Bericht vom Warnstreik am 6. März 08 in Stuttgart
von Ursel Beck, Stuttgart
In einer zweiten Warnstreikwelle im öffentlichen Dienst vom 4.3. bis 6.3. beteiligten sich laut ver.di bundesweit 230.000 Beschäftigte. Mit der Einbeziehung der Flughäfen in die Warnstreiks bekamen die Warnstreiks eine neue Dimension. Es wurde deutlich, dass ver.di ein enormes Machtmittel in der Hand hat. Nach Gewerkschaftsangaben mussten 431 Flüge gestrichen werden.
Am Hamburger Flughafen ging gar nichts mehr, weil dort die Flughafenfeuerwehr streikte. 77 Flieger mussten am Boden bleiben. Denn ohne einsatzbereite Feuerwehr dürfen aus Sicherheitsgründen keine Flugzeuge starten oder landen.
Laut einer Pressemeldung müsste möglicherweise der gesamte internationale Flugverkehr über Deutschland eingestellt oder umgeleitet werden, wenn an den großen deutschen Flughäfen die Feuerwehr streikt.
Die Warnstreiks an den Flughäfen wurden auf wenige Stunden begrenzt. Man stelle sich vor, ver.di würde die Flughäfen eine ganze Woche bestreiken. Im Streik des öffentlichen Dienstes 1992 wurde für 24 Stunden der Frankfurter Flughafen bestreikt. Das verursachte damals einen Schaden von 40 Millionen DM.
Zweite Warnstreikwelle in Stuttgart
Auch in Stuttgart begann die zweite Warnstreikphase am 5.3. mit einem mehrstündigen Streik am Echterdinger Flughafen. 184 Kolleginnen und Kollegen bzw. 90% der Bodenverkehrsdienste beteiligten sich. Sieben Inlandsflüge mussten gestrichen werden. Viele Maschinen konnten nicht landen.
„Mit Jubel wird jede Flugabsage quittiert“, berichtete die Stuttgarter Zeitung über die Stimmung der Streikenden. Und weiter: „Zuerst ziehen sie pfeifend und trommelnd durch die Terminals, um sich im Anschluss daran an der Pforte Ost zu positionieren“. Dieses Selbstbewusstsein ist erstaunlich, denn das Flughafenpersonal hat keine Streikerfahrung. Für die meisten, wenn nicht sogar für die gesamte Belegschaft, war es der erste Streik.
Wie bereits am 22.2.08 organisierte ver.di-Stuttgart am 6.3.08 wieder einen 24-stündigen Warnstreik fast aller Bereiche des öffentlichen Dienstes. Und wieder war die Beteiligung überdurchschnittlich hoch. Laut ver.di streikten in ganz Baden-Württemberg am 6.3. 25.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, davon 10.000 im ver.di-Bezirk Stuttgart.
In der Landeshauptstadt fuhr streikbedingt am 6.3. für 24 Stunden kein Bus und keine Straßenbahn. 250 Kitas in und um Stuttgart blieben geschlossen. Die Schleusen auf dem Neckar von Stuttgart bis Heidelberg wurden fast alle bestreikt. Wieder blieben alle städtischen Bäder geschlossen. Im Klinikum lief nur Notdienst. 150 Kolleginnen der Bundesagentur für Arbeit und sogar Beschäftigte der Bundesbank waren unter den Demonstranten. Erstmals warnstreikten Sekretärinnen und Hausmeister von Stuttgarter Schulen in größerer Zahl. Die Beteiligung der Müllwerker war höher als beim ersten Warnstreik. Auf einem Transparent machten sie deutlich, was sie vom Angebot der Arbeitgeber halten: „Müll stinkt! Das Lohnangebot der Arbeitgeber auch“. Die Liste der Betriebe, aus denen Streikbeteiligung gemeldet wurde, war noch länger, als beim ersten Warnstreik und die Stimmung noch kämpferischerer. Auch die Jugend war wieder auffallend gut vertreten. An der Spitze des Demozuges machten die Azubis ihrem Unmut über die Verhältnisse Luft.
Bei einer Streikkundgebung vor dem Katharinenhospital erklärte Vertrauensmann und Mitglied der ver.di-Verhandlungskommission, Volker Mörbe, dass bei den Verhandlungen zwei Welten aufeinander treffen und die Oberbürgermeister und Landräte meilenweit vom Leben der Beschäftigten entfernt wären. Er machte aber auch deutlich, dass die Entscheidung in dieser Tarifrunde nicht in Potsdam falle, sondern in den Betrieben. „Wir werden die Arbeitszeitverlängerung verhindern und die Zeit- und Bewährungsaufstiege wieder einführen“. Er schloss seine Rede mit den Worten: „Wir werden immer stärker, jeden Tag ein Stück. Im April wird es richtig losgehen. Wir zählen auf Euch“.
Kämpferische Demonstrationen
7.000 versammelten sich für eine Demonstration und Kundgebung in der Stuttgarter Innenstadt. Parallel dazu demonstrierten 1.500 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Sindelfingen und 1.000 Waiblingen.
Bei der Abschlusskundgebung machte der ver.di-Vorsitzende Thomas Böhm deutlich, wie groß der Reichtum in dieser Gesellschaft, wie ungleich er verteilt ist und wie sich die Reichen ihre Taschen immer dreister voll stopfen. „Diesem Treiben können wir nicht länger zuschauen“, so Thomas Böhm. Er konterte auch die Arbeitgeber-Propaganda, wonach die Warnstreiks „unverhältnismäßig“ seien. Unverhältnismäßig sei, wenn bei der Müllabfuhr noch mal 5,5 Millionen Euro und 100 Stellen gekürzt werden sollen und ältere Kollegen, die sich kaputtgeschuftet haben, rausgehaut werden sollen. Unverhältnismäßig sei es auch, wenn Kolleginnen jede Minute, die sie rauchen von der Arbeitszeit abgezogen werde.
Er argumentierte auch gegen Arbeitszeitverlängerung und dafür, dass die Arbeitszeit verkürzt wird: „Die Arbeit muss auf alle verteilt werden. Wir wollen uns nicht kaputtarbeiten. Wir wollen mehr Zeit für Freizeit und unsere Familien“.
Arbeitgeber wollen Arbeitszeitregelung kündigen
Anfang März kündigten die Arbeitgeber an, ihrer Forderung nach der 40-Stunden-Woche mit der Kündigung der Arbeitszeitregelung Nachdruck zu verleihen. Dadurch gewinnt die Frage der Arbeitszeit in dieser Tarifrunde zunehmend an Bedeutung. Es geht hier um eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung. Denn der öffentliche Dienst soll als Speerspitze für die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche in der gesamten Wirtschaft genutzt werden.
Unter den ver.di-Mitgliedern im Klinikum wurde vor und während des Warnstreiks eine Diskussion darüber geführt, wie sich ver.di in der Frage der Arbeitszeit positionieren solle. Einige Vertrauensleute sind der Meinung, man solle in dieser Tarifrunde nur fordern, dass es keine Verlängerung der Arbeitszeit geben darf und dies müsse der „erste Schritt sein zu einer zukünftigen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich“. Bei der Streikversammlung im Bürgerhospital am 6.3. wurde diese defensive Haltung kritisiert. Nach einer Debatte ergab ein Meinungsbild, dass von ca. 60 Anwesenden nahezu alle mindestens eine Gegenforderung von 37 Stunden für richtig halten. 40 waren sogar der Meinung, man müsse jetzt die Forderung nach der 35-Stunden-Woche in die Tarifrunde einbringen.
In der Diskussion wurde auch von einigen Beschäftigten noch mal betont, dass die Lohnforderung eigentlich viel zu niedrig sei. Bei der Demo selbst wiederspiegelte sich die Diskussion am Klinikum ebenfalls indem Kolleginnen und Kollegen des Katharinenhospitals, unter ihre „8“, die sie bei der Demo mit führten einen Pfeil darunterklebten mit der Aufschrift „Arbeitszeit runter“.
Gemeinsamer Kampf mit Einzelhandel
Der Einzelhandel war diesmal nicht beim Streiktag dabei. Die Einzelhandelsbelegschaften halten es für sinnvoller das Ostergeschäft zu bestreiken. Der Streik im öffentlichen Dienst ist jedoch eine enorme Unterstützung für die Verkäuferinnen. Der Branchenverband HDE ging Anfang März an die Presse, um sich darüber zu beklagen, dass die Streiks im Nahverkehr zu erheblichen Umsatzeinbußen an den „Topstandorten“, sprich den Einkaufsmeilen in den Innenstädten führen. Dies gilt vor allem für Berlin, wo die BVG seit 5.3. streikt. Aber auch die Warnstreiks in verschiedenen Städten führten zu leeren Kaufhäusern an diesen Tagen.
Auch ohne direkte Streikbeteiligung war der Kampf der Verkäuferinnen am 6.3. Teil des Warnstreiks in Stuttgart. Sowohl bei der Streikversammlung im Bürgerhospital als auch bei der gemeinsamen Streikkundgebung des Klinikums sprach eine Betriebsratskollegin von Schlecker über den Kampf in der Drogeriekette zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten, angefangen von der Einhaltung von tariflichen und gesetzlichen Rechten bis hin zum Kampf um die Sicherheit. Überfälle gehören zum Berufsrisiko von Schleckerbeschäftigten und obwohl schon viele Kolleginnen davon betroffen waren, verweigert Schlecker nach wie vor den minimalsten Schutz dagegen. Eine ver.di-Mitgliederversammlung am Klinikum hatte bereits eine Solidaritätserklärung für die Kolleginnen und Kollegen im Einzelhandel verabschiedet und die ver.di-Vertrauensleute am Klinikum hatten mit zur erfolgreichen Menschenkette der Solidarität mit den Verkäuferinnen und zur Flash-Mob-Aktion im Kaufhof am 2. Februar aufgerufen. Ver.di-Mitglieder am Klinikum wollen die Schlecker-Kolleginnen weiter unterstützen und auch zu einem Gerichtsprozess zur Wahlanfechtung am Arbeitsgericht Stuttgart am 19.3. mobilisieren.
Ein baldiger gemeinsamer Streik von Einzelhandel und öffentlichem Dienst und darüber hinaus ein gemeinsamer Kampf aller Bereiche von ver.di, die derzeit in Tarifauseinandersetzung stehen, wäre das beste Mittel, für alle möglichst viel herauszuholen.
Von einer solchen Strategie ist bei der Bundesführung von ver.di nichts zu spüren. Im Gegenteil. Bei der RWE und bei den T-Punkten der Telekom wurden trotz der Rekordgewinne Abschlüsse von unter 4% unterschrieben, die sich bei den T-Punkten aufgrund von 15 Monaten Laufzeit in noch niedrigere jährliche Erhöhungen reduzieren. Bei einer Inflationsrate von 3% bedeutet das: der Reallohnverlust geht weiter. Die Aktionäre und Manager bekommen den Spielraum, sich weiter auf Kosten der Belegschaften zu bereichern.
Streik im öffentlichen Dienst wird wahrscheinlicher
Im öffentlichen Dienst sieht es aber nicht so aus, als ob sich die Beschäftigten mit einem Billigabschluss abspeisen lassen. Durch die Warnstreiks ist zudem ein Gefühl von Stärke entstanden, das dazu führt, dass die Erwartungen steigen. Und so hörte man beim Warnstreik von vielen Kolleginnen und Kollegen, dass die Lohnforderung eigentlich viel zu niedrig sei. Beim Streikpostenstehen vor dem Bürgerhospital wies ein griechischer Kollege darauf hin, dass man in Tarifrunden Forderungen auch erhöhen könne. Vor Jahren hätte es in Griechenland einen Streik gegeben, bei dem u.a. die Müllabfuhr beteiligt war. Die Gewerkschaften forderten anfangs eine 5%ige Lohnerhöhung. Die Regierung dachte sie könne den Streik aussitzen. Nach sechs Wochen wollte der zuständige Minister die Armee einsetzen, um die Müllberge zu beseitigen. Die Armee weigerte sich aber. Daraufhin musste der für den öffentlichen Dienst zuständige Minister gehen. Die erste Amtshandlung des neuen Ministers bestand darin, 5% Lohnerhöhung zuzugestehen. Aber die Gewerkschaft sagte jetzt: „Unsere Forderung von 5% ist von gestern. Jetzt fordern wir 10%.“ Am Ende wurden 8% durchgesetzt.
Alle gemeinsam – mindestens eine Woche
Durch die Schlichtung und die damit verbundene Streikpause sollen Stimmung und Erwartungen heruntergekocht werden. Da nicht davon auszugehen ist, dass es einen annehmbaren Schlichterspruch gibt, ist es das beste die Wochen bis zum Schlichterspruch zu nutzen, um Druck aufzubauen für Urabstimmung und Vollstreik zur Durchsetzung aller erhobenen Tarifforderungen.
Unter Aktivisten und Funktionären in Stuttgart ist die Diskussion über eine erfolgreiche Streikstrategie in vollem Gang. Nach den Erfahrungen von 2006 und den erfolgreichen gemeinsamen Warnstreiks plädiert man hier fast durchweg dafür nach einer Urabstimmung von Anfang an die Vollen zu gehen, d.h.bundesweit eine Woche alle gemeinsam.