Dokumentiert: Brief der SAV Rostock an die LINKE Rostock
Sozialistische Alternative Rostock
Kröpeliner Str. 90
18055 Rostock
Offener Brief an den Kreisvorstand der Partei DIE LINKE Rostock
Rostock, den 12. September 2008
Kommunalwahlen in Rostock 2009: Für eine gemeinsame kämpferische Kandidatur gegen den sozialen Kahlschlag!
Liebe Genossinnen und Genossen,
mit diesem offenen Brief wollen wir seitens der SAV mit Euch darüber in Diskussion treten, wie der anstehende Kommunalwahlkampf – im Interesse von Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Jugendlichen, RentnerInnen – politisch und praktisch vorbereitet werden sollte.
Rostock im Jahr 2008:
Jeder Fünfte ist ohne Arbeit, die Jugend ohne Perspektive, alles, was nicht niet- und nagelfest ist, soll verscherbelt werden, vom Wohnraum bis zum Krankenhaus. Die Löhne der Beschäftigten der Stadt sollen gesenkt und Arbeitsplätze in der Kommune abgebaut werden. Gleichzeitig wird bei Kultur und Soziales gnadenlos gekürzt.
Zur selben Zeit werden die Nazis immer aktiver und offensiver. Soziale Probleme aufgreifend und auf die rassistische Schiene schiebend, erhoffen sie sich, auch in Rostock Sitze in der Bürgerschaft zu erringen.
Die Verhältnisse in der Stadt schreien nach Veränderung.
Und das am Beginn eines globalen Wirtschaftsabschwungs. Die Unternehmer und ihre Politiker werden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, die Krise auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung auszutragen.
Um den Herrschenden – und den braunen Rattenfängern – einen Strich durch ihre Rechnung zu machen, ist Widerstand nötig: auf der Straße, im Stadtteil, im Betrieb, in der Schule, an der Universität. Dafür ist gemeinsame, organisierte Gegenwehr, dafür sind Massenproteste nötig. Außerdem braucht es kämpferische Belegschaftsvertreter und Gewerkschaften.
Aber der Widerstand kann und muss auch auf der politischen Ebene gestärkt werden. In jeder Auseinandersetzung stellen sich politische Fragen, auf die jenseits der kapitalistischen Logik Antworten gegeben werden müssen. Politische Interessenvertretungen können eine Rolle bei Mobilisierungen spielen. Zudem ist ein Bezugspunkt in den Parlamenten von Vorteil für die Kämpfe: um Anträge einzubringen, um mehr Öffentlichkeit zu schaffen, um Regierungsparteien unter Druck zu setzen.
Rostock vor den Kommunalwahlen 2009:
Sowohl die Fraktion der Linkspartei als auch die SAV mit der Bürgerschaftsabgeordneten Christine Lehnert lehnen Hartz-Gesetze, Agenda 2010 und Kriegseinsätze in Afghanistan ab. Und ebenso widersetzen sich sowohl Linkspartei als auch die SAV-Abgeordnete den Plänen des bürgerlichen Blocks (SPD, CDU, FDP, Bündnis 90) im Rathaus und des Oberbürgermeisters, kommunales Eigentum zu verkaufen, Löhne zu senken, Arbeitsplätze bei städtischen Betrieben und Einrichtungen abzubauen, und weiter bei Kultur und Soziales den Rotstift anzusetzen.
Angesichts dieser Gemeinsamkeiten wollen wir mit Euch ausloten, mit welchen inhaltlichen Positionen, mit welchen Kandidaturen, mit welchem Wahlkampf die Opposition zum Kapital und seinen politischen Repräsentanten bestmöglich unterstützt werden kann.
Zur Frage sozialistischer Kommunalpolitik hat die SAV eine grundsätzliche Haltung. Darüber wollen wir in die Diskussion treten.
Auch im Fall einer gemeinsamen Kandidatur führt für uns kein Weg daran vorbei, diese Positionen im Wahlkampf deutlich zu machen:
– Ablehnung jeder Form von Sozialabbau und Privatisierungen
– Keine Sozialkürzungen unter dem Deckmantel der „Haushaltskonsolidierung": Die Reichen sollen zahlen
Mobilisierung für dieses Programm in den Betrieben, Schulen, Unis und Stadtteilen, sowie auf der Straße und in den Gewerkschaften
– Keine Beteiligung an Regierungen mit Sozialabbau-Parteien, egal ob als Koalition oder Tolerierung
– Die Politik vom PDS- beziehungsweise DIE LINKE-Sozialsenator Nietzsche in Rostock lehnen wir fundamental ab. Nietzsche setzte die Kürzungspläne der Stadtverwaltung konsequent um: Jugendtreffs wurden mit Seniorentreffs zusammengelegt und die Beschäftigten dieser Einrichtungen wurden – zum Entsetzen von Belegschaftsvertretern und Gewerkschaftern – hin- und hergeschoben. Ebenso wurde das Sozialticket – in vorauseilendem Gehorsam – vom Sozialsenator gekündigt
– Die Beteiligung der PDS an einer SPD-Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern war ein schwerer Fehler: Von 1998 bis 2006 wurden 100.000 Arbeitsplätze vernichtet, die Zahl der Sozialhilfeempänger nahm um ein Drittel zu
– In Berlin setzt die Partei DIE LINKE als Koalitionspartner der SPD im Berliner Senat diese fatale Politik heute fort: Die Berliner Linkspartei muss diese Regierungsbeteiligung sofort beenden
– Es darf keine parlamentarische Fixiertheit geben: Der Schwerpunkt linker Politik muss der Aufbau von Widerstand in den Betrieben, in den Stadtteilen und auf der Straße sein
– Wenn Konzerne erklären, dass sie im Fall einer Erhöhung der Unternehmenssteuern mit Investitionsboykott oder Kapitalflucht reagieren, wenn Betriebe massenhaft Stellen streichen wollen, dann müssen sie in öffentliches Eigentum überführt werden – unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung
– Die Wiedereinführung des Kapitalismus in Ostdeutschland bedeutete für Millionen Armut und Arbeitslosigkeit. Der Kampf für Verbesserungen muss mit dem Kampf für eine fundamental andere Gesellschaft, für eine sozialistische Demokratie verbunden werden. Weder die Diktatur der Banken und Konzerne noch die Herrschaft einer abgehobenen, privilegierten Bürokratie!
Ob in Rostock eine gemeinsame Kandidatur gegen den sozialen Kahlschlag zustande kommt, hängt für uns davon ab, ob es möglich ist, sich auf folgende – für uns unverzichtbare – Forderungen zu einigen:
– Keinerlei Zustimmung zu Stellenstreichungen, Privatisierungen und Sozialkürzungen. Stopp von Bildungs- und Kulturabbau!
– Keine Absprachen und Bündnisse mit Sozialabbau-Parteien, die über einzelne Sachfragen hinaus gehen
– Umwandlung aller Ein-Euro-Jobs in tariflich bezahlte Arbeitsplätze
– Statt Stellenabbau im Öffentlichen Dienst deutliche Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich, um die Arbeit auf alle aufzuteilen. Einführung der 35-Stunden-Woche als erster Schritt zu weiterer Arbeitszeitverkürzung
– Keine Privatisierung von Südstadtklinik, Stadtreinigung, Stadtwerke oder Wohnungen
– Höhere Zuweisungen von Land und Bund für die Kommune – die sich die Gelder von den Banken, Konzernen und Reichen holen müssen (zum Beispiel durch Rücknahme der Steuervergünstigungen der letzten Jahre und Wiedereinführung von Vermögens- und Erbschaftssteuer)
– Nein zu Korruption, Subventionsbetrug und Veruntreuung: Für eine öffentliche Untersuchungs-kommission, um allen im Raum stehenden Vorwürfen gegenüber Funktionsträgern in Bürger-schaft, Verwaltung und öffentlichen Betrieben und Einrichtungen auf den Grund zu gehen
Bundesweit setzen derzeit Millionen Hoffnung in die Partei DIE LINKE. In der Tat bietet die Linkspartei im Bund die Chance, eine Massenpartei aufzubauen, die Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche, sozial Benachteiligte organisiert und in Kämpfen mobilisiert; eine Partei, die sich nicht auf kapitalistische „Sachzwänge" einlässt und für ein konsequent sozialistisches Programm eintritt. Darum haben wir uns auf Bundesebene entschieden, Mitglied der LINKEN zu werden – und für diesen Kurs in der Partei zu kämpfen. Denn es besteht die reale Gefahr, dass eine weitere Anpassung an das kapitalistische System erfolgt. Wenn DIE LINKE nicht bereit sein sollte, den Konflikt mit den Herrschenden einzugehen und sich darauf einlässt, Regierungen der Hartz-IV-Partei SPD mitzutragen – ob in Form einer Tolerierung oder als direktes Regierungsmitglied – dann wird sie die Erwartungen enttäuschen und die gegebene Möglichkeit, eine starke Interessenvertretung der arbeitenden und erwerbslosen Menschen aufzubauen, wird ungenutzt bleiben.
Was heißt das jetzt konkret auf Rostock und die anstehenden Kommunalwahlen bezogen?
In Rostock hat sich die SAV immer wieder für die Organisierung von Protesten gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau eingesetzt. Unsere Bürgerschaftsabgeordnete Christine Lehnert hatte Anteil daran, dass das heutige Sozialticket durchgesetzt werden konnte. Christine Lehnert und die SAV organisierten Protestkundgebungen vor der Bürgerschaft gegen den Verkauf kommunalen Eigentums. Ebenso standen unsere Abgeordnete und die SAV regelmäßig an der Seite streikender KollegInnen und unterstützten aktiv Proteste für die Schaffung eines Jugendzentrums oder gegen den G8-Gipfel. Mit „widerstand international" und anderen protestierte Christine Lehnert gegen den Nazi-Laden Thor Steinar.
Dass Christine Lehnert der Bürgerschaft angehört, ist ein enormer Vorteil für die arbeitende Bevölkerung. Für Gewerkschafter, Belegschaftsvertreter, Vertreter von Obdachloseninitiativen und Jugendliche ist Christine Lehnert ein Ansprechpartner geworden. Darum sehen wir seitens der SAV es als unsere Verantwortung an, sicherzustellen, dass diese Politik auch in der künftigen Legislaturperiode in der Bürgerschaft fortgesetzt und noch intensiviert werden kann.
Wir schlagen – im Fall einer Verständigung über die oben genannten konkreten, für uns unverzichtbaren Forderungen – eine gemeinsame Kandidatur und damit verbunden einen Eintritt der Rostocker SAV-Mitglieder in DIE LINKE vor. Für einen prinzipienfesten Kurs gegen die Kapitalinteressen in der Stadt halten wir auch eine personelle Kontinuität für geboten. Darum sehen wir einen vorderen Listenplatz (unter den ersten zehn KandidatInnen) für Christine Lehnert als nötig an. Da die SAV schon bei der letzten Wahl beinahe mit einem zweiten Mitglied in die Bürgerschaft eingezogen wäre und um die Breite einer gemeinsamen Kandidatur gegen Sozialkahlschlag deutlich zu machen, betrachten wir zudem einen weiteren Platz unter den ersten zehn KandidatInnen für ein SAV-Mitglied als erforderlich.
Wir sind uns natürlich bewusst, dass über diese Fragen gewählte Delegierte der LINKEN Rostock auf einer entsprechenden Versammlung zu entscheiden haben.
Da wir aber alles daran setzen wollen, die Arbeit von Christine Lehnert – im Interesse von Beschäftigten und Erwerbslosen – fortzusetzen und im Fall einer erneuten eigenständigen Kandidatur als politische Organisation ohne großen Apparat rechtzeitig alle nötigen Vorbereitungen treffen müssen (Formalia für die Wahlzulassung, entsprechende Öffentlichkeitsarbeit, Materialerstellung etc.) sind wir darauf angewiesen, dass zunächst der Kreisvorstand der LINKEN – als gewählte Vertretung der Partei – eine (hoffentlich positive) Antwort auf die aufgeführten Fragen bis Ende Oktober gibt und dann vor Jahresende eine Delegiertenversammlung der LINKEN (zum Wahlprogramm und zur Kandidatenaufstellung bei den Kommunalwahlen) stattfindet.
Die Frage der Kandidatur – sowohl Inhalte als auch Personen – sollte unserer Ansicht nach nicht auf Diskussionen innerhalb der LINKEN beziehungsweise zwischen LINKE und SAV beschränkt bleiben. Diese Fragen sollten öffentlich erörtert werden. Diejenigen, die es zu vertreten gilt, sollten daran teilhaben. Deshalb schlagen wir – bis Ende Oktober – eine öffentliche Veranstaltung vor, mit Mitgliedern von Linkspartei und SAV, aber auch mit betrieblichen AktivistInnen, VertreterInnen sozialer Protestbewegungen, aus dem Antifa-Bereich und der Antikriegsbewegung. Diese Veranstaltung muss in unseren Augen breit bekannt gemacht werden, um möglichst vielen die Gelegenheit zu geben, daran teilnehmen und sich einbringen zu können.
Mit sozialistischen Grüßen,
Ortsgruppe der SAV Rostock