Die Weltwirtschaft steckt in der tiefsten Krise nach 1945
Vor einem Jahr tönte Finanzminister Peer Steinbrück noch, die „ökonomischen Fundamentaldaten“ seien „in Ordnung“. Inzwischen können die Bürgerlichen die wirtschaftliche Talfahrt jedoch nicht mehr leugnen. Nachdem lange von einer „Finanzkrise“ geredet wurde, hat sich die Krise in der sogenannten „Realwirtschaft“ im letzten Quartal 2008 drastisch verschärft.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Die Schätzungen für das Schrumpfen des US-Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal 2008 betragen über vier Prozent. 2008 wurden dort 2,6 Millionen Arbeitsplätze vernichtet – eine Million davon allein im November und Dezember. Die Zwangsversteigerungen verdoppelten sich 2008 auf 860.000, bei 41 Prozent der Hausbesitzer sind die Schulden größer als der Wert ihrer Häuser. Auch die Reichen leiden unter der Krise: Der Juwelier Tiffany’s hatte im Weihnachtsgeschäft ein Minus von 21 Prozent (schluchz!). Ex-US-Notenbankchef Paul Volcker spricht von der „Mutter aller Krisen“.
Wirtschaftseinbruch
In Deutschland brachen im November die Aufträge im Maschinenbau um 30 Prozent ein. Die Stahlproduktion lag im Dezember 35 Prozent niedriger als im Dezember 2007 und 20 Prozent niedriger als im November 2008, was illustriert, wie sich die Krise zu Jahresende verschärft hat. Die Gesamtwirtschaft schrumpfte im vierten Quartal um bis zu zwei Prozent.
Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat die Bonität der Staatsanleihen von Griechenland, Spanien und Portugal herabgestuft. Ökonomen diskutieren ernsthaft, ob Großbritannien wie Island pleite gehen könnte oder Länder aus dem Euro aussteigen.
Und 2009?
Auch bürgerliche Ökonomen sagen, dass die Konjunkturprogramme die Krise nur abschwächen und verzögern. Dafür sprechen auch die japanischen Rettungsmaßnahmen der neunziger Jahre – und George Bushs Stimulierungsversuch Anfang 2008.
Das deutsche Konjunkturprogramm ist so mickrig, dass man es kaum zu erwähnen braucht. Da entlastet schon eher der krisenbedingte Einbruch der Ölpreise. Auf der anderen Seite schrumpften die deutschen Geldvermögen 2008 um 110 Milliarden Euro (nicht zuletzt durch den Fall der Aktienkurse um 41 Prozent) und die Sparquote stieg von 10,8 auf 11,4 Prozent. Wie soll da die Binnennachfrage die Wirtschaft herausreißen?
Aber selbst positive Entwicklungen haben ihre Haken: Der Rückgang der Ölpreise setzt zwar Kaufkraft für andere Produkte frei und wirkt der Inflation entgegen. Dafür haben wir die Gefahr einer Deflation (allgemein fallender Preise). Eine Folge: Die realen (inflationsbereinigten) Zinsen sinken viel weniger als die nominellen (und in den USA und Japan sind Zinssenkungen durch die Notenbanken nicht mehr möglich, sie sind schon nahe Null). Eine weitere Folge: Wenn das Geld mehr Wert ist, dann sind es auch die Schulden.
Wirtschaftliches Minenfeld
Wie tief die Krise werden wird, hängt davon ab, wie viele der ökonomischen Minen noch hochgehen: Weitet sich der Einbruch der US-Häuserpreise auf die gewerblichen Immobilien aus, die Schuldenkrise von den Hypotheken- auf die Kreditkartenschulden? Kommt es zu einer Flucht der Anleger aus den US-Staatsanleihen oder dem Dollar? Vermutlich wäre der Dollar schon im freien Fall, wenn die anderen Währungen nicht ebenso schlecht dastünden. Geht einer der großen Autokonzerne in den USA oder anderswo pleite? Gibt es weitere Staatsbankrotte in Europa? Jeder dieser Faktoren könnte eine neue Panikattacke auf den Finanzmärkten und eine Kettenreaktion von weiteren Erschütterungen auslösen. Je öfter das geschieht, desto schwerer wird es, normale Wirtschaftsbeziehungen wieder herzustellen.
Depression?
Desto größer wird die Gefahr, dass wir nicht nur die tiefste Krise nach 1945 haben, sondern auch eine Depression wie 1929-1933. Damals brach die Industrieproduktion in den USA um 30, in Deutschland um 50 Prozent ein. Das Finanzsystem kollabierte. Der Welthandel ging auf ein Drittel zurück!
Selbst wenn sich eine solche Depression vermeiden ließe – mit den Staatseingriffen und Konjunkturprogrammen versuchen die Kapitalisten weltweit derzeit darauf hinzuwirken –, steht angesichts des Ausmaßes der Krise und der Überkapazitäten eine gewaltige Kapitalvernichtung und eine sich wahrscheinlich über Jahre hinziehende tiefe Rezessions- und Stagnationsphase an.