Die schwarz-gelbe Regierung legt los … oder doch nicht?

Eine Analyse des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und FDP


 

Nachdem sich 2002 und 2005 die Erwartungen des Kapitals auf eine schwarz-gelbe Mehrheit nicht erfüllten, haben sie jetzt ihre Wunschregierung. Trotzdem läuft es für sie nicht nach Wunsch.

von Wolfram Klein

Das liegt natürlich nicht nur an der Qualität des Personals, über das die „Financial Times Deutschland“ zu Halloween spottete: „Nicht nur die Kinder haben sich bunt verkleidet, in Berlin haben sich auch Politiker von Union und FDP gedacht: Hey, da machen wir doch glatt mit! Selten gab es gruseligere Kostüme: Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung zum Beispiel geht als Arbeitsminister. (…) FDP-Chef Guido Westerwelle erfüllt sich einen lang gehegten Traum und hat sein Außenministerkostüm aus dem Keller hervorgeholt. (…) Das beste Kostüm aber hat Günther Oettinger: Er geht als EU-Kommissar und verbreitet so in ganz Europa Angst und Schrecken. Im wahren Leben ist das Gute an den Vampiren und Monstern, dass sie sich bald wieder in Kinder zurückverwandeln. Bei den Politikern steht dagegen zu befürchten, dass der Spuk die nächsten vier Jahre andauert.“

Wirtschaftskrise und Regierung

Offensichtlich waren alle Behauptungen vor den Wahlen, dass die schwerste Wirtschaftskrise nach dem Krieg überwunden sei, Zweckoptimismus. In Wirklichkeit haben die Vertreter des Kapitals heillose Angst, dass sie durch einen scharfen Sparkurs einen Rückfall in die Krise verschulden könnten. Im Koalitionsvertrag selbst liest sich das so: „In der außergewöhnlichen Situation, in der sich die deutsche wie die internationale Wirtschaft befindet, dürfen das Vertrauen der Bürger und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen jetzt nicht durch Entzug von Kaufkraft, höhere Belastung der Arbeitskosten und Kürzungen bei öffentlichen und privaten Investitionen gefährdet werden. Dies wäre auch im historischen Maßstab ein schwerer Fehler.“ (Zeile 23-28)

Als Kanzlerin Merkel auf dem „kleinen Parteitag“ der CDU für den Koalitionsvertrag warb, klang es noch vorsichtiger. Der „Wachstumspfad“ der Koalition biete „keine Garantie, dass es klappt. Aber der bietet die Chance, dass es klappt. Bei Sparen, Sparen, Sparen sehe ich keine Chance, dass wir es schaffen.“ Der neue Finanzminister Schäuble blies ins gleiche Horn: "Wir müssen zunächst einmal die Krise durchstehen – und dann können wir wieder konsolidieren". Er geht noch einen Schritt weiter: "Wenn sich die Wirtschaftskrise noch verschärfen sollte, macht das die Steuersenkung eher wahrscheinlicher. Denn Steuersenkungen sind weltweit eines der wirksameren Mittel gegen die Krise."

Auch die bürgerlichen Ökonomen lehnen einen schnellen Abbau des Haushaltsdefizits ab. Die „Financial Times Deutschland“ befragte ihren „Konjunkturschattenrat“ von Experten: „Einigkeit herrscht unter den Ökonomen darüber, dass es falsch wäre, mit der Konsolidierung in der Krise zu beginnen. Kein einziges Schattenratsmitglied befürwortete in der Umfrage vom Montag, dass mit der Rückführung der Strukturdefizite noch 2010 begonnen werden sollte. " (FTD 27. 10. 2009)

Ein Symptom für die Kontinuität der Regierung in der nächsten Phase (und zugleich den neoliberalen, kapitalistischen Charakter der heutigen SPD) ist, dass Steinbrücks sozialdemokratischer Staatssekretär Asmussen im Amt bleiben soll, dessen Entlassung die FDP wegen seiner Rolle bei der HRE-Verstaatlichung gefordert hatte.

Die Regierung kann dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Auf der einen Seite hofft die Regierung auf eine positive Wirkung auf die Konjunktur. Auf der anderen Seite hofft sie, dass es sich positiv auf ihr Ergebnis bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai auswirkt, wenn sie mit ihren Grausamkeiten noch ein paar Monate wartet.

Diese Zweiteilung der Regierungs-Agenda bringt es mit sich, dass die Aussagen des Koalitionsvertrages oft nebulös sind. Dahinter verbergen sich teilweise auch echte Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionsparteien, die im Koalitionsvertrag hinter diesen unklaren Formulierungen versteckt wurden, die aber in den nächsten Jahren offen ausbrechen werden. Für Gewerkschaften und LINKE sollten diese kommenden Konflikte Motivation sein, die Uneinigkeit der Regierung für den Kampf für Arbeiterinteressen zu nutzen.

Steuerentlastungen?

Im Wahlkampf hatte es zwischen den Koalitionspartnern Differenzen gegeben haben, ob und wie stark die Steuern nach der Wahl gesenkt werden. Für die Steuersenkungen, die jetzt im Koalitionsvertrag stehen, gilt Zeile 559 des Vertrages: „Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“ Für das kommende Jahr 2010 bestehen die Entlastungen zu zwei Dritteln (14 Milliarden) darin, die bereits von der Großen Koalition beschlossenen Entlastungen nicht wieder rückgängig zu machen. Darüber hinaus soll der Kinderfreibetrag von 6.024 auf 7.008 Euro erhöht werden (und in einem zweiten Schritt, für den kein Datum angegeben ist, auf 8.004 Euro). Laut Bund der Steuerzahler haben davon Familien erst ab einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro etwas. Deshalb soll zusätzlich das Kindergeld um zwanzig Euro pro Kind erhöht werden. Das wird insgesamt etwa fünf Milliarden Euro kosten. Insgesamt verspricht die Regierung eine Entlastung von 24 Milliarden Euro. Es bleiben also noch 19 Milliarden, mit denen die Regierung „möglichst“ 2011 die bisherige Einkommenssteuer durch einen „Stufentarif“ ersetzen will. Dabei will sie „insbesondere die unteren und mittleren Einkommensbezieher vorrangig entlasten und gleichzeitig den Mittelstandsbauch abflachen“ (Zeile 102f.). Klingt schön. Aber freuen wir uns nicht zu früh! Dass das Phrasen sind, zeigen schon die Wörtchen „und gleichzeitig“. Die „mittleren Einkommensbezieher“ entlasten heißt eben „den Mittelstandsbauch abflachen“. Es handelt sich also gar nicht um zwei verschiedene Maßnahmen! Wenn es nicht um wohlklingendes Wortgebimmel, sondern um ernst gemeinte Maßnahmen ginge, würde ihnen so etwas doch auffallen!

Vergessen wir auch nicht den „Finanzierungsvorbehalt“ bei „allen Maßnahmen“ und den Charakter der Regierung, der in ihrer ganzen Politik zum Ausdruck kommt!

Dieser Charakter zeigt sich schon in ihren anderen steuerpolitischen Maßnahmen: Bei der Erbschaftssteuer wird nicht nur ein Extratarif für Geschwister, Neffen und Nichten eingeführt. Bisher war die Vererbung von Firmen steuerfrei, wenn die Lohnsumme 10 Jahre gleich blieb. Das wird jetzt gelockert – angesichts der Krise und des zu erwartenden Stellenkahlschlags hält die Regierung das offenbar für eine zu harte Bedingung für Firmenerben.

Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz kommt für verschiedene Produkte auf den „Prüfstand“. Das bedeutet, dass für eine unbestimmte Zahl von Produkten der Mehrwertsteuersatz von sieben auf 19 Prozent erhöht werden soll. Dafür soll der ermäßigte Satz für Hotels („Beherbergungsleistungen“) eingeführt werden. Das wurde auf Druck der CSU beschlossen, die wieder der Lobby der bayerischen Hoteliers gehorcht (die behaupten, sie hätten Konkurrenznachteile, weil eine entsprechende Regelung in Österreich eingeführt wurde). Auch bürgerliche Zeitungen bezweifeln, dass Hotels die Kostensenkungen an ihre Kunden weitergeben würden und weisen darauf hin, dass ermäßigte Mehrwertsteuersätze sozialpolitisch motiviert sein sollten und Hartz-IV-Empfänger und andere sozial Schwache andere Probleme als zu hohe Hotelpreise haben. Dieses Steuergeschenk für die Hotels soll 1,9 Milliarden Euro kosten.

Während der Verhandlungen gab es Berichte, die Koalition plane, die Mehrwertsteuerbefreiung der kommunalen Abwasser- und Abfallwirtschaft aufzuheben, was Gebührenerhöhungen von 12 bis 20 Prozent bedeutet hätte. Im Koalitionsvertrag steht jetzt „Aufgaben der Daseinsvorsorge“ nicht stärker zu besteuern. Aber was gehört zur Daseinsvorsorge? Die Koalition hat offenbar einen eigenwilligen Gebrauch dieses Wortes. Sie rechnet z.B. die „flächendeckende Breitbandversorgung“ (Zeile 4797) dazu. Was für sie sonst dazu oder nicht dazu gehört, verrät sie noch nicht.

Krankenversicherung

Die heftigsten Angriffe der Regierung sind bisher im Bereich der Gesundheit und Pflege angekündigt. Jahrelang sollten Gesundheitsreformen die Kosten des Gesundheitswesens begrenzen. Jetzt regiert die Lobby derjenigen, die am Gesundheitswesen und seinen Kostensteigerungen verdienen. Der Koalitionsvertrag erklärt das Gesundheitswesen zur „Zukunftsbranche“ (Zeile 3840f.) und auch der „Financial Times Deutschland“ fiel auf: „ausgerechnet die Partei, die der Ärzte- und Pharmalobby am nächsten steht, bekommt das Gesundheitsministerium“. Statt die Kosten zu begrenzen, sollen sie jetzt einseitig den Beschäftigten und Kranken aufgeladen werden. Natürlich erklären sie die kommenden Kostensteigerungen nicht mit den Profitinteressen ihrer Klientel, sondern mit der älter werdenden Gesellschaft.

Erstens soll der Arbeitgeberanteil der Versicherungsbeiträge bei sieben Prozent eingefroren werden. Also sollen die Lohnabhängigen und Kranken kommende Kostensteigerungen aus ihrer eigenen Tasche zahlen.

Zweitens will die Regierung „langfristig“ „einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge“ einführen. Das wurde in der Vergangenheit als Kopfpauschale bekannt. Es bedeutet, dass die Höhe der Beiträge nicht mehr vom Einkommen abhängt, sondern alle ArbeitnehmerInnen gleich hohe Beiträge zahlen: also müssen Versicherte mit niedrigen Einkommen viel mehr, Versicherte mit hohen Einkommen viel weniger zahlen als heute. Der Koalitionsvertrag verspricht zwar, das solle „sozial ausgeglichen“ werden. Sie versprechen aber nicht, dass es vollständig sozial ausgeglichen wird. Außerdem stehen ja alle Versprechen im Koalitionsvertrag unter „Finanzierungsvorbehalt“ und die Finanzlöcher im Haushalt sind riesig (siehe unten).

Warum wollen sie überhaupt Geringverdiener durch höhere Beiträge belasten, wenn sie angeblich vorhaben, es ihnen aus Steuermitteln wiederzugeben?

Die offizielle Begründung ist, dass die Finanzierung aus Steuern sozial gerechter sei. Dabei wird darauf verwiesen, dass es Bevölkerungsgruppen außerhalb der Krankenversicherung gibt. Aber bei einer Bevölkerung von 82 Millionen sind 70 Millionen Versicherte nicht gerade wenig. Und wer zahlt denn die Steuern? In den letzten Jahren wurden die Steuern für Unternehmen immer wieder gesenkt. Im Koalitionsvertrag sind weitere Steuersenkungen geplant. Auch die Spitzensteuersätze beim Einkommen wurden gesenkt. Zugleich wurden z.B. die Verbrauchssteuern immer wieder erhöht (z.B. die Mehrwertsteuer 2005 von 16 auf 19 Prozent). Solche Verbrauchssteuern sind aber die unsozialsten Steuern. Je niedriger das Einkommen ist, desto größer der Anteil des Einkommens, das konsumiert wird und für den daher Mehrwertsteuer anfällt. Anders gesagt: Mehrwertsteuer müssen auch Hartz-IV-EmpfängerInnen zahlen. Oder: heute sind Kinder von ArbeitnehmerInnen bei der Krankenversicherung mitversichert, ohne dass die Eltern zusätzliche Beiträge zahlen müssen. Aber wenn Kinder Nahrung und Kleidung brauchen, dann müssen die Eltern dafür Mehrwertsteuer etc. zahlen. Eine Bezuschussung von Krankenversicherungsbeiträgen über Steuern ist also gar nicht sozial, solange die Steuern nicht grundlegend umgekrempelt werden.

Aber damit sind die Zumutungen von Union und FDP noch nicht zu Ende. Bisher gibt es Festzuschüsse, Festbeträge und Mehrkostenregelungen bei Zahnersatz, Arzneimitteln und Reha-Maßnahmen. Die Regierung will „prüfen“, ob „Mehrkostenregelungen“ darüber hinaus möglich sind. Sie beteuern zwar, sie wollten PatientInnen nicht vom medizinischen Fortschritt ausschließen oder überfordern – aber wer diesen Politikern glaubt, ist selber schuld. „Mehrkostenregelungen“ bedeuten genau das: eine bestimmte Grundversorgung wird noch von der Krankenkasse übernommen, alles was darüber hinaus geht, müssen die Versicherten selber zahlen – oder eben bleiben lassen, wenn sie es nicht mehr zahlen können. Und bei sinkenden Löhnen (die Regierung rechnet für 2009 mit einem Sinken der Bruttolohnsumme um 0,4 Prozent und 2010 um 0,5 Prozent wegen Kurzarbeit etc.) und steigenden Beiträgen wird die Zahl der Menschen, die sich so etwas nicht mehr leisten können, zunehmen.

Zugleich wird der Gesundheitsfonds aufgeweicht: statt dem bisherigen Einheitsbeitrag von 14,9 Prozent, sollen die über 180 Krankenkassen einen Teil direkt einziehen. Anscheinend soll Merkels glorreicher Gesundheitsfonds beibehalten werden, damit nicht seine Abschaffung nach wenigen Monaten an ihrem Image kratzt. Aber sein Zweck, den Kampf der Kassen um die „besten Risiken“ zu beenden, soll wieder abgeschafft werden. Die Gesundheitsfonds-Bürokratie bleibt, ihr Zweck geht verloren. Es soll auch „regionale Differenzierungsmöglichkeiten“ geben. Offenbar ist das ein Zugeständnis an die CSU, die hofft, in Bayern würden die Beiträge niedriger sein.

Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung wurde 1995 eingeführt, Ihr Arbeitgeberanteil wurde von den ArbeitnehmerInnen durch einen zusätzlichen Arbeitstag (Wegfall des Buß- und Bettags) finanziert. Jetzt reichen die Einnahmen nicht mehr. Es soll eine Ergänzung des bestehenden Umlageverfahrens durch „Kapitaldeckung“ geben. Das ist eine Art Zwangs-Riester-Rente für die Pflege. Die heutigen BeitragszahlerInnen sollen die heutigen Pflegebedürftigen und ihre eigene Pflege bezahlen. Dadurch wird ein weiteres Feld für die private Versicherungswirtschaft geöffnet. Die damalige bayrische Sozialministerin Stewens schlug das 2005 schon vor. Der Beitrag sollte mit vier Euro im Monat beginnen und jährlich um fünfzig Cent steigen. Der Rentenexperte Raffelhüschen erklärte das damals für viel zu niedrig und plädierte für einen Betrag, der mit 8,50 im Monat beginnen und bis 2050 auf fünfzig Euro monatlich steigen solle. Seitdem sind die Kosten gestiegen. Wenn die Regierung mit Zahlen herausrückt, dürften die höher liegen.

Der Unterschied zwischen diesem „Pflege-Riester“ und der „Riester-Rente“ ist nicht nur, dass es diesmal eine Zwangsversicherung ist. Bei der Rentenversicherung hing die Höhe der Rente traditionell von der Höhe der Beiträge ab. Der „Versicherungscharakter“ der Rentenversicherung besteht darin, dass die Menschen verschieden lange leben und damit die Menschen, die bald nach der Verrentung sterben, wenig davon haben, und die Menschen, die danach noch lange leben, viel davon haben. Im Unterschied dazu hängt traditionell bei der Kranken- und Pflegeversicherung der Umfang der Leistungen nicht von der Höhe der Beiträge ab, sondern vom Bedarf. Die Einführung einer kapitalgedeckten Versicherung in die Pflegeversicherung, bei der die Höhe der Beiträge nicht von der Höhe des Einkommens abhängt (so wenig wie bei einer KFZ- oder Lebensversicherung) bedeutet damit neben dem Zwangscharakter auch die Einführung der Kopfpauschale auch in die Pflegeversicherung.

Bei der Riester-Rente führte das Vertrauen auf den Kapitalmarkt dazu, dass viele fondsbasierte Verträge an Wert verloren. Jetzt soll mit der Kapitaldeckung auch die Pflegeversicherung den Wechselfällen der Börse ausgesetzt werden.

Weitere Verarmung

Bei neuen Branchen-Mindestlöhnen bekommt die FDP faktisch ein Vetorecht: sie werden „einvernehmlich im Kabinett“ (Zeile 640) beschlossen, während sie bisher der Arbeitsminister unter bestimmten Umständen allein entscheiden konnte. (Wenn diese Kompetenz bei Arbeitsminister Jung läge, der nur weiter im Kabinett sitzen darf, weil er aus der Zeit der CDU-Spendenaffäre mit Roland Koch gemeinsam Leichen im Keller hat, wäre das allerdings auch nicht beruhigend.) Die bestehenden Mindestlöhne kommen bis Oktober 2011 auf den Prüfstand. Damit drohen die kleinen Schritte Richtung Mindestlohn gestoppt und dann wieder rückgängig gemacht zu werden.

Die beabsichtigte Pauschalisierung von Unterkunfts-, Energie- und Nebenkosten beim ALG II kann faktisch eine Senkung von ALG II bedeuten. Und die Anhebung der Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger? Sie nützt laut Deutschem paritätischen Wohlfahrtsverband nur zwei bis drei Prozent der Hartz-Familien. Und sie gilt nur für Ersparnisse für die private Altersvorsorge. Mit anderen Worten: die Regierung rechnet damit, dass als Folge der Krise massenhaft besser bezahlte Beschäftigte in Hartz IV abrutschen werden (denn schlecht bezahlte ArbeitnehmerInnen können sich die Riester-Rente kaum leisten) und hat Angst, dass die Riester-Rente völlig unattraktiv wird. Deshalb sollen diese Ersparnisse (und Eigenheime) besser geschützt werden.

Dafür werden die Rechte der MieterInnen verschlechtert. Die Kündigungsfrist für Vermieter wird von bis zu neun auf drei Monate herabgesetzt. Gekündigte MieterInnen haben so noch weniger Zeit, eine neue Wohnung zu finden. Damit nicht genug: „Mietrechtliche Ansprüche müssen auch wirksam vollstreckt werden können.“ (Zeile 5075f.) Auf deutsch: wenn die Mieter gekündigt sind, soll die Zwangsräumung erleichtert werden.

Innenpolitik

Im Wahlkampf hat die FDP sich noch als Verteidigerin von Bürgerrechten ausgegeben. Tatsächlich bleiben Schäubles Überwachsungsgesetze mit minimalen Änderungen bestehen. Zum Beispiel wird der „Zugriff der Bundesbehörden auf die gespeicherten Vorratsdaten der Telekommunikationsunternehmen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung“ ausgesetzt und „bis dahin auf Zugriffe zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben und Freiheit“ beschränkt (Zeile 4898.4900). Aber die Polizei ist weitgehend Ländersache – und Landesbehörden werden nicht erwähnt.

Die Rechte der Polizei werden ausgeweitet: „Wir werden eine gesetzliche Verpflichtung schaffen, wonach Zeugen im Ermittlungsverfahren nicht nur vor dem Richter und dem Staatsanwalt, sondern auch vor der Polizei erscheinen und – unbeschadet gesetzlicher Zeugenrechte – zur Sache aussagen müssen.“ (Zeile 5008-5011)

Die Verharmlosung des Rechtsextremismus durch die Regierung ist widerwärtig. Obwohl seit 1993 140 Menschen durch Gewalt von rechts und kein einziger durch Gewalt von links ums Leben kam (wie die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke vorrechnete), werden im Koalitionsvertrag ständig Rechtsextremismus, Islamismus und Linksextremismus in einem Atemzug genannt oder wird einfach nur von „Extremismus“ geschrieben. Die bisherigen Programme gegen Rechtsextremismus werden auf Linksextremismus und Islamismus ausgeweitet. Geschmackvollerweise zählt das der Koalitionsvertrag auf als eine der Maßnahmen, „um der Verklärung der SED-Diktatur entgegenzuwirken“ (Zeile 4334 und Zeile 4345-47). Offensichtlich findet diese Regierung die Möglichkeit, dass Menschen aus der tiefsten Krise des Kapitalismus in der Nachkriegszeit sozialistische Schlussfolgerungen ziehen könnten bedrohlicher als die zunehmende Nazigewalt. Aus ihrer Sicht haben sie nicht Unrecht, denn die Nazis sind die nützlichen Idioten des Kapitals.

Energie und Umwelt

Die Laufzeit der Atomkraftwerke (die bei schwarz-gelb natürlich „Kernkraftwerke“ heißen, um den Zusammenhang zwischen Atomkraft und Atomwaffen zu vertuschen) wird verlängert. Natürlich sollen dabei die „deutschen und internationalen Sicherheitsstandards“ eingehalten werden. Aber erstens geht es um viel Geld, das Regierung und Energieversorgungsunternehmen untereinander aufteilen wollen. Wer kann da solchen Versprechen vertrauen? Zweitens werden Atomkraftwerke immer unsicherer, je länger sie im Betrieb sind. Drittens bedeutet der Weiterbetrieb der AKWs zusätzlich 450 Tonnen hochradioaktiven Müll jährlich (weshalb auch der rotgrüne „Atomkompromiss“ unverantwortlich war), obwohl die Endlagerung nach wie vor nicht geklärt ist: In Gorleben soll die Erkundung „ergebnisoffen“ wieder aufgenommen werden. „Die Endlager Asse II und Morsleben sind in einem zügigen und transparenten Verfahren zu schließen“ (Zeile 1041f.) Die Ironie, Lager als „Endlager“ zu bezeichnen, die wieder geschlossen werden, fällt ihnen gar nicht auf.

Es sollen keine weiteren AKWs mehr gebaut werden. Die Atomkraft wird als „Brückentechnologie“ bezeichnet. Aber Brücke wohin? Die Koalition hat kein Konzept für einen Umbau der Energieförderung auf erneuerbare Energien.

Neben der Atomkraft kommt auch die Gentechnologie auf ihre Kosten: Der Anbau der Industrie-Genkartoffel Amflora wird unterstützt.

Außerdem wird die Zerschlagung des umweltfreundlichsten Verkehrsmittels – der Bahn – weiter betrieben. Nachdem die Große Koalition gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung die Bahnprivatisierung durch Verfassungsänderung möglich gemacht hat, soll jetzt nicht nur eine Minderheitsbeteiligung der Bahn verkauft werden, sondern die Bahn zerschlagen und Teilbereiche ganz verkauft werden: Personen- und Güterverkehr und Logistik. Die Regierung meint, man könne beim Schienenverkehr ebenso wie beim Straßenverkehr die (staatliche) Infrastruktur von den privaten Verkehrsteilnehmern trennen. Das verkennt völlig die technischen Unterschiede. Wenn auf der Autobahn ein LKW einen anderen überholt, mag das für andere Verkehrsteilnehmer nervig sein, aber es geht. Ein Zug kann den anderen nicht einfach so überholen, denn die fahren auf Schienen, bei denen es nur eine begrenzte Anzahl von Weichen gibt. Aus diesem Grund gibt es bei der Bahn Fahrpläne, die man für den Straßenverkehr nicht braucht. Beim Schienenverkehr gibt es also rein technisch einen viel engeren Zusammenhang zwischen Infrastruktur und Fahrzeugen als beim Straßenverkehr. Diesen Zusammenhang durch die Privatisierung zu zerreißen bedeutet, den möglichen Beitrag der Bahn zum Umweltschutz (und zu Verkehrssicherheit, Fahrkomfort etc.) drastisch einzuschränken und möglicherweise langfristig zu zerstören. Neben einem gerüttelten Maß an ideologischer Borniertheit stecken die kapitalistischen Profitinteressen dahinter: beim Personen- und Güterverkehr und bei der Logistik winken neue profitable Anlagemöglichkeiten für das Kapital, während die Infrastruktur für Investoren nicht attraktiv ist (erstens ist sie zu großen Teilen ziemlich heruntergewirtschaftet und zweitens betrügen die Umschlagszeiten für dort investiertes Kapital Jahrzehnte – nicht gerade profitversprechend).

Bildung

Der Koalitionsvertrag trägt die Überschrift „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ Wenn man diese Überschrift liest, könnte man meinen, dass die Bildung ein zentrales Thema sei. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das ist nicht überraschend, weil die Föderalismusreform von 2006 die Kompetenzen des Bundes in der Bildungspolitik fast vollständig beseitigt hat. Wenn man sich den Koalitionsvertrag betrachtet, sieht man, dass das Kapitel zu Bildung und Forschung das kürzeste Kapitel des Vertrages ist: es macht nur 6,4 Prozent des Textes aus, wovon noch einmal fast die Hälfte die Forschung behandelt. So bleiben für die ein Drittel des Titels einnehmende „Bildung“ nur noch 3,5 Prozent des Textes. Nach wohlklingenden Worten über die Bedeutung von Bildung heißt es dann: „Deswegen sagen wir der Bildungsarmut den Kampf an.“ (Zeile 2543f.) Die Koalition verspricht, bis zum Jahr 2013 zusätzliche zwölf Milliarden Euro für Bildung und Forschung auszugeben – macht pro Jahr drei Milliarden. Wie viel davon wirklich für Bildung ist und wie viel für Forschung, wird nicht gesagt. Außerdem gibt es ja noch die Zeile 559 des Koalitionsvertrags: „Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“ Wenn man annimmt, dass die Hälfte der drei Milliarden im Jahr in die Forschung fließt, sind das noch anderthalb Milliarden für Bildung, weniger als die 1,9 Milliarden, mit denen die Hotels durch den ermäßigten Mehrwertsteuersatz subventioniert werden. Aber wenn der Koalitionsvertrag statt „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ z.B. „Pharmakonzerne. Hotels. Energieversorgungsunternehmen.“ hieße, klänge das natürlich nicht so gut.

Die Regierung verspricht für jedes Kind ein Startguthaben von 150,- Euro. Einzahlungen von Großeltern, Paten etc. sollen durch Prämien gefördert werden. Allerdings dürfte ein Startguthaben von 150,- Euro gerade mal die Kita-Gebühren für ein paar Wochen abdecken und dann aufgebraucht sein.

Die Regierung will die Begabtenförderung ausweiten. Die Zahl der Stipendiaten soll von zwei auf zehn Prozent steigen. Wie diese Förderung derjenigen, die schon im Bildungssystem Erfolg haben, die Bildungsarmut bekämpfen soll, ist das Geheimnis der Regierung. Damit werden überwiegend die gefördert, deren Eltern schon hohe Bildung und hohe Einkommen haben. Und wenn es mal ein Kind aus „bildungsfernen Schichten“ unter die besten 10 Prozent schafft, werden 300,- im Monat nicht reichen, um sich voll dem Studium zu widmen. Wenn der Kampf gegen die Bildungsarmut Ernst gemeint wäre, wäre eine Ausweitung des Bafög der nahe liegende Weg. Das Geld für die Stipendien soll zunächst von „Wirtschaft und Privaten“ eingeworben werden. Bis zur Hälfte soll aus öffentlichen Zuschüssen kommen, davon soll wiederum die Hälfte vom Bund und von den Ländern kommen. Der Anteil des Bundes liegt also maximal bei 25 Prozent.

Das sind die einzigen konkreten Aussagen in dem Koalitionsvertrag, in dessen Überschrift groß „Bildung“ steht. Ansonsten gibt es Absichtserklärungen („wir wollen“ und „wir streben an“) und Worthülsen. Und nicht vergessen: Alle Aussagen stehen unter Finanzierungsvorbehalt.

Riesige Haushaltslöcher…

Und die Finanzlage ist tatsächlich so schlimm, wie noch nie. Am 26. Oktober zitierte das Handelsblatt Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft, wonach die Steuerschätzung vom November keine besseren Aussichten bieten wird als die vom Mai. Seitdem wurden zwar die Konjunkturerwartungen nach oben korrigiert: von minus sechs auf minus fünf Prozent für dieses Jahr und plus 1,2 für nächstes Jahr (und plus 2,1 Prozent 2011). Trotzdem sollen die Steuereinnahmen dieses Jahr noch einmal zwei Milliarden niedriger sein, als im Mai geschätzt, nächstes Jahr nur zwei Milliarden mehr. Demnach gehen die Steuereinnahmen dieses Jahr um mehr als sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, im kommenden Jahr um weitere 13 Milliarden Euro. Die tatsächlichen Steuereinnahmen von Bund und Ländern waren im September 2009 7,4 Prozent niedriger als im September 2008. Für die neun Monate vom Januar bis September 2009 lagen sie um sechs Prozent unter dem Vorjahresniveau (352,84 Milliarden). Dazu kommen Milliardenausfälle der Kommunen vor allem durch den Einbruch der Gewerbesteuer.

Von dem erwarteten Defizit der Krankenkassen von 7,5 Milliarden 2010 sollen vier Milliarden aus dem Haushalt gezahlt werden. Außerdem sollen 16 Milliarden Euro, die bisher als Darlehen an die Arbeitslosenversicherung vorgesehen waren, in einen Zuschuss verwandelt werden.

Nach konservativen Schätzungen betragen die Haushaltslöcher 2010 90 Milliarden, laut SPD-Angaben 100 Milliarden Euro. Michael Schlecht von der Linken gibt auf der Grundlage von Zahlen des Finanzministeriums vom August das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen mit 113 Milliarden 2009 und 132 Milliarden 2010 an. Selbst wenn die Hoffnungen der Regierung bezüglich wirtschaftlicher Erholung und damit steigenden Steuereinnahmen und konstanten Ausgaben sich erfüllen, beträgt das Defizit für 2009 bis 2013 zusammen 500 Milliarden Euro, eine halbe Billion. Dazu kommen noch die möglichen Kosten für die Bankenrettung.

… und billige Tricks

Die Gründe für diese freigebige Politik wurden oben schon genannt: Angst, die Konjunktur kaputt zu sparen und Angst, durch unsoziale Maßnahmen die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010 zu verlieren. Es gibt aber noch einen weiteren Grund. Im Sommer wurde die Verfassung geändert und eine „Schuldenbremse“ in sie aufgenommen. Damit sollte die Neuverschuldung begrenzt werden. Kurzfristig ist sie aber ein Anreiz, sie zu steigern. Die Schuldenbremse verlangt von 2011 bis 2016 einen schrittweisen Abbau des strukturellen Haushaltsdefizits auf 0,35 Prozent des BIP. Die eigentümliche Folge ist, dass das strukturelle Defizit 2011 umso höher sein kann, je höher es 2010 ist. Wenn das strukturelle Defizit 2010 2,5 Prozent des BIP statt 1,6 Prozent des BIP beträgt, darf es 2011 2,14 Prozent statt 1,4 Prozent des BIP betragen. Die Regierung darf dann 2011 etwa 18 Milliarden Euro mehr ausgeben. Das ist ungefähr so sinnvoll, wie wenn ein Raucher beschließt, das Rauchen aufzuhören, indem er jede Woche weniger raucht – und als Auftakt so viel raucht, wie noch nie in seinem Leben, damit die nächsten Schritte des Abgewöhnens leichter fallen.

Der Vorteil ist sogar doppelt: es geht nicht um das wirkliche Defizit, sondern um das „strukturelle“ Defizit. Wie wir gerade sehr plastisch sehen, führt eine Wirtschaftskrise zu Einnahmeausfällen und Ausgabensteigerungen in den öffentlichen Kassen. Man kann also das Haushaltsdefizit in ein konjunkturelles und ein strukturelles Defizit einteilen – und die Schuldenbremse verlangt nur, den strukturellen Teil bis 2016 auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Bund) bzw. bis 2020 auf Null (Länder) zu verringern.

Aber wo die Grenze zwischen strukturellem und konjunkturellem Defizit verläuft, hängt davon ab, welches Wirtschaftswachstum man als normal ansieht. Je höher das „normale“ Wachstum, desto eher kann man die wirkliche Konjunkturentwicklung als Krise deklarieren und Haushaltsdefizite als durch diese Krise verursachte konjunkturelle Defizite. Wenn man jetzt durch Pumpen von Geld in die Wirtschaft ein konjunkturelles Strohfeuer erzeugt, kann man ein höheres Wachstum für „normal“ erklären. Damit erscheint die Differenz zwischen dem wirklichen Wachstum (oder Schrumpfen) und dem normalen Wachstum größer, folglich erscheint der konjunkturelle Anteil am Haushaltsdefizit größer und der strukturelle Anteil kleiner und damit auch der von der Schuldenbremse geforderte Kürzungsbedarf kleiner.

Natürlich ändern all diese Tricks nichts daran, dass Schulden Schulden sind, für die Zinsen gezahlt werden müssen. Wenn die Zinsen wieder steigen, die momentan als Folge der Krise sehr niedrig sind, wird die Zinsbelastung entsprechend steigen.

Voodoo-Ökonomie

Mittelfristig ist das natürlich keine Lösung. Ein Teil der Regierung versucht es mit „Voodoo-Ökonomie. Den Begriff prägte George Bush senior 1980. Der bewarb sich damals um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner und verspottete damit das Programm seines innerparteilichen Rivalen Ronald Reagan, die Steuern zu senken, die Ausgaben zu erhöhen und zugleich das Haushaltsdefizit zu verringern. Reagan machte damals Bush zu seinem Vizepräsidentschaftskandidaten. Der hat dann 12 Jahre lang als Vizepräsident und Präsident diese Voodoo-Ökonomie praktiziert. Die Tatsachen haben seine ursprüngliche Kritik voll bestätigt. Statt die Staatsverschuldung abzubauen, stiegen die Staatsschulden von 1980 auf 1992 von 909 Milliarden auf 4002 Milliarden US-Dollar.

Teile der Regierung verkünden jetzt unbelehrbar, dass Steuersenkungen (für die Unternehmen) zu Investitionen, Wachstum. Arbeitsplätzen und höheren Steuereinnahmen führen würden. FDP-Haushaltsexperte Fricke sagte z.B., „dass ohne Steuersenkungen der Pfad in die Verschuldung weitergehen wird. Denn wir bekommen keine Investitionen und keine zusätzlichen Arbeitsplätze.“ Immerhin denkt er den Gedanken nicht zu Ende und behauptet nicht, dass bei einer Abschaffung der Steuern die Steuereinnahmen ins Unendliche steigen würden.

Andere Vertreter der herrschenden Klasse sind realistischer. Bundesbankpräsident Weber möchte „ausdrücklich davor warnen, die Selbstfinanzierungseffekte von steuerlichen Entlastungen und Ausgabenerhöhungen zu hoch zu veranschlagen". Mit Bert Rürup, der jahrelang als „Wissenschaftler“ für die private Altersvorsorge Propaganda machte und heute einen Job bei einem der Profiteure der auf seinen Rat eingeführten Politik hat, haben wir wenig gemein, aber wenn er sagt: "Man kann nicht drei Dinge gleichzeitig tun: Steuern senken, Abgaben stabil halten und den Haushalt sanieren", hat er Recht.

Manche Ökonomen gehen so weit, nicht nur zu bezweifeln, dass Steuergeschenke (für Reiche) die Wirtschaft so ankurbeln, dass die Steuereinnahmen unter dem Strich steigen, sondern, dass sie überhaupt etwas nützen. Die „Financial Times Deutschland“ schrieb: „Breite Steuersenkungen sind wenig zielgenau. Viele Leute sparen das zusätzliche Geld lieber, als es für den Konsum auszugeben.“ Von den zehn Chefökonomen und Konjunkturchefs, die an einer Blitzumfrage dieser Zeitung teilnahmen („Konjunkturschattenrat“), meinten vier, „dass es trotz Steuersenkung zu keiner Stimulierung der Konjunktur kommt.“

Belastung der Länder und Kommunen

Die im Koalitionsvertrag angekündigten Steuergeschenke zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie nur zum Teil zu Lasten des Bundes gehen. 2010 soll es Steuerentlastungen von 21 Milliarden Euro geben (von denen 14 Millionen noch von der Großen Koalition beschlossen wurden). 42,5 Prozent davon gehen je zu Lasten von Bund und Ländern, 15 Prozent zu Lasten der Kommunen.

Die Kürzungen der Erbschaftssteuer in Höhe von 1,1 Milliarden gehen voll zu Lasten der Länder. Nach Angaben von Michael Schlecht (LINKE-Bundesvorstand und ver.di) bringen die Steuergeschenke der Koalition für die Unternehmen Steuerausfälle von 2,3 Milliarden Euro, von denen aber nur 600 Millionen den Bund, aber 800 Millionen die Länder und 900 Millionen die Gemeinden betreffen.

Laut Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, bescheren die schwarz-gelben Steuergeschenke den Kommunen 2010 insgesamt Steuerausfälle von 3,6 Milliarden.

Die Länder hatten 2007 einen Überschuss, 2008 einen ausgeglichenen Haushalt, aber 2009 haben sie laut Finanzplanungsrat ein Defizit von 27,5 Milliarden, 2010 auch ohne die schwarz-gelben Steuergeschenke ein Defizit von 30,5 Milliarden Euro. Der Berliner Finanzsenator Ullmann schätzt, dass von den angekündigten 24 Milliarden Euro Steuerentlastung 14 Milliarden auf Kosten der Länderfinanzen gehen. Die Bremer Finanzsenatorin Linnert schätzt den Anteil der Länder sogar auf 16 Milliarden Euro.

Die knappe schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat (37 Stimmen – und sie brauchen 35) bedeutet, dass alle schwarz-gelb regierten Länder zustimmen müssen. Baden-Württemberg und Sachsen haben schon Ablehnung signalisiert. Die Medien spekulieren bereits, ob Merkel diese Länder mit irgendwelchen Zugeständnissen kaufen wird, oder ob es ihr Recht ist, wenn Maßnahmen im Bundesrat scheitern, die sie nur auf Druck von FDP oder CSU in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. Dass die Steuergeschenke unpopulär sind (nach Umfragen lehnen sie zwei Drittel der Bevölkerung ab) kommt hinzu.

Widerstand

Der Koalitionsvertrag ist also keineswegs ein Programm, das wie ein unabwendbares Geschick umgesetzt werden wird. Wenn der saarländische Ministerpräsident Müller den Koalitionsvertrag versehentlich „Diskussionsvertrag“ nannte, war das wohl ein freudscher Versprecher.

In den USA haben die Kapitalisten jahrelang ihre Profite gesteigert und versucht, soziale Spannungen und einen Einbruch der Massenkaufkraft zu vermeiden, indem sie die private Verschuldung (Hypotheken, Kreditkarten etc.) immer höher trieben. Diese Politik war nicht beliebig fortsetzbar und mündete in der aktuellen Krise. Die schwarz-gelbe Regierung versucht jetzt mittels Staatsverschuldung etwas Ähnliches zu erreichen. Auch das kann nicht beliebig lange funktionieren.

Ob die riesigen Geldbeträge, die in verschiedenen Ländern in die Wirtschaft gepumpt wurden, zur Überwindung der Krise ausreichen, ist ungewiss. Die Ursachen der Krise, wie faule Kredite bei den Banken und große Überkapazitäten in verschiedenen Branchen, sind keineswegs beseitigt. Damit ist im günstigsten Fall eine neue schwere Krise in ein paar Jahren vorprogrammiert. Im ungünstigen Fall wird sich die Erholung der letzten Monate als Strohfeuer erweisen, nach dessen Ende die Wirtschaft in die Krise zurück rutschen wird. So oder so wird sich die Frage, wer für die Krise zahlt, nicht durch Schuldenaufnahme umgehen lassen, sondern durch Klassenkampf ausgekämpft werden müssen. Und wegen der Tiefe der Krise und dem Ausmaß der Staatsverschuldung werden die Kapitalisten und ihre schwarz-gelbe Regierung Umverteilung von unten nach oben in beispiellosen Dimensionen von zig Milliarden Euro versuchen.

Ein erfolgreicher Kampf gegen den Versuch, die Lasten der Krise der Masse der Bevölkerung aufzuladen, muss angesichts der Tiefe der Krise an die Grenzen des kapitalistischen Systems stoßen und uns die Aufgabe stellen, sie zu überschreiten.