Unsere Haltung zur LINKEN, zum Wahlkampf und warum die SAV in Rostock eigenständig antritt
2009 ist ein Superwahljahr. Neben den Europa- und Bundestagswahlen finden verschiedene Landtags- und Kommunalwahlen statt. 2009 ist aber vor allem das Jahr der kapitalistischen Weltkrise und ihrer dramatischen Auswirkungen auch auf Deutschland, also das Jahr von Betriebsschließungen, Entlassungen, wachsender Massenarbeitslosigkeit und nach den Bundestagswahlen dann einer Agenda 2020 voller Sozial- und Bildungsabbau. Deshalb muss 2009 ein Jahr des Widerstands der breiten Masse der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung und der Jugend sein – gegen das Abladen der Krisenkosten auf diese breite Masse!
Diesen Widerstand aufzubauen und zu stärken – in der Schule, im Betrieb, an der Hochschule und in der Nachbarschaft – ist die zentrale Aufgabe für Gewerkschaften, soziale Bewegungen und für die Partei DIE LINKE. Die Krise macht noch einmal deutlich: Verschlechterungen verhindern und wirkliche Verbesserungen erreichen wird nur möglich sein, wenn sich massenhafter Druck entwickelt – nicht allein oder in erster Linie durch parlamentarische Tätigkeit der LINKEn oder irgend einer anderen Kraft.
Deshalb sind wir der Meinung, dass die Wahlkämpfe und parlamentarische Tätigkeit in diesem Jahr in den Dienst des sozialen Widerstands gestellt werden müssen. Das wäre auch der beste Beitrag für gute Wahlergebnisse der LINKEn bei allen Wahlen.
Die Abgeordneten müssen ihre Zeit bei den Betriebstoren und auf den Protesten von Heidelberger Druck, Continental, Federal Mogul und anderen von Massenentlassungen oder Schließung bedrohten Unternehmen verbringen. Die Wahlkämpfe müssen zur Mobilisierung zu Protesten und Widerstandsaktionen genutzt werden. Jeder und jede muss wissen: eine Stimme für DIE LINKE ist eine Stimme für den Widerstand!
Aber ist das so? DIE LINKE ist die einzige Partei, die zum Beispiel die Demonstrationen vom 28. März unterstützt hat und auch zu anderen Protesten aufruft. Sie steht für Reformforderungen, die mit dem krisenhaften Kapitalismus auf Dauer nicht vereinbar sind. In ihr wirken viele SozialistInnen, deren Ziel es ist die kapitalistische Profitwirtschaft durch eine sozialistische Demokratie zu ersetzen. Oskar Lafontaine wünscht sich Bossnapping und Generalstreik auch in Deutschland.
Aber die Politik und das Gesicht der Partei sind uneinheitlich. Die Aktivitäten von Partei und Bundestagsfraktion sind viel zu parlamentarisch ausgerichtet. Der Entwurf für ein Bundestagswahlprogramm ist eine Aufweichung vieler linker Positionen und kann nur als Anbiederung an SPD und Grüne interpretiert werden. In vielen ostdeutschen Kommunen und im Berliner Senat opfert DIE LINKE im Rahmen einer Politik des (vermeintlich) kleineren Übels politische Grundsätze und hat in den vergangenen Jahren Privatisierungen, Gebührenerhöhungen, Stellenabbau und Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst zugestimmt.
SAV-Mitglieder sind in der Partei DIE LINKE aktiv und wollen diese zu einer starken sozialistischen Massenpartei mit aufbauen. Wir treten in der Partei für eine konsequente Interessenvertretung für Lohnabhängige, Jugendliche und RentnerInnen ein und lehnen Koalitionen mit pro-kapitalistischen Parteien, die unweigerlich zu Verschlechterungen für die Masse der Bevölkerung und benachteiligte Schichten führen, ab. Stattdessen schlagen wir vor, dass die Partei ihre Kräfte auf die Propagierung einer grundlegenden politischen Alternative zu kapitalistischer Sachzwangpolitik und auf die Organisierung und Unterstützung von sozialem Widerstand konzentriert. Dass eine Regierungsbeteiligung mit der SPD der Partei nur schadet, hat man in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gesehen, wo es zu massiven Stimmenverlusten nach den Erfahrungen mit der Linkspartei.PDS an der Regierung gekommen war.
Für eine wirklich sozialistische und kämpferische Politik kämpfen SAV"lerInnen in Kreisverbänden, im Jugendverband Linksjugend["solid] und auch als KandidatInnen und Abgeordnete der LINKEn. Beate Jenkner wurde im letzten Jahr in den oberbayrischen Bezirkstag gewählt und mit Claus Ludwig und Marc Treude sind in Köln und Aachen SAV-Mitglieder Stadträte der LINKEn. Die SAV ruft zur Wahl der Partei DIE LINKE auf und versucht Menschen dazu zu motivieren, sich in der Partei aktiv zu engagieren.
Die einzige Ausnahme ist Rostock, wo die SAV-Ortsgruppe sich gezwungen sah, selbständig bei den Kommunalwahlen am 7. Juni anzutreten. Hier wurde im Jahr 2004, bevor es DIE LINKE gab, Christine Lehnert als SAV-Kandidatin in die Bürgerschaft gewählt. Die SAV-Liste erhielt damals 2,5 Prozent (in Rostock hat jeder Wähler drei Stimmen, wir gehen von circa 2.000 WählerInnen aus) und verfehlte nur knapp ein zweites Mandat. Dies war auch eine Quittung für die Regierungsbeteiligung der damaligen PDS auf kommunaler und Landesebene.
Christine Lehnert ist in den fünf Jahren ihrer Arbeit als Abgeordnete zu einer profilierten und wichtigen Interessenvertreterin für Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche und Benachteiligte geworden. Sie hat konsequent außerparlamentarische Bewegungen unterstützt und deren Anliegen in die Bürgerschaft getragen. Ob bei den Montagsdemos, ver.di-Streiks oder Protesten gegen Kürzungen bei der Jugendhilfe – sie war immer dabei.
Dabei musste sie sich oft die Anfeindungen und Beleidigungen der Abgeordneten anderer Parteien gefallen lassen. Leider auch hin und wieder von Abgeordneten der früheren PDS und heutigen LINKEn. Als sie zum Beispiel aus Solidarität mit den streikenden Beschäftigten des öffentlichen Dienstes beantragte, dass die Stadt Rostock einseitig die Tarifforderung der Gewerkschaft ver.di erfüllen solle, wurde sie von einem PDS-Abgeordneten lauthals angeschrien. Die PDS stimmte auch gegen diesen Antrag, so wie die PDS/LINKE immer wieder aus der Logik des "kleineren Übels" heraus kommunalen Kürzungen zustimmte.
Die Rolle von Christine Lehnert wird sogar von der Vertreterin des auch in der Bürgerschaft vertretenen Rostocker Bundes gewürdigt: „Für die Mehrzahl der Bürgerschaftsmitglieder ist die Vertreterin der SAV eine unerwünschte Exotin. Doch wer genau hinhörte, bemerkte nicht nur geschliffene Rhetorik (geschmälert durch manche Überziehung), sondern auch inhaltlich bemerkenswerte Anliegen wie den Blick über den kommunalen Tellerrand hinaus sowie manchmal auf vernachlässigte Randgruppen.
Auch wenn die Anträge alle zurückgewiesen wurden, stünde der Verlust dieser farbe in der Bürgerschaft der Hansestadt sicherlich nicht gut zu Gesicht. Gerade in Bezug auf die großen Parteien werden durch die SAV oftmals Wahrheiten ausgesprochen, die zu hören für die betroffenen nicht immer einfach ist, aber zu einem Nachdenken bei allen führen sollten.“
Trotz vieler negativer Erfahrungen mit der örtlichen PDS/LINKE hat die Rostocker SAV Ende 2008 in einem offenen Brief an DIE LINKE das Angebot gemacht über eine gemeinsame Kandidatur zu sprechen, um eine möglichst große Einheit linker Kräfte zu erreichen. Der Vorstand der Rostocker LINKEn war nicht einmal zu einem Gespräch bereit.
Um sicher zu stellen, dass eine konsequente Sozialistin, die ihren Arbeitsschwerpunkt auf die außerparlamentarischen Bewegungen legt, wieder in der Bürgerschaft vertreten ist und weil von Aktiven aus Gewerkschaften, Verbänden und sozialen Bewegungen ermutigende Aufforderungen an die SAV-Gruppe gerichtet wurden, hat diese sich entschieden bei den Kommunalwahlen in diesem Jahr wieder selbständig anzutreten. Selbst von Mitgliedern und UnterstützerInnen der Partei DIE LINKE wurde in den vergangenen Wochen der Wunsch geäußert, unsere Abgeordnete Christine Lehnert möge ihren Sitz erfolgreich verteidigen.
Die SAV Rostock ist davon überzeugt, dass ihre Kandidatur die linken Kräfte in der Stadt stärkt, da es nicht wenige WählerInnen gibt, die von dem kompromisslerischen Kurs und der Politik der Haushaltskonsolidierung der LINKEn enttäuscht sind und durch diese nicht mehr zu Wahlen mobilisiert werden. Die Ablehnung einer gemeinsamen Kandidatur durch den LINKE-Vorstand hat bei AktivistInnen zu Empörung geführt.
Die Eigenkandidatur bedeutet keine Absage an gemeinsame Aktivitäten mit der LINKEn gegen Sozialabbau, Privatisierungen, Entlassungen etc., aber die Rostocker LINKE braucht Druck von links und dieser kann unter den gegebenen Umständen am besten durch eine in der Bürgerschaft vertretene SAV ausgeübt werden – die bei jeder Gelegenheit die Hand zum gemeinsamen Kampf ausstrecken wird.