Selektion statt Wissensvermittlung
Unmotivierte SchülerInnen, überforderte LehrerInnen. So wird die Situation an den Hauptschulen meist dargestellt. Fakt ist jedoch, dass es an gut ausgebildeten Lehrkräften mangelt und die Jugendlichen miese Zukunftsaussichten haben.
von Florian Toniutti, Stuttgart
2006 fehlten an den Hauptschulen in den naturwissenschaftlichen Fächern 64 Prozent und in Mathematik 30 Prozent Fachlehrer (laut Bildungsbericht des Bundes und der Länder 2008). Im gleichen Bericht heißt es, dass 13 Monate nach dem Verlassen der Schule 50 Prozent der Jugendlichen immer noch keinen Ausbildungsplatz haben. Bei allen Menschen im Alter zwischen 25 und 64 Jahren mit geringer Qualifikation beträgt die Arbeitslosenquote 17,7 Prozent.
Perspektivlosigkeit
In keinem anderen OECD-Staat hängen die Bildungschancen so sehr vom Geldbeutel ab wie in Deutschland. Eltern, die selbst nur eine schlechte Schulbildung erhalten haben, fehlt es an den Mitteln und Möglichkeiten, ihre Kinder zu unterstützen. Hinzu kommt, dass SchülerInnen mit der Konkurrenzsituation an den Schulen – in Vorwegnahme auf den Arbeitsmarkt – zu Rande kommen müssen.
Durch das Wissen, schlechte Karten in Sachen Ausbildungs- und Arbeitsplatz zu haben, erstickt jede Motivation schon im Keim. So beantwortete ein elfjähriger Hauptschüler aus München die Frage, was er sich am meisten Wünsche, damit, dass er gern schlauer sei, um nicht auf die Hauptschule gehen zu müssen. Denn: „Da kann man ja nicht viel anfangen, wenn man groß ist.“
Weg mit dem dreigliedrigen Schulsystem
Die Probleme sind nicht einfach auf „Versäumnisse“ der Politiker zurück zu führen. In der heutigen kapitalistischen Gesellschaft sind die Herrschenden darauf aus, die Menschen frühzeitig auszusortieren – in künftige Chefs, Fachkräfte, Fließbandarbeiter, Arbeitslose. Erschreckend ähnlich wie es Aldous Huxley in seinem Buch „Schöne neue Welt“ beschreibt.
Allerdings ist die Qualität der Bildung so stark gesunken, dass sich sogar Wirtschaft und Handwerk beschweren. Gerade Hauptschulabgänger seien kaum ausbildungsfähig.
Der Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), schlug kürzlich vor, Haupt- und Realschule zusammenzulegen. Das soll soziale Auslese erstmal verdecken. Gleichzeitig droht aber, dass die Lehrerausstattung weiter verschlechtert wird, um zusätzlich Personal zu sparen.
Für Gemeinschaftsschulen!
Ob drei- oder zweigliedriges Schulsystem – beides ist keine Lösung. Mit sozialer Ausgrenzung und Selektion muss Schluss sein. Die Alternative ist eine Gemeinschaftsschule, in der wir – bei völliger Lernmittelfreiheit, kostenlosen Mittagessen und AGen – ganztägig gemeinsam bis zum Abschluss lernen. Die einzige Aufteilung, die es dort geben sollte, ist eine in verschiedene Kurse – je nach Fähigkeiten und Vorlieben. n