Ein Erlebnisbericht aus Kopenhagen
Wir kamen am Samstag Vormittag um 10 Uhr mit neun Mitgliedern der Berliner SAV und von Linksjugend["solid] in Kopenhagen an. Um halb zwei in der Nacht waren wir aus Berlin mit dem Bus gestartet und bis auf eine Routinekontrolle der Polizei in Rostock, die uns für eine Weile aufhielt, erreichten wir Kopenhagen ungestört.
von René Kiesel, Berlin
Direkt nachdem wir unsere Sachen in der Lagerhalle, in der wir schliefen, abgelegt hatten, machten wir uns auf den Weg ins Zentrum der Stadt, um auf die GenossInnen der schwedischen und belgischen Sektionen des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI, die internationale sozialistische Organisation, der die SAV angeschlossen ist) zu treffen. Diese hatten vor dem Klimazentrum einen Infotisch aufgebaut, an dem wir uns mit Informationen und Material versorgten, um aktiv an der Demo teilzunehmen.
Es gab noch einen kurzen Austausch über bereits gelaufene Aktionen und eine Vorstellung der Unterschriftenlisten, mit der wir Unterstützung für eine alternative Wirtschaft sammelten, bis wir uns in den Zug von Demonstrierenden einreihten, der an uns vorbeizog.
Am Auftaktort des Umzuges, an dem 100.000 Menschen teilnahmen, angekommen, trafen wir auf weitere Mitglieder des CWI.
Um etwa 14 Uhr ging der Zug los und zog in Richtung Congresscenter, in dem tausende Politiker, Lobbyisten und Vertreter der UNO tagten. Wir als Internationale bildeten einen eigenen Block mit Bannern, Fahnen und eigenen Slogans, die wir skandierten. Dabei stellten wir die Systemfrage in den Mittelpunkt und erklärten, dass die Rettung des Klimas nur durch eine Abschaffung des kapitalistischen Profitsystems zu erreichen ist.
Hinter uns formierte sich dann nach dem Losgehen schnell ein schwarzer Block, der uns immer wieder überholte. Als wir uns das letzte Mal vor dem Block absetzten, rannten einige aus dem Block unvermittelt los und bahnten sich einen Weg durch die Demonstrierenden.
Plötzlich fuhren aus der Seitenstraße vor und hinter uns Mannschaftswagen der dänischen Polizei vor uns sperrten die Straße komplett ab und uns damit ein.
Der Kessel
Innerhalb kürzester Zeit standen wir einer dichten Reihe von PolistInnen und Hundestaffeln gegenüber, die uns gewaltsam zurückdrängten. Wir bildeten schnell Ketten und setzten uns auf die Straße, um zu verhindern, dass sie vereinzelt Leute aus unseren Reihen herausziehen und verprügeln oder verhaften konnten.
Als dann eine Linie auf beiden Seiten gebildet wurde, fingen die dänischen Staatsbeamten an, langsam auf uns zuzugehen, so dass wir immer enger zusammenrücken mussten, solange bis hinter uns ein großer Raum zwischen der Polizei und den Wagen, die die Straße absperrten entstand.
Es wurden laut Sprüche von uns gerufen wie „This is what democracy looks like“ oder „Let us go“, die von den DemonstrantInnen außerhalb des Kessels aufgegriffen wurden und den Hall durch die Straßen verstärkten.
In der Zwischenzeit rückte immer mehr Verstärkung der Uniformierten an und als sie genügend Platz hinter uns geschaffen hatten, fingen sie an, zu zweit einen Demonstranten oder eine Demonstrantin heraus zu greifen und führten ihn bzw. sie rabiat aus der Gruppe von mehreren hundert Menschen in den rückwärtigen Teil des Kessels. Dort wurden uns dann in einer unnatürlich schmerzhaften Position die Hände mit Kabelbindern aus Plastik hinter dem Rücken gefesselt. So bewegungsunfähig und wehrlos gemacht, wurden wir in enge Reihen platziert und dort von den Polizisten zu Boden gedrängt, die Finger am Schritt der Person hinter uns und unsere Ellenbogen, die einen üblen Druck ausübten, auf den Oberschenkelarterien. Die Beine mussten wir in einem offenen "V" positionieren, damit noch eine Person vor uns die gleiche Stellung einnehmen konnte.
Die Errichtung des Kessels geschah etwa um 15 Uhr und bis alle „aufgereiht“ waren, verging circa eine Stunde. Die gesamte Zeit über herrschte Unklarheit darüber, was als nächstes passieren würde.
Nach der Festnahme
Viele hundert Menschen saßen auf dem gefrorenem Boden, während die Beamten ständig darauf achteten, dass niemand seine Stellung änderte oder seine Hände lösen konnte. Bei vielen Gefangenen waren die Fesseln so fest angebracht, dass sie tief ins Fleisch schnitten und Verletzungen hinterließen. Den meisten blieb es verweigert, auf die Toilette zu gehen und so mussten sich manche in die Hose machen und weiter verharren. Andere hielten die äußerst erniedrigende Situation nicht aus und begannen unkontrolliert zu zittern; wenn sie aufsprangen und weg rannten, wurden sie brutal zu Boden geworfen und abgeführt.
Auf die Frage, was der Grund unserer Festnahme wäre, wurde die Antwort verweigert. Es fehlte an medizinischer Versorgung, es gab nichts zu Essen und auch nichts zu Trinken. Durch die Kälte, der man schutzlos ausgeliefert war, kühlten alle Verhafteten aus und konnten nach einiger Zeit ihre Hände nicht mehr spüren.
Gleichzeitig hatte man keine Ahnung, was mit denen passiert war, mit denen man vorher in einer Gruppe war, da die Polizei Gruppen trennte und die Personen in unterschiedliche Reihen platzierte. Es war eine unheimliche physische und psychische Belastung. Ein junger Mann wurde ohnmächtig und bekam Muskelkrämpfe, viele weinten.
Nur nach und nach kamen vereinzelt Busse, die uns an einen unbekannten Ort brachten, der eigens für die Internierung der Festgenommenen eingerichtet worden war. Die gesamte Zeit auf dem kalten Boden betrug über drei Stunden.
Der Abtransport
Da nicht genügend Busse vorhanden waren, um alle Gefangenen gleichzeitig abzutransportieren, wurden wir zum Schluss in die Mannschaftswagen der Polizei gesetzt und fortgebracht. Wir mussten uns dort zwischen zwei Sitzreihen auf den Boden setzen, immer noch mit den Händen auf dem Rücken gefesselt. Mittlerweile schmerzten die Schultergelenke wegen dieser Haltung auf unerträgliche Weise.
Die Fahrt führte außerhalb der Stadt zu einer Lagerhalle, in der wir wieder in diese Position zurückkehren mussten. Völlig willkürlich wurden einige von uns bereits dort nach Aufnahme ihrer Personalien direkt aus den Bussen freigelassen, andere wurden weiter in der Lagerhalle festgehalten. Im Hintergrund waren Käfige für die politischen Häftlinge aufgebaut, die man vom vorderen Teil der Gefangenensammelstelle nicht sehen, aber sehr deutlich hören konnte. Es waren über 500 in diesen „Hühnerkäfigen“ zusammengepfercht.
Zu unterschiedlichsten Zeiten wurden wir frei gelassen, einige ziemlich bald, andere wurden noch bis zum Ablauf der zwölfstündigen, gesetzlich legitimierten, Zeit der Festsetzung dort behalten. In diesem Lager gab es ebenfalls keine medizinische Versorgung, der Gang auf die Toilette und Versorgung wurde den Menschen weiterhin verwehrt und in regelmäßigen Abständen konnte man beobachten, wie Gefangene zusammenbrachen.
Die Freilassung
Bevor man endgültig freigelassen wurde, wurde man in einen Teil der Halle gebracht, in dem Beamte die Personendaten aufnahmen. Erst dann wurde über das weitere Verfahren entschieden, ob man den Ausgang benutzte oder weiter nach hinten in einen Käfig gebracht wurde. Die gesamte Zeit wurde man in Ungewissheit gelassen, was als nächstes passiert, ohne dass jemand bereit war, Informationen zu geben.
Die, die herausgelassen wurden, führte man unter Polizeibegleitung in einen Bus, in dem uns Plätze zugeteilt wurden und der dann zu verschiedenen Orten in Kopenhagen fuhr, um uns abzusetzen. Ohne weitere Angabe, an welcher Stelle der Stadt wir uns befanden.
Fazit
Der Klimagipfel ist eine Farce. Kein Vertreter einer bürgerlichen Regierung dieser Welt wird dort effektive Schritte unternehmen und sich verpflichten, den absolut notwendigen Umweltschutz durchzusetzen. Die westlichen imperialistischen Staaten verteidigen dort die Profitinteressen der multinationalen Konzerne gegen die Weltbevölkerung und gegen die Länder der halbkolonialen Welt.
Die Gegendemonstration war von ihrer politischen Zusammensetzung her enorm vielfältig, es waren Grüne dort, die Jugendorganisationen der Sozialdemokraten verschiedenster Ländern und viele UmweltschutzaktivistInnen.
Von der Kampagne „Hopenhagen“, die auf Plakaten das Gesicht Obamas mit sich trugen, über Mitglieder der Sekte Hare Krishna bis zu verschiedensten sozialistischen Organisationen waren viele vertreten. Die Stimmung der meisten TeilnehmerInnen war offen für sozialistische Ideen und für eine antikapitalistische Alternative zur Umweltzerstörung, die durch den Kapitalismus verursacht wird.
Mitglieder unserer Internationale konnten mit vielen DemonstrantInnen ins Gespräch kommen und über sozialistische Ideen diskutieren. Es wurden viele Unterschriften für unsere Forderungen gesammelt.
Das CWI stieß mit einem sozialistischen Programm für eine demokratisch geplante Wirtschaft in Einklang mit den Bedürfnissen der Menschen und der Natur auf breites Interesse und Zustimmung. Insgesamt konnten über 700 Exemplare davon an die TeilnehmerInnen verkauft werden.
Das Vorgehen der dänischen Polizei hat allen, die dort beteiligt waren und den Menschen auf der Welt noch einmal vor Augen geführt, wie der bürgerliche Staat auf politische Gegner reagiert. Eine Präventivhaft von SystemkritikerInnen kennt man sonst nur aus Staaten mit einem diktatorischen Regime, doch das zeigt auch das wahre Gesicht der viel gelobten bürgerlichen Demokratie.
Die Schlussfolgerung, die unsere GenossInnen aus diesen Geschehnissen zogen war einig – für eine sozialistische Demokratie weltweit. Jetzt erst recht!
Artikel auf der Webseite des CWI hier.