Ukraine: Fabrikbesetzung in Cherson

ArbeiterInnen fordern Kontrolle!


 

Wir veröffentlichen hier nachfolgenden Bericht von von Vika A. und Aleksei A. aus der Ukraine über eine wichtige Betriebsbesetzung, obwohl er schon einige Wochen alt ist. Vor wenigen Tagen wurde die Besetzung durch das Eingreifen massiver Sicherheitskräfte beendet, nachdem der Fabrikeigentümer angekündigt hatte, mit einer reduzierten Belegschaft die Produktion fortzusetzen. Die ArbeiterInnen wollen den Kampf für den Erhalt aller Arbeitsplätze fortsetzen. Die Schwesterorganisation der SAV auf der Krim, Sotsialisticheskoye Soprotivlemiye, deren Mitglieder unsere AutorInnen sind, ist an Solidaritätsaktionen beteiligt.

Der Protest der Beschäftigten der Maschinenbau-Anlage in Cherson in der Ukraine dauert seit dem 2. Februar an, als die ArbeiterInnen das Gebäude der Geschäftsführung der Fabrik besetzten. Seit über einer Woche nun bestimmt diese Aktion die Schlagzeilen und führte bereits zu internationaler Aufmerksamkeit. Die ArbeiterInnen haben entschieden und verantwortungsbewusst gehandelt und so Millionen von UkrainerInnen, die täglich unter Demütigungen und Ungerechtigkeiten durch die Arbeitgeber leiden, ein Beispiel gegeben. Die ArbeiterInnen in dieser Fabrik haben diesen Schritt getan, obwohl der Aktivitätsgrad der Arbeiterklasse in der Ukraine momentan relativ niedrig ist. Indem sie so gehandelt haben, haben sie nicht nur ihrem eigenen Instinkt (im Kampf ums Überleben) Ausdruck verliehen, sondern auch deutlich gemacht, dass das Schicksal der Fabrik ihre Interessen betrifft.

Hintergrund

Die Fabrik hat eine 120-jährige Geschichte. Sie ist der größte – und wahrscheinlich auch der einzige – Produzent von Landmaschinen in der Ukraine. Unter den Bedingungen der 1990er Jahre litt sie wie viele andere Fabriken und brach im Zuge der Privatisierung nach dem Kollaps der ukrainischen stalinistischen Planwirtschaft beinahe zusammen. Mit ihrem altertümlichen Maschinenpark war sie nicht wirklich in der Lage, mit den importierten Anlagen mitzuhalten. Ein Besitzer wechselte den anderen. Mit jeder Übernahme wurden die Bedingungen für die Belegschaft schlechter. Lohnrückstände wurden zum Normalzustand und hatten bisweilen tragische Folgen. 2006 wollte ein Arbeiter die Zustände nicht länger hinnehmen und hing sich in der Mitte des Fabrikgeländes auf. Das brachte die anderen ArbeiterInnen natürlich noch mehr auf und schließlich schaffte es die Geschäftsführung, genügend Barmittel zu beschaffen und die ausstehenden Löhne zu bezahlen; man befürchtete, dass die Konsequenzen andernfalls katastrophal sein würden.

In den letzten Monaten des Jahres 2007 tauchte abermals ein neuer Besitzer auf. Es handelte sich um Alexander Oleinik, der zufälliger Weise auch ein führender Kopf der Partei der Regionen (der russlandfreundlichen Partei von Wiktor Janukowytsch) war. Er begann mit der Restrukturierung der Produktionsstätte, wobei es sich um nicht viel mehr als den nicht besonders gut getarnten Versuch handelte, der Anlage die wertvollsten Güter zu rauben.

Der neue Besitzer war nicht der Meinung, dass er für die Klärung der Lohnrückstände verantwortlich sei, die sein Vorgänger angehäuft hatte, obwohl er auch eine Menge an Anteilsscheinen übernommen hatte.

Im März 2008 kam es zu weiteren Lohnforderungen. Im September wurden dann gar keine Löhne mehr ausgezahlt. Im Oktober wurde die Produktion auf eine Dreitagewoche runtergefahren. Im November wurden Entlassungen geplant und die Beschäftigten unter Druck gesetzt, sie sollten freiwillig Auflösungsverträge unterzeichnen. Viele jüngere KollegInnen gingen darauf ein, weil sie keine Zukunft mehr sahen. Zurück blieben die Älteren, die den Großteil ihres Lebens in der Fabrik verbracht haben.

Widerstand

Als sie am 20. Januar dieses Jahres zur Arbeit gehen wollten, fanden die ArbeiterInnen eine Mitteilung vor, wonach Buchhaltung und Lohnstelle in eine andere Stadt verlegt worden seien. Sofort kam eine Menge von Beschäftigten zusammen, die zum Gebäude der Geschäftsführung zogen, um es zu besetzen. Von hier aus führen die KollegInnen jetzt eine Kampagne gegen die Schließung der Fabrik.

Am 2. Februar richteten die ArbeiterInnen einen Arbeiter-Rat ein und besetzten das Gebäude der Geschäftsführung. Diese neue Körperschaft der Selbstverwaltung, die vom Schweißer Lionid Nemchonok geführt wird, fordert, dass die austehenden Löhne vom Besitzer und dem Staat beglichen werden, die Verstaatlichung der Fabrikanlage, die Beschlagnahmung von Olieniks Bankkonto und dass der Staat die Weiterführung der Produktion sicherstellt. Am 3. Februar benannten die ArbeiterInnen dann die Fabrik um: „STAATLICHE Maschinenbaufabrik Cherson“.

Am folgenden Tag schalteten sich Vertreter städtischer Stellen ein und sprachen in der Konferenzhalle der Fabrik zu den Beschäftigten. Der Bürgermeister begann damit, der Belegschaft seine „Solidarität“ auszusprechen. Er behauptete zwar einen Plan zu haben, machte dazu aber keine Details. Der Druck zwang ihn, zwei Millionen Griwna ( ca.190.000 €) aus dem städtischen Sozialhaushalt für die Löhne in der Fabrik zuzusagen. Von den ArbeiterInnen wurde dies jedoch abgelehnt. Erstens würde diese Summe nur die Hälfte der ausstehenden Löhne abdecken und zweitens ist der städtische Sozialhaushalt – wie ein Arbeiter meinte – für die Unterstützung von anderen arbeitenden Menschen vorgesehen und man wolle nicht die eigenen Probleme auf Kosten anderer gelöst sehen.

Vergangenen Samstag fand ein großer Solidaritätszug statt. Über 1000 Menschen gingen auf die Straße, darunter zahlreiche Jugendliche aus dem Ort, EinwohnerInnen und Gewerkschaftsmitglieder aus anderen Städten. Am Kopf der Demo marschierten die Spitzen des Arbeiter-Rates, linke AktivistInnen (darunter Mitglieder des CWI) und Studierende von der Universität in Simferopol.

Die ArbeiterInnen trugen Schilder und Transparente mit Aufschriften wie: „Die Oligarchen sollen für die Krise zahlen“, „Gebt den Arbeitern ihre Löhne und die Kontrolle über ihre Fabrik“, „Wir erwarten keine Wunder mehr, wir werden die Fabrik selbst übernehmen“, „Heute Cherson, morgen die ganze Ukraine“. Als Antwort auf jene Politiker von Parteien wie der Kommunistischen Partei, die nur Platitüden zu bieten haben, lautete der Hauptslogan auf der Demo: „Gebt euch nicht mit den Brosamen zufrieden, setzt den Streik fort“.

Unter den RednerInnen waren auch Gewerkschafter aus anderen Städten. Einer von ihnen schlug vor, eine neue Geschäftsführung für die Fabrik zu wählen und technisches Personal anzustellen, um die Anlage für die Wiederaufnahme der Produktion vorzubereiten. Wenn die ArbeiterInnen die Verstaatlichung fordern, so sagte er, dann muss es eine Diskussion darüber geben, wie die Fabrik geführt werden soll: von den ArbeiterInnen selbst.

Sendet bitte Solidaritätserklärungen, in denen ihr erwähnt, dass ihr über das CWI von der Besetzung erfahren habt, an:

solydarity.ksmz@gmail.com

Kopien bitte an Vika A. (CWI auf der Krim)

ekzistensy@rambler.ru

Homepage von Sotsialisticheskoye Soprotivlemiye: www.socialism.ru