Gewerkschaftsspitze beugt sich Spardiktat
Am 28. April gab es in allen deutschen Daimler-Werken Betriebsversammlungen. Dort wurde den Beschäftigten mitgeteilt, dass der Umsatz im ersten Quartal um 22 Prozent zurück ging und der Absatz an verkauften Fahrzeugeinheiten um 34 Prozent einbrach.
von Johannes Burczyk, Berlin
Die Zeche dafür sollen nun die KollegInnen zahlen. Nach wochenlangen Geheimverhandlungen einigten sich Konzernvorstand und Gesamtbetriebsrat (GBR) darauf, die Lohnkosten um jährlich zwei Milliarden Euro zu senken. Fast 70.000 Kurzarbeitern werden die Zuschüsse gekürzt, bei den anderen wird die Arbeitszeit – und gleichzeitig der Lohn – um 8,75 Prozent reduziert.
Die Sparvorgaben des Unternehmens wurden vom GBR und der IG-Metall-Führung nie in Frage gestellt. Deshalb verzichteten sie auch darauf, über Streiks und Protestaktionen Druck auf die Konzernspitze auszuüben. Sie akzeptierten das Spardiktat, weil sie die betriebswirtschaftliche Logik der Standortkonkurrenz völlig verinner-licht haben.
Die Bosse wissen genau, was sie an ihren „Sozialpartnern“ haben: So forderte der Leiter des Daimler-Werkes Berlin-Marienfelde die Belegschaft auf, gerade in „diesen schweren Zeiten den Betriebsrat zu unterstützen“.
Kämpfen statt kapitulieren
Doch gegen diese Politik des Verzichts regt sich in vielen Werken Unmut. Gruppen oppositioneller GewerkschafterInnen und Betriebsräte unter anderem aus Stuttgart, Berlin und Bremen protestierten bei den Versammlungen gegen das Abkommen. Im Werk Untertürkheim beschimpfte der Betriebsratsvorsitzende Helmut Lense protestierende KollegInnen als „linksextreme Störer“. Im Berliner Werk wurde die sonst übliche Aussprache ersatzlos von der Tagesordnung gestrichen.
Das macht deutlich, dass sich die „sozialpartnerschaftlichen” Kräfte einerseits einem zunehmenden Druck ausgesetzt sehen und sie immer dünnhäutiger reagieren. Andererseits zeigte sich auch, dass viele KollegInnen nicht nur wütend, sondern auch verunsichert sind, Angst um ihren Arbeitsplatz haben und erst einmal abwarten – in der Hoffnung, die Krise halbwegs unbe-schadet zu überstehen. Wenn die Krise länger anhält und der Konzern weitere Angriffe auf die Löhne und Arbeits-plätze durchführt, kann sich das aber sehr schnell ändern.
Oppositionelle Strukturen
Für die oppositionellen Gruppen ist es momentan notwendig, die in mehreren Werken herausgegebenen Betriebszeitungen – gegen die Forderungen der Gewerkschaftsapparate, sie einzustellen – zu verteidigen. Diese Zeitungen sind die beste Möglichkeit, die KollegInnen mit Alternativen zur Standortkonkurrenz vertraut zu machen und sie unzensiert zu informieren. Die bestehende Vernetzung oppositioneller KollegInnen in der „Daimler-Koordination“ muss gestärkt werden, um als klassenkämpferische Strömung bundesweit handlungsfähig zu werden. Aktionen wie das gemeinsame Auftreten bei der Daimler-Aktionärsversammlung und bei der Demo am 16. Mai in Berlin unter dem Motto „Daimler-Kollegen wehren sich!“ sind dabei ein wichtiger Schritt voran.
Nicht zuletzt kann diese Koordination auch ein Gremium sein, in dem Alternativen zur aktuellen (Über-) Produktion für den Individualverkehr erörtert und der Belegschaft zur Diskussion vorgelegt werden. Schließlich gibt es unter lohnabhängig Beschäftigten ein enormes Potenzial: „Sie kennen sich nicht nur bei Verbrennungsmotoren, Hybrid- oder Elektroantrieben für Autos aus. In der Strukturkrise der britischen Industrie wehrte sich Mitte der siebziger Jahre die Belegschaft des Rüstungskonzerns Lucas Aerospace gegen Arbeitsplatzabbau mit der Parole „Sozial nützliche Produkte statt Waffen“, so Tom Adler, Betriebsrat der „Alternative“ (Untertürkheim), in der Wochenzeitung vom 26. Februar. ν