Durch Geldmangel in den Kliniken werden medizinische Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Ein Gespräch mit Carsten Becker
Carsten Becker ist Vorsitzender der ver.di-Betriebsgruppe am Berliner Uniklinikum Charité
Das Interview führte Daniel Behruzi. Es wurde zuerst veröffenticht in der jungen Welt, 17.5.08
Ver.di beklagt die schlechte Finanzlage der öffentlichen Krankenhäuser. Wie wirkt sich das in den Kliniken konkret aus?
Die Unterfinanzierung hat auf allen Ebenen fatale Auswirkungen. Die Beschäftigten sind mit massivem Personalabbau und Lohnkürzungen konfrontiert. Zudem drohen allerorten Ausgründungen, Privatisierungen oder gar die Schließung ganzer Häuser. Auch und vor allem die Patienten bekommen die Folgen zu spüren. Durch das System der Fallkostenpauschalen – bei dem die Kassen nicht die tatsächlich entstehenden Behandlungskosten übernehmen, sondern für bestimmte Fälle pauschalierte Beträge zahlen – stehen die Kliniken unter dem Druck, die Patienten möglichst früh zu entlassen. Das führt zum Teil zu Verschiebebahnhöfen: Patienten werden vorzeitig entlassen und dann wegen Folgeerkrankungen wieder aufgenommen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechnet sich das – für die Patienten ganz und gar nicht. Auch sonst wird versucht, die Kosten so gering wie möglich zu halten, was dazu führt, daß die medizinischen Möglichkeiten oftmals nicht vollständig ausgeschöpft werden.
Ein weiteres Problem sind die Investitionskosten. Das ist nicht nur aus Arbeitgebersicht entscheidend, denn wer möchte schon gerne mit veralteten Geräten in einem halbverfallenen Krankenhaus behandelt werden? Die Gelder für notwendige Modernisierungen werden aber nicht bereitgestellt – mit verheerenden Auswirkungen auf Beschäftigte und Patienten.
Theoretisch sollen die Kassen die Krankenversorgung über die Fallkostenpauschalen abdecken. Die Investitionen sollen durch staatliche Zuschüsse finanziert werden. Warum funktioniert das nicht?
Es ist eine politische Entscheidung, den öffentlichen Krankenhäusern nicht ausreichend Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen. Umgesetzt wird das mit der erwähnten Deckelung der Budgets, deren Erhöhung bei weitem unter der Preissteigerungsrate liegt. Deshalb hat die ver.di-Kampagne »Der Deckel muß weg« das Ziel, diese Budgetierung aufzuheben.
Aber auch das Fallkostenpauschalensystem zieht eine systematische Unterfinanzierung des Krankenhauswesens nach sich. Der notwendige Personalbedarf wird mit den Pauschalen nicht abgedeckt. So werden zum Beispiel Leasingkräfte, die im Pflegebereich wegen des eklatanten Personalmangels eingesetzt werden, nicht berücksichtigt. Noch verheerender ist, daß die Kliniken die Einsparungen, zu denen sie durch die Fallkostenpauschalen gezwungen werden, wieder in das System eingeben, so daß die Pauschalen im folgenden Jahr noch niedriger ausfallen. Dadurch wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die sich automatisch weiterdreht.
Was ist die Alternative zum jetzigen Finanzierungssystem?
Die finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser muß sich nach den medizinischen Bedürfnissen richten, auch wenn Wirtschaftlichkeitskriterien natürlich eine Rolle spielen sollten. Als erstes müßte man gucken, wie viele Krankenhausbetten in der jeweiligen Region gebraucht werden. Man würde zu dem Schluß kommen, daß in vielen Regionen bereits eine systematische Unterversorgung an stationären Betten besteht. Vor allem aber muß der Personalmangel in den Kliniken behoben werden, der zur Überlastung der Beschäftigten führt und die Patientenversorgung gefährdet. Es kann nicht sein, daß diejenigen, die Kranke pflegen, durch ihre Arbeit selbst krank werden. Ein Mittel dagegen ist eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeiten.
Zudem muß ganz klar sein, daß die Krankenversorgung eine öffentliche Aufgabe ist. Wenn sich private Krankenhausbetreiber, die als multinationale Konzerne fungieren, auf dem Gesundheitsmarkt die profitablen Rosinen herauspicken, läuft etwas falsch.
Ver.di hat eine gemeinsame Kampagne mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft für eine bessere finanzielle Ausstattung der Kliniken gestartet. Ist das erfolgversprechend?
Das hängt im wesentlichen von der Kampfkraft der Gewerkschaft ab, nicht so sehr von den Arbeitgebern. Daß diese in der Frage der Unterfinanzierung jetzt mit ver.di an einem Strang ziehen, zeigt, wie prekär die Situation mittlerweile ist. Die Krankenhausbetreiber haben die Personalkosten in den vergangenen Jahren so weit gesenkt, daß sie selbst wissen: An dieser Stellschraube kann nicht mehr viel weitergedreht werden.
Dennoch laufen in vielen Kliniken Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigtenvertretungen und Geschäftsleitungen über Stellenabbau, Privatisierungen, Ausgründungen oder Lohnkürzungen. Ist es vor diesem Hintergrund nicht ein Problem, wenn ver.di gemeinsam mit den Arbeitgebern zu Demonstrationen aufruft?
Zunächst einmal ist es nicht schlecht, gegenüber der Politik den Schulterschluß mit den öffentlichen Betreibern zu suchen und gemeinsam klarzumachen: Die Klinken brauchen mehr Geld. Wenn der Budetdeckel weggesprengt würde, müßte man sich sicherlich noch darüber streiten, wie das Geld sinnvoll eingesetzt wird. Wichtig ist, daß ver.di in dieser Kampagne mit eigenen Positionen auftritt, zum Beispiel für mehr Stellen und bessere Bezahlung der Pflegekräfte und Arbeiter, gegen Ausgründungen und für eine deutliche Arbeitszeitverkürzung.
Es darf nicht nur noch um die betriebswirtschaftliche Ebene gehen. Wenn ver.di sich auf »Zukunftssicherungs«- oder sonstige Absenkungstarifverträge einläßt, um Investitionen auf Kosten der Beschäftigten zu finanzieren, ist das fatal. Der Schwerpunkt muß für die Gewerkschaft ganz klar darauf liegen, vernünftige Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung in den Kliniken durchzusetzen.