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Gab es Arbeiterdemokratie?
Carlos Franqui schrieb über die Möglichkeiten am Anfang und seine Enttäuschung über die Machtkonzentration in den Händen einer Elite: „Tatsächlich hatten wir die Möglichkeit unseren eigenen kubanischen Sozialismus aufzubauen, da die Arbeiterklasse, die Bauern, die Jugend des Landes und ein Gutteil der Mittelschichten auf unserer Seite waren. Die Nation fand wieder zu sich selbst, denn sie hatte ihre Reichtümer zurück erobert, ihre Würde wiedergefunden und war frei und unabhängig. Das war der richtige Zeitpunkt, um Vertrauen in die Menschen zu haben und neue Formen des Zusammenlebens zu schaffen. Es wäre einfach gewesen, die wichtigsten Industrien zu vergesellschaften. Die Zuckerarbeiter waren schon politisiert und es wäre relativ einfach gewesen, ihnen zu zeigen, dass sie für ihre eigenen Interessen genauso hart arbeiten können, wie sie es für die Bosse getan hatten. Das gleiche galt für die Rinderwirtschaft, welche das Land schon mit billiger Milch und Fleisch versorgte. Weitere Industrien wie die Tabakverarbeitung würden den gleichen Weg gehen. Wir hätten die Fischerei ermutigen und den Import von Speiseölen stoppen können – eine Absurdität in einem Land, welches Erdnüsse, Mais und Sonnenblumen produziert. Wir hätten uns an das Volk wenden können, mit seiner langen Erfahrung der Landarbeit. Die Landreform wäre kein Problem gewesen, denn nur eine kleine Minderheit der Bauern waren Landbesitzer, die meisten davon, weil die Revolution ihnen das Land gebeben hatte. Wir hatten ein funktionierendes Transportsystem, die Verteilung wäre also kein Problem gewesen. Selbst die Freiberufler – unter ihnen 10.000 Mediziner – unterstützten die Revolution. Die konterrevolutionäre Bourgeoisie war schon in die USA geflohen, was für ein Glück, dass wir die los waren. Es gab zur Revolution nirgendwo auf Kuba eine wirkliche Opposition. (Natürlich existierte im Ausland eine Opposition, aber die hätte nicht ohne die Unterstützung der USA die Revolution stürzen können.)“
Franqui fährt mit einer Schilderung der wütenden Debatten zwischen den Führern der Revolution fort, welche Richtung man einschlagen solle: Richtung stärkerer Kontrolle und Verwaltung durch die Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft oder hin zum russischen „Sowjet-Modell“. Wie auch Che Guevara hatte Franqui keine klare Vorstellung was getan werden müsste, aber seine Bemerkungen zeigen, dass es Widerstand gegen die verstärkte Anlehnung an das stalinistische Russland und die unvermeidlich damit zusammenhängende Bürokratisierung gab.
„Wir hätten einfach dem Volk die Macht geben müssen – nicht einem Militärdiktator. Wir brauchten das russische Modell oder irgendeinen sowjetischen Einfluss nicht. Unsere These war, wie Kommandant Daniel in einer Polemik mit Che Guevara formulierte: ‚Wir wollen frei sein vom Yankee-Imperialismus, aber wir wollen nicht dem russischen Imperialismus in die Arme laufen, wir vor den USA weglaufen.“67 … Russische Ersatzteile waren nutzlos für die in den USA hergestellten Maschinen. Russland produzierte nicht die Dinge, die wir brauchten. Und die russische Wirtschaft, nicht sozialistisch sondern vom Staat kontrolliert, hatte schon in Osteuropa und China ihre mangelnde Effizienz bewiesen. Außerdem neigen Großmächte dazu, die Kleinen zu kontrollieren. In Unterhaltungen mit Fidel formulierten wir unsere Sorgen über die Sowjetunion und ihr Modell, vor allem über ihre Tendenz zum Staatsmonopol anstatt wirklichen Sozialismus‘. Einige von Fidels Entscheidungen machten uns Kopfzerbrechen: Staatsfarmen statt selbstverwalteter Kooperativ-Farmen. Eine Tendenz zum Gigantismus: wo es große Plantagen gab, vereinte Fidel zehn und machte daraus eine Superplantage. Wir wollten eine bäuerliche Landwirtschaft, so dass der Gehorsame gegenüber dem alten Boss nicht durch die Unterordnung unter einen neuen Verwalter, der alte Eigentümer nicht durch den Staat als Eigentümer ersetzt werden würde. Aber Fidel hatte einen angeborenes Misstrauen gegenüber dem Volk, er zog die Militarisierung der Organisation vor. Er dachte auch, dass im Frieden und der Wirtschaft die gleichen Regeln wie im Krieg und im Guerilla-Kampf gelten – dass eine Gruppe von Führern alles ändern könnte. Aber so war es eben nicht.“
Er zeigt weiterhin auf, dass Fidel Castros Strategie war „die Sowjetunion durch die schnelle Übernahme der Strukturen des sowjetischen Staates – die kommunistische Partei und den Staatssicherheitsdienst – hineinzuziehen. Aber selbst die sowjetisch Regierung wollte diesem Wunsch nicht nachkommen. Die Sowjets rieten zu Geduld und warnten uns beständig, vorher und nachher, Kuba in einen sozialistischen Staat umzuwandeln. Alle sowjetischen Botschafter und Gesandten – selbst Chrustchow und Mikojan – verlangten Ruhe und Geduld. So auch China und die Ostblockstaaten. Sie waren alle über den beschleunigten und künstlichen Prozess von Verstaatlichungen geschockt, der auf Kuba stattfand. Je mehr sie sich Sorgen machten, desto mehr drückte Fidel aufs Tempo. Er stellte sich eine neue Form von Regierung vor – eine russische Strukur mit sich selbst an der Spitze – welche für die Nationen der Dritten Welt perfekt wäre. In dieser Struktur wäre es die Rolle des Volkes zu arbeiten und zu gehorchen. Fidel dachte, dass die Teilnehmer an der Revolution nicht bereit für den Sozialismus wären. Das war nicht wahr: wir waren nicht bereit für den russischen Nicht-Sozialismus, nicht bereit für einen neuen caudillo [Führer]. In einer Diskussion mit mir sagte Fidel, dass die einzigen Leute auf Kuba, die was vom Sozialismus verständen die alten Kommunisten seien und dass ich meine Vorurteile gegen sie und die Sowjetunion ablegen solle. Er meinte, und sagte das auch, dass das Volk nicht bereit für den Sozialismus war und dass der Stalinismus die einzige Möglichkeit einer revolutionären Minderheit in der Sowjetunion gewesen sei, die Revolution gegen eine nicht-revolutionäre Mehrheit durchzusetzen. Ich muss betonen, dass zu diesem Zeitpunkt kein politischer Apparat in Kuba existierte. Fidel hatte die Bewegung des 26. Juli in der Versenkung verschwinden lasssen und hatte das Direktorium durch zwei Reden im Januar 1959 für erledigt erklärt. Die freien Gewerkschaften, die Volksmilizen, die revolutionäre Presse und ihre Anhänger kämpften gegen die Reaktionäre, die alten Kommunisten und den sowjetischen Einfluss. Raúl, Ramiro, Che und auch Fidel selbst begannen uns zu attackieren. Die Regierung hatte ihren Krieg gegen das Volk begonnnen. Das Volk leistete Widerstand, aber Fidel besaß die Macht, welche das Volk vom Hauptakteur zu untertänigen Dienern machte.“
Der einfache Spruch „Wess‘ Brot ich ess“, dess‘ Lied ich sing“ trifft auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen Kuba und dem russischen stalinistischen Regime zu. Chruschtschow war bereit, Hilfe zu geben, um die Position des russischen Stalinismus zu verbessern. Das wurde nicht etwa getan, um in der Welt Revolutionen anzustoßen, sicher nicht, um einen „gesunden Arbeiterstaat“ aufrechtzuerhalten. Tatsächlich, das zeigen Franquis Äußerungen, wollte die stalinistische Bürokratie nicht einmal einen deformierten Arbeiterstaat auf Kuba aufbauen. Sie tat nichts, um Castro zu seinem Kampf zu ermutigen und wie das Beispiel von Nicaragua in den 80ern zeigt, griff sie ein, um Staaten in der neo-kolonialen Welt daran zu hindern, mit Großgrundbesitz und Kapitalismus zu brechen, wenn sie eine Wahl hatte. Ihr Hauptmotiv war, die Lage des russischen Stalinismus zu stärken, vor allem im Vergleich mit den USA. (Die DSP liegt weit daneben, wenn sie uns dafür kritisiert, den Ausdruck „russisch“ in bezug auf die UdSSR zu verwenden. Alle Staaten der „UdSSR“ wurden in der Realität von der zentralisierten russischen Bürokratie dominiert.) Während sie nicht von Beginn an die Bildung eines deformierten Arbeiterstaates unterstützten, waren Chruschtschow und der russische Stalinismus allerdings bereit, zu seiner Hilfe zu eilen, als die Fakten geschaffen waren. Sie taten dies aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt, weil solch ein Regime ein Unruhestifter im Hinterhof des US-Imperialismus wäre.
Die DSP und Lorimer macht viel Aufhebens darüber, dass Castro die Bildung der Miliz genehmigt hatte und die Privilegien der Staats- und Armee-Funktionäre sehr begrenzt waren. Er zieht einen für Kuba vorteilhaften Vergleich zu China. Er vertritt die irrige Annahme, dass in den 60er und 70er Jahren die Unterschiede im Lebensstandard der chinesischen Arbeiter und Bauern zu den Spitzen der Bürokratie größer waren als die zwischen den russischen Arbeitern und den obersten Sowjet- Bürokraten. Mal ganz abgesehen von der nackten Statistik waren die Unterschiede in der Sowjetunion sehr viel größer, wenn man die versteckten Privilegien der dortigen Bürokratie einrechnet. In China konnte es in der ersten Phase nach Maos Sieg auf der Grundlage des niedrigen wirtschaftlichen und kulturellen Niveaus der Gesellschaft ohnehin keine großen Einkommensunterschiede geben. Selbst in der ersten Phase der stalinistischen Entartung in Russland waren die offiziellen Privilegien der wachsenden bürokratischen Elite nicht sehr groß. Die Erinnerung an die Revolution mit ihrem Ideal der Gleichheit war immer noch relativ frisch. Erst die zunehmende Isolierung der russischen Revolution durch die Niederlage von Revolutionen in anderen Ländern – welche wiederum das Ergebnis der falschen Politik Stalins und seiner Gefolgschaft waren – bereiteten den Boden für die Beseitigung der egalitären Prinzipien der Revolution und für das Auseinanderklaffen der Einkommensschere.
In Kuba waren die Einkommensunterschiede zu Anfang sehr klein, Castro und Guevara – der letztere auf jeden Fall – bezogen zu diesem Zeitpunkt eher weniger den kubanischen Durchschnittslohn. Da jedoch die Basis der Bewegung des 26. Juli schmal war, waren Castro und Guevara gezwungen, Posten an die stark bürokratisierte PSP zu vergeben und auch die Teile der alten Bürokratie zu nutzen, die zur Revolution übergelaufen waren. Eine Sache ist klar: alle maßgeblichen Zeitzeugenberichte über die Geschichte Kubas zeigen, dass kein System von Arbeiterkontrolle und -verwaltung, in dem Sinn, wie es Marxisten verstehen, existierte. Carlos Franqui sagt über die Situation am Anfang: „Kuba war keine neue, von unten aufgebaute Gesellschaft, sondern eine Gesellschaft, in der die Arbeiter eine Produktivkraft waren, gegenüber den Anweisungen der Machthaber zum Gehorsam verpflichtet. Die Macher dieser neuen Gesellschaft waren Fidel, zehn Commandantes und die Mitglieder der alten Kommunistischen Partei. Es kam zu einer Fusion des russischen Modells und dem neuen diktatorischen Militarismus von Fidel Castro. In einer beiläufigen Diskussion mit ihm drückte ich meine Besorgnisse über die Entwicklung aus und er machte eine Bemerkung, die mich bis ins Mark erschütterte: ‚Nur die alten Kommunisten und die Sowjets wissen alles über den Kommunismus. Wir müssen geduldig sein und von ihnen lernen.‘ Ich sagte, ich kannte die kubanischen Kommunisten besser als er und dass diese nichts über den Kommunismus wüssten. Ich sagte ihm, sie seien unpopulär, die Leute betrachteten sie nicht als Revolutionäre und sie hatten mit Batista gemeinsame Sache gemacht. Sie hatten gegen die Revolution von 1930 gekämpft, die Arbeiterbewegung ruiniert, den Sturm auf die Moncada-Kaserne verurteilt, hatten das Sierra-Unternehmen und den Untergrundkampf abgelehnt und sich auf die Seite der Tyrannei geschlagen. Fidel sah das auch so aber bestand darauf, dass Kuba die Kommunisten brauchen und von ihnen lernen würde. Ich sagte ihm, er solle vor den Kommunisten aus der zweiten Führungsschicht, den Jüngeren aus der Prag-Mexiko-Gruppe, unter ihnen Anibal Escalante und Isidoro Malmierca, auf der Hut sein, da sie Stalinisten mit engen Verbindungen nach Moskau seien. Fidel bestand darauf, dass sich in revolutionären Situationen oft gezeigt hatte, dass das Volk noch nicht bereit war und eine revolutionäre Minderheit sich der Sache annehmen und den Sozialismus dem Volk aufzwingen müsse. Das war eine Entschuldigung für Stalinismus. Ich konnte es kommen sehen und es gab keinen Ausweg. Aber was konnte das Volk sehen? Es sah, wie die Revolution Eigentum verstaatlichte, Industrien in ausländischem Besitz enteignete. Es sah, wie die alte Ordnung verschwand und Kuba nationale Unabhängigkeit und Würde wiedererlangte. Es konnte auch die mächtige CIA und die Kapitalisten sehen, die von außerhalb des Landes Feldzüge organisierten. Die Arbeiter unterstützten ihre Gewerkschaften so gut sie konnten. Sie wussten, dass die Anschuldigungen gegen die Gewerkschaftsführung falsch waren. Das Einzige, dessen die Gewerkschaften schuldig waren, war, dass sie nicht militant kommunistisch waren. Dies war allerdings so, denn sie hatten ihren Ursprung in den Parteien der Auténticos und Ortodoxos, die wiederum als Ergebnis der Revolution von 1930 entstanden waren, welche Batista zerstört hatte. Warum die Revolution ihr eigenes Kind, die Arbeiterklasse, verschlang, war unerklärlich.“
Er beschreibt weiterhin einen Streit im Präsidentenpalast zwischen ihm und Raúl Castro. Che Guevara war anwesend. Dieser Dialog ist sehr aufschlussreich. „‚Du bist anti-sowjetisch“, meinte Raúl zu Franqui. ‚Schau, Raúl, wenn die Russen wirklich Sowjets wären, wäre ich auf ihrer Seite. Die Partei hat die Sowjets [=Räte] sofort liquidiert. Dein Problem ist, dass du denkst, Bürokratie und Sowjets wären ein und dieselbe Sache. Das andere ist, dass du Stalin liebst, den Mann, der ein Feind des Volkes war, den neuen Zar, der Tausende Bolschewiki und Millionen Unschuldige tötete.’ Raúl schrie mich an: ‚Niemand greift Stalin an, wenn ich dabei bin.’ ‚Wirklich? Hör zu, Raúl, als ich zum ersten Mal in Moskau war, nannte ich ihn einen motherfucker, direkt vor dem Mausoleum, vor den ganzen Russen. Ich mach es noch mal für dich, gleichhier, wenn du magst.‘ Da drehte er durch, mit Schaum vor dem Mund und brüllte sich die Seele aus dem Leib.
Dorticós, [damals kubanischer Präsident, der später Selbstmord beging, als er von Castro vorzeitig aus dem Amt entfernt wurde], wie immer ganz der clevere Anwalt, kam rein. ‚Dieser Gentleman ist ein Trotzkist’, sagte er. Ich bestritt dies, fügte aber hinzu, dass er mich jederzeit einen Anti-Stalinisten nennen könne. Ich sagte weiterhin, dass ich meine Gedanken nie verheimlicht hatte wie einige andere, die ich kenne. Ich hatte im Miguel-Schultz-Gefängnis gegenüber Fidel selbst meine Einstellung zu Stalin, Macht, Bürokratie und Unterdrückung beschrieben. Ich sagte, ich wäre froh, wenn wir über die Invasion und Besetzung von Polen, Budapest und Prag reden würden. ‚Was wäre, wenn wir dich an die Wand stellen würden? Die Geschichte würde uns Recht geben’, meinte Raúl. ‚Die Geschichte gab uns Recht, als wir uns gegen Batista erhoben. Aber jetzt, wo du an der Macht bist und töten kannst wie ein Batista, wirst du lernen, das du dich selbst zum Untergang verdammmst, genau wie Batista. Du kannst dir deine Drohungen sparen“, antwortete ich. ‚Ich erschieß dich sofort, hier.’ Ich riss mein Hemd auf und schrie: ‚Schieß wenn du weißt wie!‘ (Man soll nicht denken, dass ich nicht die lustige Seite dieses theatralischen Mists sah. Ich hatte meinen Spaß.) Dann beruhigte sich Raúl wieder. Ich fühlte mich lächerlich. Aleida March meinte, sie würde jetzt gehen, da sie Leute, die sich so verhalten, nicht ausstehen könne. Dorticós versuchte noch einmal, seinen Trotzki-Trick anzuwenden. Ich drehte mich zu ihm um und sagte: ‚Das ist nicht mein erster wilder Streit mit Raúl, aber ich habe nicht die Absicht mit Leuten wie ihnen zu streiten, die nicht einmal bei der Revolution dabei waren.‘ Sein Kinn zitterte. Das erinnerte mich an Camilo Cienfuegos Lachen, wenn er Leute wie Dorticós oder Augusto Martínez Sanchez beschrieb und ihr zitterndes Kinn, wenn sie Angst haben. Dorticós, weiß vor lauter Wut, wurde polemisch: ‚Mein Herr, sie beleidigen das Amt des Präsidenten.’ ‚Die einzige Person, die hier beleidigt wurde, bin ich’, war meine Antwort.“
Auf der einen Seite haben wir Franqui, ein wichtiger Teilnehmer der Revolution, verwirrt, aber hochgradig alarmiert über die stattfindende Bürokratisierung. Er versuchte sie, durch Demokratie unter Kontrolle zu bekommen. In der Zeitschrift, die er damals herausgab, veröffentlichte er unter anderem auch Artikel von Trotzki. Dieses und sein Misstrauen gegenüber der wachsenden bürokratischen Elite brachten Dorticós dazu, ihn mit dem Schimpfwort „Trotzkist“ zu belegen. Für die Bürokratie, die sich auf Kuba damals entwickelte, die durch Typen wie Dorticós repräsentierte privilegierte Funktionärsschicht, war das das absolute „Verbrechen“. Wie kann man diese Erkenntnisse ignorieren oder dazu schweigen? Dorticós‘ Schmähungen kamen von einem Menschen, der nicht in der Revolution gekämpft hatte und den Aufstieg einer Bürokratie symbolisierte. Das macht deutlich, was damals in Kuba geschah. War es ein Missverständnis, eine unglückliche Wortwahl? Im Gegenteil. In der Politik ist die Sprache nicht zufällig, besonders, wenn die zentralen Interessen von Klassen oder Kasten betroffen sind. „Trotzki“ und „Trotzkismus“ bedeuten für jede herrschende Klasse und jede bürokratische Gruppe auf der Welt das gleiche: eine Bedrohung ihrer Herrschaft durch eine bewusste Arbeiterklasse.
Selbst wenn in Kuba ein gesunder Arbeiterstaat errichtet worden wäre, hätte die Entartung unvermeidlich begonnen, wenn die Revolution nicht international, vor allem nach Mittelamerika und Lateinamerika insgesamt, ausgebreitet worden wäre. Aber wie wir sehen können, herrschte die kubanische Regierung fast von Beginn an durch die neugebildete „Kommunistische“ Partei und die CDR. Dies führte dazu, dass die Unterstützung durch die Arbeiterklasse von oben angezapft wurde. Tad Szulc machte folgende Bemerkung über die CDR (bei seiner Arbeit an dem Buch hatte er sich ausführlich mit Castro unterhalten): „Ein professioneller Sicherheitsdienst wurde nicht als ausreichend angesehen und am 28. September, dem Tag nach seiner Rückkehr aus New York, verkündete Castro die Gründung der Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR), ein System der kollektiven Wachsamkeit des Volkes. Die CDR waren Castros Erfindung – so etwas existierte nicht einmal in der Sowjetunion. Ihre ersten Aufgaben waren, Polizei und Staatssicherheit zu informieren, wenn sich Fremde in der Nachbarschaft herumtreiben (es gab ein CDR für jeden städtischen Häuserblock, für jede Plantage und jede Farm), wenn sich Bürger kritisch über das Regime äußerten usw. Castro schätzte 1986, dass 80 Prozent der Bevölkerung den CDR angeschlossen sind, ein bisher nicht gekanntes Sicherheitsnetzwerk. Heute sind die CDR auch für Schutzimpfungen von Kindern und andere kommunale Dienste zuständig.“
Lorimer antwortet auf unserer Kritik an der Rolle der CDR: „Taaffe scheint sich nicht im Klaren darüber zu sein, dass die CDR gegründet wurden, um eine repressive Funktion zu erfüllen – um die Masse der Arbeiter und Bauern zu organisieren, um (wie schon der Name sagt) konterrevolutionäre Aktivität, Sabotage und Terrorismus, zu unterdrücken.“
Um sich alle Wege offen zu halten, behauptet er einige Seiten weiter: „Zwischen 1974 und 1975 wurden auf der Basis der CDR repräsentative Institutionen der Arbeiterdemokratie auf Stadtteil-, Stadt-, Provinz- und landesweiter Ebene geschaffen – die Organe der Volksmacht. Das sind keine gesetzgeberischen Organe wie im parlamentarischen Modell, sondern arbeitende Gremien, die gesetzgeberische und ausführende Funktionen vereinen. Es sind repräsentative Institutionen vom Typ der frühen russischen Sowjets.“ Lorimer hat keine Vorstellung davon, wie Einrichtungen, die mit Unterstützung und Billigung der Massen geschaffen wurden, um gegen die kapitalistische Konterrevolution vorzugehen, bei einer Änderung der Lage – durch verstärkte Bürokratisierung – in ihr Gegenteil verwandelt werden können, in eine Waffe gegen Marxisten, Sozialisten und die Kritiker eines bürokratischen Regimes. Die Tscheka, der Sicherheitsdienst der bolschewistischen Macht, war ursprünglich genutzt worden, die Arbeiterdemokratie zu verteidigen und die bürgerliche Konterrevolution zu unterdrücken. Diese Sicherheitspolizei verwandelte sich in den Samurai der stalinistischen Konterrevolution, obwohl die äußere Form die gleiche blieb wie in der heroischen Phase zuvor. Die Tscheka wurde unter veränderten Umständen dazu genutzt, diejenigen zu unterdrücken, die für die Arbeiterdemokratie und die ursprünglichen Ziele der Revolution eintraten.
Die Unterdrückung der Schriftsteller
Natürlich kann man die CDR selbst heute nicht mit der NKWD oder der GPU vergleichen, aber ein Teil ihrer Repression ist nicht gegen kapitalistische Konterrevolutionäre, sondern gegen die gerichtet, die das Castro-Regime von links kritisieren, mehr Freiheit und Offenheit verlangen oder die sich Richtung der Idee der Arbeiterdemokratie bewegen. Lorimer argumentiert, Castro wäre der moderne Lenin. Hätte sich Lenin mit dem russischen stalinistischen Regime und seiner Presse gut ? Die Prawda, die erste revolutionäre Zeitung der Bolschewiki, war von der Bürokratie zu ihrem Sprachrohr gemacht worden, um jedes Verbrechen Stalins und der Stalinisten gegen die Arbeiterklasse zu rechtfertigen. 1968, vier Jahre nachdem Breschnjew Chrustschow ersetzt hatte, meinte Castro bei einem Besuch der UdSSR, „in vollem Ernst, die Prawda wäre die beste Zeitung der Welt.“ Lorimer versucht in skandalöser Weise die Verfolgung von Dichtern, Schriftstellern und anderen, die der Revolution sympathisierend gegenüberstanden, zu rechtfertigen. Tad Szulc gibt reichlich Informationen über die Unterdrückung dieser Schicht von 1969 bis in die Mitte der 70er und darüber hinaus. Er schreibt: „1970 entdeckten die bekanntesten kubanischen Schriftsteller und Dichter auf einmal, dass kein Verlag, keine Zeitschrift ihre Arbeiten drucken würde, ohne jede Erklärung. Dieser geheimnisvolle Bann sollte bis zur Mitte der 70er Jahre anhalten.“
Lorimer entschuldigt sogar die Unterdrückung, von der Herberto Padilla im März 1971 betroffen war. Eine frühere trotzkistische Organisation versteigt sich dazu, Padillas „Selbstkritik“, die geradewegs der stalinistischen Schule der Selbsterniedrigung entsprungen ist, zu rechtfertigen. Tad Szulc berichtet weiter: „Castro befürwortete eindeutig das Durchgreifen gegen die kubanischen Intellektuellen, denn die Verhaftung des Dichters Herberto Padilla im März 1971 musste von ihm persönlich autorisiert werden. Diese Verhaftung führte dazu, dass einige beeindruckende europäische und lateinamerikanische Intellektuelle, darunter Sartre und Garcia Márquez, an Castro schrieben und Padillas Freilassung forderten. 37 Tage später wurde er freigelassen, nachdem er seine Selbstkritik vorgetragen hatte und andere Schriftsteller aufforderte, es ebenso zu machen. Seine Freunde sahen in ihm einen ‚Verräter“, aber Padilla blieb weitere zehn Jahre in Kuba und arbeitete als Übersetzer für fremdsprachige Literatur. Er ging schließlich 1981, nachdem Garcia Márquez noch einmal persönlich an seinen Freund Fidel appelliert hatte. Selbst die untertänige UNEAC [Kubanische Schriftsteller Vereinigung] protestierte in einem Brief an Castro gegen die lang anhaltende Haft von Homosexuellen in den militärischen Zwangsarbeitslagern und am Ende wurden sie herausgelassen. Die Affäre hinterließ allerdings eine hässliche Narbe auf dem Angesicht der kubanischen Gesellschaft.“
Die DSP behauptet, dass die Padilla-Affäre „unglücklich“ war, aber so etwas seitdem nicht mehr vorgekommen ist und dies die Offenheit und die literarische und kulturelle Freiheit auf Kuba zeigt. Tad Szulc sagt darüber: „Castros repressive Kulturpolitik hatte der Kreativität in seinem Land einen tödlichen Schlag versetzt. Selbst 1986 war das Land ein Ödland der Ideen, unter der Herrschaft einer strikten Selbstzensur. Es kann Generationen dauern, bis Kuba zur freien Kultur wie zur Zeit Jose Martís zurückkehrt.“ Lorimer verwendet die gleiche oberflächliche Herangehensweise, wenn er über die angebliche „Arbeiterdemokratie“ und die „Volksmacht“ schreibt, die laut ihm in Kuba existieren. Über die von Castro so genannte „Institutionalisierung“ der Revolution durch die Einführung der neuen kubanischen Verfassung am 24. Februar 1976 schreibt wiederum Tad Szulc: „Im Laufe der vergangenen 17 Jahre haben das Grundgesetz, was sofort nach dem Sieg von der ersten revolutionären Regierung verfasst wurde und buchstäblich Tausende Gesetze und Erlasse den rechtlichen Rahmen des kubanischen Staates dargestellt – es gab allerdings niemals Zweifel darüber, wo die Macht tatsächlich lag.“
Mit anderen Worten, Castro und seine Gefolgschaft übten die Macht unabhängig von den geltenden Gesetzen aus. Es fand eine landesweite Diskussion über die Verfassung , in der die Bildung von „vom Volk beherrschten Strukturen der lokalen Selbstverwaltung mit einer Nationalversammlung an der Spitze“ wurde, die gesetzgeberische Funktionen haben sollte und als „das oberste Organ der Staatsmacht“ beschrieben wurde. Es gab Differenzen darüber, nach welcher Methode die Abgeordneten zur Nationalversammlung gewählt werden sollten, zwischen denjenigen, die direkte Wahlen wollten und denjenigen, die vorschlugen, dass die „örtlichen Versammlungen der Volksmacht“ Kandidaten auswählen sollten. Direkte Wahlen hätten den Wählern zumindest theoretisch ermöglicht, ihre Stimme im Entscheidungsprozess einzusetzen wohingegen die zweite Variante – Nominierungen für die Nationalversammlung durch örtliche Versammlungen – in der kubanischen Situation bedeutet hätte, dass eine Manipulation durch die Kandidatenkür auf lokaler Ebene möglich gewesen wäre. Im ersten Entwurf stand noch, dass die Deputierten die Politik des Staates erklären und ihren Wählern regelmäßig Rechenschaft sollten. Aber Tad Szulc berichtete, dass dies als „katastrophal für die Zentralregierung“ betrachtet wurde, vor allem im Fall einer direkten Wahl. Der Streit darüber war so tiefgehend, dass das Wahlverfahren bei der Volksabstimmung am 15. Februar 1976 überhaupt nicht mehr erwähnt wurde. Szulc kommentiert: „Erst nachdem 97,7 Prozent der Wähler sich für die Vorlage ausgesprochen hatten, fügte die Zentrale Vorbereitungskommission unter dem Vorsitze von Fidel Castro hinzu, dass ‚Die Nationalversammlung … sich aus Deputierten zusammensetzt, die von den örtlichen Versammlungen gewählt werden.‘. Das war das Ende des ersten größeren Versuches den kubanischen Marxismus zu demokratisieren.“
In der Verfassung wurde Kuba als „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern und aller anderen manuellen und intellektuellen Werktätigen“ definiert, mit der „Kommunistischen“ Partei als „wichtigste führende Kraft der Gesellschaft und des Staates, welche die gemeinsamen Anstrengungen auf dem Weg zum Aufbau des Sozialismus und dem Weiterschreiten zur kommunistischen Gesellschaft organisiert und leitet.“ Sie preist auch Jose Martí, der „uns zum revolutionären Sieg des Volkes geführt hat“, dann Fidel Castro, unter dessen Führung „die siegreiche Revolution fortgeführt werden wird.“ Wieder kommentiert Tad Szulc: „Es wurde in den Verfassungstext eingebaut, dass Castro faktisch zum Führer auf Lebenszeit ernannt wurde, mit dem Ergebnis, dass es verfassungsfeindlich wäre, gegen ihn aufzutreten (und nicht nur ‚konterrevolutionär’). Den Regelungen der Verfassung folgend wählte die Nationalversammlung einen 31-köpfigen Staatsrat, darunter Fidel Castro als dessen Präsident und Raúl Castro als ersten Vizepräsident. Als Präsident des Rates wurde Castro ‚Oberhaupt des Staates und der Regierung‘. So wurde die totale Macht bei ihm konzentriert, als Präsident von Kuba, Vorsitzender des Ministerrates, erster Sekretär der Kommunistischen Partei und militärischer Oberbefehlshaber.“
Raúl Castro als „Erster Vizepräsident und Armee-General“ wurde automatisch als Nachfolger seines Bruders vorgesehen. Fidel Castro „sagte in vollem Ernst, dass die Schaffung der Institutionen die Kontinuität der Revolution gesichert hätten – auch nach seinem Tod. Er sagte ohne eine Miene zu verziehen, dass er nicht mehr gebraucht würde, weil schließlich sein Bruder Raúl sein Nachfolger wäre (dies wäre automatisch so, weil er die Führungsqualitäten habe und nicht weil er sein Bruder sei).“ Szulc beschreibt weiter: „1986, nach zwei weiteren, alle fünf Jahre stattfindenden Kongressen der Kommunistischen Partei, war alles beim Alten geblieben. Fidel Castro war der einzige und maßgebliche Autor und Vermittler aller in Kuba getroffenen Entscheidungen. Die Nationalversammlung hielt zwei jährliche Versammlungen ab, wie in der Verfassung beschrieben, aber diese dauerten nur zwei oder drei Tage.“
All dies wird von Lorimer mit dem Staat, der von Lenin und Trotzki 1917 bis 1923 aufgebaut wurde, gleichgesetzt. Allein dies zeigt, wie durcheinander die Führer der DSP in bezug auf die Frage der Arbeiterdemokratie sind. Das ist aber nicht nur durcheinander, sondern auch extrem gefährlich. Die DSP ist verantwortlich für die verwirrte politische Ausbildung von potentiell wichtigen revolutionären Kräften vor allem in Asien.
Gibt es eine privilegierte Elite?
Lorimer verbraucht viele Seiten bei dem Versuch zu erklären, dass in Kuba keine Elite existierte oder heute existiert. Tatsächlich meint er, dass die Macht durch die Arbeiter und Bauern ausgeübt wurde und wird, in der gleichen Weise wie in Russland direkt nach der Revolution. Er bleibt allerdings den Beweis schuldig und äußert sich höhnisch darüber: „Da ist der ‚Beweis‘ meint Taaffe: ‚… schon 1963 beschreibt KS Karol, dass er in einer Fabrik einen Ingenieur getroffen hat, der 17 mal so viel verdient hat wie ein Arbeiter! Er nennt andere Vergünstigungen und Privilegien der Bürokratie wie ‚hochklassige‘ Restaurants wie ‚Monseñor’, den ‚Turm“, das ‚1830’, das ‚Floridita’, welche gewaltige Preise für ein Essen verlangen. Auf der Parteikonferenz der KP 1975 wurde beschlossen, Kubanern zu erlauben, Autos zu kaufen – was bis dahin ein Vorrecht der Partei- und Staatsfunktionäre war! ‚Das sind alle ‚Beweise‘ die Taaffe anführt, um seine Auffassung zu stützen.’“
Lorimer bietet eine ganze Reihe von Entschuldigungen auf, um die Privilegien zur rechtfertigen. Sie laufen darauf hinaus, dass die Nobel-Restaurants nur für ausländische Touristen waren und dass vor 1975 Autos das Vorrecht des Staates waren. Aber spricht das gegen das Argument von Karol, dass dieses „Staatseigentum“ fast aussschließlich von den Staatsfunktionären genutzt wurde? Guevara, der ein sehr bescheidenes Leben führte und weniger annahm als sein offizielles Gehalt, erkannte die bürokratischen Tendenzen schon kurz nach der Revolution – ganz zu schweigen von heute – und zeigte keine Toleranz gegenüber seinen Gefolgsleuten, die solche Tendenzen erkennen ließen.
Jon Lee Anderson gibt dafür Beispiele. Er schreibt: „Es war allgemein bekannt, dass Che verzichtete, Gehalt anzunehmen, das ihm als Präsident der Nationalbank zustand. Auch als Industrieminister hielt er sich an diese Praxis und nahm standhaft nur seinen spärlichen Sold als Commandante in Anspruch. Orlando Borrego, inzwischen stellvertretender Minister, fühlte sich daher verpflichtet, ebenfalls nur eine entsprechende Summe seines Gehalts einzubehalten, und überließ den Rest einem Fonds zur Landwirtschafsreform. Es wäre unschicklich gewesen, mehr Geld als der eigene Vorgesetzte zu verdienen.“
Anderson kommentiert außerdem: „Nicht alle von Ches Genossen, darunter auch einige seiner Mitarbeiter in der Führung des Ministeriums, bewunderten seinen offen zu Schau gestellten revolutionären Geist … als die Reichen aus Kuba geflohen waren, hatten sie einen große Menge Autos hinterlassen, die sofort verstaatlicht wurden. Die verschiedenen Ministerien stellten diese ihren Funktionären und einigen Angestellten zur Verfügung. Borrego hatte ein gutes Exemplar erhalten. Während eines Besuches einer Zuckerfabrik hatte deren Verwalter einen brandneuen Sportwagen von Jaguar ausgesucht, der von seinem Vorbesitzer zurückgelassen worden war und hatte vorgeschlagen, dass Borrego ihn nehmen solle, weil niemand anders wisse, wie man damit umgehen kann. Borrego verliebte sich sofort in das Auto und raste damit rund eine Woche stolz herum. Bis zu dem Tag, als er ihn in die Garage fuhr, in der Che und er ihre Autos parkten und Che ihn erblickte. Er ging zu ihm und rief: ‚Du bis ein chulo – ein Zuhälter.“
In diesem Fall konnte der auf Gleichheit bedachte Che Guevara die Tendenz eines Ministers zum Bürokratismus erkennen und stoppen. Aber angesichts der Isolation der kubanischen Revolution und ihr Sich-Stützen auf das stalinistische Russland konnte so die bürokratische Entartung insgesamt nicht verhindert werden. Natürlich, wir haben das schon ausgeführt, waren die Privilegien der Elite relativ bescheiden, solange die Lava der Revolution noch nicht abgekühlt war, vor allem, wenn man sie mit dem luxuriösen Lebensstil der Eliten in den stalinistischen Staaten Osteuropas, in Russland und selbst in China vergleicht. Aber die Privilegien bestanden nicht nur in Gehältern, die 17 mal so hoch wie die von Arbeitern waren – Lorimer bezeichnet das als eine Abweichung in nur einer Fabrik. Sie bestehen auch aus den Nobel- Restaurants, die es in Kuba gab und immer noch gibt – nicht nur für Touristen, sondern auch für die privilegierten Funktionäre.
Wenn Lorimer unsere Beweise oder die von Karol nicht akzeptieren möchte, was ist mit den Schlussfolgerungen von François Maspero in seiner Einleitung zu Janette Habels wichtigen Buch „Kuba – Revolution in Gefahr?“. Beide Autoren stehen der DSP von ihrer Tradition her näher. Habel ist ein führendes Mitglied des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale (VS). Maspero sagte, er sei „wieder der Vierten Internationale beigetreten“, damit meint er wahrscheinlich das VS. Diese Organisation hatte in der frühen Phase der Revolution Illusionen in Kuba. Er schreibt: „Es stimmt ja, es ist unnötig, Wortspiele zu betreiben: Auf Kuba existiert keine Demokratie. Menschenrechte hat es dort nicht gegeben und sie werden dort nicht respektiert: in den schlimmsten Zeiten wurde die Zahl von 80.000 Gefangenen erreicht. Und weder das Recht auf freie Information, noch das Recht auf Meinungsfreiheit, noch das Recht auf Ausreise wird gewährt.“ In Bezug auf Karol, dessen Aussage Lorimer verwirft, schreibt er: „K. S. Karol, der – von Fidel Castro persönlich dazu ermutigt – eine gewissenhafte Analyse der castristischen Macht vorgelegt hat, die bis heute die ehrlichste und vollständigste Quelle dieser Zeit geblieben ist, machte damit gewisse Erfahrungen; ebenso erging es René Dumont, der sich in seiner gewohnten Offenherzigkeit zu Fragen der Landwirtschaft und des Sozialismus geäußert hatte: Fidel denunzierte sie vor einer halben Million KubanerInnen, die schon ganz anderes vernommen hatten, als CIA-Agenten.“
Castro fühlte sich durch Karols ausführlich belegte Kritik herausgefordert. Ergebnis war, dass Karols Buch und seine Name in Kuba geächtet wurden. In den ersten Jahren waren Privilegien und Korruption noch begrenzt, nahmen aber später deutlich zu. Habel widmet der Korruption innerhalb der Bürokratie, die sich in den 80er Jahren im ganzen Land ausbreitete, fast ein ganzes Kapitel. Hier nur einige Beispiele ihrer Nachforschungen: „Die Verschwendung und allseits bekannte Korruption hatten bei den Lohnabhängigen – bei der Basis des Systems – angesichts der Bereicherung bestimmter Teile der Bauernschaft und wegen der Privilegien, die die Verwaltungsbürokratie und die hohen Funktionäre des Wirtschafts- und Staatsapparates genossen, zur Verärgerung geführt. Zusätzlich zu den vorhandenen Hinweisen auf Unwirtschaftlichkeit, Verschwendung, Diebstahl und Warenunterschlagung, waren der Schwarzmarkt, der Handel mit Devisen, die Prostitution und Kleinkriminalität in den neu entstehenden Zentren des Tourismus hinzugekommen. In den ersten Jahren nach der Revolution waren diese gesellschaftlichen Fehlentwicklungen beträchtlich zurückgegangen, ja sogar verschwunden. Im Juni 1986 hatte das Politbüro der Kommunistischen Partei Kubas eine ‚gründliche Analyse über die Kriminalitätsproblematik und Fälle von ‘antisozialem Verhalten‘ mit dem Schwerpunkt Havanna vorgelegt und darin auf Fälle von ‚Aggression, Gewalt gegen Personen und Vandalismus, die in der Hauptstadt aufgetreten waren’, hingewiesen.
Wenig mehr als ein Jahr später hatten sich hohe Funktionäre in die USA abgesetzt, wobei sie entweder beachtliche Deviseneinnahmen unterschlugen oder materielle Möglichkeiten ausnutzten und auf diese Weise die Bedeutung bestimmter Privilegien offenkundig machten. 1986 hatte sich der stellvertretende Minister Manuel Sánchez Perez, der für den Kauf von technischem Zubehör im Ausland zuständig war, mit 499.000 US-Dollar nach Spanien abgesetzt. Nach seinen Angaben ‚war er dank bestimmter Handelsbeziehungen zu ausländischen Firmen noch auf Kuba in der Lage gewesen’, diese Beträge mit der Zeit anzuhäufen, im Ausland eine Institution zu gründen, die ‚eine Strategie für die Rückkehr der Demokratie auf Kuba‘ entwickeln sollte. Dies vermittelt einen Eindruck von den Vergünstigungen, die die Führungsmitglieder genießen. Im Mai 1987 gelang es General Rafael del Piño, einem ehemaligen Kämpfer von Playa Girón, an Bord eines kleinen Flugzeugs vom Typ Cessna 402, die USA zu erreichen. Er war mit seiner Frau und seinen drei Kindern von einem Flughafen aus ‚unter dem Vorwand, einen Rundflug über die Insel machen zu wollen’, gestartet. Die Leichtigkeit, mit der jener General sich einen privaten Flug verschaffen konnte ist erstaunlich. Im Juni 1987 wurde Luis Dominguez, Präsident des Instituts für zivile Luftfahrt (INA), unter der Anklage der Korruption und der betrügerischen Unterschlagung von Staatseinnahmen verhaftet. Er stand unter dem Verdacht, über eine Summe von 500.000 USDollar auf seinen privaten Bankkonten zu verfügen. Nach der Verhaftung von Dominguez setzte sich Kommandant Florentino Aspillaga Lombard, Chef der kubanischen Spionage-Abwehr, in die Tschechoslowakei ab, und im Januar 1988 Gustavo Perez Cortt, Vizepräsident des Staatskomitees für Materialbeschaffung und Technologie (CEAMT), nach einer Versammlung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW).
Schon vor der Ochoa-Affäre war die Absetzbewegung hoher Funktionäre ein Symptom für die Verschärfung der sozialen und politischen Spannungen und insbesondere für die Unsicherheit, die gerade die Kreise verspüren, die über die größten Privilegien verfügen, weil sie sich vom gegenwärtigen Kurs Castros bedroht fühlen. Korruption, Unterschlagung oder Verwendung von Betriebseinnahmen für private Zwecke wurden mehrfach in der Öffentlichkeit angeprangert. (…) Im April 1986, anlässlich des 25. Jahrestags der Invasion in der Schweinebucht, wurde der Kampf wieder aufgenommen ‚gegen diejenigen, die das Einkommen aus der Arbeit mit dem aus der Spekulation verwechseln, gegen die chaucullos (Betrüger), die den Diebstahl decken oder wirklichen Diebstahl begehen‘. Dieses Leitmotiv tauchte während des Gewerkschaftstages der CTC wieder auf: Gewaltige Gewinne wurden angeprangert, die aufgrund des Bestehens eines bedeutenden Privatsektors von ‚Neureichen‘ (Lastwagenbesitzer, Landwirte, mit dem Verkauf von Kunstgegenständen beauftragte Zwischenhändler) eingestrichen werden; von den Verwaltungsfunktionären, die über Handelsbeziehungen zum Ausland verfügen oder die wegen ihrer Reisen in die westlichen Länder Privilegien genießen (was ebenfalls von den Jungen Kommunisten auf ihrem Kongress 1987 angeprangert wurde), von den ‚Bürokraten, die komfortable Wohnungen besitzen’, und von den Technokraten, die ‚zwei große Fabriken zur Weiterverarbeitung von Nickel aufbauen und die – abgesehen von den Wohnungen für den Verwalter und 30 oder 40 leitende Vorgesetzte – keine weiteren Wohnungen eingeplant haben, während die Arbeiter in behelfsmäßigen Baracken hausen müssen.’“
Die Bürokratie und die Arbeiter
Die Verurteilung des „Bürokratismus“ ist nichts Neues für Castro oder andere führende Persönlichkeiten des Staates. Aber, so schreibt Habel: „Schon 1965 waren Kommissionen eingesetzt worden, die die Aufgabe hatten, überzähliges Verwaltungspersonal zu verringern. (…) Aber das, was damals angeprangert wurde, ist nicht vergleichbar mit der heutigen Situation. Die 70er Jahre waren Jahre, in denen die Sowjetunion einen bestimmenden Einfluss in allen Bereichen – in Staat, Politik, Wirtschaft und Ideologie – errungen hatte. Diese Vorrangstellung und die anschließende Einführung der Wirtschaftsreformen hatten die Zunahme der Bürokratisierung in einem Land wie Kuba, in dem die Mehrzahl der Waren für den Grundbedarf noch rationiert sind, beschleunigt.“
Nachdem er die Berichte von Karol verworfen hat, zitiert Lorimer Robert Scheer und Maurice Zeitlin, die ihre Analysen auf persönliche Beobachtungen stützen. In Buch „Cuba – An American Tragedy“ sie eine ausgewogene Betrachtung der frühen Jahre der Revolution vor. Franqui warnte jedoch schon kurz nach dem Sieg der Revolution die Schriftsteller und Journalisten, die Kuba besuchten: „Für fortschrittliche Leute ist es einfach, die Unterdrückung in der kapitalistischen Welt zu erkennen. Gegen diese Unterdrückung rebellierten wir in Kuba. Es ist die gleiche Sorte Unterdrückung, die die Gefängnisse in Franco-Spanien füllt, aus den Schwarzen-Ghettos in New York eine Hölle macht und Brasiliens Elend zur Karnevals-Zeit versteckt. Aber man sollte mit offenen Augen die Verbrechen betrachten, die den Sozialismus, wie er heute in der Welt praktiziert wird, zum Gegenteil des sozialistischen Ideals machen. Mein Rat an Besucher ist, das was man sieht nicht mit dem zu verwechseln, was wirklich ist. Schaut hinter die Fassade.“ Das ist ein Ratschlag, den Lorimer und die DSP heute befolgen sollten. Trotzdem sind Scheer und Zeitlin ehrliche Beobachter der kubanischen Revolution in ihrem ersten Jahrzehnt. Obwohl sie ein idealisiertes und romantisches Bild der Lage in Kuba malen, so entspricht doch ihre Schilderung der Tatsache, dass die Privilegien in der ersten Phase der Revolution nicht sehr groß waren: „Es gab nicht viele Fabrikleiter, die mehr verdienten als der am besten bezahlte Facharbeiter in der Fabrik. Ein typischer Verwalter bekam das niedrige Gehalt von 350 Dollar im Monat, viele verdienten nicht mehr als 250 Dollar. Viele Verwalter waren früher Facharbeiter in der selben Fabrik gewesen. Ihre Gehälter waren nicht nur relativ niedrig, weil Che, der Industrieminister das als ein sozialistisches Prinzip ansah, sondern auch, weil die Löhne eingefroren wurden und die Fabrikleiter die gleichen Gehälter bekamen wie in ihren vorherigen Jobs. Einige von ihnen konnten ‚nebensächliche‘ materielle Vergünstigungen genießen, wie zum Beispiel ein Auto, wenn ihre Arbeit dies erforderte.“
Allerdings spricht das nicht gegen unsere Annahme, dass der Umfang der Privilegien dieser noch nicht gefestigten Bürokratie sehr gering war. Es konnte in der ersten Phase der Revolution auch gar nicht anders sein. Aber selbst zu diesem Zeitpunkt bekamen die Funktionäre einige „Luxusgüter“, zum Beispiel die Möglichkeit, Autos zu fahren, was für die Massen nicht möglich war.
Außerdem fand auf der Grundlage des industriellen Wachstums eine Differenzierung zwischen der Masse der Bevölkerung und einer größer werdenden Bürokratie statt. Diese musste schärfer werden, da die Kontrolle und Verwaltung über Staat und Gesellschaft nicht in den Händen der Arbeiter und armen Bauern lag. Tatsächlich belegt Zeitlin das Fehlen wirklicher Arbeiterdemokratie in der frühen Periode der Revolution. Er schreibt: „Die Mitglieder der Regierung, die Kabinettsmitglieder, sind nicht der Bevölkerung gegenüber rechenschaftspflichtig, welche sie nicht gewählt und keine direkte Stimme bei ihrer Auswahl hatte, sondern nur sich selbst und einer Handvoll Führer – Fidel, Raúl, Che – gegenüber, welche sie ernannt haben. Diese Führer sind die wirkliche Regierung. Sie treffen die Entscheidungen. Es gibt keine offiziellen Kanäle, durch welche die Massen sie beeinflussen oder absetzen könnten. (Man darf andererseits nicht vergessen, dass das Volk bewaffnet ist. Egal wo man hingeht, man sieht immer einfache Bürger, darunter Frauen mit langen Fingernägeln und Stöckelschuhen, mit Gewehren oder halbautomatischen Waffen über den Schultern. Wenn das auch keine offizielle Methode ist, die Rechenschaftspflicht der Regierungsmitglieder herzustellen, wird doch zumindest ein gewisses Gegengewicht geschaffen.)“
Ja, es gab zu Anfang ein „Gegengewicht“, verkörpert durch die Miliz und die Elemente von Arbeiterdemokratie, aber dies alleine war nicht ausreichend, und ist es heute nicht, das Wachstum der bürokratischen Elite zu stoppen. Zeitlin schreibt weiter: „[Die revolutionären Führer] hatten es versäumt, eigenständige Machtzentren außerhalb der Partei zu schaffen, welche die Stärke der Partei kontrollieren und ausgleichen könnten. Sie machten augenscheinlich keinen Versuch, neue autonome Institutionen zu gründen, um eine andere Meinung zu ermöglichen und die Einschränkungen der persönlichen Freiheit zu verhindern..“ Das gleiche berichtet er in bezug auf die Unabhängigkeit der Gewerkschaften in einem Arbeiterstaat. Guevara verteidigte in einer Diskussion mit Zeitlin das Recht der Arbeiter zu streiken und vertrat die Meinung, dass „Streiks das Ergebnis von Fehlverhalten der Verantwortlichen auf allen Ebenen der Industrie sind. Und sie sind – selbstverständlich sollten sie nicht ermutigt werden – eine notwendige Waffe der Arbeiterklasse, wenn alle anderen Mittel versagt haben.
Guevara hatte verstanden, dass die Gewerkschaften in einem Arbeiterstaat sowohl zur Unterstützung „ihres“ Staates gebraucht werden als auch zur Verteidigung der Arbeiterklasse gegen den selben Staat. Doch die Führer vieler Gewerkschaften teilten Guevaras Meinung. Jesus Sotu, Organisationssekretär der Zentralen Arbeiterorganisation und ein weiteres Mitglied des Exekutivkomitees der Gewerkschaften und Chefredakteur von dessen Zeitung machten dies in einer Diskussion mit Zeitlin deutlich: „Keiner von ihnen vertrat auch nur das elementare leninistische Konzept, dass die Gewerkschaften eine Rolle als Verteidiger gegen ‚bürokratische Deformationen‘ in einer ‚sozialistischen Gesellschaft‘ spielen sollen. Beide betonten die Aufgabe der Gewerkschaften, die Produktivität der Arbeiter anzuheben … [aber] keiner erwähnte, dass eine Gewerkschaft die unmittelbaren Interessen der Arbeiter beschützten sollte.“
Später beschreibt Zeitlin in „Cuba’s Workers, Workers‘ Cuba, 1969“, eine neue Einleitung zu seinem Buch „Revolutionary Politics and the Cuban Working Class“, seine Eindrücke über das damalige Kuba. Lorimer stützt sich stark auf diesen Bericht, um zu widerlegen, was wir über die Existenz einer bürokratischen Elite sagen. Er behauptet, dass Zeitlin belegt hätte, dass es nicht „von Anfang an“ eine ürokratie gegeben hat, selbst bis 1969 nicht. Er meint, dass Kuba im ersten Jahrzehnt der Revolution faktisch ein Regime des „Kriegskommunismus“ erlebt hätte, ähnlich wie in der Zeit des Bürgerkrieges direkt nach der russischen Revolution. Nicht nur dass es „Kriegskommunismus“ gegeben hätte, das Regime in Kuba war, so behauptet er, vom gleichen Charakter wie das Lenins und Trotzkis, grundlegend ein gesunder Arbeiterstaat mit leichten bürokratischen Deformationen. Viele von Zeitlins Kommentaren sind wertvoll, sie zeigen, dass selbst angesichts großer Schwierigkeiten in den 60er Jahren die Masse der Arbeiterklasse und der Landbevölkerung die kubanische Revolution unterstützt hat. Seine Bemerkungen über die Haltung der verschiedenen Schichten der Arbeiterklasse – nicht alles bedingungslose Unterstützer von Castro oder dem politischen Regime – sind sehr nützlich, um ein Bild von Kuba zu dieser Zeit zu bekommen. Er meint: „Der egalitäre Geist der Revolution wurde durch die egalitäre Praxis unterstrichen. … Löhne und Gehälter spiegeln dieses Muster sozialer Gleichheit wider.
Er gibt ein Beispiel einer Fabrik, das Lorimer zitiert. In dieser Fabrik arbeiteten 2.700 Beschäftigte, der Verwalter verdient 250 Dollar im Monat. Ein Abteilungsleiter verdiente 400 Dollar. Facharbeiter verdienten rund 300 Dollar, der niedrigste Gehilfe oder ungelernte Arbeiter bekam 95 Dollar. Aber selbst wenn diese Angaben der offiziellen Gehälter stimmen, sind sie nicht die ganze Wahrheit. Wir haben zugestanden, sowohl in unserer Broschüre als auch in der Antwort auf Lorimer, das angesichts der jungen Jahre der Revolution und des kulturellen Standards in Kuba die Einkommensunterschiede zwischen der Bürokratie und den Massen in den 60er Jahren nicht so hoch sein konnten wie zum Beispiel in Osteuropa und der Sowjetunion. Allerdings merkt selbst Zeitlin vorsichtig an, dass es auch noch andere Privilegien gegeben hat: „Es gab einige begrenzte Vergünstigungen, die mit Funktionen verbunden waren. Viele Regierungsfunktionäre hatten Autos mit Chauffeuren, die ihnen für die Regierungsarbeit zur Verfügung standen, meistens kompakte Wolgas oder Alfa Romeos, ab und zu sieht man auch einen Chevy oder Ford im Dienste der revolutionären Regierung … Funktionäre, vor allem diejenigen, die mit ausländischen Besuchern zu tun haben, verfügen auch über Spesenkonten, die es ihnen erlauben sich öfter als andere Kubaner in den wenigen verbliebenen Restaurants verwöhnen zu lassen, die lediglich von den Reichen besucht wurden, die das Land nicht verlassen hatten. Obwohl sie sich im öffentlichen Besitz befinden und alle im Prinzip Zutritt haben, sind diese Restaurants ein Luxus, den sich nur wenige Kubaner leisten können … Nach meinen Beobachtungen … sind enteignete Landhäuser … nicht die protzigen Wohnsitze einer neuen Elite geworden.“
Dem wird von Carlos Franqui eindeutig widersprochen. Er schreibt: „Zu dieser Zeit [1961] organisierte die Staatssicherheit den Umzug von Commandantes, Ministern und allen wichtigen Personen in neue Häuser. Einige von uns versuchten zu bleiben wo sie wohnten – unter anderem Che, Faustion, Celia, Haydée, Chomón, Orlando Blanco und ich. Die neuen Häuser waren die von Havannas Mittelklasse Verlassenen. Das kochte die Polemik von 1959 wieder hoch. Einige von uns waren nach dem Krieg wieder in ihre alten Wohnungen gezogen, während andere die Häuser der Reichen (wie sie sagten) ‚einer anderen Nutzung zuführen‘ wollten. Aber sie selbst wurden ‚einer anderen Nutzung zugeführt‘. Diese Häuser wurden mit Wachen rund um die Uhr ausgestattet – wegen der konterrevolutionären Bedrohung, aber es war auch eine gute Methode, um die Leute im sowjetischen Stil im Blickfeld zu haben. Celia, Haydée und ich konnten verhindern, in die neuen Häuser einzuziehen, weil wir Zivilisten waren. Ich lebte die ganze Zeit in meiner eigenen Wohnung und hatte keine Probleme.“
Allerdings wurden die Räumlichkeiten, in denen Franquis Zeitung Revolución hergestellt wurde, einige Monate zuvor unter ungeklärten Umständen überfallen. Er verdächtigte weniger rechte, konterrevolutionäre Terroristen als vielmehr die wachsenden stalinistischen „Sicherheits“-Dienste, die ihn wegen seiner Kritik an der bürokratischen Entartung der Revolution im Visier hatten. Er schreibt: „Da ich der Anweisung umzuziehen nicht Folge leistete, nahm sich Fidel der Sache an und erzählte mir, ich wäre in Gefahr und müsste den Befehlen gehorchen. Am nächsten Tag brachten mir die Leute von der Städtischen Reform die Schlüssel für mein neues Haus. Ich wäre ein Heuchler, wenn ich sagte, es hätte mir nicht gefallen, was ich sah – einen Swimming Pool, Bücher, hübsche Möbel, einen Garten, eine Klimaanlage – aber ich fühlte mich auch schuldig. Fidel hatte nie solche Probleme, er war es gewohnt, in solchen Häusern zu leben … Tatsächlich schufen wir eine neue Elite, entgegen allem Gerede, wir müssten uns schützen oder davon, dass sich Leute in verantwortlichen Positionen entspannen können müssten. Diese neue Elite würde eines Tage s gefährlich werden.“
Bemerkenswert ist, dass Franqui dies 1961 berichtet und nicht erst 1969. Ohne Zeitlins Ehrlichkeit anzuzweifeln: Franquis Beobachtungen über die Ereignisse in Kuba sind zutreffender und genauer. Als Teilnehmer der Revolution, als Freund und Vertrauter der Führer der Revolution, aber auch als ehrlicher und konsequenter Kritiker von elitärem Denken, Bürokratismus und Stalinismus war er in einer günstigeren Position, um eine vollständigere Analyse über die Ereignisse in Kuba zu entwickeln. Trotzdem spricht selbst Zeitlins Untersuchung gegen Lorimers Annahme, Kuba hätte zu dieser Zeit alle Merkmale eines gesunden Arbeiterstaates gehabt. In Bezug auf die Gewerkschaften schreibt er zum Beispiel: „Es sieht fast so aus als seien sie [die Gewerkschaften] ‚dahingewelkt‘. Dies zeigen meine Beobachtungen und die vagen und seltenen Äußerungen von Arbeitern, die ich interviewt habe. Die Arbeiter haben keine unabhängige Organisation, welche im Betrieb, der Branche oder im Land insgesamt die Initiative ergreift, verbesserte Arbeitsbedingungen, oder höhere Löhne zu erreichen, ganz zu schweigen davon, dies einzufordern. Es gibt keine Organisation, die als autonome Kraft fungiert, um die grundlegenden Anliegen der Arbeiter zu beschützen und voranzutreiben, die unabhängig ist von der Linie der Kommunistischen Partei oder der Politik der revolutionären Regierung. Der praktische Unterschied zwischen der Rolle des Arbeitsministerium und der CTC-R, der Arbeiterföderation – soweit er formal existiert – ist für die einfachen Arbeiter nicht erkennbar. Und ebenso wenig scheint dieser Unterschied für einige Regierungsfunktionäre und nationale Führer, mit denen ich gesprochen habe, klar zu sein.“