In Südafrika müssen klassenkämpferische und sozialistische Traditionen wiederbelebt werden
Am 10. Mai begann in Alexandra, einem Township von Johannesburg, eine Welle fremdenfeindlicher Übergriffe, die das Land für mehr als zwei Wochen erschüttern sollten. Ein gewalttätiger Mob machte bewaffnet Jagd auf MigrantInnen aus anderen afrikanischen Ländern.
von Ianka Pigors, Hamburg
Die Übergriffe weiteten sich schnell aus. Die Zeitung Sowetan berichtete am 5. Juni von insgesamt 62 Toten. Die Opfer wurden erschlagen, erstochen und in einem entsetzlichen Fall mit einem benzingetränkten Autoreifen um den Hals verbrannt. Diese Hinrichtungsmethode war früher in Einzelfällen benutzt worden, um Renegaten, die den Widerstand an die folternde Apartheids-Polizei verraten hatten, zu bestrafen. Nun traf es einen unschuldigen Einwanderer aus Malawi. Babys und Kranke starben, nachdem Wellblechsiedlungen niedergebrannt wurden, an den Folgen der Obdachlosigkeit. Hunderte wurden verletzt, vergewaltigt und ausgeraubt.
Die Ausschreitungen schockierten die südafrikanische Bevölkerung. In den Arbeitervierteln gehört der Stolz auf den Widerstand gegen die Apartheid, das weiße Minderheiten-Regime, das bis 1994 herrschte, noch immer zum Selbstverständnis. Viele AktivistInnen waren selbst lange Jahre in der Immigration in afrikanischen Nachbarstaaten. Die Gewalt gegen die etwa drei Millionen Flüchtlinge, unter anderem aus dem krisengeschüttelten Simbabwe, stieß die Allermeisten der über 40 Millionen SüdafrikanerInnen ab. Trotzdem konnte der Mob oft ungestört wüten. Wie war das möglich?
Neoliberale ANC-Regierung
In den vergangenen Jahren entwickelte sich der ANC von einer Massenorganisation gegen eine rassistische Diktatur zu einem korrupten Regierungsapparat. In einem Bündnis mit dem gewerkschaftlichen Dachverband Cosatu und der Kommunistischen Partei (KP) setzt der ANC heute knallhart neoliberale Politik durch. Unter dem Motto „black empowerment“ (schwarzer Machtgewinn) bereichert sich eine kleine, schwarze Elite, während der Reichtum von Teilen der Weißen ebenso wenig angetastet wird, wie das zunehmende Elend der schwarzen Mehrheit.
Klassenkämpfe
Die Allianz der Gewerkschaften mit dem ANC erschwert den Kampf der Arbeiterklasse gegen Ausbeutung und Privatisierung. Seit die Cosatu-Führung den scheinradikalen Jacob Zuma gegen Thabo Mbeki als ANC-Präsidentschaftskandidaten durchgesetzt hat, zeigt sie sich noch regierungsfreundlicher als vorher.
Mehr und mehr ArbeiterInnen wenden sich inzwischen vom ANC und den Cosatu-Oberen ab. Letztes Jahr kam es zum größten und längsten Streik im Öffentlichen Dienst in der Geschichte Südafrikas. Dieser wurde gegen die Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt. Auch als sich die Transportarbeiter weigerten, Schiffe mit chinesischen Waffen für das Regime in Simbabwe zu entladen, war das ein Streik in Opposition zum Bündnis von Cosatu, ANC und KP. Und ein Ausdruck von Solidarität mit den unterdrückten Massen Simbabwes.
Wie konnte es zu den Pogromen kommen?
Die jüngsten Arbeitsniederlegungen zeigen das Potenzial für eine Massenbewegung gegen die Herrschenden – in der reaktionäre Ideen an den Rand gedrängt werden. Allerdings schürt der ANC Vorurteile, um von seiner Politik abzulenken. MigrantInnen werden für die 40 prozentige Arbeitslosenquote im Land, für sinkende Löhne und die explodierende Kriminalität verantwortlich gemacht. Staatlicher Rassismus, zum Beispiel die Errichtung des von privaten Investoren geführten Abschiebungslagers Lindelani, in dem Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht werden, bereitet den Boden für rechte, nationalistische Ideologien. Nach den Pogromen sahen sich die Herrschenden gezwungen, die Schläger verbal zu verurteilen. Zu der von Cosatu eilends angekündigten Gegendemonstration wurde jedoch kaum mobilisiert.
Nur wenn es gelingt, den Kampf gegen die Armut trotz der Blockade der heutigen Gewerkschaftsbürokratie zu organisieren, mit dem ANC komplett zu brechen und eine neue Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm aufzubauen, gibt es eine Perspektive für die verelendeten Massen in den Townships. Nur so kann verhindert werden, dass verzweifelte Menschen auf fremdenfeindliche Ideologien hereinfallen und sich die Verlierer der neoliberalen Politik gegenseitig zerfleischen, statt gemeinsam für eine Verbesserung ihrer Lage zu kämpfen.