Die Weltwirtschaftskrise hat Pakistan besonders hart getroffen und dies hat die soziale und politische Krise verschärft. Ein Bericht vom Internationalen Vorstand des CWI.
Die diesjährige Tagung des International Executive Committee (IEC) des Committee for a Workers" International (CWI; Komitee für eine Arbeiterinternationale, deren Sektion in Deutschland die SAV ist) findet in dieser Woche in Belgien statt. VertreterInnen aus 28 Ländern Europas, Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und den Vereinigten Staaten nehmen zur Zeit an diesem wichtigen CWI-Treffen teil, auf dem sowohl die neue Phase der kapitalistischen Krise diskutiert wird, die momentan aufzieht, als auch die Auswirkungen, die diese auf den Klassenkampf sowie die Möglichkeiten zur Gewinnung weiterer Unterstützung für revolutionär-sozialistische Ideen hat. Wir werden hierzu eine Serie von Berichten auf unserer Internetseite veröffentlichen. Die erste Sitzung widmete sich – unter Einbeziehung Kaschmirs – der Situation in Pakistan.
Genosse Khalid Bhatti vom Socialist Movement Pakistan (SMP; Sektion des CWI in Pakistan) leitete die Diskussion ein. Die Weltwirtschaftskrise hat Pakistan besonders hart getroffen, was die soziale und politische Krise weiter verschärft hat. Wie Khalid berichtete, schwebt jetzt sogar ein Fragezeichen über der weiteren Existenz Pakistans als staatlicher Einheit.
Es handelt sich um die schärfste Krise seit der Spaltung zwischen Ost- und West-Pakistan 1971, die zur Gründung von Bangladesch führte. Ein Fünftel Pakistans wird heute nicht mehr von der Regierung kontrolliert; das gilt vor allem für die North-West-Grenzprovinz (NWFP) und die Stammesgebiete. Und die Taliban sowie die Dschihadisten (Islamisch-fundamentalistische Gruppen, die ursprünglich v.a. in Kaschmir aktiv waren – der Übersetzer) kontrollieren weite Teile Pakistans. Die Regierung sagt, dass es in Pakistan 150.000 Taliban-Kämpfer und nahezu eine Million Menschen gibt, die mit Dschihadisten-Gruppen verbändelt sind. Es wäre dennoch falsch, die Gruppierungen als einheitliche Kraft zu betrachten; sie sind aufgrund regionaler, ethnischer und religiöser Unterschiede in sich gespalten. Hinzu kommt, dass die Bombenangriffe der US-Truppen auf Ortschaften in Pakistan die Wut anheizen.
Genosse Jamal vom CWI in Kaschmir ergänzte diese Punkte später, indem er erklärte, dass Städte wie zum Beispiel Islamabad mit Polizeiposten übersäht sind, um die Aktivitäten von Taliban und Dschihadisten zu stören. Islamabad ist von Anschlägen gebeutelt – besonders durch den Selbstmordanschlag auf das Marriott Hotel.
Seit dem letzten IEC im Dezember 2007 ist Muscharraf durch eine Massenopposition aus dem Amt verdrängt und durch Präsident Zardari von der Pakistan Peoples Party (PPP) ersetzt worden. Viele unter den Massen hatten Illusionen, dass die neue Regierung die innere Sicherheit verbessern und einen Wandel hinsichtlich der Situation der pakistanischen Massen einläuten würde. Die neue Regierung hat die Angriffe jedoch fortgesetzt und wendet dieselbe neoliberale Wirtschaftspolitik an, wie ihre Vorgänger. Ein Charakteristikum der Situation ist, wie rasch sich die Hoffnungen und Erwartungen, die der Regierung entgegengebracht wurden, in Luft aufgelöst haben.
Mit direkten Folgen für die Lebensbedingungen der Massen hatte die Weltwirtschaftskrise katastrophale Auswirkungen auf Pakistan. Sämtliche Ansprüche der Regierung Muscharraf, die pakistanische Wirtschaft effektiver zu machen und zu modernisieren, sind verpufft. Der IWF (Internationaler Währungsfonds; Anm. d. Übers.) hatte gefordert, dass von der Regierung 22 Bedingungen erfüllt werden, bevor man Pakistan Hilfen zusichern würde. Diese Bedingungen hätten katastrophale Auswirkungen für die Arbeiterklasse und die Armen, sollten sie akzeptiert werden. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat der IWF der Regierung direkte Kredite verweigert.
Die Arbeiterklasse versucht sich unter herausfordernden Umständen zu wehren. Die Wirtschaftskrise hat Auswirkungen auf das Niveau der Auseinandersetzungen, ebenso die Aktivitäten der Fundamentalisten. Nichtsdestoweniger hat das vergangene Jahr einige bedeutende Kämpfe wie etwa den der Telekom-Beschäftigten und einen langen Streik der ArbeiterInnen der Wasser- und Entsorgungssparte in Quetta hervorgebracht. Diese Geschehnisse haben wichtige Lehren für die Zukunft geliefert. Allerdings sind die kämpferischsten Arbeiter-Organisationen im öffentlichen Sektor zu finden, während die Gewerkschaften im Privatsektor schwächer und in vielen Fällen sogar von Konzernen geleitet sind.
Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben den Weg zu Arbeitsniederlegungen bereitet, aber es gibt keine Arbeiterpartei in Pakistan. Die PPP ist – wie ihre ewige Rivalin, die von Nawaz Sharif geführte Pakistan Muslim League (PML) – eine offen kapitalistische Partei. Auf keine der beiden können die Massen Hoffnungen setzen. Die PPP-Regierung wird allerdings schwächer und für die Kapitalisten ist die PML die einzig realistische Alternative.
Der Imperialismus hätte jedoch ein Problem mit einer PML-Regierung, da sie Verbindungen zu Teilen der Taliban unterhält. Zum jetzigen Zeitpunkt kann eine Rückkehr zu irgendeiner Art von militärischer Herrschaft nicht ausgeschlossen werden. Ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass der US-Imperialismus die Auflösung Pakistans in die Wege leitet. Die USA hätten für ihre Aktivitäten gerne eine sichere Basis in Belutschistan und könnten daher dessen Unabhängigkeit unterstützen, wenn das ihrem Ziel dienen würde.
Die politische, soziale und ökonomische Krise in Pakistan führt unter den Massen zu Verzweifelung. Einige Teile könnten in der Hoffnung, dass diese Stabilität bringen kann, sogar eine Regierungsübernahme durch die Taliban unterstützen.
In dieser Situation macht die SMP die Erfahrung weit diffizilerer Umstände für den eigenen Aufbau als in der vorangegangenen Periode einer rasch wachsenden Mitgliedschaft und Einflussnahme. Doch die SMP wird auf der Linken als einzige Organisation mit klaren Perspektiven und eindeutiger Politikausrichtung angesehen, während andere konfus und gespalten sind. Die Möglichkeit, neue Gruppen von SozialistInnen in unseren Reihen willkommen heißen zu können, besteht ebenso wie der Aufbau neuer Gewerkschaftsstrukturen auf Grundlage einer kämpferischen Politikausrichtung, was hunderttausende von ArbeiterInnen umfassen würde.
Es kommt permanent zu spontanen Aktionen; 50.000 Menschen protestierten gegen eine jüngste Strompreisanhebung und Politiker, die sich ihnen nähern wollten, wurden zusammengeschlagen. Zu örtlich bedingten Themen finden täglich Demonstrationen statt; häufig vertreten die Anführer dieser Bewegungen antipolitische Haltungen. Es existiert eine große Kluft zwischen den fortschrittlichsten Gruppen, die bis hin zu sozialistischen Ideen kommen, und den demoralisierten Massen, die von den Lügen der kapitalistischen Politiker und den Linken, die sie in der Vergangenheit im Stich gelassen haben, die Nase voll haben. Die SMP wird durch das Aufwerfen der Idee des Sozialismus alles daran setzen, die Kämpfe zu politisieren.
Pakistan kann nur auf eine Weise überleben: Durch die Stärkung dieser Bewegung für den Sozialismus. Es kann jederzeit zu sozialen Explosionen kommen und die SMP muss darauf vorbereitet sein. Die heutige Situation ist in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit der von 1968/-69, als es zu Massenbewegungen und Kämpfen in Pakistan kam – das war die radikalste Phase in der pakistanischen Geschichte. Wenn sich solche Proteste gegen die Regierung und ihre neoliberale Politik entwickeln sollten, würde dies die Unterstützung für die Taliban und rechte politische Fundamentalisten untergraben. Darin besteht die wirkliche Hoffnung für die Arbeiterbewegung in Pakistan.
Genosse Jamal berichtete, dass der von Indien besetzte Teil Kaschmirs (IOK) unter Gouverneursherrschaft gestellt wurde, nachdem die Zivilregierung zusammengebrochen war. Die Politik in Kaschmir ist direkt verknüpft mit der Pakistans; dschihadistische Gruppen dort werden vom pakistanischen Staat finanziert. Religiöses Sektierertum nimmt im IOK zu. Trotzdem kam es auch dort zu gewerkschaftlichen Kämpfen – sowohl im IOK als auch im von Pakistan besetzten Teil (POK). LehrerInnen und andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes sind im POK aktiv geworden. Am 1. Mai kam es zu Massendemonstrationen in Srinigar, der Hauptstadt von IOK. Eine wichtige Entwicklung war die Gründung eines Gewerkschaftlichen Forums im Öffentlichen Dienst in IOK, das am 20. November einen 500.000 Personen starken Streik organisierte.
Der Kampf zwischen den imperialistischen Mächten in Südasien im 19. Jahrhundert, das sogenannte „Große Spiel“, ist durch das „Neue Große Spiel“ im Kampf um Einfluss zwischen den kapitalistischen Eliten der Region wieder aufgenommen worden. Es schließt aber auch externe Mächte wie China, Russland und vor allem die USA und NATO-Kräfte mit ein.
Genosse Jagadish von der Socialist Alternative in Indien stellte den Konflikt zwischen den Eliten in Indien und Pakistan heraus, der sich in Afghanistan und andernorts niederschlägt. Die Rolle des ISI, dem pakistanischen Geheimdienst, hat schreckliche Folgen für die Region. Das ISI war „Staat im Staate“. Der indische Geheimdienst, der Research Analysis Wing, übt jedoch auch seine eigenen schmutzigen Aktivitäten aus, um dem Einfluss des ISI entgegenzuwirken. Vor allem in Kaschmir ist dies der Fall.
Tony Saunois vom Internationalen Sekretariat des CWI (IEC) beleuchtete die instabile Lage und die rapide Verflüchtigung der Illusionen in die PPP. Er erinnerte das IEC daran, dass wir früher schon den Charakter der PPP dahingehend analysiert hatten, dass sie eine pro-imperialistische, kapitalistische Partei ohne Bezug zu ihrer radikalen Vergangenheit in den 1960er und -70er Jahren sei.
Er unterstrich auch noch einmal den von Khalid angebrachten Punkt, wonach sich die Taliban und Fundamentalisten in den Städten organisieren, die meisten ArbeiterInnen sich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht auf sie als Ausweg orientieren. Die Situation in der NWFP und den Stammesgebieten ist verschieden. Dort gibt es teilweise einen Rückfall in Barbarei. Jedoch gibt es hier wichtige Unterschiede zu Afghanistan; eine Machtübernahme durch die Taliban in Pakistan würde das Land zum Beispiel unmittelbar in einen Konflikt mit nationalen Minderheiten führen.
Während für die ArbeiterInnen folglich eine verzweifelte Situation vorherrscht, bestehen für das CWI in Pakistan und Kaschmir weiterhin Möglichkeiten. Und die Stärkung unserer Kräfte ist eminent wichtig für zukünftige soziale und politische Explosionen, die zweifelsohne heute schon vorbereitet werden.