Zum Einsturz des Stadtarchives und weiterer Gebäude in der Severinstraße in Köln
von Claus Ludwig, Kölner Ratsmitglied, Die LINKE. *
* Angaben dienen lediglich zur Kenntlichmachung der Person
Noch immer wird ein junger Mensch vermisst, die Chancen, ihn lebend zu bergen, sind nach Aussagen der Feuerwehr gering. Ein junger Bewohner konnte nur noch tot geborgen werden. Beim durch den Bau der Nord-Süd-U-Bahn verursachten Einsturz mehrerer Gebäude in der Severinstrasse in der Kölner Südstadt haben Dutzende Menschen allen Besitz verloren, sind obdachlos geworden. Durch die Zerstörung des Stadtarchives droht der Verlust von historischen Dokumenten mit unschätzbarem Wert. Weitere Häuser sind einsturzgefährdet, Schulen müssen verlegt werden. Viele Menschen, die oberhalb der neuen Trasse wohnen, haben Angst. Das Leben auf der Severinstraße wird für viele Monate vielleicht sogar Jahre beeinträchtigt sein. Die finanziellen Auswirkungen dieser Katastrophe sind noch unbekannt.
Das Abrutschen des Stadtarchiv-Gebäudes ist nach bisherigem Informationen der KVB durch einen Wassereinbruch und das Wegsacken von Erdreich verursacht worden.
Die KVB ließ direkt nach dem Unfall durch ihren Vorstandssprecher Fenske mitteilen, dass alle Eventualitäten bedacht worden sind. Doch das ist schon nach wenigen Tagen hinfällig. Klar ist: ein oder mehrere Menschen haben schwere Fehler gemacht. Mit „unvorhergesehenen Ereignissen“ lässt sich diese Katastrophe nicht erklären, zumal es Warnzeichen gab.
Schon jetzt liegen Berichte über Fehleinschätzungen seitens der Stadt, der KVB und der Baukonzerne vor: 1. Eine Statikerin, die das Historische Archiv im Dezember 2008 untersucht hatte, empfahl, die Ursachen für die Setzrisse genauer zu untersuchen. Die städtische „Gebäudewirtschaft“ verzichtete darauf. 2. Die KVB hatte den Untergrund nur vor Baubeginn überwacht, nicht während der Bauarbeiten. Bewegungen des Bodens in diesem flussnahen Gebiet oder die Auswirkungen von strengem Frost und Tauwetter in diesem Winter wurden nicht beständig analysiert. Die schon bekannten Probleme mit der Grundwasser-Ableitung wurden möglicherweise nicht ernst genommen.
Beim Bau der Kölner Nord-Süd-U-Bahn scheinen von Beginn an Fragen nach dem schwierigen Terrain der Arbeiten beiseite geschoben zu sein. Gutachter und Statiker arbeiten nach Maßgaben. Wenn die Maßgabe ist, dass das Projekt im Großen und Ganzen sicher ist, werden sie andere Urteile abgeben als wenn sie aktiv nach Schwachstellen suchen.
Zu klären wird sein, ob beim Bau der U-Bahn seitens des Bauherren KVB und der Baukonzerne dahingehend Druck erzeugt worden ist, dass das Projekt grundsätzlich sicher sei und nur kleinere Probleme zu beseitigen seien.
Dazu kommt die Kostenfrage. Die Bauhauptkosten sind von 600 Millionen Euro auf 1 Milliarde gestiegen. Ist dadurch ein Kostendruck entstanden, der zu Einsparungen bei den folgenden Analysen und Bauarbeiten geführt hat? Haben die vorherigen Unfälle („schiefer Turm“, Loch am Chlodwigplatz usw.) den Zeitdruck erhöht?
Festzustellen wird auch sein, ob die eine Hand nicht wusste, was die andere machte. Waren etwa verschiedene Firmen für verschiedene Aufgaben zuständig? Was hat die KVB, was haben die Bauunternehmen untersucht?
Dieser Unfall spielt sich vom dem Szenario eines unnötigen und riskanten Großprojektes ab, dessen Kosten aus dem Ruder gelaufen sind. Fehlentscheidungen Einzelner mögen die Katastrophe ausgelöst haben, aber diese sind in eine Struktur von strategischen Fehlern eingebettet.
Die politische Verantwortung für dieses Szenario tragen letzendlich all die Kräfte, die den Bau der U-Bahn gegen alle Argumente voran getrieben haben: die etablierten Parteien SPD, CDU und FDP und die Spitzen von Verwaltung und KVB.
Explodierende Kosten
Die Bauhauptkosten werden zu 90% vom Land NRW finanziert, zu 10% von der Stadt Köln. Um zuschussfähig für Landesmittel zu werden, musste eine Kosten-Nutzen-Analyse vorgelegt werden. Diese besagte, von ca. 600 Millionen Euro Kosten für die 1. Baustufe ausgehend, dass der U-Bahn-Bau für Köln lohnenswert und damit zuschussfähig sei.
Inzwischen sind die Bauhauptkosten auf rund 1 Milliarde Euro gestiegen, angeblich überraschend. Als Gründe nennt die Stadt Preissteigerungen bei Energie und Materialien und Mehraufwand für archäologische Arbeiten – wie überraschend! Wären die Kosten zu Beginn bekannt gewesen, wäre das Projekt möglicherweise nicht vom Land gefördert worden. Nicht auszuschließen ist, dass die Kosten zuvor runtergerechnet wurden, um die Kosten-Nutzen-Analyse positiv aussehen zu lassen.
Der Anteil der Stadt Köln an den Bauhauptkosten beträgt rund 100 Mio. Euro. Doch diese Summe täuscht. Die Nebenkosten werden weit weniger durch das Land bezuschusst. Der 10% Eigenanteil an den zuwendungsfähigen Baukosten, Projektnebenkosten inklusive der Vorfinanzierung von Zuwendungen belaufen sich auf ca. 285 Mio. Euro. Dazu kommt, dass die Stadt das Geld nicht hat, sondern durch Kreditaufnahme finanzieren muss. Inklusive Finanzierung kostet der U-Bahn-Bau die Stadt laut Verwaltung 665 Mio. Euro .
Mit diesem Geld, das in der Innenstadt buchstäblich versenkt wurde, könnten oberirische Bahn- und Buslinien im gesamten Stadtgebiet ausgebaut und Preise bis hin zum Nulltarif gesenkt werden. Eine wirkliche ökologische und soziale Umgestaltung des ÖPNV würde damit angestoßen.
Der Bau der Nord-Süd-Bahn war von Beginn an falsch. Der ÖPNV gehört an die Oberfläche, der motorisierte Individualverkehr muss verringert werden; unter anderem durch verbesserte Angebote des ÖPNV an die heutigen AutofahrerInnen.
Was ist jetzt zu tun? Sicherung der Baustelle, sonstige Baumaßnahmen stoppen
Absolute Priorität hat jetzt die Sicherheit auf der U-Bahn-Baustelle. Wenn Baumaßnahmen zur Sicherung der Baustelle beitragen wie z.B. die Verarbeitung von Beton zur Festigung von Röhren und Haltestellen sollen sie vorgenommen werden. Baumaßnahmen, die nicht zur Sicherung der Baustelle beitragen sind sofort zu stoppen. Auf die Abholzung der Lindenallee zwischen Schönhauser Str. und Ubierring muss verzichtet werden.
Die Kölner Bevölkerung braucht diese U-Bahn nicht. Es ist peinlich und zynisch, wenn sich OB Schramma, nach dem Unfall hinstellt und davon redet, der weitere Bau wäre „fast verantwortungslos“. Er und die CDU haben den Bau vorangetrieben. Sie müssen die politische Verantwortung für dieses Projekt übernehmen, ebenso wie die U-Bahn-Befürworter von SPD und FDP.
Die etablierten Parteien, die Stadt und die KVB müssen ein Konzept vorlegen, ob der U-Bahn-Bau fertigestellt und die U-Bahn in Betrieb genommen oder ob die bisherigen Tunnel gesichert und zugeschüttet werden sollen. Risiken, Aufwand und Kosten sind vollständig offenzulegen, die Entscheidung darüber darf erst nach einer breiten demokratischen Debatte und mit Zustimmung der Bevölkerung in der Südstadt fallen.
Unabhängige Untersuchung des U-Bahn-Baus
Die Ankündigung der Staatsanwaltschaft Köln, gegen „Unbekannt“ zu ermitteln, lässt wenig Gutes ahnen. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zum Neubau der Messehallen Nord wurden ohne Ergebnisse zu den Akten gelegt, obwohl Journalisten genug Hinweise für korrupte Beziehungen ans Tageslicht befördert hatten.
Eine unabhängige Untersuchung des U-Bahn-Baues und der Katastrophe um das Stadtarchiv ist nötig. Es sollte eine Kommission unter Hinzuziehung von ExpertInnen gebildet werden, unter demokratischer Beteiligung der AnwohnerInnen des Severins-Veedels, der Beschäftigten der Bau-Unternehmen und der KVB und ihrer Gewerkschaften ver.di und IG BAU. Dieser Kommission sind sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, ihre Arbeit sollte in aller Öffentlichkeit stattfinden.
Öffentlicher Nahverkehr gehört nicht unter die Erde
Der Bau von U-Bahnen, zumal in dichtbesielten historischen Städten in Flussnähe, ist teuer und riskant. Von ihm profitieren nicht die NutzerInnen des öffentlichen Personennahverkehrs, sondern die Baufirmen mit staatlich garantierten Aufträgen inklusive aller Kostensteigerungen, die kreditgebenden Banken sowie das ganze Umfeld aus Projektentwicklern, Beratern und Gutachtern. Die Nord-Süd-U-Bahn dient vor allem der Aufrechterhaltung des Vorranges des oberirdischen Autoverkehrs in der Kölner City und der Anbindung des heutigen Großmarkt-Geländes.
Nötig wäre stattdessen eine Attraktivierung des öffentlichen Nahverkehrs im Sinne der NutzerInnen. Dazu würde günstigere Taktzeiten, günstige Park&Ride-Systeme;, eine Senkung der Tarife hin zum Nulltarif und ein Ausbau des oberrirdischen Stadtbahnnetzes zählen. In dicht besiedelten Innenstadtbereichen, in denen kein Neubau und kein Ausbau der Bahn-Linien möglich sind, könnte eine Verbesserung durch einen Ausbau des Netzes von Bussen, Minibussen, öffentlich geförderten Taxen, Sammeltaxen und durch eine städtische Bereitstellung von Fahrrädern erreicht werden.
CDU, SPD und Grüne haben in den Doppelhaushalt 2008/2009 125.000 Euro eingestellt, um den Bau einer weiteren Ost-West-U-Bahn zu prüfen. Dieses Geld muss sofort für oberirdische Stadtbahn-Projekte umgewidmet werden. Die Vorschläge der FPD – Nord-Süd-U-Bahn bis zum Bonner Verteiler und Untertunnelung des Barbarossa-Platzes – sind nun endgültig als pure Dummheit entlarvt.
Menschen vor Profite – für eine Stadtentwicklung im Interesse der Bevölkerung
Der Skandal um den Neubau der Messehallen Nord und die Rheinhallen-Vermietung an RTL, die aktuelle Zerstörung der Sürther Aue durch den Ausbau des Godorfer Hafens, der Abriss des Barmer Wohnviertels und die Ersetzung durch den „teuersten Parkplatz der Republik“ und der Bau der Nord-Süd-U-Bahn haben bei allen Unterschieden im Detail vieles gemeinsam: sie sind Projekte einer sogenannten „Stadtentwicklung“, die nicht zu Verbesserungen für die Bevölkerung in Köln führt, sondern unter dem Strich zur Verschlechterung der Lebensqualität. Die Umgestaltung des Rheinauhafens und die zukünftigen Pläne für den Deutzer Hafen wird man auch in diese Reihe stellen können.
Diese „Stadtentwicklung“ nach dem Stil der etablierten Parteien orientiert sich nicht am Interesse der Bevölkerung, sondern an den Profitinteressen privater Investoren oder Bauträger und Kreditgeber.
Diese Art von Stadtentwicklung basiert auf der Aushebelung demokratischer Rechte, beginnend mit der Geheimhaltung von Verträgen und Planungen. Proteste wie im Barmer Viertel oder Bürgerbegehren wie zum Thema Sürther Aue werden ignoriert.
Ganze Schwärme von Projektententwicklern, Gutachtern und den berühmt-berüchtigten „Beratern“ halten sich im Umfeld dieser Projekte auf und leben gut davon.
Leitende Angestellte städtischer Beteiligungsbetriebe und Vertreter der Stadt wollen sich mit diesen Prestige-Projekten Denkmäler setzen und sorgen gleichzeitig dafür, dass sie selbst, Parteifreunde und sonstige Verbündete auch mal „beraten“ oder den Karrieresprung auf den nächsthöheren Versorgungsposten einleiten können.
Diese Stadtentwicklung ist ein Kind der verharmlosend „Kölscher Klüngel“ genannten, tendenziell korrupten Verquickung städtischer Betriebe und Politiker mit privaten Kapitalinteressen.
Diese Projekte führen zu einer Umverteilung öffentlicher Gelder auf die Konten privater Konzerne und Banken und damit zur Verschärfung der Krise des städtischen Haushaltes. Mit den „leeren Kassen“ wird dann seitens der etablierten Parteien begründet, warum kein Geld für Bildung oder Gesundheit vorhanden ist oder bei den sozialen Leistungen gekürzt werden „muss“.
Köln wird dadurch noch hässlicher und kaputter, Flächen für bezahlbares Wohnen, Freizeit und Erholung werden dem Kommerz geopfert. Köln wird mit Baustellen und Beton vollgestopft, Grünflächen verschwinden.
Diese falsche „Stadtentwicklung“ muss gestoppt werden. Die Stadt darf nicht den Bankern, Bonzen und städtischen Bürokraten gehören. Die breite Masse der Bevölkerung, die arbeitenden und erwerbslosen Menschen, müssen sich diese Stadt wieder zurück erobern.
Öffentliche Gelder müssen transparent und demokratisch in die Schaffung von tariflich bezahlten Arbeitsplätzen in den Bereichen Bildung, Breitensport, Gesundheit und Soziales investiert werden. Der öffentliche Nahverkehr muss im Interesse der NutzerInnen ausgebaut werden, die Preise müssen gesenkt werden. Öffentliche Gelder müssen in den Ausbau von Umweltschutz und die Verbesserung der naturnahen Erholung fließen.
Demokratische Kontrolle statt Privatisierung
Durch das Vorgehen der Vorstände von Sparkasse, HGK (Hafen- und Güterverkehrs GmbH) und KVB werden öffentliche Betriebe und all diejenigen, die dort zum Wohle der Bevölkerung arbeiten, in den Schmutz gezogen. Manch eine/r mag denken, dass öffentliche Betriebe nichts wert sind und privatisiert werden müssten. Das ist genau der falsche Weg. Private Betriebe sind nicht besser sondern noch schlechter zu kontrollieren und die Gewinne der Privaten müssen mitbezahlt werden – sei es durch höhere öffentliche Ausgaben oder durch Lohndumping bei den Beschäftigten.
Das verstärkte Hereinholen privater Investoren, z.B. durch PPP-Projekte („Öffentlich Private Partnerschaft“; kurz: die Stadt bezahlt, die Investoren kassieren) oder CBL (früher erlaubte Leasing-Geschäfte mit US-Konzernen) und die Umwandlung städtischer Eigenbetriebe in privatrechtliche GmbH haben zur Aushebelung von Transparenz und demokratischer Kontrolle geführt. Dadurch ist das Geflecht aus hoch bezahlten Vorständen und von Aufsichtsräten, die nichts kontrollieren, sondern am geheimen Klüngel beteiligt sind, erst entstanden.
Statt Privatisierung sind eine Re-Kommunalisierung privatisierter Betriebe sowie die umfassende Demokratisierung städtischer Betriebe und Entscheidungsprozessen in der Stadt nötig.