeitschriften Inprekorr oder Arbeiterkampf. Dazu brauchte man besondere Genehmigungen. Das war richtig skuril. Da musste man in Geheimschutzräume, z. B. in der Deutschen Bücherei in Leipzig, wo man Trotzki und andere Autoren linker Bewegungen, die nicht der SED-Linie entsprachen, lesen konnte. Diese Bücher konnte man in einem Raum einsehen, der eine riesige Stahltüre hatte, gesichert wie ein Banktresor oder die Kommadobrücke eines Atom-U-Boots. Man durfte sich keine Notizen machen, und es wurde notiert wie lange man welche Seiten gelesen hat. Kopien machen ging ja ohnehin nicht. Die subversivste Schrift, die ich damals gelesen habe, war allerdings frei zugänglich: Lenins ‚Staat und Revolution‘. Ich dachte: Dieses Buch müssten sie eigentlich aus dem Verkehr ziehen. Aber Lenin zu verbieten – das konnten sie sich dann doch nicht leisten.
Wie haben sich dann Kreise gefunden von Leuten, die ähnliche Kritik hatten?
Das war lokal ganz unterschiedlich. In Berlin war die Umweltbibliothek in der Zionskirchgemeinde im Prenzlauer Berg ein Zentrum. Das war kein kirchlicher Zusammenhang, ich würde ihn libertär nennen. Die Leute gaben mit den ‚Umweltblättern‘ eine hektographierte Zeitschrift raus. Die Kirche hat das zwar vervielfältigt, aber keinen Einfluss auf den Inhalt genommen. Ähnliche Einrichtungen gab es unter dem Dach der evangelischen Kirche häufiger, weil sie einen legalen Rahmen bot. Das war so ein Anlaufpunkt, wo man Kontakte knüpfen konnte.
In welchem Zusammenhang warst Du?
Im August 1988 wurde ich aus der Nationalen Volksarmee entlassen und habe dann in Rostock mein Studium begonnen. Da bin ich schnell mit Leuten in Kontakt gekommen, die ähnliche Gedanken hatten. Das ging schnell, denn die Lage war so instabil und die Stimmung insgesamt so kritisch, dass man schnell Anknüpfungspunkte fand. Im Oktober 1989 bildeten sich verschiedene Gruppen im Rahmen der sogenannten Bürgerbewegung, unter anderem auch die Vereinigte Linke. Im Prozess der Formierung der Bewegung bekam ich Kontakt zur ‚Gruppe Demokratischer Sozialisten‘. Es gab Verbindungen in verschiedene Städte, aber keine feste Organisationsstruktur. In der Gruppe waren ein paar Leute, die auf die Bildung der Vereinigten Linken, bei deren Gründungskonferenz 600 Leute waren, Einfluss nahmen. Diese Leute verstanden sich als Marxisten, und der größte theoretische Einfluss ging von den Schriften Ernest Mandels aus, an die man über die Universitäts-Bibliotheken mit ein bisschen Geschick und Hartnäckigkeit auch ran kommen konnte. Mit Mandel stand ich ab Frühjahr 89 in Briefkontakt. Man musste die Jungs von der Stasi austricksen, was nicht ganz einfach war, denn die machten ihren Job gut, aber offensichtlich doch nicht gut genug.
Welche Rolle haben Diskussionen über Gorbatschow gespielt?
Die Entwicklung in der Sowjetunion unter Gorbatschow hat das alles beschleunigt und war ein Katalysator. Aber für die Leute, die sich linksoppositionell organisierten, war Gorbatschow Ende der 80er schon kein Bezugspunkt mehr, weil sie dessen Widersprüchlichkeit erkannten. Natürlich wurde ein Mehr an demokratischen Freiheiten in der Sowjetunion begrüßt, aber die Außenpolitik und Aspekte seiner Wirtschaftspolitik wurden abgelehnt.
Wie hast Du die Bewegung 1989 erlebt?
Ich habe mich an der Gründung der Vereinigten Linken beteiligt, in der wir als Gruppe Demokratischer Sozialisten aufgegangen sind. In Rostock habe ich versucht, die Initiative zu organisieren. Wir haben Demonstrationen organisiert, natürlich nicht wir allein, aber wir waren eine treibende Kraft und konnten Saalveranstaltungen mit 200 bis 300 Leuten durchführen.
Da kam z. B. mal eine Abordnung von Arbeitern aus dem Überseehafen, die einen Betriebsrat gründen wollten und sofort in Konflikt mit dem staatlichen Management gerieten. Die Kollegen wollten das entscheidende Wort in unternehmerischen Fragen, zu Entlassungen etc. haben. Das wollte die Geschäftsführung verhindern, die dem Rat nur beratende Funktion geben wollte. Wir traten dagegen offensiv für Arbeiterräte und Rätemacht als Grundlage für einen sozialistischen Neubeginn ein. Aber dann hat uns die Entwicklung überrollt.
Du hast die Stichworte Rätemacht und sozialistische Erneuerung genannt. Was wären neben der Rätemacht Eckpunkte für eine sozialistische Erneuerung gewesen? Wie standet ihr zu den dominierenden Versuchen, das SED-Regime zu reformieren?
Wir strebten die Rätemacht auf allen Ebenen an, demokratisch gewählte Machtorgane, aus denen man die Delegierten auch wieder abwählen kann. Das war eine grundsätzlich andere Perspektive, als die Versuche, die Apparatherrschaft irgendwie zu reformieren. Natürlich gab es eine gewisse Konfusion, denn diese firmierten ja auch unter »sozialistischer Erneuerung«. Hier gab es zwei Anläufe: Den ersten unter Egon Krenz, der in der Bevölkerung keinerlei Rückhalt hatte, weil er als selbstherrlicher Apparatschik galt. Wenn der von Neubeginn sprach, klang es wie eine Drohung, denn jedermann hatte noch gut im Gedächtnis, wie er im Frühsommer 1989 die Repression auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking begrüßt hatte. Den zweiten Anlauf unternahm Hans Modrow, der zweifellos ein integrer Reformsozialist ist und eine gewisse Popularität hatte. Aber die Ereignisse überstürzten sich, und die Perspektiven dieses Reformismus wurden bald genauso hinweggefegt, wie unsere Aussichten auf einen revolutionären Neubeginn von unten.
In anderen ehemals »realsozialistischen« Ländern, deren staatliche Integrität nicht so fragil war, wie die der DDR, haben sich solche Kräfte länger halten können. Aber im Grunde haben sie nirgends etwas anderes zustande gebracht, als den klassischen sozialdemokratischen Film vom »friedlichen Übergang« in unterschiedlichem Tempo rückwärts abzuspielen. Die Teile der Bürokratie, die etwas von Wirtschaft und Geschäftemachen verstanden, haben sich in eine Art Kompradorenbourgeoisie verwandelt. Die, die nie etwas anderes konnten, als Ideologie zu produzieren, tun dies weiter und bilden zum Teil obskure »kommunistische Parteien« oder geben »Vertriebenenblättchen« heraus, wie hierzulande den famosen »Rotfuchs«. Es ist offensichtlich, dass die Arbeiterklasse mit diesen Leuten keinen Blumentopf gewinnen kann.
Du sagst, die linksoppositionellen Kräfte wurden von den Ereignissen in Richtung Vereinigung von BRD und DDR überrollt. Gab es dazu überhaupt eine Alternative?
Die hätte es sicher geben können. Stell Dir vor, die polnischen Massenstreiks von 1980, mit ihrem Programm der selbstverwalteten Arbeiterrepublik, der »Prager Frühling« und unsere Bewegung wären auf einen Zeitpunkt gefallen. So war es aber leider nicht. Also muss man im Nachhinein sagen, dass die Chance sehr, sehr gering war. Vielleicht hätte man das Ruder herumreißen können, wenn sich in einer sehr kurzen Zeit eine politische Kraft mit einem solchen Programm, wie ich es eingangs skizziert habe, formiert hätte. So etwas konnte sich in den wenigen Wochen aber einfach nicht im notwendigen Maße herausbilden.
Durch die besondere Situation der Existenz der Bundesrepublik Deutschland, die auf dem Höhepunkt ihrer Macht war und die Möglichkeit zum Eingreifen hatte, gab es schnell eine andere Alternative, die übermächtig war und alles an den Rand drängen konnte. Den Wendepunkt kann man ziemlich genau datieren auf den 19. Dezember 1989, als Kohl seinen großen Auftritt vor der Dresdner Frauenkirche hatte. Bis dahin dominierte überall der Slogan ‚Wir sind das Volk‘. Jetzt hieß es ‚Wir sind ein Volk‘. Das war politisch ein Schwenk um 180 Grad, und dem konnte man nichts wirksames mehr entgegen setzen. `89 war nicht `68 oder `73, die Linke und Arbeiterbewegung im Westen war völlig eingeschüchtert und in die Defensive zurück geprügelt. Die Initiative lag bei Helmut Kohl. Lafontaine meinte, die Wiedervereinigung sei zu teuer, die westdeutschen Linksradikalen zogen sich, bis auf wenige Ausnahmen, auf ihre »Nie wieder Deutschland«-Position zurück, was uns aber praktisch in keiner Weise weiter half.
Du würdest also zustimmen, dass die Massenbewegung ihren Charakter qualitativ verändert hat?
Das ist ganz offensichtlich, und darüber kann man auch nicht streiten. Das ist belegbar. Die Ausrichtung hat sich innerhalb kürzester Zeit völlig gewandelt. Es klingt vielleicht nicht plausibel, dass Leute im Oktober/November noch für die Erneuerung des Sozialismus auf die Straße gegangen sind und kurze Zeit später Kohl unterstützt haben. Zum einen waren das aber nicht mehr zu hundert Prozent die selben Leute. Die CDU und ihre »Allianz für Deutschland« mobilisierten im Dezember Gesellschaftsschichten, die im Herbst noch abwartend zu Hause geblieben waren. Andererseits war ein Teil der Demonstranten vom Oktober/November schwankend und hatte nur diffuse Vorstellungen, wie das in sozialen Umbruchsituationen und revolutionären Krisen immer der Fall ist. Um in solchen Situationen zu gewinnen, muss der politisch fortschrittlichste Teil der arbeitenden Klasse angemessen organisiert sein, sollte wissen, worauf er hinaus will und darf sich die politische Initiative nicht entreißen lassen. Das war in der Kürze der Zeit dann doch ein bisschen zu viel für uns.
Vielen Dank für das Gespräch.
Anhang
Was war die Vereinigte Linke (VL)?
Mit dem „Böhlener Appell –Für eine vereinigte Linke in der DDR“ formierte sich Anfang September 1989 DDR-weit ein Zusammenschluss von anti-stalinistischen SozialistInnen. Darin heißt es: „Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation und der sich verschärfenden politischen Krise in unserem Land wenden wir uns mit diesem Aufruf an alle politischen Kräfte in der DDR, die für einen demokratischen und freiheitlichen Sozialismus eintreten. Ein linkes alternatives Konzept für eine Wende wird immer dringlicher! (…) Wir sind der Auffassung, dass insbesondere die DDR vor einer historischen Chance radikaler Erneuerung des sozialistischen Gesellschaftskonzepts steht.“
Die Vereinigte Linke verstand sich nicht als Partei, sondern als Sammlungsbewegung von Gruppen und Einzelpersonen. Ihre Mitglieder kamen aus unterschiedlichen Hintergründen. TrotzkistInnen, die in illegalen Zirkeln in der DDR arbeiteten und sich dem Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale (dem von Ernest Mandel damals geführten internationalen Zusammenschluss, der sich auf Trotzki berief) zugehörig fühlten, Teilen der prominenten Berliner Umweltbibliothek, fast die gesamte linksoppsitionelle „Kirche von Unten“, Vertreter der „autonomen Antifa“ und schließlich einige SED-Mitglieder.
Ihre Zielsetzung war die Schaffung einer „sozialistischen Räterepublik“, dementsprechend propagierte die VL auch, die Schaffung und Vernetzung von Arbeiterräten und unabhängigen Initiativen in den Betrieben. Gleichzeitig grenzte sie sich nicht klar und deutlich genug von der SED ab und hatte Illusionen in die dort an die Spitze gespülten Reformkräfte. Dementsprechend entwickelte sie kein ausreichendes Programm für eine unabhängige Machteroberung durch gewählte Organe der Arbeiterklasse und selber auch keine Organisationsstruktur, die die nötige Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit ermöglicht hätte. Ihr entscheidender Fehler war, dass sie als Teil der Opposition politisch auch Teil der Modrow-Regierung war und aus dieser erst am 2. Februar 1990 austrat, nachdem Modrow sich für eine Vereinigung von BRD und DDR ausgesprochen hatte.
Einer der Gründer der VL, Bernd Gehrke sagte in einem Interview 2004 für die Zeitung a&k;: „Nach der ersten richtig großen Demonstration am 9. Oktober war das Politbüro ja sofort eingeknickt und hat ein Dialogangebot formuliert. Wir haben dieses Dialogangebot zurückgewiesen und haben gesagt, das ganze Politbüro muss weg. Wir haben gesagt, wir müssen in diesem Machtvakuum ein Provisorium schaffen, das aus anerkannten Vertretern der Kirchenopposition besteht und aus anerkannten Reformern aus der SED. Die sollten eine Übergangsregierung bilden und einen ‘Volkskongress’organisieren, in dem Belegschaftsvertreter, gewählte Vertreter aus den Stadtteilen usw. mit eben den oppositionellen Kräften, die es gab, zusammenkommen. (…) Das hätte ein Projekt der Demokratisierung von unten sein sollen. Wir wollten damit ein Angebot auch an Erneuerer in der SED machen; damals haben wir an Modrow und Gysi und solche Leute gedacht. Die hätten einen Volkskongress oder Rätekongress, der sich von unten entwickelt, politisch ermöglichen sollen. Das haben wir versucht, in den Prozess einzubringen, und damit sind wir gescheitert. Und zwar ganz und gar gescheitert. Stattdessen hat sich eine Verhandlungslösung durchgesetzt, die am Ende zum “Runden Tisch” geführt hat.“
Von René Henze