Gegen den Pflegenotstand

Der Deckel muss weg!


 

Seit den neunziger Jahren werden die Krankenhausbudgets immer mehr beschnitten. Seit dem Gesundheitsreformgesetz vom Jahr 2000 dürfen sie nur noch um die jährliche Steigerung der Grundlohnsumme steigen (2008 um 0,64 Prozent). Zieht man noch den „Sanierungsbeitrag“ von 0,5 Prozent für die Krankenkassen ab, bleiben 2008 0,14 Prozent mehr. Damit steht im fünften Jahr in Folge bei der Steigerungsrate eine Null vor dem Komma. Das reicht vorne und hinten nicht – weder für Lohnerhöhungen, noch für andere Kostensteigerungen.

von Dieter Janßen, ver.di-Vertrauensmann im Klinikum Stuttgart*

Hinzu kommt, dass die Landesregierungen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen, die Investitionen der Krankenhäuser zu finanzieren. Dadurch gibt es einen Investitionsstau von 50 Milliarden Euro.

Kliniken vor dem Aus

Diese politisch bewusst herbei geführte Unterfinanzierung soll dazu führen, dass ein Drittel aller Krankenhäuser schließen muss. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft sind 2008 bereits 34 Prozent der über 2.100 Kliniken von Insolvenz bedroht. Die Kommunen als Träger der städtischen Krankenhäuser sind nicht bereit, diese Unterfinanzierung auszugleichen.

Wie alle Träger, geben sie den Druck einfach nach unten weiter. Die Krankenhäuser steigern ihre Fallzahlen, verkürzen die Verweildauer und kürzen beim Personal. In den letzten zehn Jahren sind 100.000 Arbeitsplätze vernichtet worden, davon 50.000 in der Pflege. Gleichzeitig sank die Verweildauer der Patienten von 11,4 auf 8,6 Tage, mehr und mehr Patienten werden krank nach Hause geschickt. Eine Pflegekraft versorgt heute 25 Prozent mehr Fälle als 1995 und das bei deutlich höherem Schweregrad der Erkrankungen.

Druck auf Beschäftigte

Trotz der Absenkungen durch den TVÖD geht der Druck auf die Löhne weiter. Belegschaften werden erpresst. Es wird mit Konkurs oder Privatisierung gedroht. Elf Prozent der Kliniken haben Absenkungstarifverträge abgeschlossen, acht Prozent planen dies. Für die bevorstehenden Verhandlungen über eine neue Entgeltordnung ist mit enormen Druck der Krankenhaus-Arbeitgeber zu Abgruppierungen für Krankenhaus-Beschäftigte zu rechnen.

Pflegekräfte sollen ärztliche Tätigkeiten übernehmen, pflegerische Aufgaben von weniger ausgebildeten und schlechter bezahlten Beschäftigten übernommen werden. In der Uniklinik Freiburg erledigen Hotelfachkräfte einen Teil pflegerischer Arbeiten für 17 Prozent weniger Lohn.

Zwei-Klassen-Medizin

Gleichzeitig kommt der medizinische Fortschritt immer weniger Versicherten zu Gute. Die Zwei-Klassen-Medizin wird ausgebaut. Während die Stationen immer größer werden, um Kosten und Personal einzusparen (35, 40 und mehr Patienten), entstehen für Reiche „First-Class“-Privatstationen mit Fünf-Sterne-Service. Für Otto-Normal-Patient ohne dicken Geldbeutel sieht’s so aus: „Blasenkatheter und Windeln werden eingesetzt, weil keine Schwester da ist, um Patienten zur Toilette zu begleiten“ (SWR-Sendung „Riskante Pflege“ vom 8. Juni 2007). Ein Pfleger auf SPIEGEL ONLINE vom 17. März: „Sogar Selbstverständlichkeiten, etwa Patienten aufzurichten, so dass sie im Sitzen essen können, bleiben da auf der Strecke.“ Der von den Krankenhausträgern angekündigte zusätzliche massive Personalabbau, um die Lohnerhöhungen zu finanzieren, würde die Situation weiter verschlimmern.

Wir dürfen nicht zulassen, dass wir unsere Lohnerhöhungen selbst bezahlen müssen, sei es über Lohnkürzungen, weiteren Stellenabbau oder andere Verschlechterungen.

Sämtliche Kosten der Krankenhäuser – einschließlich Lohnerhöhungen – müssen gegenfinanziert werden. Das Geld dafür ist vorhanden, es muss über Steuern auf Profite und Vermögen organisiert werden.

*Angabe der Funktion dient nur zur Kenntlichmachung der Person

Forderungen der SAV

Für ein Sofortprogramm, um die schlimmsten Notstände in den Kliniken zu beseitigen: Deckung des unmittelbaren Milliardendefizits, Finanzierung notwendiger Investitionen, Schaffung von mindestens 100.000 neuen Stellen als ersten Schritt zur Beseitigung des Personalnotstandes

Finanziert durch eine drastische Besteuerung von Gewinnen und Vermögen

Rücknahme aller Privatisierungen von und in Kliniken

Überführung von Pharmaunternehmen, Medizingeräteherstellern und privaten Krankenhauskonzernen in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung