Debatte: Neue antikapitalistische Partei in Frankreich

Was für ein Programm braucht die neue Partei?

Zwei Beiträge von François Duval, Mitglied der Nationalen Leitung der Ligue communiste révolutionnaire (LCR), und Virginie Prégny, Mitglied im nationalen Vorstand von Gauche révolutionnaire


 

Die LCR – eine Organisation mit einem trotzkistischen Anspruch, deren Kandidat Olivier Besancenot bei der Präsidentschaftswahl 2007 über vier Prozent der Stimmen erhielt – will sich Ende dieses Jahres auflösen und eine neue antikapitalistische Partei gründen.

Welche Strukturen, welche Politik, welches Programm sollte diese neue Formation haben? Wofür sollten revolutionäre SozialistInnen eintreten? Die LCR wirft weitreichende Fragen zum Grundverständnis von MarxistInnen auf. So erklärte Besancenot kürzlich: „Wir denken, dass der historische Zyklus, der 1917 mit der Russischen Revolution begonnen hat, 1989 zu Ende gegangen ist.“ Und weiter: „Die Russische Revolution kann nicht länger der Bezugspunkt bleiben, der sie für alle revolutionären Gruppen ein Jahrhundert lang war.“

François Duval, Mitglied der Nationalen Leitung der Ligue communiste révolutionnaire (LCR):

Die antikapitalistischen Kräfte zusammenbringen

Ungefähr 800 Delegierte, die mehr als 300 Kollektive repräsentierten, sind Ende Juni in Paris zu dem ersten nationalen Treffen der Kollektive für eine neue antikapitalistische Partei zusammengekommen. Diese Versammlung zeugt von dem Echo, das der Aufruf von Olivier Besancenot und der LCR vor ungefähr einem Jahr ausgelöst hat.

Diese politische Initiative beruht auf einer dreifachen Feststellung. Trotz der Schläge, die die Arbeiterklasse und die ärmere Bevölkerung auf sozialer und auf politischer Ebene seit 25 Jahren hat einstecken müssen, wird die neoliberale Politik weiterhin in Frage gestellt, der Wind des Widerstands weht nach wie vor. Aber diese sozialen Bewegungen, gelegentlich auf Massenebene, haben keine politische Entsprechung. Und das ist die zweite Feststellung: der unerbittliche Niedergang der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) und das immer stärker ausgeprägte Abdriften der Sozialistischen Partei (PS) zum Neoliberalismus machen einen politischen Raum frei, Raum für eine echte und antikapitalistische Linke, für eine neue Vertretung der Welt der Arbeit. Und, dritte Feststellung, die Ergebnisse, die Olivier Besancenot und die LCR bei der Präsidentschaftswahl 2007 unter besonders schwierigen Bedingungen erhalten haben – während die Parteien links von der PS einen dramatischen Rückgang zu verzeichnen hatten – übertragen der LCR eine besondere Verantwortung: nämlich eine Initiative auf der Höhe der politischen Herausforderungen zu ergreifen.

Versuche, die radikale und antikapitalistische Linke zusammenzubringen, sind nicht völlig neu; doch sind die vorausgegangenen Bemühungen, die „von oben“ initiiert worden sind, über Debatten mit verschiedenen Strömungen der kritischen Linken (darunter die PCF) gescheitert. Dieses Mal geht es um einen Ansatz an der Basis, „von unten“. Damit ist verbunden, dass es schwierig ist, jetzt bereits anzugeben, wie das politische Programm und die Eckpunkte der neuen Partei aussehen werden: Darüber zu befinden, wird Sache all derjenigen sein, die sich an diesem Prozess beteiligen, weil sie sich nicht mehr durch die Parteien der traditionellen Linken vertreten fühlen und auf der Suche nach einem neuen Instrument sind, um ihre Kämpfe in eine größere Perspektive zu stellen. Denn es geht darum, viele zusammenzubringen, weit über die erklärten Sympathisantinnen und Sympathisanten der revolutionären Linken hinaus: SozialistInnen, KommunistInnen, ökologisch Engagierte, Antiliberale, AktivistInnen der sozialen Bewegung (der Gewerkschafts-, feministischen, ökologischen, globalisierungskritischen Alternativ-Bewegungen), Aktive aus unterschiedlichen politischen Traditionen und vor allem Neue ohne politische Tradition.

Wir starten jedoch nicht beim Nullpunkt: In den politischen Kampagnen der revolutionären Linken und vor allem in den sozialen Mobilisierungen haben sich Forderungen und Bestrebungen herausgebildet. Es geht darum, sie in einen Zusammenhang und eine Perspektive zu stellen: Umverteilung des Reichtums, Verbot von Entlassungen, Verteidigung und Ausweitung der öffentlichen Dienste, kollektive Aneignung der Schlüsselsektoren der Wirtschaft, soziale Gleichheit und Kampf gegen alle Formen von Unterdrückung und Diskriminierung und so weiter. Gepaart mit dem Willen zu uneingeschränkten Angriffen auf das System, das Ausbeutung und Unterdrückung hervorbringt.

Damit ist das, was die revolutionäre Linke traditionell unter einem politischen Programm versteht, nicht vollständig abgedeckt, nämlich eine globale Sicht der Welt und eine Interpretation der Geschichte sowie eine ganz bestimmte revolutionäre Strategie. Wenn wir nicht von Neuem Enttäuschungen bereiten wollen, müssen allerdings zwei Probleme von Anfang an geklärt werden: Ablehnung von parlamentarischen oder Regierungskoalitionen oder -bündnissen mit der PS sowie die absolute Priorität auf die soziale Bewegung gegenüber den Aktivitäten in den Institutionen.

Das umreißt immerhin ein recht präzises Projekt: eine Partei für den Kampf, eine antikapitalistische Partei für die Revolutionierung der Gesellschaft, eine Partei für den Selbstverwaltungssozialismus und vor allem eine neue politische Vertretung, die von denjenigen selber aufgebaut wird, die sie benötigen. Der Bezug der neuen Partei auf die revolutionären Erfahrungen der Vergangenheit wird wahrscheinlich offen und weiter in der Diskussion bleiben. Was die LCR angeht, sie hat vor, sich weiterhin mit diesen revolutionären Erfahrungen zu befassen: natürlich mit dem russischen Oktober 1917, aber auch mit der Pariser Commune, der deutschen Revolution, der spanischen Revolution, Nicaragua, Chiapas, dem gegenwärtigen Prozess in Venezuela und vielen anderen. Und zwar mit dem Willen zu studieren, was geklappt hat, aber auch, was misslungen ist. Denn es geht in der Tat um zu studierende Erfahrungen, nicht um zu kopierende Modelle. Nach dem Scheitern des Stalinismus und der Sozialdemokratie ist der Sozialismus des 21. Jahrhunderts neu zu erfinden. Und er wird in den gegenwärtigen Kämpfen schon erfunden!

Virginie Prégny, Mitglied im nationalen Vorstand von Gauche révolutionnaire:

Für eine neue sozialistische Arbeiterpartei

In Frankreich, wie in den meisten anderen Ländern, fehlt – konfrontiert mit der neoliberalen Offensive – eine starke politische Interessenvertretung für die arbeitende Bevölkerung. Nach der Ankündigung der LCR, eine neue antikapitalistische Partei gründen zu wollen, hat Gauche révolutionnaire (die französische Sektion des CWI) von Anfang an bekundet, sich an dieser Herausforderung zu beteiligen und sich in die Diskussionen um ihre Gründung eingebracht.

Die Radikalisierung der Beschäftigten und Jugendlichen in Frankreich hat sich sowohl in mehreren Kämpfen als auch auf Wahlebene gezeigt: so konnten die zwei größten Organisationen, die sich trotzkistisch nennen, Lutte Ouvrière und LCR, sehr gute Ergebnisse erzielen (fast zehn Prozent bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 2002 und fünf Prozent 2007). Die Bedingungen, eine neue kämpferische Partei zu gründen, sind seit geraumer Zeit vorhanden. Zahlreiche Gelegenheiten wurden bislang verpasst.

Die Wahl von Sarkozy bedeutete eine entscheidende Niederlage für die SP. Diese war bemüht, sich bei den Herrschenden als eine Kraft anzudienen, die den Kapitalismus besser verwalten kann, als die Kapitalisten selber. Dadurch hat sie ihr wahres Gesicht gezeigt und sich von den ärmeren Schichten isoliert. Das Fehlen einer politischen Opposition zu Sarkozy schreit nach der Gründung einer neuen Partei. Einer Partei, die die Beschäftigten um ein kämpferisches Programm sammelt, und deren demokratische Struktur es ermöglicht, über eine sozialistische Alternative zu diskutieren.

Der Zusammenbruch des Stalinismus und die Verbürgerlichung der sozialdemokratischen Parteien hat die Arbeiterklasse auf der politischen Ebene entwaffnet. Die Verwirrung, die das seit den neunziger Jahren ausgelöst hat, erschwerte den Widerstand; auch wenn es bedeutende Abwehrkämpfe gab. Gegenwehr wird verkompliziert durch die bremsende Rolle der Gewerkschaftsspitzen und deren ständige Suche nach Kompromissen mit den Arbeitgebern. Vor allem aber fehlt es an einer Alternative zur Logik des Kapitalismus. Um eine Antwort auf die Fragen zu geben, die sich mit der Krise dieses Systems stellen, braucht es eine neue kämpferische Partei. Eine Partei, die einen Katalog von Forderungen und schließlich ein Programm entwickelt, das den Beschäftigten einen Weg weist, ihre Abwehrkämpfe wirksam zu führen und das zudem die Kapitalherrschaft grundsätzlich in Frage stellt.

Die momentan vorgeschlagenen programmatischen Punkte und die Funktionsweise der Komitees für eine neue antikapitalistische Partei bieten keine Antwort auf die brennenden Fragen. Auf der einen Seite wird eine sozialistische Perspektive nicht als zentral für die neue Partei betrachtet. Andererseits bieten die Treffen, die bisher stattgefunden haben, selten die Möglichkeit, kollektive Entscheidungen zu treffen, da in den meisten Fällen nicht mal Abstimmungen stattfinden. Es ist selbstverständlich sinnvoll, dass die Gründungsphase vor allem eine Diskussionsphase ist, aber die gegenwärtige Vorgehensweise führt zu einer Verzögerung des gesamten Prozesses, einschließlich der Klärung der programmatischen Inhalte.

Um der kapitalistischen Ausbeutung ein Ende zu bereiten, ist eine demokratische Planwirtschaft nötig – auf Grundlage des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln, unter der demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten selber. Von einem „Verbot von Entlassungen“ zu sprechen, ohne zu sagen, wer das kontrollieren soll, ist nicht hilfreich, wenn es darum geht, die nötigen Schritte aufzuzeigen, um die kapitalistischen Verhältnisse überwinden zu können.

Die notwendigen politischen Klärungen müssen Hand in Hand gehen mit einem engagierten Eingreifen in die Kämpfe. Es braucht in der neuen Partei Strukturen, die es allen ermöglichen, sich einzubringen, und sicherstellen, dass Entscheidungen wirklich demokratisch und kollektiv gefällt werden. Zudem ist es unabdingbar, dass allen politischen Strömungen, sowohl auf örtlicher als auch auf nationaler Ebene, das Recht zugestanden wird, sich öffentlich zu äußern.

Schließlich reicht es nicht aus, wenn die Partei erklärt, die Gesellschaft „revolutionieren“ zu wollen, um eine wirkliche Hilfe im Kampf für die Abschaffung des Kapitalismus zu sein. In diesem Kontext erscheint uns das Beispiel der russischen Oktoberrevolution von 1917 – als die Arbeiter sich in Räten organisierten – nach wie vor als das wichtigste Vorbild, auf das sich Revolutionäre heute beziehen müssen. Das heißt natürlich nicht, andere Revolutionen oder revolutionäre Situationen zu ignorieren. Aber die entscheidende – und für heute weiterhin gültige – Lehre von 1917 besteht darin, dass der Kapitalismus nur durch die Machtübernahme der Arbeiterklasse erfolgreich gestürzt werden kann. Nur so werden die Voraussetzungen zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft geschaffen. Genau das muss sich auch heute eine antikapitalistische Partei zum Ziel setzen.

Gauche révolutionnaire wird sich weiterhin konstruktiv am Aufbau der neuen Partei beteiligen und dabei die marxistischen Ideen für eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus verteidigen.