Im größten Daimler-Werk gehen Proteste gegen Verlagerung der C-Klasse-Produktion weiter.
von Karl Neumann (zuerst erschienen in der jungen welt vom 4.12.2009)
Die Proteste bei Daimler in Sindelfingen gegen die Verlagerung der C-Klasse reißen nicht ab. Auch am Donnerstag kamen Tausende zu Kundgebungen im Werk zusammen. Die Bänder standen erneut stundenlang still, nachdem bereits den gesamten Mittwoch gestreikt worden war. Unterstützung bekam die Sindelfinger Belegschaft von der nahegelegenen Fabrik in Untertürkheim. Dort versammelten sich am Vormittag rund 3500 Beschäftigte in den verschiedenen Betriebsteilen zu Kundgebungen. Die Produktion wurde mehrere Stunden unterbrochen.
Nachdem am Mittwoch sämtliche Schichten im mit rund 36 000 Beschäftigten größten Pkw-Werk des Daimler-Konzerns durch eine spontane Arbeitsniederlegung ausgefallen waren, demonstrierten am Donnerstag früh nach Betriebsratsangaben einige hundert Arbeiter mit einem Protestmarsch von Böblingen nach Sindelfingen. Danach versammelten sich mehrere tausend Mitarbeiter zu einer Informationsveranstaltung im Werk. Allein durch die Aktionen am Mittwoch seien 1000 Autos nicht produziert worden, hieß es.
»Es ist nicht das Ziel, die Produktion lahmzulegen und das Unternehmen zu schädigen«, betonte eine Sprecherin des Betriebsrats am Donnerstag gegenüber der Presse. Getreu diesem Motto forderte die Beschäftigtenvertretung die Kollegen nach Ende der Veranstaltung auf, an die Arbeit zurückzukehren. Doch nach jW-Informationen weigerten sich Hunderte Bandarbeiter aus der C- und E-Klasse-Produktion, diesem Aufruf Folge zu leisten, und versammelten sich wie am Vortag erneut vor dem Sindelfinger Verwaltungsgebäude des Konzerns.
»Es herrscht eine gigantische Mischung aus Wut und Angst«, berichtete Betriebsratsmitglied Siegfried Deuschle am Donnerstag auf jW-Nachfrage. »Die Leute wollen, daß die C-Klasse in Sindelfingen bleibt oder daß zumindest verbindliche Zusagen für alternative Beschäftigung gemacht werden – sie wollen jetzt wissen, was Sache ist.«
Den Versicherungen der Konzernspitze, die Verlagerung verursache keinen Stellenabbau, trauen die Beschäftigten offenbar nicht. »Das ist doch gelogen von vorne bis hinten«, meinte Ali Yaylaci von der oppositionellen Betriebsgruppe »Alternative«. Sein Kollege Mahmut Aktas, der wie Yaylaci in der E-Klasse-Montage arbeitet, ergänzte im jW-Gespräch: »Selbst wenn keiner gekündigt wird, sind die Arbeitsplätze für unsere Kinder und für die Region verloren.« Der Betriebsrat geht davon aus, daß durch die Verlagerung, die 2014 umgesetzt werden soll, 3000 Stellen im Werk sowie 2000 weitere bei Zulieferern verlorengehen werden.
»Die C-Klasse ist nur der Anfang«, ist Aktas überzeugt. »Wenn sie die Produktion mit dem Argument verlagern, sie sei anderswo billiger, dann werden sie das Gleiche demnächst für die E- und S-Klasse und auch in vielen anderen Betrieben sagen.« Deshalb müßten die Proteste konsequent fortgesetzt werden, meinte der IG-Metall-Vertrauensmann. Betriebsrat und IG Metall dürften »die Leute nicht nur ein paar mal rausholen und dann wieder beruhigen«, forderte er.
Am Donnerstag legten nach Gewerkschaftsangaben auch rund 3500 Beschäftigte des Stammwerks Untertürkheim die Arbeit nieder. Allein im Betriebsteil Mettingen beteiligten sich rund 2000 Menschen an einer Kundgebung vor dem Tor. »Die Empörung ist auch bei uns riesengroß«, beschrieb Betriebsratsmitglied André Halfenberg gegenüber jW die Stimmung. Ein Teil der Mettinger Achsenproduktion wäre von der Verlagerung der C-Klasse aus Sindelfingen direkt betroffen.
»Kundgebungen allein werden den Daimler-Vorstand nicht zur Vernunft bringen«, ist Halfenberg überzeugt. »Um ihn dazu zu bringen, die Entscheidung zur Verlagerung zurückzunehmen, müssen wir die Produktion über einen längeren Zeitraum lahmlegen.« Er begrüßte es, daß der Gesamtbetriebsrat alle in den kommenden Wochen geplanten Samstagsschichten auch in Untertürkheim abgesagt hat. Für Donnerstag abend waren in Untertürkheim und Sindelfingen weitere Kundgebungen geplant. Am heutigen Freitag sollen von der Sindelfinger Fabrik aus Demonstrationszüge in die Innenstädte von Sindelfingen und Böblingen starten.