Bei Berlins Krankenhauskonzern steht »rot-rotem« Senat der nächste Tarifkonflikt ins Haus. »Arbeitgeberangebot« besteht in weiteren Lohnkürzungen
von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 19.9.08
Berlins »rot-roter« Senat ist mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes im Dauerkonflikt. Nicht nur die rund 60000 Landesbediensteten demonstrieren mit Arbeitsniederlegungen nach der Sommerpause erneut gegen das »einseitige Tarifdiktat« und für Einkommenssteigerungen entsprechend denen in anderen Bundesländern. Auch die Auseinandersetzung beim städtischen Krankenhauskonzern Vivantes steht vor einer Eskalation. Die vom Klinikvorstand vorgelegte »Offerte« dürfte von der heute tagenden ver.di-Tarifkommission zurückgewiesen werden.
»Provokation«
»Dieses Angebot ist eine Unverschämtheit und Provokation«, erklärte Volker Gernhardt, Betriebsrat im Vivantes-Klinikum Neukölln, am Donnerstag gegenüber junge Welt. Ganz genauso sieht das die verantwortliche ver.di-Sekretärin Heike Spies. »Nach dieser Offerte müßten die Beschäftigten noch stärker verzichten, als im jetzigen Notlagen-Tarifvertrag – das machen wir nicht mit«, sagte sie auf jW-Nachfrage. Der im Sommer 2004 vereinbarte »Notlagen-Tarifvertrag« beinhaltet eine drastische Kürzung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes für die rund 13000 Beschäftigten. Die Vereinbarung über diesen Verzicht läuft Ende 2008 aus. Der im Gegenzug festgeschriebene Ausschluß betriebsbedingter Kündigungen läuft hingegen noch bis Ende 2010. Unter Zugzwang steht also in erster Linie die Klinikleitung, die mit Verweis auf die schlechte finanzielle Lage von den Beschäftigten weitere Zugeständnisse fordert.
Das zuletzt vorgelegte »Angebot« des Vorstands sieht unter anderem vor, sowohl die Lohnkürzung als auch den Ausschluß von Entlassungen bis Ende 2010 zu verlängern. »Das hieße, die Schutzmaßnahmen werden um ein Jahr, der Verzicht aber um drei Jahre verlängert – das ist doch kein Entgegenkommen«, erklärte Spies.
Aber das »Angebot« hat noch weitere Fallstricke. So soll zwar – wie von ver.di gefordert – der bundesweite Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD) übernommen werden. Dieser gilt bislang nur für die etwa 1000 Arbeiter, nicht jedoch für die Angestellten des Klinikkonzerns. Die im TVÖD enthaltenen Einkommenssteigerungen sollen jedoch nur zum Teil und verzögert wirksam werden. Für die Krankenhäuser sieht der Flächentarif Lohnerhöhungen von 50 Euro plus 1,6 Prozent seit Beginn dieses Jahres sowie um weitere 4,3 Prozent zum 1. Januar 2009 vor. Vivantes möchte den Betrag von 50 Euro jedoch erst ab 1. April 2009 zahlen. Ab 1. Oktober sollen die Einkommen dann um ein Prozent, ein Jahr später um 1,5 Prozent und ab dem 1. Oktober 2010 um weitere 1,9 Prozent steigen. Das hieße, die Vivantes-Angestellten würden mehr als anderthalb Jahre nach Auslaufen des TVÖD noch deutlich unter dem darin festgeschriebenen Gehaltsniveau bleiben. »Es würde eine Tarifmauer entstehen, die nie wieder überwindbar wäre – das können wir nicht zulassen«, kommentierte Gernhardt dies.
Weitere Elemente der »Offerte« sind die Kürzung der Jahressonderzahlung (Weihnachts- und Urlaubsgeld) auf maximal 30 Prozent sowie die Ausdehnung der Wochenarbeitszeiten in Westberlin um eine auf dann einheitlich 39,5 Stunden. »Schon diese Arbeitszeitverlängerung würde die mickrigen Lohnsteigerungen mehr als ausgleichen, so daß die Beschäftigten am Ende noch schlechter dastehen als jetzt«, rechnete Gernhardt vor.
Der linke Gewerkschafter verlangt, daß der TVÖD für den gesamten Konzern, also auch in den diversen Tochterunternehmen von Vivantes, eingeführt wird. Nach seinen Angaben sind fast ein Drittel der Mitarbeiter mittlerweile in ausgegliederten Unternehmen tätig, die den Neueingestellten deutlich weniger zahlen. Oftmals liegen die Einkommen für diese um rund 30 Prozent unter denen der Stammbelegschaft.
Senat knauserig
Die Argumentation der Vivantes-Spitze gegen diese und andere Forderungen ist stets dieselbe: Die Kassen sind leer. Das wird von ver.di auch gar nicht bestritten. Die Ursache der Finanzmisere sei allerdings darin zu suchen, daß das Land Berlin seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Deckung der Instandhaltungs- und Investitionskosten nicht nachkomme. »Diese Ausgaben zu tragen ist Sache des Senats, nicht der Beschäftigten«, betonte Spies, die den aufgelaufenen Investitionsbedarf des Konzerns auf eine halbe Milliarde Euro schätzt. Rund 40 Millionen Euro haben die Beschäftigten durch ihren Verzicht laut Gernhardt in den vergangenen Jahren bereits aufgebracht. »Wir müssen jetzt den Druck verstärken, damit sich der Arbeitgeber endlich das notwendige Geld dort holt, wo es nach dem System der Krankenhausfinanzierung auch herkommen soll: vom Senat«, meinte der Betriebsrat. Die Tarifkommissionsmitglieder aus Neukölln wollen bei der heutigen Sitzung deshalb den Antrag stellen, die Urabstimmung für einen Streik einzuleiten. »Bei uns kriegen wir von den Stationen die Rückmeldung, daß die Kolleginnen und Kollegen bereit sind, sich mit einem Arbeitskampf zur Wehr zu setzen.«
[Nachtrag: Am 19.9. erklärte die ver.di-Tarifkommission die Verhandlungen für gescheitert.]