Die SAV und DIE LINKE

Interview mit SAV-Sprecher Sascha Stanicic


 

Das Internetportal Linke Zeitung hat ein Interview mit dem SAV-Bundessprecher Sascha Stanicic veröffentlicht:

Linkezeitung: Lucy Redler und Dir wurde die Mitgliedschaft in ‚Die Linke‘ verwehrt. Ist denn die Mitgliedschaft in einer Partei so attraktiv, die dort wo sie mitregiert die ganzen Kürzungen und Abschiebungen mitträgt, also die gesamten Lasten der kapitalistischen „Sachzwänge“ an die kleinen Leute weitergibt?

Sascha Stanicic: Es gibt in Deutschland keine starke Partei, die die politischen Interessen von Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten artikuliert und diese kämpferisch organisiert. Die SAV tritt seit vielen Jahren für die Bildung einer neuen sozialistischen Arbeiterpartei ein, die diese Leerstelle füllen könnte. Die Gründung der WASG haben wir als einen ersten Ansatz für die Entwicklung einer solchen Partei gesehen. DIE LINKE ist, trotz aller Widersprüche und Fehler, zur Zeit der einzige Ausgangspunkt für die Sammlung derjenigen Kräfte, die eine solche Partei aufbauen können. DIE LINKE ist eine widersprüchliche Partei, in der verschiedene politische Richtungen im Widerstreit liegen. Die Kräfte, die für die Exekutierung von Sozialabbau und arbeitnehmerfeindlicher Politik im Berliner Senat und für weitere Regierungsbeteiligungen mit der pro-kapitalistischen SPD stehen, repräsentieren nicht die ganze Partei, wenn sie auch im Apparat, den Fraktionen und der Führung dominieren. Gleichzeitig gibt es aber viele tausend Mitglieder und Millionen Wählerinnen und Wähler, die in der Partei die Chance sehen, die Interessen von Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten auf der politischen Ebene zur Sprache zu bringen. Und die erkennen, dass sich die politische Landschaft seit der Gründung der WASG und dem Einzug der linken Fraktion in den Bundestag für die Arbeiterklasse verbessert hat. Das gilt zumindest insofern, als das Themen gesetzt wurden, für die DIE LINKE in der öffentlichen Wahrnehmung steht: Mindestlohn, Lohnerhöhungen, Opposition gegen Privatisierung, Nein zu Entlassungen.

Ich bin der Meinung, dass Marxistinnen und Marxisten nicht am Rande von einem solchen Neuformierungsprozess stehen sollten, sondern die Verantwortung haben aktiv in ihn einzugreifen und die Kräfte zu stärken, die aus der LINKEn eine Interessenvertretung für Arbeiterinnen und Arbeiter machen wollen und gegen den Kurs der Regierungsbeteiligung kämpfen. Dabei dürfen keine faulen Kompromisse gemacht werden, es muss immer klar sein auf welcher Seite der Klassengesellschaft man steht und aus Parteidisziplin darf nicht gegenüber unsozialen Maßnahmen geschwiegen werden. Die SAV hat zu jedem Zeitpunkt die unsoziale Politik des Berliner Senats öffentlich kritisiert und an Mobilisierungen dagegen teilgenommen bzw. solche mit organisiert, wie aktuell gegen die Schließung von Jugendeinrichtungen in Mitte und anderen Bezirken oder bei den verschiedenen Tarifauseinandersetzungen des öffentlichen Dienstes. SAV-Mitglieder in der LINKEn haben diese Themen offensiv in die Partei getragen und dort einen Beitrag dazu geleistet, dass diese Politik nicht ohne Opposition durchgehen konnte.

Letztlich stellt sich für Deutschland die Frage, ob die Entwicklung der politischen Linken einen ähnlichen Prozess nimmt, wie die Entwicklung der Rifondazione Comunista in Italien, die durch Regierungsbeteiligungen in pro-kapitalistischen Koalitionen massiv Unterstützung verloren hat und aus dem Parlament geflogen ist. Die Tragik in Italien war aber auch, und in gewisser Hinsicht viel mehr, dass die linken Gruppen in der PRC keine gemeinsame und entschlossene Opposition auf die Beine gestellt haben, die das Banner des Kommunismus hätte weiter tragen können und eine organisatorische Alternative im Prozess des Niedergangs der PRC hätte anbieten können. Es ist sicher offen, ob DIE LINKE insgesamt für eine klassenkämpferische und sozialistische Politik gewonnen werden kann oder ob sich der Flügel, der auf Kapitalismus-Management setzt insgesamt durchsetzen wird. Wenn letzteres der Fall sein wird, kommt es darauf an, dass die sozialistischen Kräfte in der Partei eine unabhängige Handlungsfähigkeit entwickeln und eine Alternative anbieten können. Einen Masseneinfluss kann man zur Zeit aber nur entwickeln, wenn man sich an diesen Auseinandersetzungen beteiligt und versucht DIE LINKE, wo das möglich ist, zu praktischer Unterstützung von Klassenkämpfen und sozialen Bewegungen zu bringen.

Es geht also nicht um Attraktivität der Mitgliedschaft in der LINKEn. Es ist sicher ‘attraktiver’ bzw. angenehmer den Auseinandersetzungen mit reformistischen und pro-kapitalistischen Kräften in der Arbeiterbewegung aus dem Weg zu gehen und sich in linksradikalen Nischen zu bewegen. Aber nur durch die direkte Auseinandersetzung mit diesen Kräften, die in der Arbeiterbewegung nun einmal existieren und dominieren – und die sich ja auch darauf stützen können, dass sozialistisches Bewusstsein in der Arbeiterklasse nach 1989/90 zurück gegangen ist – kann man deren Einfluss zurück drängen und den Einfluss marxistischer und revolutionärer Ideen stärken. Ich würde mir wünschen, dass die Linke Zeitung diese Komplexität der Mitarbeit sozialistischer Kräfte in der Partei DIE LINKE mehr zum Ausdruck bringt und aufhört, Kräfte, wie die SAV alleine für ihre Mitarbeit in der LINKEn zu verurteilen oder als Verräter oder ‘trojanische Pferde’ zu bezeichnen. Die Tatsache, dass Lucy Redler, mir und den anderen Mitgliedern der SAV-Leitung die Mitgliedschaft verwehrt wird, drückt ja aus, dass wir keine handzahmen Parteimitglieder wären.

Linkezeitung: Wir stehen am Anfang einer scharfen Weltwirtschaftsdepression. Wäre es angesichts dieser Krise nicht wichtig, jetzt eine kämpferische und konsequent antikapitalistische Alternative aufzubauen? Eine Partei, die sich konsequent auf die

Selbstaktivität der Massen und der Arbeiterklasse in den Betrieben stützt – und diese Selbstaktivität unterstützt – statt sich im Wesentlichen auf das Parlament zu stützen?

Sascha Stanicic: Natürlich brauchen wir eine kämpferische und sozialistische Arbeiterpartei. Eine Partei, die den Kapitalismus nicht besser verwalten will, als es die Kapitalisten und ihre Parteien tun, sondern die ihn bekämpft und abschaffen will. Eine Partei, die ihre Hauptaufgabe in der Unterstützung und Organisierung von sozialen Kämpfen sieht und das Parlament als Bühne zur Propagierung sozialistischer Ideen. Aber die Frage ist doch, wie wir zur Schaffung einer solchen Partei kommen können, mit welchen Kräften – unter den gegebenen Bedingungen. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne eine solche Partei – angesichts der Existenz der LINKEn – einfach ausrufen. Die Auseinandersetzung zur Frage, wie eine Arbeiterpartei programmatisch und organisatorisch beschaffen sein soll, findet vor allem in der LINKEn und um sie herum statt. Sie ist der Bezugspunkt von tausenden Aktiven und Millionen Wählerinnen und Wählern. Und DIE LINKE ist eine reale parlamentarische Vertretung, die zumindest in Grenzen auf bundesweiter Ebene die bürgerlichen Parteien herausfordert und das kapitalistische Profitmaximierungs-Dogma in Frage stellt. Der Einzug der LINKEn in den Bundestag ist ein Vorteil für die Arbeiterklasse. Aber DIE LINKE hat nur eine Zukunftschance, wenn sie zu einer sozialistischen und kämpferischen Partei wird. Dies gilt umso mehr angesichts der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise und der absolut unzureichenden Reaktion der Partei DIE LINKE darauf. Wenn der Kurs von Gysi und Lafontaine angesichts der schwersten Krise seit der Großen Depression fortgesetzt wird, dann wird die Partei keine Begeisterung unter ArbeiterInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen mobilisieren können. Sie hat auf die Krise reagiert, ohne zum entschlossenen Kampf gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiterklasse aufzurufen, ohne eine ökonomische und politische Alternative zum krisenhaften Kapitalismus zu propagieren. Sie propagiert Mitarbeiterbeteiligung, was nicht die Krisenursachen beseitigen würde – denn diese liegen in der profitgetriebenen kapitalistischen Produktionsweise -, sondern die Krisenbewältigung auf den Rücken der Beschäftigten abwälzen würde. Forderungen nach der notwendigen Verstaatlichung des Bankenwesens, der großen Industrien und der Betriebe, die entlassen, werden nur zögerlich oder gar nicht formuliert. Aber es gibt in der Partei eine Debatte um diese Fragen und noch kann um den Kurs ein lebendiger Kampf in der Partei geführt werden, wenn sich der rechte Flügel auch immer mehr Positionen erkämpft.

Ich bin weiterhin der Meinung, dass sich sozialistische Linke, die innerhalb und außerhalb der LINKEn engagieren, vernetzen sollten. Aber mit dem Blick, DIE LINKE bei den Bundestags- und Kommunalwahlen kritisch zu unterstützen und auf sie Einfluss zu nehmen. Im Sinne einer Einheitsfront.

Linkezeitung: Der islamophobe Mord an einer ägyptischen Muslimin am Landgericht in Dresden hat die Muslime in Deutschland und weltweit zutiefst erschüttert. Setzt die SAV den Kampf gegen die sich ausweitende antimuslimische Hetze auf ihre Prioritätenliste?

Sascha Stanicic: Der Mord von Dresden ist die Spitze eines Eisbergs bzw. die Konsequenz aus einer rassistischen islamophoben Stimmung, die seit Jahren geschürt wird, in der jeder arabisch aussehende Mensch zu einem potenziellen Terroristen gemacht wird. Die SAV hat sich an verschiedenen antirassistischen Kampagnen beteiligt und in unserer Zeitung und auf unserer Webseite spielt das Thema eine große Rolle. Dabei geht es um den Kampf gegen faschistische Kräfte und gegen staatlichen Rassismus, aber vor allem auch darum zu erklären, dass Rassismus jeder Art vor allem der Spaltung der von Sozialabbau und Entlassungen bedrohten Arbeiterklasse dient. Der gemeinsame Kampf für Arbeitsplätze, höhere Löhne und Sozialleistungen ist der beste antirassistische Kampf.

Linkezeitung: Stichwort Superwahljahr 2009. Es stehen noch Bundestagswahlen und Kommunalwahlen an. Was sollen Revolutionäre wählen?

Sascha Stanicic: Für Revolutionäre – also für MarxistInnen, die einen aktiven Beitrag in den sozialen und politischen Kämpfen der Arbeiterklasse leisten wollen und diese mit einer sozialistischen Perspektive verbinden – sollte die Fragestellung nicht sein, was sie wählen, sondern welche Empfehlung sie den Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Jugendlichen geben. MarxistInnen sollten die Bundestagswahl vor allem dazu nutzen, in der politisierteren Atmosphäre für eine sozialistische Lösung der kapitalistischen Krise zu werben und entsprechende Forderungen an DIE LINKE zu stellen. Vor allem aber müssen alle betrieblichen und sozialen Kämpfe, die während des Bundestagswahlkampfes stattfinden unterstützt werden und DIE LINKE ebenfalls zur aktiven Unterstützung aufgefordert werden. Es muss erklärt werden, dass die Wahl nichts grundlegendes ändern wird, aber ganz sicher nach der Wahl – egal wie die Regierung aussehen wird – massive Angriffe auf die Arbeiterklasse zukommen und von Kurzarbeit zu Entlassungen übergegangen werden wird. Die einzig sinnvolle Wahlempfehlung für Arbeiterinnen und Arbeiter, für sozial Benachteiligte und deshalb auch für Marxistinnen und Marxisten ist es das Kreuz bei der LINKEn zu machen. Wenn DIE LINKE gestärkt in den Bundestag einzieht, wird das als ein Signal der Opposition gegen die pro-kapitalistische Krisenmanagement gesehen und wird eine Ermutigung sein, um Widerstand zu leisten. Wird sie geschwächt oder würde gar den Einzug nicht schaffen, wie die PDS 2002, hätte das eine demotivierende Wirkung auf ArbeiterInnen und Jugendliche, die sich zur Wehr setzen wollen und auf der Sucht nach Alternativen zum Kapitalismus sind. Aber die Unterstützung für DIE LINKE muss kritisch sein und mit der Forderung an die Partei verbunden sein, klare Aussagen gegen Regierungsbeteiligungen in pro-kapitalistischen Koalitionen auf allen Ebenen zu machen und sich eindeutig gegen jede Form von Kürzungen, Entlassungen, Arbeitsplatzvernichtung etc auszusprechen. Und der Wahlkampf muss dazu genutzt werden, die Reihen des Marxismus zu stärken und Selbstorganisation und Selbsttätigkeit in der arbeitenden Bevölkerung zu steigern.