„Capitalism – [No] Exit?“ Unter dieser Fragestellung lud die globalisierungskritische Organisation attac vom 6. bis 8. März zu einem bundesweiten Kongress in Berlin ein. Mehr als 2.200 TeilnehmerInnen diskutierten in der Technischen Universität über das „Ende des Finanzkapitalismus“ und „Alternativen“ (so die Titel von Veranstaltungsblöcken). Zudem wurde für die überregionalen Demonstrationen „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ am 28. März geworben.
von Aron Amm, Berlin
Zu den ReferentInnen zählten der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, die Schriftstellerin Daniela Dahn, LINKEN-Landesvorstandsmitglied Bernd Riexiniger und die emeritierten Berliner Uni-Professoren Peter Grottian und Elmar Altvater. Neben vielen bekannten Gesichtern der politischen Linken (unter den Besuchern von Veranstaltungen gehörten zum Beispiel Hans-Jürgen Urban, Peter Conradi oder Hans-Christian Ströbele) und einer ganzen Reihe von Gewerkschaftsfunktionären zog das Wochenende auch neue Interessierte, darunter eine größere Zahl von Studierenden, an. Unter ihnen sind einige, die erst in letzter Zeit zu attac gestoßen sind. Relativ schwach vertreten war die Linkspartei (der einzige Infotisch seitens der LINKEN war ein von Marx 21 organisierter SDS-Stand).
Offenheit für antikapitalistische Ideen
Es bestand – wie letztes Jahr schon die Resonanz für die „Kapital“-Lesekreise an den Universitäten zeigte – ein beträchtliches Interesse daran, den Gründen für die heutige Krise nachzugehen. Das drückte sich auch darin aus, dass eine Veranstaltung wie „Die systematischen Ursachen des Crashs“ unter anderem mit Jörg Huffschmid, einem Gründungsmitglied der Memorandum-Gruppe, von einem für 150 Personen geeigneten Raum in das Audimax verlegt werden musste.
Wer in Redebeiträgen darauf pochte, die Krise beim Namen zu nennen und den Kapitalismus selber anzuprangern, konnte sich Beifall sicher sein (allerdings waren die Meinungen hier keineswegs einhellig, so fand in der Debatte „Zur Dialektik des Antikapitalismus“ mit Michael Brie und Wolfgang Fritz Haug beispielsweise auch die These Zuspruch, dass wir es mit „verschiedenen Kapitalismen“, mit „verschiedenen Göttern“ zu tun hätten). Für die „Sozialismus-Tage“ verteilten SAV-Mitglieder über tausend Einladungen. Allein am Samstag mittag konnten vier Aktive der SAV in kurzer Zeit vierzig Zeitungen der „Solidarität“ verkaufen.
attac – nicht auf der Höhe der Zeit
Die Organisatoren warfen mit dem Titel „Kapitalismus – [No] Exit?“ zwar die Systemfrage auf, bleiben aber – wie das Wochenende vor Augen führte – dabei, nach systemimmanten statt das System sprengende Antworten zu suchen. attac sieht sich in der langjährigen Kritik an der Politik des Neoliberalismus und der Deregulierung bestätigt. Die Kernaussage des Kongresses war jedoch, einer „Finanzmarktkrise“ gegenüberzustehen, die durch regulierende Eingriffe gebändigt werden könnte.
Die aktuelle Verstaatlichungsdebatte spielte bei den meisten ReferentInnen höchstens eine untergeordnete Rolle. Werner Rügemer, Autor der Oppenheim-Biografie „Der Bankier“, bezeichnete die heutigen Verstaatlichungen als „Privatisierungen mit anderen Mitteln“. Rügemer und andere plädierten dafür, in die Schieflage geratene Banken wie die Hypo Real Estate kurz und schmerzlos Bankrott gehen zu lassen.
Brennende Fragen wie die Zukunft von Opel, allen voran der 26.000 Beschäftigten und der mehr als 70.000 in der Bundesrepublik von den Opel-Werken zusätzlich abhängigen KollegInnen, wurden nur gestreift. IG-Metall-Bundesvorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban durfte auf der Abschlussveranstaltung wolkig über Manager und Politiker schimpfen, ohne über die Aufgaben der Gewerkschaft in der Opel-Krise sprechen zu müssen.
Regulierung der Finanzmärkte als Allheilmittel?
In der Diskussion über die „systematischen Ursachen des Crashs“ erwähnte der Trierer Professor Paul Windorf zwar, dass es seit 1820 alle acht bis zwölf Jahren zu einer Finanzkrise gekommen ist. Trotzdem wurde von ihm, von Huffschmid und von anderen herausgestellt, dass die heutige Krise nicht nur besondere Merkmale habe, sondern einmalig sei – und sich letztendlich auf politische Irrtümer zurückführen ließe.
In der Tat entspricht das Finanzvolumen, das 1980 noch geringer war als das globale Sozialprodukt, heute dem dreieinhalbfachen aller jährlich produzierten Güter und Dienstleistungen. Allerdings wurde der Eindruck erweckt, man bräuchte aus den aufgebähten Finanzmärkten nur die Luft rauszulassen, und alles ließe sich wieder ins Lot bringen. Huffschmid oder Sven Giegold von attac und andere thematisierten ausschließlich die „Finanzmarktkrise“. Dabei sind wir längst nicht nur mit einer Kreditklemme im Finanzsektor konfrontiert, sondern auch mit einer „Produktionsklemme“ (die US-Industrieproduktion fiel im Januar um zehn Prozent geringer aus als vor einem Jahr, der Autoabsatz brach um 50 Prozent ein – ähnliche Entwicklungen vollziehen sich auch in Europa und in anderen Teilen der Welt). Zudem hat die Finanzkrise ihren Ursprung im produktiven Bereich: Angefangen damit, dass der jüngste Aufschwung von den USA ausging und weitgehend kreditfinanziert war, nachdem es kein reinigendes „Weltmarktungewitter“ (Karl Marx) gegeben hatte, Kapazitäten und Kapital also kaum vernichtet worden waren. Darüber hinaus hat die heutige „Finanzmarktkrise“ mit all ihren unbestreitbaren Besonderheiten ihren Ausgangspunkt in der Profitkrise der siebziger Jahre. Mangels ausreichend profitabler Anlagemöglichkeiten im produktiven Bereich kam es schließlich zu dieser Aufblähung des Finanzsektors. Das Ende von Bretton Woods und die Aufhebung von den Finanzsektor regulierenden Auflagen waren auch nicht, wie Huffschmid und Co. herausstellten, allesamt völlig freie politische Entscheidungen, sondern die – von den Keynesianern nicht zu vereitelnde – Folge der Krise der kapitalistischen Wirtschaft. Außerdem gingen der neoliberalen Offensive Rückschläge der Arbeiterbewegung in erbitterten Kämpfen voraus, angefangen mit dem Pinochet-Putsch 1973 in Chile, über die Niederschlagung des Fluglotsen-Streiks in den USA nach Ronald Reagans Amtsantritt bis hin zum Bergarbeiter-Kampf unter Margaret Thatcher 1984/85, von britischen Journalisten als „Bürgerkrieg ohne Gewehre“ bezeichnet (es war also keine „Reagan-Revolution“, wie Fernando Carvalho am Wochenende meinte, sondern es waren vielmehr Schläge der Reaktion).
Rügemer und Co. unterschätzen die Dramatik der Krise, wenn sie raten, Großunternehmen, die sich verspekuliert haben und vor dem Ruin stehen, einfach Pleite gehen zu lassen. Zu Beginn setzten bekanntlich die US-Notenbank und das Weiße Haus auf diesen Kurs, um nach dem Kollaps von Lehman Brothers sofort umzuschwenken – weil das Weltfinanzsystem zu kollabieren drohte. Natürlich sind die bisher vorgenommenen staatlichen Rettungsaktionen und Verstaatlichungen nicht im Sinne der politischen Linken. Das darf aber – allen voran der Arbeitsplätze wegen – nicht bedeuten, Unternehmenspleiten gut zu heißen. Nötig ist es, dafür einzutreten, dass bei den Verstaatlichungsmaßnahmen nicht weiter die heutigen Aufsichtsräte, die auf eine schnellstmögliche Reprivatisierung aus sind, das Sagen haben dürfen, sondern die arbeitende Bevölkerung das Ruder übernehmen muss.
„Nicht alle Äpfel auf dem kapitalistischen Baum sind faul“
Innerhalb von attac gibt es durchaus unterschiedliche Positionen. Am rechten Rand stehen Kräfte wie Sven Giegold, der mit Hilfe der Grünen im Sommer ins Europaparlament einziehen will und sich für einen „Green New Deal“ einsetzt. „Wenn schon Millarden und Abermilliarden aktuell ausgegeben werden, dann sollten wir uns dafür einsetzen, dass dieses Geld ökologisch investiert wird“, so Giegold am Sonntag vormittag. Seine Ideen, die letztendlich auf Klassenzusammenarbeit (der Entwurf des Bundestagswahlprogramms der Grünen ist mit „Neuem Gesellschaftsvertrag“ überschrieben) und Öko-Kapitalismus hinauslaufen, rechtfertigt Giegold mit Thatchers TINA-Worten: „There Is No Alternative.“ Angeblich.
Die Antworten von linkeren attac-VertreterInnen wie Alexis Passadakis vom Koordinierungs-Kreis, aber auch einem Elmar Altvater, Mitglied im wissenschaftlichen Rat von attac, bleiben auf der Veranstaltung zum „Green New Deal“ dürftig. Ins Feld geführt werden „Genossenschaften“, eine „Dezentralisierung der Wirtschaft“ und eine Absage an wirtschaftliches Wachstum. Die Systemfrage selber wurde nur vereinzelt aus dem Publikum, die sozialistische Alternative nur von einem SAV-Mitglied aufgeworfen. Während Giegold meint, dass doch „nicht alle Äpfel auf dem kapitalistischen Baum faul“ seien, ist es dringender denn je, gegen die Illusion anzugehen, im Obstgarten könne jeder auf seine Weise Bäume pflanzen und Obst ernten. Nein, der ganze Garten muss übernommen werden, wenn man über den Boden, die Vegetation, die Anbaumethoden und so weiter bestimmen möchte.