Die Rechnung kommt nach der Wahl

Kampf gegen Agenda 2020 und Entlassungen!


 

Bis zum 27. September versucht die Große Koalition, die Auswirkungen der Krise für die Masse der Bevölkerung noch abzumildern. Zentrales Instrument dabei ist das verlängerte Kurzabeitergeld. Noch wird auch verschwiegen, wer für die staatlichen Milliardenzahlungen an Banken und Konzerne aufkommen soll. Es sieht danach aus, dass Schwarz-Gelb nach der Wahl das Zepter übernimmt. Aber egal, wie sich die neue Regierung zusammensetzt: Es wird hammerharte Angriffe auf den Lebensstandard von Beschäftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen geben.

von Angelika Teweleit, Berlin

Kurzfristig konnte durch die Abwrackprämie und durch die Verhinderung von Massenentlassungen mit Hilfe der Kurzarbeit die wirtschaftliche Talfahrt im zweiten Quartal aufgehalten werden. Im gleichen Zeitraum sank jedoch bereits die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr. Auch den so genannten Konjunkturexperten ist klar: Die Erholung steht auf wackeligen Füßen. Die eigentlichen Folgen der Krise für den Arbeitsmarkt zeigen sich erst noch. Schließungen und Massenentlassungen drohen. Auf Arcandor und Escada könnten Hunderte von Betrieben folgen. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung erwartet selbst, dass bis zum Jahresende eine halbe Million Erwerbslose dazu kommen werden.

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier versucht mit seinem Deutschland-Plan (vier Millionen zusätzliche Arbeitsplätze bis 2020) den Sturzflug der Partei aufzuhalten. Doch auch wenn er sich einen langen weißen Bart wachsen ließe, würden ihm nicht einmal die Kinder glauben.

Umverteilung

Im August erklärte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): Die bereinigte Lohnquote (Anteil der Löhne am Volkseinkommen) erreichte in den Jahren 2007 und 2008 ein Rekordtief von 61 Prozent. Die Reallöhne sind laut der Studie seit 2003, also im Aufschwung, durchschnittlich um vier Prozent gesunken – bei gleichzeitiger Steigerung der Profite um 33 Prozent. Dazu trug gerade die Ausweitung des Niedriglohnsektors – in Kombination mit der Verzichtspolitik der Gewerkschaftsführungen – bei.

In der Krise versuchen die jeweiligen Kapitalisten verzweifelt, die Profitbedingungen wieder zu verbessern und sich im globalen Konkurrenzkampf zu behaupten. Daher wird die Politik der Umverteilung von unten nach oben verschärft werden – mit brutalen Auswirkungen.

Sozialkahlschlag

Schon jetzt melden die Kommunen, dass sie bis Ende des Jahres mit einem Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen von bis zu 40 Prozent rechnen. Gleichzeitig werden die Ausgaben der Kommunen für Hartz-IV-Zuschüsse und Wohngeld in die Höhe schnellen. Die Antwort der regierenden Politiker in den Kommunen lautet: „Jetzt muss alles auf den Prüfstand.“ Ein Kindergartenplatz für jedes Kind? Nur noch für die, die es sich leisten können. Städtische Schwimmbäder und Jugendclubs? Überflüssig. Soziale Kürzungen werden einhergehen mit einem drastischen Stellen- und Lohnabbau und weiteren Privatisierungen. Damit werden die KollegInnen auch in der Tarifrunde für Bund und Kommunen Anfang 2010 konfrontiert sein.

Die zukünftige Bundesregierung wird verschiedene Instrumente nutzen, um das Bankenrettungspaket über 480 Milliarden Euro und wahrscheinlich weitere Rettungspakete zu finanzieren. Im „industriepolitischen Konzept“ aus dem Wirtschaftsministerium wurde einiges bereits preisgegeben: weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Steuergeschenke für Unternehmen, Mehrwertsteuererhöhung. Auch Kürzungen bei Arbeitslosengeld und Rente drohen.

Aufrüstung nach innen und außen

Die Krise wird zu einer aggressiveren Innen- und Außenpolitik führen. Um soziale Unruhen und Widerstand gegen ihre Politik zu bekämpfen, wird der Staat Repressionsinstrumente weiter ausbauen. Um die deutschen Kapitalinteressen zu vertreten, werden weitere Soldaten ins Ausland geschickt werden. Auch die Grünen stehen Gewehr bei Fuß. Auf die Frage, ob in einem Jahr mehr deutsche Soldaten am Hindukusch sein werden, antwortete ihr außenpolitischer Sprecher Winfried Nachtwei: „Ich will das nicht ausschließen“ (Frankfurter Rundschau vom 21. August).

Uns erwarten Angriffe von Regierung und Kapital, wie sie noch keine Generation seit 1945 erlebt hat. Das wird GewerkschafterInnen, Linke und SozialistInnen vor eine komplett neue Herausforderung stellen. Es wird zu einer Reihe von verzweifelten Protesten kommen. Nötig ist ein Konzept für effektive Gegenwehr. Die sozialistische Alternative zum Profitsystem muss in den Köpfen verankert werden!

Kampf gegen Agenda 2020 und Entlassungen – aber wie?

Oft hört man den Spruch: „In Frankreich, da kämpfen die Leute, aber hier…“ In den letzten Monaten haben Beschäftigte und Jugendliche jedoch gezeigt, dass sie bereit sind, Widerstand zu leisten: SchülerInnen, Studierende, ErzieherInnen, KollegInnen bei Mahle, Continental und viele mehr. Schon jetzt gäbe es das Potenzial für eine große Streik- und Protestbewegung – wenn eine kämpferische Führung der Gewerkschaften das anstreben würde.

Auch wenn sich beim Gewerkschaftsrat diesmal selbst die Spitzenfunktionäre nicht mehr getraut haben, sich öffentlich zur SPD zu bekennen, sind die Verbindungen zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und der Agenda-2010-Partei noch immer vorhanden. Um so dringender, gegen diese Bindung anzugehen. Darüber hinaus muss die Politik des Co-Managements bekämpft werden. Der Kreis von linken AktivistInnen in den Betrieben und sozialen Bewegungen ist noch klein. Doch sie müssen den Aufbau von effektiver Gegenwehr diskutieren.

Mit der Profitlogik brechen

Wenn Massenentlassungen und Betriebsschließungen anstehen, heißt die „Lösung“ der Gewerkschaftsführung: verlängerte Kurzarbeit, sozialverträglicher Arbeitsplatzabbau, Transfergesellschaften. Damit wird Massenarbeitslosigkeit nicht bekämpft, sondern akzeptiert. Auch wenn die Gewerkschaftsoberen von Zeit zu Zeit zu Protesten aufrufen, mobilisieren sie nicht konsequent – weil sie davor zurückschrecken, den Kampf gegen das Kapital entschlossen aufzunehmen.

In der Krise wird mehr denn je ein Programm benötigt, das mit der Profit- und Konkurrenzlogik bricht. Zum einen gehört die Forderung nach Verteilung der Arbeit auf alle – durch deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich – ganz oben auf die Tagesordnung. Doch auch die Eigentumsfrage muss gestellt werden. Russische AutoarbeiterInnen bei AvtoVaz (Lada) an der Wolga haben im August mit einer Demonstration gegen eine Halbierung ihrer Arbeitszeit bei vollem Lohnverlust (und Gerüchten, dass 30.000 Beschäftigte später entlassen werden sollen) die Forderung nach der Verstaatlichung des Betriebs unter demokratischer Kontrolle aufgebracht. Es ist die Aufgabe von linken Gewerkschaftsaktiven und der Partei DIE LINKE, die Bewegung mit einem solchen Programm zu bewaffnen, und mit der Perspektive für eine sozialistische Veränderung zu verbinden.

Betriebsbesetzungen

Die Ankündigung von Werksschließungen erfordert auch über Demonstrationen hinaus gehende Kampfformen. In Großbritannien, Südkorea und Italien haben ArbeiterInnen als Reaktion auf drohende Massenentlassungen kürzlich ihre Betriebe besetzt. Bei Innse in Italien wurde einer der bisher größten Erfolge erkämpft. Obwohl die Motorroller-Fabrik durch die Polizei geräumt worden war, konnte durch den heroischen Kampf von fünf Kollegen, die einen Kran besetzten, und durch die Unterstützung Tausender aus anderen Betrieben eine Arbeitsplatzgarantie für 49 Beschäftigte erzwungen werden. Auch hier in Deutschland würde ein erfolgreicher Arbeitskampf anderen Belegschaften enorm Mut machen.

Gemeinsame Gegenwehr

Vertrauensleute- und Betriebsrätekonferenzen wären jetzt das Gebot der Stunde. Dort könnte über die nächsten Kampfschritte beraten werden.

Die Solidarität untereinander wird von entscheidender Bedeutung sein, um zu verhindern, dass Belegschaften gegenein-ander ausgespielt werden. In Aachen kommen jeden Monat KollegInnen mehrerer Betriebe im „Aachener Netzwerk zur Verteidigung von Arbeitsplätzen“ zusammen (siehe Seite 10). Dieses Beispiel sollte Schule machen.

Im Oktober steht eine Reihe von Treffen an, auf denen die Fragen von Programm und Kampfstrategie diskutiert werden können: eine Arbeitszeitkonferenz von ver.di-Linken, das Treffen des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di“, eine Konferenz des „Netzwerk Auto“, ein Treffen der „Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken“ (IVG), sowie die Konferenz der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft der LINKEN (siehe Seite 8). Zudem ist eine weitere Aktionskonferenz des Bündnisses „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ im Herbst geplant.

Politischer Streik

Gegen die Vielzahl der Angriffe von Regierung und Kapital muss der Kampf unbedingt gebündelt werden. Bernd Riexinger, Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart und LINKE-Mitglied, schreibt in einem Diskussionsbeitrag: „Immer wieder haben die Gewerkschaften sich dem Verbot des politischen Streiks widersetzt: beim Angriff auf die Tarifautonomie, bei der Rente mit 67 (…). Es gibt aber keinen organisierten Ansatz, den politischen Streik etappenmäßig vorzubereiten, die verschiedenen Aktionen während der Arbeitszeit aufeinander abzustimmen. Genau das wäre notwendig“ (Perspektiven des Protestes, Juli 2009). Die Vorbereitung eines eintägigen Generalstreiks durch den DGB könnte ein zentraler Schritt zur Bekämpfung einer Agenda 2020 werden. Linke AktivistInnen in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sollten in den nächsten Wochen über diese Forderung und über die Frage, wie der Druck auf die DGB-Spitze verstärkt werden kann, diskutieren.

In jedem Fall muss ein Bogen geschlagen werden zu den Erwerbslosen, den SchülerInnen, Studierenden und RentnerInnen. Sie alle werden Opfer der Krise sein. Schüler- und StudentInnen, die nach dem bundesweiten Schülerstreik im November 2008 im Juni 2009 zusammen auf die Straße gingen, planen einen weiteren bundesweiten Aktionstag am 17. November. Es gilt, den Widerstand in Betrieben, Schulen, Universitäten und auf der Straße zusammen zu bringen – mit dem Ziel, eine erfolgreiche Streik- und Protestbewegung gegen eine Agenda 2020 und Massenentlassungen aufzubauen.