Was ist zu tun, um die Bewegung weiter aufzubauen?
In verschiedenen Teilen von Deutschland streikten im Juni Schülerinnen und Schüler. Die Proteste haben das Potenzial, zu einer starken Bewegung anzuschwellen.
von Michael Koschitzki, Berlin
Von Baden-Württemberg bis Mecklenburg-Vorpommern herrscht Bildungsnotstand. Schulen sind unterfinanziert, Lehrer überstrapaziert und SchülerInnen leiden unter enormem Leistungsdruck. Die voranschreitende Zwei-Klassen-Bildung zementiert soziale Ungleichheit. Von steigenden Gebühren für die Kita bis zu Studiengebühren hängt gute Bildung vom Geldbeutel der Eltern ab. Mit der Verkürzung des Abiturs (G8) wird Schule weiter den Erfordernissen von Arbeitgebern angepasst.
„Bildungsgipfel“
Anlässlich einer Feier zu 60 Jahren „soziale Marktwirtschaft“ verkündete Merkel: „Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle.“ Für das Schaufenster soll am 22. Oktober ein Bildungsgipfel stattfinden. Und so was hat Tradition. Nach dem PISA-“Schock“ organisierte die Bundesregierung unter Gerhard Schröder den Kongress „Deutschland. Das von morgen“ im Januar 2004 mit 250 TeilnehmerInnen. Noch größer war der „Futur-Kongress“ im Juni 2004 mit über 700 Jugendlichen. Außer warmen Worten ist wenig passiert.
Schlimmer noch, wurde der Trend zu mehr Prüfungen weiter verschärft. Vergleichsarbeiten in den Bundesländern und darüber hinaus wurden eingeführt, LehrerInnen zu mehr Evaluationen (Schul- und Leistungsuntersuchungen) gezwungen. Für alle Beteiligten haben sich dadurch Stress und Druck erhöht, aber die Bildung nicht verbessert. Der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sank von 1995 bis 2006 um 0,7 auf 6,2 Prozent.
Proteste von SchülerInnen, LehrerInnen und Studierende
Kein Wunder, dass Merkel gerade Bildung zum Thema macht. Denn es regt sich Unmut. Nach großen Elternprotesten gegen die Verkürzung des Abiturs zum Beispiel in Hessen und einer Demonstration von 11.000 LehrerInnen in Niedersachsen, knüpften Berlins SchülerInnen an die Streiks der letzten zwei Jahre an. Um was zu verändern, belebten sie das Bündnis „Bildungsblockaden einreißen“ wieder, in dem auch die SAV mitarbeitete. Ihr Streik vom 22. Mai sowie weitere Schülerproteste in anderen Städten in diesem Frühjahr gaben Rückenwind für SchülerInnen in weiteren Orten, die zu einem Streik am 12. Juni aufriefen. Insgesamt beteiligten sich an diesem Tag 15.000 Schülerinnen und Schüler in zahlreichen Städten.
Auftrieb erhielt die Bewegung außerdem durch die Rücknahme der Studiengebühren in Hessen. Nachdem die Regierung Koch versuchte, den Beschluss von SPD, Grünen und der LINKEN im Landtag zu sabotieren, gingen spontan Studierende auf die Straße. Sie nahmen auch am Streik in Kassel teil. Die Rücknahme der Studiengebühren ist ein später Erfolg der hessischen Studierendenbewegung, kann aber die Bewegung in anderen Bundesländern neu aktivieren.
Warum bist du auf der Straße?
Fragte man die TeilnehmerInnen der Proteste nach ihren Beweggründen, so hörte man Vieles. Gegen die Verkürzung des Abiturs, für kleinere Klassen, gegen Büchergeld, für kostenlose Bildung, gegen Studiengebühren, für mehr Sporthallen… Die Liste der Forderungen ist lang und der Unmut ist groß. In Berlin wurde dem Senat das Ultimatum gestellt, zu Beginn des nächsten Schuljahrs unter anderem 3.000 neue Lehrerstellen zu schaffen und die Lernmittelfreiheit wieder einzuführen.
Neben Protesten gegen Kürzungen und G8 werden Kopfnoten zunehmend zum Gegenstand von Protesten. Mit der Bewertung von „Sozialkompetenz“ und ähnlichem soll der bestraft werden, der aufmuckt. Im Westen in einer Reihe von Bundesländern in den Siebzigern und im Osten 1989 abgeschafft, soll mit der Wiedereinführung der Kopfnoten das Rad der Geschichte zurückgedreht werden. Dagegen gab es schon Proteste in Hannover und Düsseldorf im Juni. Weitere werden folgen.
Aber es gibt auch einen generellen Unmut gegen dieses Schulsystem, Stress, Bevormundung und vieles mehr.
Manchmal reicht ein Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. In Berlin streikten im Juni 3.000 SchülerInnen, weil eine Zentralprüfung in Mathe nochmal geschrieben werden sollte. Die Organisatoren hatten den Termin fast nur über das Internet verbreitet.
Nächste Schritte
Der Schlüssel für den Erfolg bei der Organisierung der Proteste waren die eigenen Strukturen der SchülerInnen in Form von Politik-AGen oder Streikkomitees.
Weitere Gruppen sollten entstehen und demokratisch organisiert werden, um so effektiv wie möglich die nächsten Schritte vorbereiten zu können. Also jederzeit abwählbare Verantwortliche bestimmen, die mit der Presse reden oder Treffen vorbereiten. Die Komitees funktionieren bislang da am Besten, wo sie mit regelmäßigen politischen Angeboten einhergehen. Dort diskutieren SchülerInnen, was an ihrer Schule falsch läuft, was ihre Forderungen sind oder gucken politische Filme. Die Sommerferien können genutzt werden, sich genau dafür mehr Zeit zu nehmen.
Die bisherigen Proteste können der Anfang einer neuen Bewegung werden. Das Potenzial ist vorhanden. Die AktivistInnen müssen jetzt die nächsten Schritte planen. Über die einzelnen Städte hinaus können Kontakte geknüpft werden, um sich besser abzustimmen. Das Berliner Bündnis „Bildungsblockaden einreißen“ schlägt für den 4. und 5. Oktober eine bundesweite Konferenz vor. Zudem gibt es die Idee, am 12. November einen bundesweiten Schülerstreik zu organisieren.
An jeder Schule sollten sich so schnell wie möglich Aktive zusammensetzen, um die Vorschläge, ihre Umsetzung und die Forderungen zu diskutieren.