Debatte über Planwirtschaft auf den Sozialismus-Tagen 2009
Auf den diesjährigen Sozialismus-Tagen vom 10. bis 12. April in Berlin wird es auch eine Diskussion über Alternativen zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung geben. Die Veranstaltung findet unter der Fragestellung „Demokratische Planwirtschaft als Alternative zum Kapitalismus?“ statt. Mit Elmar Altvater (angefragt) und Lynn Walsh, Mitglied vom internationalen Vorstand des CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale).
Elmar Altvater
emeritierter Professor der FU Berlin, Mitglied der LINKEN-Programmkommission, unter anderem Autor von „Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“ (Westfälisches Dampfboot, 2007):
Eine antikapitalistische Ökonomie erfindet man nicht, sie entsteht in sozialen Kämpfen. Daran sind, sofern sie Erfolge zeitigen sollen, sehr viele Menschen beteiligt – mit all ihren Utopien, Sehnsüchten, intellektuellen Streitigkeiten, Hoffnungen und Frustrationen, aber auch mit ihrer Experimentierfreude. In diesen Auseinandersetzungen zeigt sich dann, wie alternative Formen der gesellschaftlichen Organisation des Wirtschaftens und der gesellschaftlichen Kommunikation gefunden werden können.
Selbstverständlich werden dabei historische Erfahrungen berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören auch die Erfahrungen mit der Planung im „real existierenden Sozialismus“.
Auch kapitalistische Unternehmen planen. Das ist Planung im Interesse des Kapitals, nicht zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung. Spätestens die Finanzkrise und die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise zeigen, wie zerstörerisch und wie ineffizient die kapitalistische Planung der transnational operierenden Konzerne ist. Denn in der Marktwirtschaft treten makroökonomische Einheiten in einen geldvermittelten Austausch. Für das Resultat des Marktmechanismus kann niemand verantwortlich gemacht werden.
Ein Problem der Planwirtschaft besteht hingegen darin, dass man nur unzulänglich mit den Bedürfnissen der Menschen kalkulieren kann. Es wäre viel zu kompliziert, sie zu erheben, viel zu kompliziert, sie abzuwägen und viel zu autoritär, die Richtungen der Entwicklung zu bestimmen. Ergo kann die Planung nur eine Rahmenplanung sein. Planung ist also nicht obligatorisch, sondern indikativ. Sie kann daher auch nicht vollständig an die Stelle des Marktes treten. Dieser muss weiterhin genutzt werden, um die individuelle Befriedigung von Bedürfnissen in angemessener Zeit zu ermöglichen.
Das „Wertgesetz“ der Warenproduktion und zentrale, indikative Planung sind durchaus verträglich. Das „Wertgesetz“ kann nur aufgehoben werden in einer Welt der Überschussproduktion. Doch geraten wir an dieser Stelle sofort in Konflikt mit einem Grundprinzip eines „modernen Sozialismus des 21. Jahrhunderts“: mit der ökologischen Nachhaltigkeit. Überschussproduktion darf nicht auf Kosten der Natur und damit auf Kosten der nachfolgenden Generationen erfolgen.
Apropos Natur: In der Natur gibt es keine zentral geplanten Prozesse, sondern nur spontane Abläufe. Das wichtigste Prinzip der Evolution ist das der Redundanz, daher auch der Fehlerfreundlichkeit. Der Blick in die natürlichen Abläufe öffnet die Perspektive in eine Welt der Vielfalt, wie sie auch in gesellschaftlichen Prozessen existieren kann.
Auch in einer anderen ökonomischen Ordnung wird es Planung geben, schon weil global agierende Unternehmen gar nicht anders können (und dürfen), als gemäß vertretbarer Regeln ihr ökonomisches Handeln zu planen.
Gleichzeitig gibt es viele kleine Einheiten in vielen Weltregionen, denen man zwar einen gemeinsamen Namen geben kann – etwa den der „solidarischen Ökonomie“ –, die aber dennoch höchst verschieden sind und sich in ein System globaler Planung nicht integrieren lassen würden. Zu Recht, denn dieses würde die solidarisch-genossenschaftlichen und demokratischen Organisationsformen der Wirtschaft wegen seines zentralen und zentralisierenden Charakters erschweren oder gar unterbinden.
Man kann es auch anders ausdrücken: Planung war etwas für das fordistische System der großen Industrie. Planung wird von den großen transnationalen Konzernen auch heute angewandt, um ihre Macht zu steigern. Für eine Vielzahl von vernetzten, kleineren und mittleren Unternehmen in genossenschaftlicher Organisation ist zentrale Planung ungeeignet, die immer die Gefahr in sich trägt, dass der Staat als das Subjekt zentraler Planung eine autoritäre Ordnung erzwingt, noch dazu auf globaler Ebene.
Ein demokratischer Staat im globalen Raum kann nur im Plural existieren. Zu einer indikativen Rahmenplanung müssen sich die genossenschaftlichen Einheiten immer wieder kommunikativ verständigen.
Ob eine Planung für die gesamte Weltwirtschaft möglich und sinnvoll ist, ist also zu bezweifeln. Die Befürchtung ist nicht unrealistisch, dass internationale Planung einen bürokratischen Staat hervorbringt, der alle Versuche einer wirtschaftlichen Selbstverwaltung in einer sozialistischen Ökonomie unterbindet.
Es stellt sich folglich die Frage, ob nicht eine solidarische, genossenschaftliche Ökonomie, die sich einen politischen Rahmen gibt, eine aussichtsreichere Variante der gesellschaftlichen Planung in der globalisierten Wirtschaft sein kann als ein weltwirtschaftlich geplanter Sozialismus.
Heino Berg
Mitglied im SAV-Bundesvorstand und aktiv in der Partei DIE LINKE:
Schon zu Beginn der aktuellen Krise wird der Markt als einziges Steuerungsinstrument für die Wirtschaft sogar von den Herrschenden in Frage gestellt. Die Ära des Neoliberalismus, in dem jeder staatliche Eingriff verpönt war und die „Selbstheilungskräfte“ alles regeln sollten, ist im Chaos der sogenannten „Finanzmarktkrise“ bereits beerdigt worden. Zugleich wächst die Einsicht, dass der Raubbau an den natürlichen Ressourcen des Planeten ein global koordiniertes Umsteuern erfordert, zu dem die privatwirtschaftlich organisierten Nationalstaaten und ihre Institutionen offensichtlich nicht in der Lage sind. Stehen damit die Marxschen Perspektiven einer globalen, sozialistischen Planwirtschaft erneut auf der Tagesordnung – oder brauchen wir bessere Regulierungen und eine Kombination von Markt- und Planwirtschaft?
Jeder arbeitsteilige Produktionsprozess erfordert Planung und Koordination. Das gilt für den Betrieb ebenso wie für die Weltwirtschaft. Die heutigen Großkonzerne operieren und planen über Ländergrenzen hinweg – aber sie tun das im Interesse des nationalen Stammkapitals an ihrem Hauptsitz. Die Entscheidung, was und wie produziert wird, wird im Kapitalismus allein von der Frage bestimmt, welcher Gewinn im Verhältnis zum Konkurrenzunternehmen dabei für die Eigentümer herausspringt. Das Bedürfnis nach Nahrungsmitteln ist für die Planung dieser Konzerne dann uninteressant, wenn die hungernde Bevölkerung der jeweiligen Region diese Produkte nicht kaufen kann. Das selbe gilt für ökologische Ziele, zu denen sich die Konzerne und ihre Regierungen zwar bekennen, die sie aber im Konkurrenzkampf um Absatzmärkte und die billigsten Produktionsmethoden sofort wieder über Bord werfen.
Konsumbedürfnisse der Bevölkerung werden heutzutage ebenso zuverlässig ermittelt wie ökologische Erfordernisse. Gestützt auf die moderne Datenverarbeitung könnten sie also die Basis für eine internationale Rahmenplanung bilden, die dem Menschen ebenso nutzt wie der Natur – wenn die Schlüsselbetriebe a) nicht mehr privaten, profitorientierten Eigentümern, sondern der Gesellschaft insgesamt gehören und b) durch demokratische Vertretungsorgane im Interesse der Beschäftigten und im Sinne von überbetrieblichen Zielen verwaltet werden können. Dazu könnte eine „drittelparitätische“ Beteiligung von direkten VertreterInnen der jeweiligen Betriebe, der Gewerkschaften und der Gebietskörperschaften sinnvoll sein.
Die Geschichte hat bewiesen, dass Verstaatlichungen allein nicht ausreichen, um die Produktion und deren Planung an den tatsächlichen Bedürfnissen der Gesellschaft auszurichten: Wenn die betrieblichen, kommunalen oder gesamtstaatlichen Organe (beziehungsweise Räte) keiner demokratischen Kontrolle unterliegen, wenn sie weder direkt gewählt, noch rechenschaftspflichtig und jederzeit abrufbar sind, wenn die Produzenten nicht einmal ihre Bedürfnisse frei äußern und sich für ihre Ziele unabhängig organisieren können – wie das in der Sowjetunion unter der Herrschaft der Bürokratie der Fall war –, dann sind Misswirtschaft und Privilegien die zwangsläufige Folge. Die staatliche Planwirtschaft erlaubte unter diesen Bedingungen zwar die Industrialisierung und Fortschritte im Bildungs- und Gesundheitsbereich, musste mangels Demokratie aber scheitern. Die Einführung von Marktmechanismen und mehr „Eigenverantwortlichkeit“ für die verstaatlichten Betriebe in der Sowjetunion und in Osteuropa haben ihren Niedergang nicht aufgehalten, sondern zum Teil noch beschleunigt.
Die Arbeitszeit könnte heute mit einem Schlag stark reduziert und die Arbeit auf alle aufgeteilt werden. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für eine sozialistische Demokratie. Durch eine Arbeitszeitverkürzung von mehreren Stunden täglich würde ein enormes Potenzial freigesetzt; die Möglichkeit wäre gegeben, sich weiterzubilden und Aufgaben bei der Leitung der Betriebe und der Koordination der Wirtschaft zu übernehmen.
An einer demokratischen Rahmenplanung der Weltwirtschaft, die auch übernationale Anforderungen, zum Beispiel die ökologische Nachhaltigkeit, berücksichtigt und eine gerechte Verteilung der Ressourcen und Reichtümer erlaubt, müssen sich alle durch demokratisch gewählte VertreterInnen solidarisch beteiligen können. Die vom Kapital geschaffenen „internationalen“ Institutionen (wie G8, IWF, NATO, UN oder EU) sind dafür nicht geeignet und müssen überwunden werden, anstatt die Illusion zu pflegen, dass man sich ihrem Diktat und den Gesetzen des kapitalistischen Weltmarktes durch Protektionismus oder regionale Autonomie entziehen könnte.
Die genaue Form, in der die arbeitende Bevölkerung durch eine sozialistische Planwirtschaft eine menschenwürdige Zukunft gestalten wird, kann sie im Kampf gegen die Krise des Kapitalismus nur selbst bestimmen.