Beendet die Misere der ArbeiterInnen durch echte Verstaatlichung und demokratisch-sozialistische Planung
von Judy Beishon, Herausgeberin der Wochenzeitung The Socialist, Zeitung der Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales), 30. September 2008
Die Weltwirtschaft, die sich bereits wegen der Kreditklemme in hellem Aufruhr befindet, wurde durch die blitzartig eingeschlagene Nachricht, dass der US-Kongress den Blankoscheck in Höhe von 700 Mrd. US-Dollar zum Aufkauf fauler Kredite abgelehnt hat, tiefer in den Abgrund gerissen. Führungsfiguren der US-Regierung und des Finanzministeriums warnten auf dramatische Art und Weise vor den schlimmen Folgen, sollte das Paket nicht angenommen werden. Der Abstimmung im Kongress folgte deshalb der freie Fall der US-Aktienkurse mit Schockreaktionen weltweit.
Die kapitalistischen Wirtschaftsgurus der Welt gerieten vor Verwunderung ins Taumeln, und sie waren nicht in der Lage zu sagen, was dies bedeuten würde und was als nächsten bevorstünde. „Panik ergreift die Weltmärkte“, titelte der Guardian; „Welt des Schmerzes“, stand auf der Titelseite des Mirror; „Verkaufen! Verkaufen! Verkaufen!“, schrie der Independent; und das Urteil der Sun lautete: „Der schwärzeste Montag“.
Die Banken werden jetzt gemeinhin als unsicher betrachtet und die ganze globale Wirtschaft schliddert in Richtung Rezession. Jeremy Warner, der für den Independent schreibt, gab eine alte Redensart wieder: „Wenn die Nacht am Dunkelsten ist, ist der Morgen nicht mehr fern“, und er ergänzte, dass der „Morgen wieder einmal herausgezögert wurde“. Und in einer nur wenig verhüllten Warnung zitierte er eine Abwandlung der obigen alten Wendung: „Wenn die Nacht am Dunkelsten ist, wird es gleich völlig schwarz“.
Die Mitglieder des US-Kongresses, die das Paket abgelehnt hatten, sind im Wesentlichen die, für die es schwer werden dürfte, wiedergewählt zu werden. Aus Sorge um die eigene Zukunft, waren sie gezwungen, die Empörung der einfachen Menschen in den USA wiederzugeben, dass ihre Steuern den gierigen Bonzen der betrügerischen Wall Street ausgehändigt werden. Es war eine größere Revolte der Straße gegen die Wall Street.
Die „Bankräuber“ der Wall Street haben sich selbst etliche Male auf Kosten der Menschen aus der Arbeiterklasse und der Mittelschicht bereichert. Dennoch erwarten sie nun von denselben Menschen, die in vielen Fällen damit zu kämpfen haben, Lebensmittel einzukaufen und ein Dach über dem Kopf zu haben, dass sie ihnen das luxuriöse Leben erhalten und die Wirtschaft vor den Folgen ihrer Exzesse bewahren. Es besteht eine weit verbreitete Abscheu und Abneigung gegenüber den wohlhabenden Geschäftemachern und Financiers und ihren Einrichtungen: den Hedge Fonds, privatem Beteiligungskapital, Future-Märkten und so weiter.
Der von Finanzminister Hank Paulson ausgeheckte und von George Bush unterstützte Notrettungsplan umfasst 700 Milliarden US-Dollar, die dazu benutzt werden sollen, um die „belasteten Anlagevermögen“ von jedem und zu jedem Preis aufzukaufen. Wenn dies schlussendlich in der einen oder anderen Form umgesetzt wird, dann bedeutet das für die arbeitenden Menschen in den USA, dass sie die größte Rettungsaktion für Unternehmen in der US-amerikanischen Geschichte finanzieren. Und, dass das Geld von der Regierung an die Reichsten der Gesellschaft verteilt wird, der in der US-Geschichte am wenigsten Vertrauen entgegengebracht wird.
George Bushs Rest an Autorität ist jetzt völlig verschwunden, da er angesichts des finanziellen Hurrikans, der rapide aufzieht, seine Unfähigkeit und Inkompetenz offenkundig unter Beweis stellte. War er vorher schon in den USA und weltweit aufgrund seines schrecklichen Krieges gegen den Irak beschädigt, so ist der jetzige ökonomische Aufruhr für einfache Menschen weltweit in mehrfacher Weise noch Furcht einflößender.
Um das 700 Mrd. US-Dollar umfassende Einkaufs-Paket durch den Kongress zu bekommen, argumentierten dessen Befürworter, dass der Staat am Ende das Geld nicht verlieren werde; er würde es lediglich investieren, um das Finanzsystem – mit späteren Erträgen – neu zu ordnen. Doch diese Argumentationslinie war bei weitem nicht überzeugend. Die Menschen in Amerika können eskalierende Staatsschulden voraussehen, die zu weiteren Einschnitten im Sozialwesen und bei öffentlichen Dienstleistungen führen würden, während ihnen gleichzeitig wachsende Arbeitslosigkeit und Einschnitten beim Lebensstandard als Folge der Rezession drohen.
Es wurden einige Zugeständnisse gemacht, um das Hilfspaket schmackhafter zu machen. Dazu gehörte auch die schrittweise Ausgabe von Geldern, die Einrichtung eines „Aufsichtsgremiums“ und das Festlegen von Beschränkungen für Vorstandsgehälter bei Banken, denen beigestanden wird. Doch diese Brosamen reichten nicht aus, um über die rebellischen Kongressmitglieder die Oberhand zu behalten.
Ironischer Weise ist es zur Stunde nicht die Zeitung The Socialist, die an vorderster Front derer steht, die den Begriff „Sozialismus“ in die Köpfe der Menschen bringen; es sind rechts-konservative Politiker, die mit ihren unbeholfenen Versuchen unabsichtlich das Gespenst des Sozialismus auf die Tagesordnung bringen, obwohl sie die Menschen eigentlich davon fernzuhalten versuchen. Der texanische Kongressabgeordnete Jeb Hensarling verurteilte beispielsweise den Rettungsplan von Paulson als „Weg zum Sozialismus“. Die Kommentatorin der Financial Times, Chrystia Freeland, wies auf Folgendes hin: „Der Sozialismus wird das alles vermutlich hinausschieben“, aber sie bemerkte, dass dies ein Teil des „Endes einer langen Ära des Laisser-faire-Kapitalismus in den USA und der Beginn einer Periode von staatlichen Interventionen und Re-Regulierungen“ sei.
Das Misslingen von Paulsons Paket wird den Trend nicht rückgängig machen. In den Wochen bevor der Kongress es zurückwies, wurden bereits Milliarden Dollar an gescheiterte Finanzinstitutionen übergeben, womit der 25 Jahre währende Kniefall vor dem freien Markt mit zurückgefahrenen Staatsinterventionen und -regulierungen beendet wurde. Als die Börsen in Reaktion auf die Kongress-Abstimmung ins Bodenlose fielen, hatten die US-Regierungsmitglieder keine andere Wahl, als damit zu beginnen, ein neues Paket öffentlichen Geldes zusammenzuschustern, um die wirtschaftliche Kernschmelze abzuwenden zu versuchen.
Am selben Tag, an dem die Schock-Ablehnung im US-Kongress stattfand, wurden Banken in sieben Ländern der Welt notaufgekauft. In Europa wurden dem Finanzinstitut Fortis von der belgischen, niederländischen und der luxemburgischen Regierung 8,8 Mrd. britische Pfund (entspricht rund 10,1 Mrd. €; Anm. d. Übers.) gegeben. Eine Maßnahme, die von der Financial Times als „Teilverstaatlichung“ beschrieben wurde. Das ist der größte bisher getätigte Aufkauf eines europäischen Finanzinstituts in der gegenwärtigen Krise. Fortis ist der größte private Arbeitgeber Belgiens. Die Bank verwaltet die Konten der Hälfte der Bevölkerung und hält Wertanlagen, die um ein vielfaches über dem Wert des belgischen Bruttoinlandsproduktes liegen.
In Großbritannien folgte der Verstaatlichung der Bank Northern Rock die Verstaatlichung des Bankhauses Bradford & Bingley (B&B;), wobei die Regierung deren faule Hypotheken im Wert von 42 Mrd. britischen Pfund (entspricht 53 Mrd. €; Anm. d. Übers) übernahm. Skandalös und fast unfassbar ist, dass die Regierung umgehend die Spareinlagen der KontoinhaberInnen im Wert von 21 Mrd. britischen Pfund (entspricht 26½ Mrd. €; Anm. d. Übers.), die197 Filialen und 141 Agenturen von „B&B;“ an das spanische Unternehmen Santander „verkauft“, das nur 612 Millionen britische Pfund (entspricht 773 Mio. €; Anm. D. Übers.) zahlte, um diese Anlagewerte auszubeuten. Die an Santander ausgehändigten Spareinlagen im Wert von 21 Mrd. britischen Pfund setzen sich zusammen aus ungefähr vier Mrd. britischen Pfund (entspricht ca. fünf Mrd. €; Anm. d. Übers) an Barmitteln aus den bei B&B; eingerichteten Konten, die die Bank nicht verliehen hat, plus weiteren gut 17 Mrd. britischen Pfund (entspricht 21½ Mrd. €; Anm. d. Übers) an Steuergeldern in Form von Darlehen und Bürgschaften – Geld, das vielleicht nie mehr zurückkommen wird. Die Verstaatlichung von Northern Rock und B&B; hat jedeR britischen SteuerzahlerIn eine zusätzliche Bürde im Wert von 5.500 britischen Pfund (entspricht knapp 7.000 €; Anm. d. Übers.) an Schulden auferlegt.
Deregulierung ist in Misskredit gebracht
Die weltweite Krise der großen Banken hat die führenden Befürworter der Deregulierung dazu gebracht, ganz andere Saiten aufzuziehen. Viele sagen nun, dass eine freiwillige Kontrolle durch private Finanzinstitute nicht funktioniert und deshalb eine staatliche Regulierung notwendig ist. Selbst der Hauptgeschäftsführer des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat zu einer größeren Regulierung der Finanzinstitutionen und -märkte aufgerufen – eine beträchtliche Abweichung vom durch den IWF über eine lange Phase hinweg ausgeübten „Liberalisierungs“-Zwang.
Der rechte französische Präsident Nicolas Sarkozy hat zu einem Gipfel aufgerufen, um einen „regulierten Kapitalismus“ wieder herzustellen, und hat das „Gesetz des Dschungels“ verurteilt, während der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück sagte: „Wir müssen die Finanzmärkte zivilisieren“.
Es ist wahr, dass die Deregulierung allerhand auf dem Gewissen hat. Auf dem Parteitag der Tories (konservative Partei Großbritanniens, Anm. D. Übers.), beschimpfte der Schatten-Finanzminister George Osborne Gordon Brown dafür, eine auf Schulden basierende Wirtschaft zu verwalten, und er sagte, dass es sich dabei um eine kreditfinanzierte Variante des „Casino-Kapitalismus“ handele. Doch so schuldig Brown auch ist, so schuldig sind gleichermaßen die Tories; die hohen Schuldenstände reichen zurück bis in die 1980er Jahre, mit der Tory-Premierministerin Margaret Thatcher und ihrer Deregulierung der Finanzmärkte in Einklang mit Reagan und Clinton in den USA. In Großbritannien hat die in der Vergangenheit stattgefundene Ermutigung zur Umwandlung von Bausparkassen dazu geführt, dass sie zu aggressiv agierenden Banken im Sinne der Renditen der Aktionäre wurden. Das hat einen großen Anteil am Niedergang von Unternehmen wie Northern Rock und Bradford & Bingley gehabt.
Aber die Appelle zur Regulierung gleichen der Bitte an eine Bankräuber-Bande, den einzelnen Bankräuber doch bitte unter Kontrolle zu halten. Was dringend nötig ist, ist die Kontrolle der Großbanken und Finanzhäuser durch die Bevölkerung – nicht die „Überwachung“ durch nicht gewählte halbstaatliche Einrichtungen und gewählte kapitalistische Politiker, die den Konzernen gegenüber loyal sind. Die Bücher der US-Großbanken sind dem US-Kongress gegenüber geöffnet worden. Warum werden sie nicht für alle Menschen in Amerika geöffnet?
Dasselbe gilt für Großbritannien; es sollte eine Buchprüfung bei Banken wie B&B; durch Gewerkschaften und die Massen geben und die Entscheidungsbefugnis muss den kapitalistischen Politikern aus der Hand genommen werden, damit die Arbeitsplätze der Bankangestellten und anderer ArbeiterInnen gesichert werden können und HypothekennehmerInnen, die von Pfändung bedroht sind, ihre Eigenheime behalten können.
Wenn die GewerkschaftsführerInnen ihren Job richtig machen würden, dann würden sie an der Spitze stehen, um Volkskomitees einzurichten, die den wahren Sachstand bei den zusammenbrechenden Unternehmen feststellen würden. Sie würden auch jede nötige Maßnahme ergreifen, um die Interessen der ArbeiterInnen sicherzustellen. Die multinationalen Konzerne, die uns zwingen, immer höhere Energie- und Lebensmittelpreise zu zahlen sollten ebenfalls mittels Aufbaues von Volkskomitees Gegenstand von Untersuchungen durch die Massen sein – wenn die Gewerkschaftsführer nicht in dieser Richtung handeln, dann müssen andere einspringen und dies tun.
Großkonzerne, die die Preise für Waren des Grundbedarfs anheben und/oder ihre Beschäftigten entlassen, sollten umgehend in komplettes öffentliches Eigentum überführt werden, unter Einbeziehung der Arbeiterklasse bei der Kontrolle und Verwaltung, damit ihre arbeitnehmerfeindliche Politik umgekehrt werden kann. Entschädigungen sollten nur bei erwiesener Bedürftigkeit an AktionärInnen gezahlt werden.
Solche Maßnahmen würden Bestandteil der Transformation sein, um zu einer vollkommen anderen Weise der Organisierung der Gesellschaft zu kommen – der des wirklichen Sozialismus nämlich. Der Kapitalismus zeigt offenkundig, dass er ein System immanenter Krisen ist. Egal, ob er dereguliert oder reguliert ist, Booms und Krisen sind unumgänglich. Zusätzlich zu den oben genannten Schritten sind weitere vonnöten – einschließlich der Kontrolle durch die Arbeiterklasse über die Ein- und Ausfuhr von Kapital. Der Sozialismus würde nicht nur die Wirtschaftszyklen von Booms und Krisen für immer beenden, sondern auch die Tür zur raschen Beseitigung der Armut aufstoßen und die Lebensstandards der gesamten Bevölkerung heben.