Sozialistische Strategie gegen bürgerliche „Sachzwänge“
Im Zuge der Wirtschaftskrise drohen Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben, welche die „Sparprogramme“ der letzten Jahre harmlos erscheinen lassen. Die Mitglieder der Partei DIE LINKE in den Stadt- und Gemeinderäten werden vor der Wahl stehen, die kapitalistischen „Sachzwänge“ als Handlungsrahmen zu akzeptieren oder eine sozialistische, grundlegend oppositionelle Kommunalpolitik zu machen, die vor allem auf die Mobilisierung und Organisierung des Widerstandes der von den Kürzungen Betroffenen setzt.
Unser Autor Claus Ludwig ist Mitglied im Rat der Stadt Köln und kandidiert bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl am 30. August erneut für den Kölner Rat, auf dem Listenplatz 4.
Nicht erst mit der aktuellen Rezession stecken die Städte und Gemeinden in der Finanzklemme. Schon seit der ersten weltweiten Wirtschaftskrise Mitte der siebziger Jahre ist in vielen kommunalen Kassen Ebbe.
Strukturelle Krise der kommunalen Finanzen
Vier zentrale Ursachen können benannt werden:
1. Durch die anhaltende Massenarbeitslosigkeit werden weniger Sozialbeiträge und Steuern eingenommen. Gleichzeitig sind die Sozialausgaben massiv gestiegen. Die Kommunen schultern einen Großteil der Kosten des sozialen Verfalls in Deutschland, die auch in Aufschwungjahren kaum sinken.
2. In den letzten 25 Jahren hat es eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben gegeben. Bund und Länder stopfen ihre Haushaltslöcher, indem sie Lasten auf die Kommunen abwälzen. Die letzte Unternehmenssteuerreform führte dazu, dass selbst im Boomjahr 2007 die Gewerbesteuer, die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen, um 1,6 Prozent sank. Gleichzeitig müssen mehr Aufgaben durch die Kommunen bewältigt werden, zum Beispiel durch den Ausbau der Kinderbetreuung.
3. Die neoliberale Umverteilung wird von den bürgerlichen Parteien in den Kommunen fortgesetzt. Vor allem viele Großprojekte dienen nicht den Interessen der Bevölkerung. Sie werden durch den kommunalen Haushalt finanziert, Gewinner sind meist private Investoren – vor allem, wenn es sich um eine sogenannte „Public Private Partnership“ (PPP) handelt –, sowie Baukonzerne und die Banken, welche die Kredite zur Verfügung stellen. An dieser kommunalen Klientelpolitik verdienen nicht zuletzt bürgerliche Politiker, zum Beispiel durch „Beraterverträge“.
4.Die aus der Unterfinanzierung und den steigenden Kosten resultierenden Haushaltslöcher überbrücken die Städte mit Krediten und mit „kreativen“ Finanzgeschäften. Diese wiederum verschärfen mittelfristig die Haushaltskrise.
Und jetzt auch noch die Weltrezession
Auch Risikogeschäfte möchtegernschlauer Kämmerer gingen in die Hose, Millionen wurden bei Lehman Brothers und anderen Pleitebanken in den Sand gesetzt. Öffentliche Kreditinstitute verloren Millionen durch eigene riskante Kapitalanlagen.
Die Regierung hat im Jahr der Bundestagswahl mit Geld um sich geworfen. 2010/11 wird die Krise aber mit voller Wucht auf alle öffentlichen Haushalte durchschlagen, die Gewerbesteuer wird zwischen 15 und 25 Prozent sinken.
Schon jetzt befinden sich viele Kommunen in der „Haushaltssicherung“ beziehungsweise im „Nothaushalt“. Sie haben nur eingeschränkte Rechte, müssen – angewiesen von höheren staatlichen Ebenen – freiwillige Leistungen streichen. 2010/11 werden viele Kommunen dazu kommen, möglicher-weise auch Städte aus den bisher wohlhabenden industriellen Speckgürteln in Baden-Württemberg, Hessen oder Bayern.
Die etablierten Parteien kennen nur ein Rezept: Die Masse der Bevölkerung soll die Kosten dieser Krise tragen. Sie werden die Förderung von Kultur- und Sozialeinrichtungen streichen, Arbeitsplätze abbauen und dadurch öffentliche Services verschlechtern. Sie werden von den städtischen Beschäftigten Lohnverzicht und unbezahlte Mehrarbeit verlangen. Sie werden ausgliedern, aus Tarifverträgen aussteigen. Der ohnehin schon massive Druck auf ALG-II-EmpfängerInnen zur Verweigerung und Kürzungen von Leistungen wird steigen.
Zudem droht eine neue Welle von Privatisierungen. Private Kapitalbesitzer brauchen nach den letzten Pleiten profitversprechende Anlagemöglichkeiten. Verzweifelte Kämmerer brauchen „Cash inne Täsch“, Geld jetzt und sofort, egal, ob das langfristig die Krise verschärft.
Allein vor Ort lässt sich die Krise der Kommunen nicht lösen
Ohne eine grundlegend bessere Ausstattung der Städte und Gemeinden durch Bund und Länder wird die Finanznot die Kommunen weiter im Griff haben. Das haben selbst bürgerliche Institutionen wie der Städtetag erkannt.
Um diese Umverteilung zu Gunsten der kommunalen Haushalte und der Bedürfnisse der Bevölkerung zu erreichen, ist eine Mobilisierung nötig, die über eine einzelne Stadt hinaus geht.
Allerdings kann und muss dieser Kampf vor Ort begonnen werden. Anders als Bürgermeister und etablierte Parteien behaupten, gibt es die Möglichkeit, vor Ort die Umverteilung zu beginnen, die Prioritäten des Haushaltes umzukehren und die städtischen Gelder gezielt zur Verbesserung sozialer Dienstleistungen und zur Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen einzusetzen.
Wenn in einer Stadt wie Köln Prestigeprojekte gestoppt und einseitige Verträge zu Gunsten von Investoren für nichtig erklärt würden, wäre das ein Anfang und würde finanziellen Spielraum schaffen. Dies müsste durch eine Heraufsetzung des Gewerbesteuer-Hebesatzes ergänzt werden. Allerdings würde die Stadt nicht aus der strukturellen Unterfinanzierung und der Zins- und Schuldenlast befreit werden, vor allem nicht in Krisenzeiten, wenn sich die Gewerbesteuereinnahmen im Sinkflug befinden.
Schon solch eine Änderung auf städtischer Ebene würde eine Mobilisierung und eine direkte Konfrontation mit dem Establishment vor Ort bedeuten. Die in der Partei DIE LINKE verbreitete Idee, durch Routinearbeit im Stadtrat die Kommunalpolitik beeinflussen und nach links schieben zu können, ist eine Illusion. Als Strategie taugt sie gleich gar nicht, vor allem nicht in den kommenden Jahren. Ab und zu eine soziale Mini-Reform im Rat durchzusetzen, während großflächig gekürzt wird, würde DIE LINKE zu einer Partei machen, die süße Sozialbonbons verteilt, während ganze Stadtteile in der Bitternis der kapitalistischen Krise versinken.
Sozialer Widerstand entscheidend
Linke VertreterInnen in den Stadträten sollten ihre wichtigste Aufgabe darin sehen, soziale Kämpfe zu unterstützen und anzustoßen. Sie sollten die Position in den Kommunalparlamenten und die Tatsache, dass die bürgerlichen Medien ihnen mehr Aufmerksamkeit widmen (müssen) als rein außerparlamentarischen Bewegungen, nutzen, um linke, sozialistische Ideen zu verbreiten und populär zu machen.
Die Wahlkampfzückerchen, die auf rein parlamentarischer Ebene verhandelt wurden, werden wieder einkassiert, wenn es beim Haushalt eng wird. Darum muss linke Kommunalpolitik einen Beitrag dazu leisten, antikapitalistisches Bewusstsein zu vertiefen und mehr Menschen von einer sozialistischen Alternative zu überzeugen.
Wenn es gelingt, Verbesserungen durch eine Mobilisierung von unten zu erkämpfen, dann ist die erreichte Selbstaktivität und Organisierung der Betroffenen ein wichtiger Pluspunkt, wenn es darum geht, Erreichtes zu verteidigen, mehr durchzusetzen und gleichzeitig das Ziel einer grundlegenden Veränderung zu verfolgen.
Betroffene mobilisieren…
In Rostock gelang es der SAV-Bürgerschaftsabgeordneten Christine Lehnert, auf der Sitzung am 10. Juni für ihren Dringlichkeitsantrag zur Rücknahme der geplanten Streichung von 40 Arbeitsplätzen bei der Stadtentsorgung eine Mehrheit zu gewinnen. Dass eine einzelne Abgeordnete einen solchen Erfolg im Parlament erzielen konnte, ist darauf zurückzuführen, dass im Vorfeld öffentlicher Druck aufgebaut wurde und betroffene Beschäftigte auf der Sitzung selber anwesend waren, die dort entsprechend Stimmung machen konnten.
Auf der gleichen Sitzung gelang es Christine Lehnert, eine öffentliche Debatte zur Verstaatlichung der Werften vom Zaun zu brechen, bei der sich Repräsentanten verschiedener Parteien positionieren mussten. Während bürgerliche Kräfte gern darauf verweisen, dass Fragen wie Verstaatlichungsmaßnahmen mangels Kompetenzen der Kommunen in Stadtparlamenten nichts verloren hätten, ist für SozialistInnen das einzige Kriterium, ob das Thema für die Arbeiterklasse relevant ist oder nicht.
Wenn Opel Bochum vor dem Aus steht, dann kommt es natürlich darauf an, dass Belegschaft und Gewerkschaft den Kampf aufnehmen. SozialistInnen im Stadtrat können aber ihre Position nutzen, zusammen mit anderen zum Beispiel ein Solidaritätskomitee ins Leben zu rufen, eine stadtweite Demonstration zum Erhalt des Werkes anzustoßen und Druck auf Betriebsräte und Gewerkschaftsobere auszuüben, einen entschlossenen Kampf aufzunehmen. Außerdem führt bei solch einem Konflikt kein Weg daran vorbei, für die Überführung des Betriebes in öffentliches Eigentum einzutreten. Dafür muss der Stadtrat als Plattform zur Verbreitung dieser Idee genutzt werden. Falls es zum Arbeitskampf kommt, sollten sozialistische Stadträte ihre wichtigste Aufgabe darin sehen, den Streik zu unterstützen: ob über die Beteiligung an Streikposten, dem Aufbau von Rückhalt in der Bevölkerung, Initiativen zu Solidaritätsstreiks oder Schritten hin zur Ausweitung des Kampfes. Über einen konsequent geführten Ausstand ließe sich eine Überführung des betroffenen Betriebes in Landes- oder Bundeseigentum erreichen.
…statt Kürzungen mitzuverantworten
Viele „Pragmatiker“ in der LINKEN haben eine andere Sicht. Sie sind rein parlamentarisch fixiert. Die Mobilisierung der Betroffenen ist für sie weit weg.
Wenn Verwaltung und bürgerliche Parteien zwei scheinbare Alternativen vorschlagen, dann sind sie versucht, von der starken Macht der Anpassung an die Institutionen getrieben, sich für eine Variante zu entscheiden, selbst wenn es um die Wahl zwischen Pest und Cholera geht.
Viele in der Partei sind zu Recht skeptisch gegenüber einer Regierungsbeteiligung der LINKEN im Bund und in den Ländern, halten es aber für nicht schädlich, in Stadträten feste Absprachen mit bürgerlichen Parteien zu treffen, um eine Mehrheit zu erreichen. „Die Kommune ist doch was anderes“, „hier vor Ort sind SPD und Grüne ganz fortschrittlich“, so oder ähnlich wird argumentiert. Doch SPD und Grüne werden auch vor Ort nicht einer Umkehr der Haushaltsprioritäten zustimmen. Sie werden die „Sachzwänge“ exekutieren und Sozialkürzungen vornehmen.
In der Kommune ist die Konfrontation zwischen der bürgerlichen Politik und den arbeitenden Menschen unmittelbar, wie zur Zeit im Kita-Streik. Wenn DIE LINKE den Beschäftigten faktisch als Teil der Verwaltung gegenüber tritt und erklärt, man könne zur Zeit keine Verbesserungen finanzieren, die KollegInnen mögen das doch bitte einsehen und lieber nicht streiken, dann macht sie sich selbst überflüssig.
Diese Rolle spielt DIE LINKE seit Jahren in Berlin und in vielen ostdeutschen Kommunen. Wenn sie diese Politik auf Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen oder anderen westlichen Ländern ausdehnen würde, wäre ihr Niedergang unvermeidlich.
Das Beispiel Liverpool 1984
Wir MarxistInnen betreiben keine Opposition aus Prinzip. In der englischen Stadt Liverpool hatten Anfang bis Mitte der Achtziger MarxistInnen der SAV-Schwesterorganisation Militant (heute: Socialist Party) und andere SozialistInnen die Mehrheit in der Labour Party. Sie erzielten 1983 einen großen Sieg bei den Wahlen und übernahmen die Stadtverwaltung.
Umfangreiche Programme zum Bau günstiger Wohnungen, Kitas und Sportstätten wurden in Gang gesetzt, die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich beschlossen, Tausende neue Stellen geschaffen. Neue Formen von Demokratie wurden eingeführt: Die städtische Politik wurde von großen gewerkschaftlichen und Anwohner-Versammlungen begleitet, auf denen über die Maßnahmen diskutiert und mitentschieden wurde.
In den Jahren zuvor hatte die rechte Thatcher-Regierung der Stadt Liverpool viele Gelder gekürzt. Der städtische Haushalt reichte nicht aus, um die Maßnahmen zu finanzieren. Die sozialistische Führung der Stadt weigerte sich, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und forderte die in den letzten Jahren gekürzten Mittel von der Zentralregierung zurück. Ein städtischer Generalstreik wurde organisiert, 50.000 demonstrierten. Die Parole dieser Mobilisierung war „Better to break the law than to break the poor“ („Besser das Gesetz zu brechen als die Armen“).
1984 konnten diese Mittel erkämpft werden. 1986 wurde Liverpool allerdings mit Hilfe der Labour Party isoliert, andere Kommunen verzichteten auf ähnliche Mobilisierungen. Die Dezernenten wurden von übergeordneten Stellen abgesetzt, zeitweise inhaftiert und mit Geldstrafen belegt. Doch noch heute sind die Sport- und Freizeitstätten und die Kitas intakt.
Der Kampf in Liverpool zeigt, dass es gelingen kann, mit sozialistischer Politik in der Kommune echte Veränderungen zu erkämpfen. Allerdings werden auch die Grenzen sichtbar: Wenn es nicht gelingt, den Kampf auf andere Kommunen auszudehnen, wird es Rückschläge geben. Wer eine Kommune regiert, hat noch längst keine Staatsmacht. Bürgerliche Landes- und Bundesregierungen werden alles tun, um solch eine Entwicklung abzuwürgen.
Sozialistische Strategie heute
Wenn DIE LINKE die Chance hätte, eine größere Stadt zu regieren, müsste sie die Bereitschaft haben, sich vor Ort und bundesweit mit dem Kapital anzulegen – durch Erhöhung der Gewerbesteuer, den Stopp von teuren Prestigeprojekten oder die Beendigung von „Beraterverträgen“.
Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Verbesserung öffentlicher Dienstleistungen müssten eingeleitet werden. Wichtige Schritte wären die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, der Nulltarif im ÖPNV, die Schaffung von Jobs im Bereich Umwelt zum Beispiel durch eine energetische Sanierung von Gebäuden. Zwangsmaßnahmen wie Ein-Euro-Jobs müssten gestoppt, echte Qualifizierung und voll bezahlte Jobs angeboten werden. Ausgegliederte privatrechtlich organisierte städtische Betriebe wären zu rekommunalisieren, die Bezüge der Vorstände müssten offen gelegt und gesenkt werden.
Solche Maßnahmen würden die kapitalistischen „Sachzwänge“ sprengen. Sie würden zu wütenden Attacken aller bürgerlichen Kräfte führen. Aber sie würden vor allem den arbeitenden Menschen deutlich machen, dass der Kampf für eine Veränderung vor Ort begonnen werden kann. Nach kurzer Zeit würden die rein kommunalen Maßnahmen an die Grenze stoßen. Es müsste eine Mobilisierung geben, um höhere Zuwendungen von Bund und Land zu erkämpfen, es müsste versucht werden, Verbindungen mit anderen Kommunen herzustellen.
In solchen Auseinandersetzungen würde sich auch die Frage eines Zinsmoratoriums stellen, das heißt, die Einstellung der Schuldendienste. Auch viele Linke schrecken vor dieser Vorstellung zurück. Sie weisen darauf hin, dass das von den Banken als Kampfansage verstanden und dazu führen würde, dass die Stadt keine Kredite mehr bekäme. Nicht falsch, aber die Frage eines Zinsmoratoriums und die Forderung nach Streichung der Schulden sind auch politische Machtfragen.
Es ist sehr gut vorstellbar, dass die Losung „Besser den Banken Gelder vorenthalten als den Bedürftigen“ in den nächsten Jahren relativ leicht eine breite Unterstützung findet und dass Banken gezwungen werden können, kommunale Zinsmoratorien zu akzeptieren, so wie sie diese akzeptieren mussten, als Mexiko und Argentinien sie verhängten.
Damit verbunden sollte DIE LINKE in den Kommunen auch die Frage der Verstaatlichung aller privaten Banken unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten, der Kunden und der Kommunen aufwerfen, um die Bereitstellung günstiger Kredite für öffentliche Investitionen zu garantieren. Konfrontiert mit Entlassungen muss auch die Verstaatlichung der Konzerne gefordert werden.
Sollte es in einer Stadt gelingen, Tausende von neuen Stellen zu schaffen, Kitas und Schulen zu bauen statt abzureißen, Privatisierungen zurückzunehmen, Ein-Euro-Jobs abzuschaffen, würde das Farbe in die dunklen Krisenjahre bringen. Weitere Kräfte zur Unterstützung, zur Gegenwehr könnten freigesetzt werden. Ein solches Signal hätte ungemeine Ausstrahlungskraft über die Stadtgrenzen hinaus. Entweder ein solcher Kampf würde eine breite Protestbewegung lostreten, die bereit ist, sich mit den Herrschenden anzulegen, oder aber dieser Kurs einer Kommune oder einer Handvoll von Kommunen wäre nicht von Dauer. Aber auch in diesem Fall könnten – wie das Beispiel Liverpool belegt – mehr reale Verbesserungen errungen werden als über eine Beteiligung am bürgerlichen Krisenmanagement. Zudem ließe sich das Verständnis über die Gegensätze in der Gesellschaft nachhaltig erhöhen. Antikapitalistisches, sozialistisches Bewusstsein würde enorm gefördert werden. Und damit die Bedingungen für Widerstand und den Kampf für eine radikale Umwälzung der Eigentums- und Machtverhältnisse. n
Claus Ludwig ist Mitglied im SAV-Bundesvorstand
Claus Ludwig, sozialistischer Stadtrat
Claus Ludwig wurde 2004 für das linke Bündnis „Gemeinsam gegen Sozialraub“ in den Rat gewählt und ist seit 2005 Mitglied der Fraktion DIE LINKE. Innerhalb der Partei steht er für den linken, sozialistischen Flügel, für eine radikale Opposition und die Ablehnung einer „Sozialdemokratisierung“ von Partei und Fraktion.
Er hat 2007 den Kampf für die Verteidigung des städtischen Schwimmbades im Stadtteil Nippes mitorganisiert, der dazu führte, dass die Schließungspläne zunächst aufgegeben wurden.
Claus Ludwig hat die Hintergründe des Neubaus der Messehallen analysiert, bei dem die Stadt Millionen draufzahlt und der Esch-Oppenheim-Fonds große Profite macht und hat eine Rolle dabei gespielt, die Kritik an der Oppenheim-Bank in Köln zu verankern.
Er ist bei den Aktionen gegen die getarnten Nazis von „Pro Köln“ dabei, hat die jugendlichen MigrantInnen in Köln-Kalk bei ihrem Kampf für gleiche Rechte unterstützt und aktuell die iranischen StudentInnen, die gegen die Diktatur in ihrer Heimat kämpfen. n
Wie Köln geplündert wird
Viele Belastungen des Kölner Haushaltes sind vor Ort entstanden. 2003 kaufte der Oppenheim-Esch-Immobilienfonds der städtischen Messe GmbH das Gelände ab, baute in deren Auftrag neue Hallen und vermietete diese für 30 Jahre an die Messe. Diese hat jährliche Mietbelastungen von rund 23 Millionen Euro plus Nebenkosten, Tendenz steigend, insgesamt zwischen 700 und 800 Millionen Euro. Nach Schätzungen ist dieses Investorenmodell doppelt so teuer, als wenn die Messe selbst gebaut hätte.
Die Messe kann die hohe Miete nicht tragen und macht dauerhaft Verluste. Also springt die Stadt ein, bei der das volle Risiko liegt. Die Investoren des Fonds haben hingegen risikofreie, garantierte Gewinne. In diese Geschäfte waren auch der ehemalige Bürgermeister Müller und der umtriebige CDU-Politiker Bietmann beteiligt, sie profitierten mit „Beraterverträgen“.
Beim Umbau der alten Messehallen für RTL war wiederum der Esch-Oppenheim-Fonds beteiligt und kassiert erneut. Das Risiko zum Beispiel für Bauverzögerungen trägt die Sparkasse Köln-Bonn. 2007 und 2008 entstanden dadurch Verluste von 183 Millionen Euro für die Sparkasse. Das Eigenkapital wurde knapp, die Städte Köln und Bonn schossen 350 Millionen Euro hinein – und nahmen dafür selbst Kredite auf, die jetzt abbezahlt werden müssen.
Die Oppenheim-Bank ist das Symbol für den privaten Reichtum, der sich durch Geschäfte mit der Kommune vermehrt und deren Haushaltskrise. Jahrelang funktionierte das gut, 2007 machte Europas größte Privatbank noch rund 300 Millionen Gewinn. Erst mit der weltweiten Finanzkrise geriet auch Oppenheim in die Verlustzone.
Der Bau der vollkommen überflüssigen Nord-Süd-U-Bahn hat durch den Einsturz an der Severinstraße mit zwei Toten und der Zerstörung des Archivs bundesweit Schlagzeilen gemacht. Er wäre auch ohne den Unfall skandalös genug.
Eine Kommune kann eine U-Bahn alleine nicht bezahlen, denn diese ist 20 bis 50 mal teurer als eine oberirdische Straßenbahn. Bund und Land tragen 90 Prozent der Bauhauptkosten, die Kommune „nur“ zehn Prozent. Der Bau sollte rund 600 Mio. Euro kosten. Während des Baus stiegen die Kosten immer höher, zuletzt auf über eine Milliarde Euro. Angeblich unvorhergesehen, doch die Methode ist allzu durchschaubar: die Kosten wurden niedrig angesetzt, um die Genehmigung und Förderung zu erreichen, danach wurde munter drauflos gebaut. Die Baukonzerne freute es, die konnten Nachschläge berechnen. Den Verkehrsbetrieben, Tochter der hochprofitablen Stadtwerke, war es egal, Stadt, Land und Bund bezahlten ja. Die Kreditgeber freuten sich ohnehin.
Zehn Prozent von 600 Millionen wären 60 Mil-lionen, von einer Milliarde 100 Millionen. Doch die U-Bahn kostet alleine die Stadt Köln 778 Millionen Euro. Wie kommt diese Summe zustande?
Bund und Land übernehmen nicht zehn Prozent aller Kosten, sondern nur des Tunnelbaus im engeren Sinn. Technik, Ausstattung der Haltestellen und Projektentwicklung übernimmt die Stadt. Einige Kosten wurden zudem während des Projektes nicht als zuschussfähig definiert. Die Stadt muss demnach 332 Millionen bezahlen – und diese finanzieren. Macht über 30 Jahre 778 Millionen, davon 445 Millionen Zinsen. Das sind jährlich rund 25 Millionen Euro für eine U-Bahn, die kaum einer braucht.
Jährlich allein 50 Millionen Euro für U-Bahn und Messehallen – das zeigt, dass das Gejammer der etablierten Politiker, sie könnten in der Kommune nichts an der Finanzkrise ändern, Heuchelei ist. Sie wollen nicht, weil die Aktionäre und Investoren, denen sie sich verbunden fühlen und oftmals sie selbst, davon profitieren.