Revolutionäre Bewegung im Iran geht weiter
Auf dem morgigen internationalen Aktionstag zur Solidarität mit der Oppositionsbewegung im Iran, wird die SAV unten stehendes Flugblatt verteilen. Dieses kann hier als PDF-Datei herunter geladen werden.
Nachdem millionenfach gegen die Wahlfälschung vom 12. Juni protestiert worden war, ist die revolutionäre Krise Mitte Juli in eine neue Phase getreten. Am Freitag, den 17. Juli, hielt Rafsandschani das Freitagsgebet. Während sich der „geistige Führer“ Chamenei öffentlich auf die Seite von Ahmadinedschad schlug, stärkte Rafsandschani – als Kopf des „Expertenrates“, der den „geistigen Führer“ bestimmt – entschiedener als zuvor Mussawi den Rücken.
Beginn einer Revolution
Die Ereignisse um den 17. Juli unterstrichen, dass im Iran ein revolutionärer Prozess im Gange ist. Durch die herrschende Klasse geht ein tiefer Riss. Zudem hat sich die Mittelklasse scharenweise vom Regime abgewendet; Akademiker, Studierende, Selbstständige treten in Aktion. Darüber hinaus sind Beschäftigte, Erwerbslose, die unterdrückten Massen zu Hunderttausenden auf den Beinen – und bereit, der Staatsgewalt die Stirn zu bieten.
Am 22. Juli berichtete Human Rights Watch über die Lage der politischen Gefangenen im Evin-Gefängnis: Sicherheitskräfte versuchen aus Häftlingen gewaltsam „Geständnisse“ herauszupressen, viele der über 2.000 Inhaftierten haben seit Wochen keinen Anwalt oder Angehörige zu Gesicht bekommen. Trotz verschärfter Repression, trotz Hunderten von Todesopfern, trotz Tausenden von Verletzten demonstrierten im Anschluss an das Freitagsgebet vor einer Woche in Teheran erneut weit mehr als 100.000 Menschen!
Noch hat die Erhebung im Iran allerdings überwiegend den Charakter eines Volksaufstands. Die Arbeiterklasse hat der Bewegung bislang nicht ihren Stempel aufgedrückt. Dabei sind es die Lohnabhängigen, die den Reichtum des Landes geschaffen haben, nicht zuletzt die Ölmilliarden, auf die sich die Herrschenden in den letzten Jahren stützen konnten. Welche Kraft die arbeitende Bevölkerung entfalten kann, bewies sie vor dreißig Jahren: mehr als die Großdemonstrationen war seinerzeit die Streikwelle in den Betrieben ausschlaggebend, die Schah-Diktatur aus den Angeln zu heben.
Mussawi + Rafsandschani = Bündnispartner?
Unter den DemonstrantInnen sind vor allem Jugendliche, darunter viele Frauen. Sie haben es satt, gegängelt, schikaniert und unterdrückt zu werden. Dass mit der Ehefrau Mussawis, der Künstlerin Zahra Rahnavard, eine Frau auf Wahlveranstaltungen ihre Stimme erhob, war für viele junge Frauen besonders wichtig.
Protestiert wird aber nicht nur gegen die anhaltende Repression. Mit den Massenprotesten entlädt sich auch die jahrelang aufgestaute Wut über Ausbeutung und Armut, über eine Arbeitslosenquote von bis zu 20 Prozent und einer Inflation von 30 Prozent.
Die Beseitigung von Niedriglöhnen und Massenarbeitslosigkeit wird mit einem Rafsandschani, dem reichsten Mann des Landes, und mit anderen Kapitalisten aus dem „Reformlager“ nicht zu machen sein. Aber auch für umfassende demokratische Rechte sind Rafsandschani und Co. keine Garanten. So sind Rafsandschani, Mussawi und Chatami nicht nur fest verankert im bestehenden Herrschaftssystem, sondern standen allesamt schon Regierungen vor – ohne dass wirkliche Meinungs-, Versammlungs- oder Organisationsfreiheit erreicht wurden. Unter Mussawi kam es während des irakisch-iranischen Krieges von 1980 bis 1988 zur brutalen Verfolgung Oppositioneller. Und auch der mit vielen Hoffnungen verbundene „Reformer“ Chatami schaute weg, als die Studierendenrevolte vor genau zehn Jahren zusammengeknüppelt wurde.
Wenn sich Teile der islamistisch-kapitalistischen Klasse heute gegen Ahmadinedschad stellen, dann deshalb, weil sie sich von einem Kurswechsel bessere Wirtschafts- und Handelsbedingungen international versprechen und damit auf günstigere Profitaussichten hoffen. Zudem kalkulieren sie, dass mit der Politik von Ahmadinedschad – der seine erste Legislaturperiode nutzte, um seinen Einfluss im Staatsapparat auszuweiten – nur Öl ins Feuer geschüttet wird. Anstatt die Massen weiter zu provozieren, bauen sie darauf, mittels Zugeständnissen der Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen und die – auch für sie selber bedrohliche – Bewegung von unten in den Griff zu bekommen. Mussawi musste vor einem Monat allerdings die Erfahrung machen, dass sein Ruf, zu Hause zu bleiben, ungehört verhallte.
Kein Vertrauen in die Kräfte des Imperialismus
Die westlichen Medien äußern sich scheinbar kritisch gegenüber dem heutigen iranischen Regime. Während sie über die Repressalien von Polizei, Armee oder Basidsch-Milizen berichten, schweigen sie sich gegenüber anderen Diktaturen in der Region, wie Saudi-Arabien, weitgehend aus. Der Grund für diese unterschiedlichen Vorgehensweisen ist unschwer zu erkennen. Mit dem einen Regime lassen sich gut Geschäfte machen (dann schaut man auch mal weg, wenn Frauen in Riad gesteinigt werden), das andere Regime ist ein Unsicherheitsherd und sucht den Schulterschluss mit den Kontrahenten Russland und China.
Gegenüber dem islamischen Fundamentalismus nimmt der Westen auch keine prinzipielle, sondern eine taktische Haltung ein. Während für Washington und andere in den letzten Jahren alles angeblich im Zeichen vom „Krieg gegen den Terror“ stand, griffen sie Islamisten auch immer wieder mal unter die Arme. So übertrugen BBC und Deutsche Welle 1979 die Reden von Khomeini, so flog Air France den Ajatollah aus dem Exil in den Iran ein. Damals war ihre Angst vor einer sozialistischen Revolution und dem Aufbau einer Arbeiterdemokratie so groß, dass sie hofften, Khomeini könnte die Bewegung wieder in geordnete Bahnen lenken und Kapitalismus und Großgrundbesitz retten. – Wenn sich Merkel und Obama heute besorgt äußern, dann gilt auch in diesen Wochen ihre Hauptsorge einer Revolution von unten, die weltweit Ausstrahlungskraft erlangt.
Auch Institutionen wie die UN sind alles andere als neutral; vielmehr ergibt der Zusammenschluss kapitalistischer Staaten keinen Wohltätigkeitsverein, sondern ein Gremium, das kapitalistische Ziele verfolgt – und – wie im US-Krieg gegen den Irak unter Bush senior 1991 – auch Kriege sanktioniert.
Internationale Solidarität
Um der Bewegung im Iran den Rücken zu stärken, dürfen wir nicht auf Merkel oder UN setzen. Nötig ist es, die Ursachen für die Proteste und die eigentlichen Geschehnisse bekannt zu machen. Es gilt, über Perspektiven und Programm für den Kampf der iranischen Jugendlichen, ArbeiterInnen und verarmten Bauern zu diskutieren. Außerdem müssen wir Ansätze von unten, zum Beispiel für unabhängige Gewerkschaften, aktiv unterstützen. Dafür müssen in Deutschland auch die Gewerkschaften und die Partei DIE LINKE in die Pflicht genommen werden.
Arbeiterorganisationen und Vernetzung von unten
Vor dreißig Jahren haben die Fedayn (Mehrheit) und die Moskautreue Kommunistische Partei Tudeh im Iran einen tragischen Fehler begangen. Sie schlugen sich damals auf die Seite von Khomeini – um kurz darauf, nach dem sich die Bewegung erschöpft hatte und das Ajatollah-Regime fest im Sattel saß, selbst Opfer von Repression und Verfolgung im neuen „Gottesstaat“ zu werden. Die Fedayin und Tudeh hatten eines nicht verstanden: Um sicherzustellen, dass nicht ein repressives Regime durch ein anderes abgelöst wird, braucht es Eigeninitiative und Selbstorganisation von unten.
1979 gab es sogar Rätestrukturen in den Betrieben, die monatelang die Produktion bestimmten. Heute bedarf es erneut eigener Strukturen – unabhängig von Staat, Klerus und Kapital; Strukturen zur Selbstverteidigung und zur Selbstorganisation der Betriebe, der Stadtteile, der Universitäten etc. Aber anders als vor dreißig Jahren müssen diese unabhängigen Komitees heute stadt- und landesweit koordiniert werden. Damit könnte der Grundstein zur Schaffung einer Arbeiter- und Bauern-Regierung gelegt werden.
In den letzten fünf Jahren hat sich die Arbeiterklasse – mit den Streiks von LehrerInnen und Textilarbeitern, mit den Arbeitsniederlegungen beim Autowerk Iran Khodro und beim Teheraner Busbetrieb – verstärkt zu Wort gemeldet. Der Aufbau von Arbeiterorganisationen wie der Gewerkschaft der Busfahrer und einer eigenen politischen Interessenvertretung mit einem antikapitalistischen und sozialistischen Programm ist das Gebot der Stunde.
Das Ahmadinedschad-Regime hat enorm an Legitimation und Mobilisierungskraft verloren. Aber es wird nicht von selbst zusammenbrechen. Und es werden nicht die Mussawis sein, auf die wir bauen können. Darum müssen die ArbeiterInnen und verarmten Bauern ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Der Kampf für demokratische Rechte muss aber mit dem Kampf zum Sturz der Kapitaleigner und Feudalherren verbunden werden. Auf Basis einer demokratisch geplanten Wirtschaft können Bildung, Arbeit und gute Einkommen für alle erreicht werden. Eine sozialistische Demokratie im Iran wäre der Startschuss für eine radikale Veränderung der Gesellschafts- und Machtverhältnisse global!