Welche Wirkungen haben die Anti-Krisen-Maßnahmen von Regierungen und Notenbanken?
Noch nie haben Regierungen und Notenbanken so drastische Maßnahmen gegen eine Krise ergriffen. Die Hilfsleistungen für Banken gehen in die Billionen, Banken werden verstaatlicht, Regierungen legen umfangreiche Konjunkturprogramme auf. Zentralbanken senken drastisch die Zinsen und versuchen eine „quantitative Lockerung“ (früher hieß das „Geld drucken“). Trotzdem geht die Talfahrt der Wirtschaft weiter und weitere Erschütterungen der Finanzmärkte sind möglich.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Inzwischen ist es amtlich, dass die USA seit Dezember 2007 in einer Rezession sind. Auch die deutsche Wirtschaft schrumpft seit dem 2. Quartal 2008. Parallel gab es die ersten Erschütterungen der Finanzmärkte: Im August 2007 musste die deutsche „Mittelstandsbank“ IKB vor ihren Spekulationsgeschäften gerettet werden. Es folgten unter anderem die Pleiten von Northern Rock in Britannien (das Anfang 2008 verstaatlicht werden musste) und der US-Investmentbank Bear Stearns. Begleitet war dies von mehreren „Geldkrisen“: Die Banken verliehen einander keine Kredite mehr, die Notenbanken mussten vorübergehend zig Milliarden in den Bankensektor pumpen. Trotzdem wurde im Sommer 2008 noch von Aufschwung, ausgeglichenen Haushalten und Vollbeschäftigung gefaselt. Als durch die Lehman-Brothers-Pleite Mitte September 2008 die Krise nicht mehr zu übersehen war, wurde sie zunächst als reine Finanzkrise dargestellt und entsprechend bekämpft: mit gigantischen Hilfen für „notleidende Banken“.
Bankenrettung
Dazu dienten massive staatliche Kapitalspritzen und Bürgschaften und Zinssenkungen der Notenbanken. Erstere beliefen sich für die USA auf 1925 Milliarden Euro (18,1 Prozent des BIP), für die Eurozone auf 1961 Milliarden Euro (21,1 Prozent des BIP). Zu den Rekordhaltern gehört Großbritannien mit 1059 Milliarden Euro (68,7 Prozent des BIP), Japan war mit 161 Milliarden Euro (4 Prozent des BIP) eher zurückhaltend.
Die US-Notenbank Fed senkte die Leitzinsen von 5,25 Prozent im September 2007 und 2 Prozent im Herbst 2008 auf 0-0,25 Prozent. Die Bank of England senkte sie von Oktober 2008 bis April 2009 von 5 Prozent auf 0,5 Prozent. Im Juli 2008 hatte die EZB die Leitzinsen noch von 4 Prozent auf 4,25 Prozent erhöht und sie seit Oktober wieder schrittweise gesenkt, Anfang April von 1,5 Prozent auf 1,25 Prozent. Viele Beobachter hatten eine Senkung auf 1,0 Prozent erwartet. Aber die EZB scheint einen Leitzins von 1 Prozent als Untergrenze zu betrachten und noch nicht ihre letzte Karte ausspielen zu wollen. Die Bank of Japan senkte die Leitzinsen schrittweise von 0,5 Prozent auf 0,1 Prozent.
Da die Geschäftsbanken die Zinssenkungen nur zu einem Teil an die KundInnen weitergaben, bedeutet die wachsende Zinsdifferenz für sie eine gestiegene Einnahmemöglichkeit.
Eine weitere „Hilfsmaßnahme“ der Regierungen für die Banken waren geänderte Buchführungsregeln. Nach Schätzungen verbesserte das die Bilanzen der US-Banken im ersten Quartal um 20 Prozent. Aber sie bedeuten einfach, dass Banken Ramschpapiere in ihren Bilanzen nicht nach ihrem aktuellen Marktwert (oder ihrer aktuellen Wertlosigkeit) aufführen müssen. Im Grunde genommen ist das legalisierte Bilanzfälschung. Das mag kurzfristig beruhigen und Bankaktien nach oben treiben. Aber ein Aspekt der Krise ist, dass sich Banken wechselseitig misstrauen, sie könnten Besitzer „vergifteter Wertpapiere“ sein und dadurch bald Zahlungsprobleme kriegen. Vor diesem Hintergrund sind durch die legalisierte Bilanzfälschung künftige Panikattacken auf den Märkten vorprogrammiert.
Hilfe für die Realwirtschaft…
Die Zinssenkungen der Notenbanken waren auch als Ankurbelung für die „Realwirtschaft“ gedacht. Aber da die Banken die Zinssenkungen kaum weitergeben und angesichts der Krise der Realwirtschaft sehr zögerlich Kredite vergeben, kam von den Zinssenkungen wenig in der „Realwirtschaft“ an. Es kam in vielen Ländern zu einer „Kreditklemme“.
Deshalb wurden im Winter von mehreren Regierungen Konjunkturprogramme aufgelegt. Das deutsche war so mickrig, dass es weniger Kaufkraft schuf als der Rückgang der Energiepreise seit dem Sommer 2008. Weltweit werden die Konjunkturprogramme auf 2 Prozent des Welt-BIP geschätzt. Das Konjunkturprogramm des US-Kongress von 787 Milliarden Dollar würde 5,6 Prozent des US-BIP entsprechen.
…stoppt Krise nicht
In den 27 EU-Staaten schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im 4. Quartal 2008 um 1,5 Prozent. Schätzungen für das erste Quartal 2009 liegen bei -2 Prozent. Das japanische BIP schrumpfte um 3,2 Prozent im 4. Quartal 2008. Die Industrieproduktion sank in den USA im März um 1,5 Prozent. Das ist ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 12,8 Prozent, seit Beginn der Rezession um 13,3 Prozent. Sie war damit wieder auf dem Niveau von Ende 1998. Im ersten Quartal insgesamt sank sie auf ein Jahr hochgerechnet um 20 Prozent. Die japanische Industrieproduktion sank im Februar sogar um 9,4 Prozent gegenüber dem Vormonat, um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In der Eurozone lag sie im Februar 2009 um 18,4 Prozent unter dem Stand von Februar 2008.
Die Kapazitätsauslastung in den USA fiel im März auf 69,3 Prozent (der niedrigste Stand, seit diese Daten erhoben werden, zu Beginn der Rezession lag sie 11,3 Prozent höher). Die japanische Kapazitätsauslastung lag im Februar bei 60,5 Prozent.
Die japanischen Auslandsaufträge waren im Februar um 74,3 Prozent niedriger als im Februar 2008. Die Auftragseingänge der deutschen Industrie lagen im Februar 38,2 Prozent unter dem Stand vom Februar 2008.
Auch der private Konsum vor allem in den USA, der jahrelang ein Motor der Weltwirtschaft war, ist kein Rettungsanker. Die Einzelhandelsumsätze in den USA sanken im März um 1,1 Prozent, seit Beginn der Rezession sanken sie um 9,6 Prozent. In der Eurozone lagen sie im Februar um 4 Prozent niedriger als ein Jahr vorher, in der ganzen EU betrug das Minus 3,4 Prozent.
Die US-Verbraucher sparen wieder mehr, vor allem weil die Käufe von Wohnungen, Autos etc. („private Investitionen“) auf 12,8 Prozent der Einkommen sanken (niedrigster Stand seit 1952, 4,3 Prozent unter dem Durchschnitt). Im 4. Quartal 2008 lagen die privaten Nettoinvestitionen bei 2,7 Prozent des BIP (der Durchschnitt seit 1947 war bei 7,2 Prozent).
In den USA kann der Privatkonsum noch lange niedrig bleiben, weil für die Alterssicherung vorgesehene Vermögen vernichtet wurden, weil Menschen Angst um ihre Jobs haben, weil die Banken bei der Verlängerung von Verbraucherkrediten (insgesamt 13,9 Billionen Dollar) zögern. Von August 2008 bis Januar 2009 stieg die Sparquote schon von 0,8 Prozent auf 5 Prozent.
In der Eurozone sind Bankkredite an den Privatsektor im Dezember 2008 und Februar 2009 um jeweils 2 Milliarden Euro gefallen, die beiden ersten Rückgänge seit der Einführung des Euro.
Deflationsgefahr
Die Großhandelspreise sanken in den USA im März um 1,2 Prozent. Von März 2008 auf März 2009 sanken die Verbraucherpreise erstmals seit über 50 Jahren (um 0,4 Prozent). Die Kerninflation (ohne Lebensmittel- und Energiepreise) liegt zwar im ersten Quartal aufs Jahr gerechnet bei 2,2 Prozent. Aber die offiziellen Zahlen wecken Zweifel: Z.B. sind in der Statistik die Neuwagenpreise um 7 Prozent gestiegen, während zugleich auf dem Automarkt Rabattschlachten toben.
Angesichts einbrechender Rohstoffpreise, sinkender Kapazitätsauslastung, steigender Arbeitslosigkeit und der Entwertung von Vermögen steigt die Sorge vor einer Deflation. Auf den ersten Blick könnte man fallende Preise für etwas Positives halten. Aber Deflation ist in mehrerer Hinsicht negativ. Zunächst bedeutet sie, dass Geld mehr Wert ist, also auch Schulden. Das könnte angesichts des astronomischen Anstiegs der Verschuldung in den letzten Jahren in vielen Ländern sehr negative Folgen haben. Allein die Kreditkartenschulden in den USA betragen 142 Prozent der Jahreseinkommen, in Britannien sind es sogar 186 Prozent. Dort beträgt die private Verschuldung insgesamt 187 Prozent des BIP (in Deutschland „nur“ 95 Prozent). Der Wohnungsbestand der USA ist zu 57 Prozent beliehen. Dabei war in den letzten Monaten die Reaktion auf die Krise vor allem eine Verlagerung der Verschuldung von den Privaten, die immer schwerer Kredite bekamen, auf die Staaten. Die Gesamtverschuldung der USA (Private, Unternehmen und Staat) stieg vom 3. auf das 4. Quartal 2008 weiter von 399,5 Prozent des Nationaleinkommens auf 409 Prozent des Nationaleinkommens. (Die Nettovermögen der Verbraucher sanken im gleichen Zeitraum von 529 auf 483 Prozent der verfügbaren Einkommen.)
Wenn Preise nicht nur vorübergehend fallen (z.B. wegen sinkender Ölpreise), führt das dazu, dass die KäuferInnen sich darauf einstellen und Käufe verschieben, bis die Preise noch tiefer gefallen sind. Das betrifft private Käufe langlebiger Konsumgüter (Autos, Möbel etc.) ebenso wie Investitionen von Unternehmen. Dadurch dreht sich die Abwärtsspirale weiter. Die Masse der Bevölkerung hat von fallenden Preisen nichts, weil Löhne oder Sozialleistungen noch schneller sinken (wenn nicht genug Widerstand organisiert wird) und weil ja gerade die Preise der Waren sinken, deren Kauf immer wieder hinausgeschoben wird. Güter des täglichen Bedarfs können zugleich weiter im Preis steigen.
Regierungen und Notenbanken können Inflation durch hohe Zinsen in den Griff kriegen (unter Umständen um den Preis einer schweren Wirtschaftskrise). Aber mit Deflation ist es anders. Die Zinsen lassen sich nicht beliebig senken, schon gar nicht, wenn sie, wie in den USA, Japan oder Britannien, schon fast bei Null sind. Es ist ungeheuer schwierig, aus dem Teufelskreis der Deflation wieder herauszukommen.
Quantitative Lockerung als neues Instrument
Die weiter abstürzende Wirtschaft und die Deflationsgefahr waren Gründe, warum die US-Notenbank Mitte März ankündigte, verstärkt eine Politik der „quantitativen Lockerung“ zu betreiben. Ein weiterer Grund war die Wirkung der Krise und der staatlichen Gegenmaßnahmen auf das US-Haushaltsdefizit. Insgesamt wird dieses Defizit für dieses Jahr auf 1,75 Billionen Dollar oder 12 Prozent des BIP geschätzt (aber wer weiß schon, wie hoch die Steuereinnahmen und das BIP dieses Jahr tatsächlich sind). Nach manchen Schätzungen werden die USA dieses Jahr für 2,5 Billionen Dollar Staatsanleihen emittieren. Angesichts der gigantischen Zahlen kam bei Investoren in den ersten Monaten 2009 Sorge bezüglich der Kreditwürdigkeit der USA auf. Eine Folge war Zurückhaltung beim Kauf von US-Staatsanleihen, 30-jährige US-Staatsanleihen verloren Mitte Dezember bis Mitte März um 21 Prozent an Wert – und bei festverzinslichen Wertpapieren ist fallender Wert gleichbedeutend mit steigender Umlaufrendite und das bedeutet einen Anstieg der langfristigen Zinsen.
Mitte März kündigte die Fed an, forderungsbesicherte Wertpapiere für bis zu 850 Milliarden Dollar und langlaufende US-Staatsanleihen für bis zu 300 Milliarden US-Dollar zu kaufen. Das entspricht etwa 8 Prozent des US-BIP. Schon seit September hatte die Fed derartige Maßnahmen ergriffen. Als Folge weitete sich die Bilanzsumme der Fed von 800 Milliarden auf 2,3 Billionen Euro aus, schrumpfte dann aber auf 1,9 Billionen. Durch die neuen Maßnahmen kann die Bilanz der Fed bis September auf 4,5 Billionen Dollar anschwellen.
Die britische Notenbank begann in dieser Krise ebenfalls mit quantitativer Lockerung (die Bank of England will Unternehmens- und Staatsanleihen für 75 Milliarden Pfund kaufen, das Finanzministerium hat ein Volumen von 150 Milliarden bewilligt). Die Bank of Japan hat vor allem 2001 bis 2006 quantitative Lockerung betrieben. Nach der Fed-Entscheidung im März kündigte sie an, ihr Programm zum Kauf von Staatsanleihen auf 220 Milliarden Euro auszuweiten.
Die EZB hat angekündigt, im Mai ihre Haltung zur „quantitativen Lockerung“ bekannt zu geben. Bisher beteiligt sie sich nicht am Kauf von Wertpapieren, ist aber in der Krise dazu übergegangen, beim Geldverleih an Banken unsicherere Wertpapiere als „Sicherheiten“ zu akzeptieren. Unter dem Druck anderer Notenbanken könnte die EZB auch zum Kauf von Wertpapieren übergehen.
Einer Politik des Aufkaufs von Staatsanleihen durch die EZB steht ein viel grundlegenderes Problem als ideologische Vorbehalte von Währungshütern gegenüber. Wenn die Fed Staatsanleihen aufkauft, kauft sie US-Staatsanleihen. Aber es gibt keine EU-Staatsanleihen. Die EZB müsste deutsche, französische, italienische, griechische etc. Staatsanleihen aufkaufen. Diese Staatsanleihen werden aber zu sehr verschiedenen Kursen gehandelt. Die Anleihen von Staaten, die besonders hohe Schulden haben oder wirtschaftlich besonders schlecht dastehen, haben niedrigere Kurse. Anders gesagt: ihre Umlaufrendite ist höher, weil sie eine Risikoprämie enthält. Damit sind Kredite für diese Länder teurer. In den letzten Monaten haben diese Risikoprämien deutlich zugenommen. Je nachdem, welche Staatsanleihen die EZB kauft, würde deren Kurs steigen, ihre Risikoprämie fallen. Jede derartige Aktion der EZB wäre keine rein ökonomische Maßnahme, sondern eine politische Begünstigung oder Benachteiligung bestimmter EU-Staaten. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass die gemeinsame Währung Euro zwar den Nationalstaaten Handlungsmöglichkeiten (durch Zinspolitik oder Währungsabwertung) genommen, den Nationalstaat aber überhaupt nicht überwunden hat. Die Einschätzung der SAV, dass die europäischen Kapitalisten dazu unfähig sind, bleibt richtig. Die gegenwärtige Krise kann zeigen, dass sie vielmehr mit dem Euro zwischen allen Stühlen sitzen und in der schlechtesten aller möglichen Welten sind.
Quantitative Lockerung = Geld drucken
Aufkauf von Wertpapieren durch die Notenbank ist in Zeiten von elektronischem Zahlungsverkehr einfach das, was Staaten früher durch Geld drucken machten. Die Geldmenge soll erhöht werden und dadurch der Deflationsgefahr entgegen gewirkt werden. Kann das funktionieren? Marx hat in „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) und im „Kapital“ (1867) die „Quantitätstheorie“ bekämpft, wonach die Preise durch die Geldmenge bestimmt würden. Dabei ging er davon aus, dass das Geld Edelmetall ist (Gold oder Silber), deren Wert wie bei jeder anderen Ware durch die zu ihrer Herstellung erforderliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt wird. Papiergeld konnte als Ersatz für das Metallgeld dienen. Dagegen akzeptierte Marx die Quantitätstheorie für „Staatspapiergeld mit Zwangskurs“, also genau die Geldscheine, die wir heute haben. Er begründete das damit, dass diese nur als Zirkulationsmittel dienen würden, also nur als Mittel zum Kauf von Waren, aber zum Beispiel nicht gehortet würden. In dieser Beziehung haben sich die Verhältnisse seitdem geändert. Wir haben uns seit Jahrzehnten an von Zentralbanken herausgegebene Geldscheine gewöhnt. Geldscheine unter der Matratze zu horten ist zweifellos weiter verbreitet als Goldschätze im Garten zu vergraben. Und gerade in Krisenzeiten kann das Bargeldhorten massiv zunehmen. In der japanischen Krise der 90er Jahre gab es Berichte, dass die Herstellung von Tresoren eine der wenigen Branchen war, die boomte. In den USA stiegen im letzten Herbst die Tresorverkäufe vorübergehend um 50 Prozent und sind immer noch deutlich höher als in normalen Zeiten. Die deutschen Tresorhersteller vermelden seit Oktober einen Anstieg der Nachfrage um 30 Prozent.
Für Geldscheine gilt gegenwärtig das gleiche, was zu Marx Zeiten für Münzen aus Edelmetallen galt. Wenn es mehr von ihnen gibt, als für die Zirkulation erforderlich ist, fallen sie aus der Zirkulation heraus. Wie sich die Preise entwickeln, hängt nicht davon ob, wie viel Geld „gedruckt“ wird, sondern davon, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Wenn die Nachfrage von Unternehmen und VerbraucherInnen wegbricht, versuchen Hersteller, durch Preissenkungen Kunden zu gewinnen und zugleich ihre Profite zu retten, indem sie die Löhne ihrer Beschäftigten oder ihre eigenen Einkaufspreise senken. Das „Gelddrucken“ von Notenbanken kann nur auf quasi „psychologische“ Weise die Deflation bekämpfen, indem die Medienberichte über diese Maßnahmen der Notenbanken dazu führen, dass KäuferInnen eher mit Inflation als Deflation rechnen und daher nicht in Erwartung auf fallende Preise Ausgaben herausschieben. Das kann eine gewisse Wirkung haben, vor allem, weil es in den meisten führenden kapitalistischen Ländern (mit der großen Ausnahme Japan) in den letzten Jahrzehnten keine Deflation gab und die Problematik weit aus dem Bewusstsein ist. (Dazu kommt, dass die Verringerung der Geldmenge durch das „Zusammenschnurren“ von Kreditgeld, weil in der Krise Banken viel zögerlicher Kredite vergeben, viel weniger im Bewusstsein ist als die Ausdehnung des Zentralbankgeldes.) Auf diese Weise kann vielleicht vermieden werden, dass die Deflationstendenzen durch die Erwartung von Deflation verstärkt werden.
Das heißt aber nicht, dass Gelddrucken in Zeiten von Inflation nicht die Inflation anheizen würde. Im Gegenteil: Dann wird es ja zum Masochismus, Geldscheine zu horten und zuzusehen, wie sie immer weniger wert werden. Bei spürbarer Inflation verwandeln sich die Geldscheine in die reinen Zirkulationsmittel, die sie zu Marx’ Zeiten waren – was wiederum die Inflation weiter anheizt. Man kann also sagen, dass die „Quantitätstheorie“, wonach die Preise von der Geldmenge bestimmt werden, bei niedriger Inflation oder Deflation nicht gilt, bei starker Inflation aber gilt. Das „Gelddrucken“ kann bei Deflation nur begrenzt helfen, aber bei Inflation unbegrenzt schaden.
Für diese begrenzte Hilfe müsste die „quantitative Lockerung“ richtig dosiert werden. Aber seit Monaten erleben wir ständig neue Überraschungen, meist negative. Der Kapitalismus ist immer ein anarchisches System, aber so unberechenbar wie in dieser Krise war er noch nie. Wer soll da richtig dosieren? Bei zu niedriger Dosierung wird die „quantitative Lockerung“ eine Deflation nicht verhindern. Zu hohe Dosierung wird zu Inflation führen.
Wenn die Fed dabei US-Staatsanleihen kauft, bremst das zugleich den Anstieg der Staatsverschuldung. Aber wenn die US-Regierung 2,5 Billionen Dollar Staatsanleihen ausgibt und die US-Notenbank 300 Milliarden davon kauft, bleibt der Anstieg der Verschuldung trotzdem astronomisch. Aber die zusätzliche Nachfrage der Notenbank nach US-Staatsanleihen erhöht zunächst die Nachfrage, steigert den Kurs dieser Anleihen (macht also den Kursrückgang seit Dezember teilweise rückgängig) und senkt damit die Umlaufrendite, die langfristigen Zinsen. Normalerweise wäre das eine Hilfe für die Konjunktur. Angesichts der Tiefe der gegenwärtigen Krise ist fraglich, wie ein Rückgang der langfristigen Zinsen um ein paar Promille die Wirtschaft ankurbeln soll. Dagegen jammern Banken, dass sie weniger Gewinne machen können, wenn der Abstand zwischen den Leitzinsen und den langfristigen Zinsen schrumpft.
Zugleich stellt sich die Frage, wie attraktiv die US-Staatsanleihen bei niedrigerer Umlaufrendite für private Anleger sind, speziell für ausländische Anleger. Denn die Deflationsbekämpfung der US-Notenbank, die zugleich für die Zukunft (vor allem, wenn die Krise eines Tages vorbei ist) Inflationsgefahren bringt, setzt den US-Dollar unter Abwertungsdruck. Schon die Ankündigung der Maßnahmen führte zu einem Preisrutsch des Dollar. Für die US-Wirtschaft bringt es zwar einen Konkurrenzvorteil, wenn der Dollar fällt (zugleich erhöht es aber den Preis von Importwaren und kann so Inflationsgefahr erzeugen). Aber für ausländische Anleger macht es US-Anleihen unattraktiv, wenn diese durch fallende Dollarkurse in ihrer eigenen Währung immer weniger Wert werden. Wenn ein ausländischer Investor US-Staatsanleihen kauft, dafür 3 Prozent Zinsen bekommt, aber der Dollar jedes Jahr mehr als 3 Prozent gegen seiner eigenen Währung an Wert verliert, ist das kein gutes Geschäft. Wenn die US-Notenbank mit ihrer Politik der „quantitativen Lockerung“ zu weit geht, könnten ausländische Investoren massenhaft US-Staatsanleihen verkaufen. Dadurch würden erstens die Kurse dieser Anleihen in den Keller gehen und entsprechend die Umlaufrenditen empor schnellen. Zweitens würden viele dieser Investoren nach dem Verkauf ihrer US-Anleihen die eingenommenen Dollar nicht behalten, sondern in ihre Währungen umtauschen. Der Dollarkurs würde deutlich sinken. Das würde die Flucht internationaler Anleger aus US-Staatsanleihen und dem Dollar weiter anheizen – ein Teufelskreis. Die US-Notenbank müsste also ihre Politik der „quantitativen Lockerung“ nicht nur so dosieren, dass sie zwischen Inflation und Deflation Kurs hält, sondern zugleich darauf achten, dass der Dollarkurs weder so hoch steigt, dass die US-Wirtschaft auf dem Weltmarkt benachteiligt ist noch so tief sinkt, dass die ausländischen Anleger fliehen.
Beides zugleich zu schaffen, dürfte an ein Wunder grenzen, auch wenn die US-Notenbank nicht nur die Menge der Anleihen, sondern auch das Mischungsverhältnis von Staatsanleihen und forderungsbesicherten Wertpapieren in den vorgegebenen Grenzen bestimmen kann. Dabei ist der Ausdruck „forderungsbesichert“ einer der schlechten Witze in dieser Krise. Er bedeutet, dass die Sicherheit für diese Wertpapiere in Schulden (Hypotheken, Autokredite, Studentenkredite, Kreditkartenschulden etc.) besteht. Wie sicher sind diese „Sicherheiten“ in der Krise? Wie viel sind diese „Wert“papiere wert? Wenn die Fed solche Papiere kauft, fragt man sich, ob es nur ein Geldgeschenk an Reiche ist?
Aber was passiert, wenn die Konjunktur wieder anspringt, wenn die Kreditklemme überwunden ist und Banken wieder Geld verleihen? Dann kann die heutige „quantitative Lockerung“ zu einem Inflationsschub führen, selbst wenn sie ursprünglich „richtig dosiert“ gewesen wäre. Wenn die Notenbanken dann mit Zinserhöhungen der Inflation entgegen wirken (Fed-Chef Bernanke kündigt schon an, die Zinsen rechtzeitig wieder anzuheben), kann das die Konjunktur wieder abwürgen. Die Wirtschaft könnte sich ähnlich wie in Japan in den frühen 90er Jahren entwickeln: Konjunkturelle Strohfeuer von ein paar Monaten, nach denen die Wirtschaft in die Krise zurückrutscht.
Düstere Aussichten
Aber so weit sind wir noch nicht. Die Wirtschaftsprognosen zeigen immer noch nach unten. Die OECD erwartet dieses Jahr für ihre Mitgliedsländer eine Schrumpfung des BIP von 4,2 Prozent. Der IWF eine Schrumpfung der Weltwirtschaft von 0,5-1 Prozent (USA -2,6 Prozent, Japan -5,8 Prozent, Euro-Zone -3,2 Prozent), die Welthandelsorganisation WTO ein Schrumpfen des Welthandels von bis zu 9 Prozent.
Zwar zeigen Unternehmensbefragungen in Deutschland, dass weniger Befragte eine Verschlechterung erwarten als vor ein paar Monaten. „Der Haken ist: Die derzeitige Ausgangslage wird von den allermeisten Befragten mittlerweile als so dramatisch schlecht beurteilt, dass schon die Erwartung unveränderter Geschäfte eher desaströs ist.“ (Financial Times Deutschland) Manche Prognosen halten für Deutschland inzwischen für dieses Jahr ein Schrumpfen von 7 Prozent für möglich – vergleichbar mit 1931 (-7,6 Prozent) und 1932 (-7,5 Prozent).
Und bei alldem ist noch unterstellt, dass es zu keinen zusätzlichen wirtschaftlichen Erschütterungen kommt, weder zu einem Platzen neuer Spekulationsblasen (z.B. US-Kreditkartenschulden) noch zu neuen Pleiten von Großbanken oder multinationalen Konzernen noch zu Staatsbankrotten in Osteuropa, die zu einer schweren Krise der EU und des Euro und/oder zu einer weltweiten Flucht aus Staatsanleihen führen können usw.
Sicher haben die staatlichen Maßnahmen der letzten Monate eine Wirkung. Sie haben einen völligen Zusammenbruch des Bankenwesens bisher verhindert und den Absturz der Wirtschaft gebremst. Zu einer Kehrtwende haben sie noch nicht geführt. Diese Kehrtwende wird irgendwann kommen, denn im Kapitalismus gibt es immer Konjunkturzyklen. Sie wird begleitet sein von massivem Sozialkahlschlag und zugleich der Schaffung neuer wirtschaftlicher Seifenblasen (die enorme Staatsverschuldung, das künstliche Vorziehen von Autokäufen durch „Abwrackprämien“ sprechen eine deutliche Sprache), die früher oder später platzen werden. Die einzige nachhaltige Lösung ist, den Kapitalismus abzuwracken, auch wenn Merkel und Steinbrück dafür keine Prämie zahlen.