Einzelhandel-Streik in Stuttgart: Streikende Verkäuferinnen, Menschenkette, Chaos in der Schuhabteilung

Bericht vom einwöchigen Streik im Einzelhandel in Stuttgart


 

von Ursel Beck, Stuttgart

„Wir wolln mehr Kohle sehen, wir wollen mehr Kohle sehn“ sangen lautstark am Montagmorgen des 28.1. mehr als 1.000 Verkäuferinnen im Stuttgarter Gewerkschaftshaus. Die Streikversamlung war der Auftakt für einen einwöchigen Streik, mit dem der ver.di-Bezirk Stuttgart neue Maßstäbe in diesem Tarifkonflikt setzte. Für die Beschäftigten von H&M war dies der Anfang ihrer zehnten Streikwoche. Für andere Belegschaften war es das erste mal, dass sie eine Woche durchstreikten, auch wenn ihre Chefs es nicht glauben wollten: „Spätestens am Donnerstag kommt ihr wieder zurück“.

Täglich haben 800 Beschäftigte bei Kaufhof, Karstadt, Kaufland, Handelshof, H&M, Real, Schlecker, Zara, in insgesamt 35 Läden die Arbeit niedergelegt. Am Samstag stieg die Zahl der Streikenden sogar noch mal an. Es ist die völlig unnachgiebige Haltung der Arbeitgeber verbunden mit einer entschlossenen Streikführung in Stuttgart, die die Kampfbereitschaft im Einzelhandel auf ein bisher nicht gekanntes Maß brachte. Und das darf keine Ausnahme bleiben, weder in Stuttgart noch bundesweit, sonst endet dieser Streik in einer Niederlage.

Obwohl sich bundesweit seit Sommer letzten Jahres mehr als 150.000 Verkäuferinnen an ein- und mehrtägigen Streiks beteiligten und erstmals sogar das Weihnachtsgeschäft bestreikt wurde, haben sich die Arbeitgeber bisher keinen Millimeter bewegt. Sie wollen alle Zuschläge streichen und den Beschäftigten damit 140 Euro im Monat aus der Tasche ziehen. Der Hintergrund: die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten hat die Kosten aber nicht die Umsätze erhöht. Diese Kostensteigerungen sowie höhere Renditevorgaben und explodierende Managergehälter sollen bei den Verkäuferinnen reingeholt werden. Werner Wild, ver.di-Verhandlungsführer in Baden Württemberg erklärte immer wieder bei Kundgebungen, dass die Arbeitgeber alle Beschäftigten im Einzelhandel da hin kriegen wollen, wo sie die Tengelmann-Gruppe bei bei Kik und Takko bereits hat: Fünf Euro Stundenlohn, unbezahlte Überstunden, kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

„Wir sehen nicht ein, dass der Metro-Chef Cordes mit vier bis fünf Millionen nach Hause geht, und die Beschäftigten noch nicht mal einen Mindestlohn von 1.500 Euro kriegen sollen“, so ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger bei einer Streikkundgebung.

„Arm trotz Arbeit“ mit diesem Satz brachten die streikenden Verkäuferinnen ihre Situation auf den Punkt.

Wie bereits der Streik im öffentlichen Dienst 2006 war der einwöchige Streik in Stuttgart ein aktiver Streik. Neben den täglichen Streikversammlungen im Gewerkschaftshaus gab es am Montag eine laute Demonstration durch die Innenstadt, am Donnerstag eine Kundgebung von 400 Kolleginnen vor der Kaufhof-Filiale in Bad Cannstatt und am Freitag vor Karstadt auf der Königstraße. Um den Streik auf die Beine zu stellen kehrten sogar einige streikerprobte pensionierte Funktionäre von ver.di und der IG Metall, wie Sybille und Jürgen Stamm, eine Woche aus dem Ruhestand zurück vor die Betriebe. Ohne Unterstützung von Ehrenamtlichen sind die auf der unteren Ebene ausgedünnten ver.di-Apparate völlig überfordert den Streik im Einzelhandel effektiv zu organisieren. Nachdem die Initialzündung gelungen war, bekamen die Streikenden von Tag zu Tag mehr Selbstbewusstsein und organisierten ihren Streik zunehmend selbst. Junge Verkäuferinnen und Verkäufer griffen selbstbewusst zum Megaphon und heizten mit Kampfparolen, Sprechchören und Streikliedern die Stimmung an. „Zicke, zacke, zicke, zacke, Streik, Streik, Streik“ oder „eins, zwei ver.di kommt vorbei – drei, vier, wir stehen vor der Tür – fünf, sechs gebt her Eure Schecks – sieben, acht, wir machen heute Krach – neun, zehn wir werden hier nicht gehen“ tönte es immer wieder auf Streikversammlungen und Kundgebungen vor Kaufhäusern. Auffallend war auch die große Zahl selbstgemachter Sandwiches mit Aussagen wie: „Hilfe ich kann meine Familie nicht mehr ernähren mit 1.000 Euro“; „Immer mehr lächeln für immer weniger Geld“; „H&M – heuchlersich und machtgeil“, oder „Es stinkt – Millionen für die Vorstände, Hungerlöhne für die Verkäufer “. Auch ihren Unmut über die verlängerten Ladenöffnungszeiten brachten die Verkäuferinnen immer wieder zum Ausdruck.

Trotz der guten Streikbeteiligung wurde der Streik in seiner Wirkung stark untergraben, weil die Arbeitgeber Aushilfs- und LeiharbeiterInnen als Streikbrecher einsetzten. Deshalb entwickelte die Führung des ver.di-Bezirks Stuttgart zusammen mit dem Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften den Plan einer Unterstützungsaktion für den Samstag. Am Ende mobilisierte ver.di, das Zukunftsforum, die „alternative“ von Daimler, die Linke, SAV, DIDF und andere für eine aufsehenerregende Protestaktion auf der Einkaufsmeile Königstresse, an der sich über 1.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligten. Nach einer Auftaktkundgebung auf dem Schlossplatz wurde eine Menschenkette entlang der Kaufhäuser auf der Einkaufsmeile Königstraße gebildet. Kollegen vom Klinikum, vom Jugend- und Tiefbauamt, der Telekom, von Daimler Mettingen und Mahle standen in einer geschlossenen Reihe mit den streikenden VerkäuferInnen.

Für die Menschenkette gab es keine Genehmigung. Doch wie Bernd Riexinger bei der Streikversammlung zuvor erklärte, könne uns niemand verbieten auf die Königstraße zu gehen und uns die Hand zu reichen. „Alle Leute auf der Königstraße sollen sehen, was die Arbeitgeber mit ihren Beschäftigten machen. Sie sollen aber auch sehen, wie sich Beschäftigte dagegen zur Wehr setzen.“ Nach einer Abschlusskundgebung wurde eine weitere Kundgebung mit mehreren hundert Teilnehmern vor dem Kaufhaus und gleichzeitig eine Flashmobaktion im Kaufhof veranstaltet. Um die hundert Gewerkschafter organisierten Chaos im Kaufhof: produzierten Chaos in verschiedenen Abteilungen, Schlangen an den Kassen, blockierten Umkleidekabinen, lösten Alarmsignale aus, brachten Rolltreppen zum Stillstand und pfiffen zu einer verabredeten Uhrzeit auf Trillerpfeifen. Die Stuttgarter Zeitung titelte in ihrer Sonntagsausgabe „Streik verdirbt Kauflaune“.

Der Tag hat vor allem gezeigt, dass ver.di fachbereichsübergreifend mobilisieren und die Gewerkschaftslinke eine aktive Rolle in der Bewegung spielen kann. Im Kontrast steht dazu, die Haltung von Funktionären wie dem DGB-Vorsitzenden der Region Stuttgart, Wolfgang Brach und des IG-Metall-Bevollmächtigten Uwe Meinhardt, die den Streikenden in der Streikwoche die solidarische Unterstützung ihrer Organisationen zusicherten, ihren Worten aber keine Taten folgen lassen. Hätten IG Metall und der gesamte DGB für die Samstagsaktion mobilisiert, hätten sich mit Sicherheit einige tausend mehr beteiligt.

Bleibt zu hoffen, dass die Streikwoche in Stuttgart als Signal gewertet wird, was machbar ist und bundesweit Nachahmung findet.

Die beste Unterstützung für die Beschäftigten im Einzelhandel, wäre ein baldiger Streik im öffentlichen Dienst. Wenn keine Straßenbahnen mehr fahren, kommen die Leute nicht mehr in die Innenstädte zum Einkaufen. Bislang ist es noch typisch für ver.di, dass Kämpfe nicht gebündelt werden. In der Stuttgarter Einzelhandelsstreikwoche streikte in Berlin die BVG, aber nicht der Einzelhandel. Diese Verzettelungsstrategie muss von unten aufgebrochen werden. Auch hier wird Stuttgart am 22.2. ein Signal setzen. Das Konzept von unterschiedlichen Warnstreiks der verschiedenen Betriebe im öffentlichen Dienst wurde hier einhellig abgelehnt. Es soll einen gemeinsamen Paukenschlag im gesamten öffentlichen Dienst geben und darüber hinaus alle anderen ver.di-Bereiche, die außerhalb der Friedenspflicht sind, rausgeholt werden. Die VerkäuferInnen sind mit Sicherheit wieder dabei. Denn ein Nachgeben der Arbeitgeber in den nächsten Wochen ist nicht in Sicht.

dokumentiert: Bericht des Zukunftsforums über die Flashmobaktion:

Streikaktionen Einzelhandel Stuttgart: Menschenkette und Flash Mob

Am 2. Februar begannen die Streikaktionen im Einzelhandel in Stuttgart gegen 12.00 Uhr mit einer Menschenkette. Über 1000 Menschen waren durch rote und weiße Bänder entlang der gesamten 1,3 km langen Königstraße vom Bahnhof bis zu dem neuen Streikbetrieb „Zara“ miteinander verbunden – GewerkschafterInnen vom Einzelhandel, vom Öffentlichen Dienst, aus der Metallbranche …, junge AktivistInnen aus den Sozial- und antifaschistischen Bewegungen und viele andere.

Die anschließende Kundgebung auf dem Schlossplatz war geprägt von der neuen Streikkultur der vorwiegend jungen Belegschaften der Einzelhandelsbetriebe: kreativ, fetzig, kämpferisch, phantasievoll, lebenslustig, voll Schwung und Elan – mit selbst gedichteten Streikliedern, Sprechchören, umgedichteten Songs … .

Gemeinsam zogen wir zum bestreikten Kaufhof – dort gab es dann 2 Aktionen: eine vor dem Kaufhof – laut und bunt – wie die Kundgebung, um die KundInnen am reingehen zu hindern. Und im Kaufhof fanden mehrere Flash Mob-Aktionen mit fast 100 Streikunterstützern statt. Die Schuhabteilung war danach nur noch Chaos, kaum begehbar, und es wird sicher noch lange dauern, bis alle passenden Schuhmodelle und Schuhgrößen wieder richtig sortiert sind. VerkäuferInnen wurden von den Flashmobbern voll beschäftigt, so dass „echte“ KundInnen keine Chance hatten. An den Kassen gab es meterlange Schlangen – die Geldscheine waren groß, die Gespräche lang, die Sucherei nach dem Geldbeutel dauerte, die Umtauschrate war extrem hoch – schließlich wollten wir doch keine „Weltmeisterhüte“ mit nach Hause nehmen. In der Mantelabteilung waren die Lederjacken (so ab 300 Euro aufwärts) die Begehrtesten, alle wollten sie anprobieren – und nicht nur eine. Ein Dutzend mussten es schon mindestens sein. Die Sicherheitsüberwachung piepte unüberhörbar durch die gesamte Abteilung. Die Umkleidekabinen in der Hemdenabteilung waren auch blockiert, schließlich mussten die sauber mit Nadeln zusammengesteckten Hemden sorgsam entnadelt und auseinandergefaltet werden und in den Kabinen kunstvoll angeordnet werden. Das dauert und die Schlangen wurden auch dort immer länger.

Das Personal wurde in diesen Abteilungen zusammengezogen, so dass in den anderen Abteilungen jede/r sich frei entfalten und seiner Kreativität freien Lauf lassen konnte.

Der krönende Abschluss war dann ein gemeinsam verabredeter Abgang über die Rolltreppen – begleitet von einem gellenden Trillerpfeifenkonzert (die verdi-Pfeifen haben dafür einfach die richtige Tonlage). Der Kaufhof dröhnte von oben bis unten. Der Empfang der FlashmobberInnen am Ausgang durch den Beifall der Streikenden machte deutlich, dass dies eine erfolgreiche Streikunterstützungsaktion war. Alle waren von der Aktion begeistert, sie hat viel Spaß gemacht und wird die nächsten Wochen sicher öfter wiederholt werden.