Interview mit Dieter Janßen, ver.di-Vertrauensmann im Klinikum Stuttgart*. Die Fragen stellte Ursel Beck
76,5 Prozent haben sich bei der Mitgliederbefragung für die Annahme des Tarifabschlusses im Öffentlichen Dienst ausgesprochen. Heißt das, die Mehrheit der Mitglieder ist zufrieden?
Als erstes muss man sehen, dass sich immerhin 23,5 Prozent oder rund 44.000 Mitglieder gegen den Abschluss und für Streik ausgesprochen haben, obwohl die Tarifeinigung von den meisten Befürwortern beschönigt und die negativen Auswirkungen der Arbeitszeitverlängerung nicht hervorgehoben wurden.
Besagt das Befragungsergebnis, dass es keine ausreichende Streikbereitschaft gab?
Die Mehrheit der Bundestarifkommission hat empfohlen, für Annahme zu stimmen. So stand es auf den Stimmzetteln. Die Alternative lautete: „Ich bin bereit, für ein besseres Ergebnis zu streiken.“ Bei dieser vagen Formulierung fragten sich viele, ob das mit Streik zu erreichen wäre.
Hätten Bundesvorstand und Bundestarifkommission dagegen gefragt: „Ich bin bereit gegen Arbeitszeitverlängerung und für die Durchsetzung unserer Forderungen zu streiken“, bin ich mir sicher, dass wir eine Mehrheit bekommen hätten.
Mit der enormen Kampfkraft eines bundesweiten Streiks unter Einbeziehung von Bereichen wie Nahverkehr, Flughäfen und Schleusen hätten wir die Arbeitszeitverlängerung verhindern und gleichzeitig beim Lohn mehr herausholen können. Die Lokführer haben uns das ja vor eine paar Monaten mit elf Prozent mehr Lohn und einer Stunde weniger Arbeitszeit vorgemacht.
Welche Erfahrungen hast du bei der Mitgliederbefragung gemacht?
Mir war es wichtig, am Standort Bürgerhospital des Klinikums – dort wo ich den Streik geleitet und die Mitgliederbefragung durchgeführt habe – mit möglichst vielen Mitgliedern eine offene Diskussion über die Tarifauseinandersetzung und das Ergebnis zu führen und eine hohe Abstimmungsquote zu erreichen. Ich habe den Kolleginnen und Kollegen vor der Abstimmung die neue Tabelle gegeben, damit sie selber sehen konnten, was sie an Lohnerhöhung brutto bekommen.
Zusätzlich habe ich darüber informiert, dass der Abschluss für die Krankenhausbeschäftigten im Jahr 2008 einen um mehrere hundert Euro geringeren Verdienstzuwachs gegenüber den anderen Beschäftigten bei Bund und Kommunen bedeutet. Vor der Mitgliederbefragung hatten wir bereits das Tarifinfo „06/08 Krankenhäuser Baden-Württemberg extra“ und das Flugblatt des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di zur Tarifeinigung verteilt.
Bei der Befragung selbst habe ich die Erfahrung gemacht, dass es bei uns nur eine Minderheit gab, die dem Abschluss zustimmte. Das Wichtigste ist aber, dass durch die gesamte Tarifbewegung und die beiden Warnstreiks einige Kolleginnen und Kollegen, darunter auch Nichtgewerkschaftsmitglieder, politisiert und aktiviert wurden und sagen, dass sie sich jetzt selber einmischen wollen.
Für die Krankenhäuser bleibt die Frage des Budget-Deckels. Wie kann der Kampf dagegen erfolgreich geführt werden?
Erstens muss gesagt werden, dass wir mit der Tarifeinigung die Chance verpasst haben, den Deckel 2008 durch Streik und Durchsetzung einer kräftigen Lohnerhöhung zu sprengen. Mit der Schlechterstellung der Krankenhausbeschäftigten in der Tarifeinigung für 2008 hat ver.di darauf verzichtet, die politisch bewusst herbei geführte Unterfinanzierung der Krankenhäuser durch Streik zu ändern.
Jetzt soll es noch in diesem Jahr zusammen mit den Krankenhausträgern gemeinsame Aktionen für mehr Geld für die Krankenhäuser in 2009 geben. Ich begrüße es, dass die Krankenhausgesellschaften mehr Geld für die Krankenhäuser fordern. Das hilft uns bei unserer Forderung. Aber wir müssen eine von den Arbeitgebern unabhängige Position einnehmen und eine eigenständige Kampagne führen. Denn die Krankenhausmanager haben nach dem Abschluss erst mal angekündigt, dass sie die Lohnerhöhung für 2008 mit weiterem Stellenabbau und anderen Kürzungen bei den Personalkosten kompensieren, anstatt Druck auf Berlin zu machen, den Deckel sofort zu beseitigen.
Wir dürfen nicht so tun, als ob wir mit den Krankenhausmanagern und Lokalpolitikern in einem Boot säßen. In Stuttgart ist es zum Beispiel so, dass die Stadt in Geld schwimmt. Trotzdem gab es im Gemeinderat bei den Haushaltsberatungen keine Mehrheit für einen Investitionskostenzuschuss von 7,5 Millionen Euro jährlich für das Klinikum für dringende Investitionen. Die Lokalpolitiker planen hier gerade ein Prestigeobjekt nach dem anderen. Dafür haben sie Geld.
Die Auseinandersetzung um die Gelder für die Krankenhäuser ist wie alle anderen Auseinandersetzungen ein Verteilungskampf. Und Verteilungskampf ist Klassenkampf. Es ist Aufgabe von ver.di und DGB, in den nächsten Monaten diese Auseinandersetzung um die Finanzierung des Gesundheitswesens zu führen. Es muss klar gemacht werden, wie und wo das Geld dafür geholt werden kann: über Steuern bei den Vermögensmilliardären und über die Gewinne der Konzerne.
*Angabe der Funktion dient nur zur Kenntlichmachung der Person