Pünktlich zum fünften Jahrestag des Einmarsches der USA in den Irak, hat der Autor Jürgen Todenhöfer ein Buch zum Thema vorgestellt. Ein Buch von Vielen?
von Torsten Sting, Rostock
Es handelt sich um ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Buch. Angefangen mit dem sozialen und politischen Hintergrund des Autors. Jürgen Todenhöfer ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU und seit etwa 20 Jahren Topmanager des konservativen Medienkonzerns Burda (u.a. „Focus“). Ausgehend von dieser Sozialisation kommt mensch nicht gerade auf den Gedanken ein mitreißendes, geradezu anklagendes Buch gegen die Unterdrückung des Irak und des gesamten Nahen Ostens durch die imperialistischen Mächte zu erwarten. Aber gerade dies ist dem Autor gelungen.
Widerstand hautnah
Todenhöfer hat sich im Herbst des vergangenen Jahres auf den gefährlichen Weg Richtung Irak begeben. Über Mittelsmänner gelingt es ihm, Kontakt zu führenden Aktivisten des sunnitischen Widerstandes zu knüpfen. In der Stadt Ramadi, eine der Hochburgen des Widerstandes im sogenannten sunnitischen Dreieck, hält er sich eine knappe Woche, als Arzt getarnt auf, sammelt persönliche Eindrücke und interviewt aktive Kämpfer gegen die Besatzung. Die Fakten über den Widerstand der irakischen Bevölkerung und insbesondere die persönlichen Geschichten der Befragten, lassen dem Leser das Blut gefrieren.
Unbeschreibliches Leid
Fast jeden Tag hören wir Nachrichten über die Situation im Irak. Doch diese sind durch die bürgerlichen Medien einseitig gefärbt und die Wahrheit wird verdreht. Da ist von irakischen Extremisten und von US-amerikanischen Sicherheitskräften die Rede. Da werden jene, die sich gegen eine verbrecherische Besetzung und Ausplünderung ihres Landes wehren als Böse und die Unterdrücker zumindest nicht als solche benannt. Zwar wird von Opfern berichtet. Doch zumeist recht abstrakt, nach dem Motto: „Wiedermal 20 Tote…“ Insbesondere werden jedoch nur die (von einer Minderheit) begangenen Selbstmordattentate erwähnt. Selten bis nie wird über die Verbrechen der US-Besatzer gesprochen. Diese Beispiele gibt es bei Todenhöfer zu hauf. Hier ein kleiner Ausriss:
Rami, Student, Anfang 20 berichtet über seinen Weg zum bewaffneten Kampf. Wenige Monate nach der imperialistischen Invasion, habe es bei ihm zu Hause eine Hausdurchsuchung gegeben. Es gab den Verdacht, dass er zum Widerstand gehöre, was damals noch nicht der Fall war. Als die Soldaten gnadenlos alles zusammentreten und zerstören, fleht die Mutter von Rami um Gnade. In ihrer letzten Verzweiflung wirft sie sich einem Soldaten vor die Füße. Dieser tritt einen Schritt zurück und erschießt die Frau!
Ahmad, etwa 30 Jahre alt, früher Bauarbeiter. Ahmad wollte zu Beginn der Besatzung möglichst sein altes Leben weiterführen. Doch es sollte wie bei so vielen Menschen im Irak, anders kommen. Eines Tages läuft Ahmad an seinem freien Tag gemütlich durch seine Heimatstadt Ramadi. Plötzlich, ohne jede Vorwarnung schiesst ein Scharfschütze auf Ahmad. Schwerverletzt muss er ins Krankenhaus eingeliefert werden und überlebt nur knapp: Der Schütze hatte ihm die Hoden weggeschossen.
Musa, ehemaliger Polizist in Bagdad. Bei der Rückfahrt Richtung Syrien bricht der ruhige Mann sein Schweigen. Er berichtet die unfassbare Geschichte seiner Tante Hanan. Diese Frau, Anfang 60 hatte ihren Mann verloren. Sie zog bei ihren Neffen ein. Die beiden Neffen hatten beide ein Haus, nur wenige Meter voneinander entfernt. An einem Nachmittag ging die Frau zum Einkauf. Auf dem Rückweg entwickeln sich Kämpfe, US-Hubschrauber steigen auf und bombardieren Wohnviertel. Als Hanan sich dem Haus des Neffen nähert, sieht sie vor Ensetzten ganz starr, die rauchende Ruine: niemand hat überlebt! Als sie sich voller Trauer auf den Weg zu ihrem anderen Neffen machen will, hält sie ein Imam davon ab: Auch dessen Familie, über 10 Menschen wurden umgebracht! Der Schmerz der Frau kennt keine Grenzen, drei Tage lang trinkt und isst sie nichts. Dann stirbt sie.
Es sind gerade diese sehr persönlichen Schicksale, die den verbrecherischen Charakter dieses Krieges so plastisch machen und dadurch viele LeserInnen aufrütteln wird.
Politischer Charakter des Widerstands
Viel wird in den Medien von Al Qaida und Selbstmordattentaten berichtet. Aber ist das der „wirkliche“ Widerstand? Todenhöfer interviewt verschiedene führende Persönlichkeiten der irakischen (sunnitischen) Widerstandsbewegung. Weil er sich im Zentrum des Irak aufhält, kann er leider nicht mit schiitischen und kurdischen Repräsentanten sprechen, dennoch ergeben sich interessante Fakten. Die Gesprächspartner sind Anhänger der Baath-Partei (panarabische Partei von Saddam Hussein, die jahrzehntelang den Irak dominiert und unterdrückt hat), Nationalisten und gemäßigte islamische Kräfte. Tenor bei allen: Ablehnung der Besetzung, für einen kompletten Abzug der imperialistischen Truppen. Die befragten sehen Kämpfer sehen sich als Teil eines „überkonfessionellen“ Widerstandes, obwohl die Mehrheit der Aktiven sunnitischen Glaubens (Mehrheitsrichtung in der muslimischen Welt, Minderheit im Irak) ist.
Mohammad ist ein Anführer der „Vereinigten Widerstandsgruppe“ und Schiit. Dieser schätzt, dass etwa 40 bis 50 Prozent des gesamten Widerstandes Nationalisten/Baathisten sind und etwa genau so viele gemäßigte Islamisten. Mohammad macht deutlich, dass in seiner Gruppe die Konfession egal ist. Im Gegenteil, er verurteilt die Spaltung in Schiiten und Sunniten als „unirakisch“ und „unislamisch“. Yussuf, ein Christ, ist ebenfalls gern gesehener Teil der Gruppe.
Alle weisen die Spaltung, die von religiösen Milizen und Al Qaida ausgeht, scharf zurück. Mohammad schätzt den Einfluss von Al Qaida auf etwa 5 Prozent der Kämpfer. Konsens ist die vernichtende Kritik an deren Selbstmordattentaten. Interessant ist der Umstand, dass laut offiziellen Untersuchungen etwa 90 Prozent der Attentäter, die sich selbst und irakische Zivilisten in die Luft sprengten aus dem Ausland kamen. Diese Kräfte stehen in Konfrontation zu den einheimischen Kämpfern von Al Qaida die meistens deren Vorgehen ablehnen.
Die politische und ethische Philosophie der Mehrheit der irakischen Widerstandskämpfer kommt in einer Geschichte der Hauptperson des Buches „Zaid“ (Tarnname wie von allen beteiligten Personen) gut zum Ausdruck. Zaid hatte den Auftrag einen Sprengstoffanschlag auf einen Militärkonvoi der US-Armee auszuführen. Die Fahrzeuge näherten sich dem festgelegten Punkt, als sich ein alter Mann in unmittelbarer Nähe ein Plätzchen zum Ausruhen sucht. Nachdem alle Gestiken von Zaid den alten Herrn von seinem Vorhaben nicht abbringen konnte, bricht Zaid die Aktion ab, um zu verhindern, dass der Alte dem Anschlag zum Opfer fällt. Dafür erhält er die volle Zustimmung durch den Rest der Gruppe. Dies zeigt den prinzipiellen Unterschied zwischen dem Großteil der irakischen Widerstandsgruppen und Al Qida auf.
Kampf gegen Al Qaida
Im Herbst des vergangenen Jahres kommt es zu Diskussionen in den Reihen des Widerstandes (in der Stadt Ramadi) wie man mit Al Qaida umgeht. Diejenigen setzen sich durch, die bereit sind mit der US-Armee einen Waffenstillstand zu schließen um die Zeit zu nutzen, die Anhänger von Bin Laden zu vertreiben. Wenige Wochen später ist der Großteil der Al Qaida getötet oder geflohen.
„Sunnitische Sicht“
Eine Schwäche des Buches ist, dass es vor allem die Sicht eines Teils der sunnitischen Bevölkerung zeigt. Der Autor bemüht sich Vorurteile im Westen zu zerstreuen. Etwa das der irakischer Widerstand mit Selbstmordanschlägen auf ZivilistInnen gleichzusetzen ist oder dass es eine hoffnungslose Spaltung in Schiiten, Sunniten und Kurden gibt. Die oben aufgeführten Anmerkungen zeigen eine Seite, die durchaus Anlass zur Hoffnung ist. Dennoch darf man nicht vergessen, dass durch den Krieg und die Besatzung Kräfte freigesetzt wurden, die auf jedem Fall religiös-sektirerischen Tendenzen grossen Auftrieb gegeben haben. Der Irak unter Saddam hatte, ohne die Diktatur mit hunderttausenden Opfern zu beschönigen, einige fortschrittliche Aspekte. Frauen hatten deutlich mehr Rechte als heute, Religion und Staat waren getrennt, Christen konnten ihre Religion ausüben. Dennoch gab es eine gewollte, strukturelle Banachteiligung der schiitischen Regionen, es wurde dort deutlich weniger investiert und es gab eine stärkere Repression. Die kurdische Bevölkerung wurde immer wieder brutalen Verfolgungen ausgesetzt und 1988 wurden infolge einer Kampgane über 100.000 Menschen ermordet. Beim Leser kommt der Eindruck auf, dass die sunnitischen Kämpfer diese Aspekte entweder schön reden (weil sie unter Saddam zum Teil Mitglieder der Baath-Partei und Nutznießer waren) oder es nicht besser wissen.
Fakt ist auf jedem Fall, dass gerade die jüngste Offensive der irakischen Marionetten-Armee und ihrer US-Hintermänner in Basra gezeigt hat, über welch großen Einfluss der schiitische Widerstand der von Sadr (mehr oder wenige geführten) Mahdi-Armee besitzt. Diese setzt auf bewaffneten Widerstand, zeigt sich aber auch verantwortlich für eine zunehmende „Iranisierung“ des Lebens: Einführung der Scharia, Unterdrückung der Frau, Zunahme der religiösen Spaltung, repressives Vorgehen gegen Gewerkschaften.
Todenhöfers Schlussfolgerungen
Nach dem Ende der persönlichen Eindrücke und Interviews im Irak schreibt der Autor ein längeres Nachwort. Es beinhaltet seine politischen Schlussfolgerungen aus dem Erlebten. In vielem kann man Todenhöfer zustimmen. Er macht deutlich, dass der (christliche) westliche Imperialismus in über 200 Jahren Unterwerfung des (muslimischen) Nahen Ostens die Verantwortung für Rückständigkeit, Hass und letztlich den Aufstieg des Terrorismus trägt. Mit beindruckenden Bildern und Zahlen wird die Brutalität der Kolonialisierung von Algerien, Libyen oder des Irak deutlich: Über 20 Millionen Menschen sind der imperialistischen Unterdrückung zum Opfer gefallen. Auch räumt er mit Vorurteilen über die islamische Religion und den Koran auf, in dem er Zitate bringt. Todenhöfer ist aber natürlich Anhänger des Kapitalismus und daher appelliert er nur an die Mächtigen, ihre Politik anders zu machen. Dies sei nicht nur besser für die Menschen im Nahen Osten, sondern auch besser „für uns“. Todenhöfer ist, wie andere Konservative (Geissler, Blüm), erschrocken über die Wucht der Folgen der kapitalistischen Globalisierung und der immer offener ausgetragenen Interessen der imperialistischen Mächte. Der Niedergang der USA als führende Wirtschaftsmacht, erforderte aus Sicht der Neokonservativen in den Vereinigten Staaten eine radikale Politik der militärischen Expansion um so verlorenes Terrain neu zu erobern. Der 11. September bot eine günstige Gelegenheit um unter dem Deckmantel des „Kriegs gegen den Terror“ diese Pläne in die Realität umzusetzen. Die letzten Jahre haben die Grenzen dieser Strategie aufgezeigt und den Herrschenden der USA, dass größte Desaster seit Vietnam beschert. Die neue US-Regierung wird bemüht sein, eine neue Politik zu formulieren, die weniger auf Konfrontation setzen wird. Dennoch: Die strukturelle Krise des Kapitalismus bringt die herrschenden Klassen der Großmächte zu einer Politik der verschärften Ausbeutung der armen Länder (und „ihrer“ Arbeiterklasse), die ohne Rassismus und Schüren der niedersten Vorurteile nicht eine Sekunde zu legitimieren wäre. Im Rahmen des Kapitalismus gibt es nicht den Hauch einer Lösung, gerade für die gepeinigten Massen der arabischen Welt, speziell des Irak. Nicht das „Umdenken“ oder die vermeintliche „Vernunft“ der kapitalistischen Führer kann einen Ausweg aufzeigen. Die Arbeiterbewegung der arabischen Welt muss, in einem mühsamen Prozess, wieder aufgebaut werden. Sie kann an alte Traditionen anknüpfen, muss Lehren aus der Vergangenheit ziehen und sich von neuem dem Aufbau von kämpferischen Gewerkschaften und sozialistischen Massenparteien verschreiben und so den Unterdrückten eine Perspektive für eine bessere Welt geben.
Todenhöfers Buch ist bei aller politisch, analytischen Beschränktheit absolut lesenswert und wird viele Menschen nicht nur moralisch entrüsten, sondern auch (ungewollt) eine Beitrag dazu leisten, den menschenverachtenden Charakter dieses Systems noch anschaulicher zu machen.
Infos: www.warumtoetestduzaid.de