Die Kurden sind mit rund 30 Millionen das größte Volk ohne eigenen Staat. In der Türkei, Irak, Iran und Syrien wurden und werden ihnen demokratische und kulturelle Rechte verweigert.
von Claus Ludwig, Köln
Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland verboten. Die USA geben dem türkischen Militär Schützenhilfe bei ihren Attacken auf PKK-Lager im Nordirak. Fakt ist, dass die PKK von großen Teilen vor allem der armen Bevölkerung Kurdistans unterstützt wird. Sie vertritt berechtigte Forderungen nach Selbstbestimmung, demokratischen, sozialen und kulturellen Rechten. Als Marxistinnen und Marxisten sehen wir die Programmatik und die Strategie der PKK sehr kritisch und lehnen viele ihrer Methoden ab. Wir verteidigen allerdings das Recht der Kurdinnen und Kurden, einen eigenen Staat oder Autonomie zu fordern und sich gegen die Angriffe der Armee zur Wehr zu setzen.
Keine isolierte Revolution
Feudale Stammespolitiker wie die irakischen Kurden Barzani und Talabani haben kein Programm, außer sich selber zu Herrschern Kurdistans zu machen. Sie haben mit jedem Diktator und Imperialisten schmutzige Geschäfte gemacht und die Bevölkerung immer wieder verraten. Demgegenüber organisiert die PKK die Ärmsten und Unterdrückten, landlose Bauern, arbeitslose Jugendliche, vermehrt Frauen, die vor Armut, Familie und patriarchaler Gewalt fliehen.
Allerdings haben die PKK und ihr Führer Abdullah Öcalan keine Strategie zur Befreiung Kurdistans. Die PKK ging bei ihrer Gründung 1978 davon aus, dass Kurdistan eine türkische Kolonie sei und in einem auf der Bauernschaft basierenden Guerilla-Krieg befreit werden müsse. Nach dieser nationalen Befreiung könnten die sozialen Fragen gelöst werden. Die PKK bekannte sich zum Sozialismus, sah diesen aber als zweite Stufe nach der Unabhängigkeit.
Damit wiederholten Öcalan und die kurdische Bewegung die Fehler, die in der türkischen Linken gemacht wurden. Die radikal klingenden Parolen der überwiegend stalinistisch beziehungsweise maoistisch orientierten türkischen Linken und die extreme Betonung des bewaffneten Kampfes ergänzten ihre – letztendlich reformistische – Etappen-Theorie.
Anstatt auf die Organisierung und Mobilisierung der Mehrheit der Arbeiterklasse zu setzen, um per sozialer Revolution den Kapitalismus abzuschaffen, war man überzeugt, die Zwischenetappe, eine „demokratische, unabhängige Türkei“ auch durch kleine Gruppen von Guerilla-Kämpfern zu erreichen. Diese sollten die „Oligarchie“ stürzen, nach Ansicht der meisten Gruppen die rein parasitäre Schicht des Kapitals und der Feudalherren, welche das Land beherrscht.
Für Kurdistan ist der Weg zur Unabhängigkeit auf kapitalistischer Grundlage versperrt. Es ist ökonomisch und politisch kein Platz für einen neuen Staat in der Region, der die Macht der anderen Staaten beschneiden würde. Der Verlust der kurdischen Gebiete wäre für die herrschende Klasse der Türkei eine Katastrophe.
Daher ist die Befreiung Kurdistans untrennbar mit dem Sturz des Kapitalismus in den unterdrückenden Ländern verbunden. Diese Erkenntnis müsste Dreh- und Angelpunkt der kurdischen Bewegung sein. Die Strategie müsste dem Ziel untergeordnet sein, das Bündnis mit den türkischen, arabischen und persischen Massen zu erreichen.
Die PKK hielt und hält es jedoch für möglich, durch den Guerilla-Kampf, Demonstrationen und Verhandlungs-Initiativen so viel Druck auf den türkischen Staat auszuüben, dass dieser zu einem Rückzug beziehungsweise zu einem Kompromiss zu bewegen sei. Doch weder der Verzicht auf sozialistische Forderungen und einem eigenen Staat noch Drohungen, Terroranschläge in türkischen Städten zu verüben, haben sie diesem Ziel näher gebracht.
Arbeitereinheit notwendig
Auf der Grundlage ihrer falschen Analyse entwickelte die kurdische Bewegung keine Strategie, die türkische Arbeiterklasse zu erreichen. Militärisch ist die türkische Armee nicht zu besiegen. Die riesige Wehrpflichtigen-Armee müsste politisch untergraben werden, um ihre Kampfkraft zu schwächen. Doch die Methoden der PKK erlaubten es dem Staat, eine große Unterstützung für die Armee zu generieren. Die getöteten Soldaten werden – auch von durchaus kritischen Türken – als „Opfer des Terrorismus“ gesehen.
Einige Aktionen der PKK haben dabei eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Mit terroristischen Angriffen auf Zivilisten zum Beispiel in den Touristenzentren, mit Drohungen, den Krieg in die Großstädte zu tragen, und mit der Tötung von jungen Rekruten, die unbewaffnet zu ihren Stützpunkten in Kurdistan unterwegs waren, wurden dem türkischen Staat mächtige Propaganda-Mittel in die Hand gegeben.
Als Marxistinnen und Marxisten lehnen wir den individuellen Terror ab. Anschläge und isolierte bewaffnete Aktionen kleiner Gruppen spielen den Nationalisten und dem Staat in die Hände und blockieren den Weg zur Einheit der arbeitenden Menschen.
Die PKK hat ab Mitte der neunziger Jahre die Parolen eines kurdischen Staates und des Sozialismus fallen lassen und Autonomie innerhalb einer demokratisierten Türkei gefordert. Dies hat sie nicht „beliebter“ gemacht. Vielmehr hat dies die Isolation von den türkischen Massen verstärkt, da die PKK zu einer rein kurdischen Partei wurde, die keine Lösung für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Massen anbieten kann. Auch die legalen kurdischen Parteien wie die Partei für demokratische Gesellschaft (DTP) werden nicht als Kräfte gesehen, die sich für die ArbeiterInnen und die Armen einsetzen, sondern als rein kurdische Gruppen.
Schmutzige Deals in Nahost
Während die PKK sich anfangs von den Stammesfürsten abhob und die Menschen auf Klassenbasis organisierte, beteiligte sie sich schon bald an schmutzigen Geschäften mit verschiedenen Mächten im Nahen Osten.
Um unter dem Schutz des syrischen Regimes bleiben zu können, verzichtete die PKK auf die Kritik an der Unterdrückung der dortigen Kurden. Am Ende ließ Syrien Öcalan fallen.
Mitte der Neunziger verstrickte sich die PKK in die Kämpfe zwischen den kurdischen Gruppen im Nordirak, verbündete sich zeitweise mit Talabanis Patriotischer Union Kurdistan (PUK), zeitweise mit dem Regime Saddam Husseins.
Als die USA 2003 den Irak angriffen, kritisierte die PKK dies nicht. Sie hoffte, dadurch würden sich Spielräume im Nordirak eröffnen. Die arabischen und türkischen Massen sahen den Angriff jedoch als Verbrechen. Dass die kurdischen Führer mit den USA kollaborieren, vertieft die nationale Spaltung und den Hass in der Region.
Die PKK ging sogar soweit, eine eigene Truppe für den bewaffneten Kampf in Iranisch-Kurdistan, die PJAK, zu gründen und seit 2005 verstärkt Anschläge auf iranische Truppen durchzuführen. Die Partei für ein freies Leben in Kurdistan operiert mit Erlaubnis und möglicherweise Hilfe der US-Geheimdienste. Vor die Wahl zwischen PJAK und dem türkischen Staat gestellt ist sicher, dass die USA ihre kleine Affäre mit der PKK aufgeben und der Türkei bei deren Verfolgung helfen.
Die Befreiung des kurdischen Volkes von nationaler und sozialer Unterdrückung haben diese Manöver nicht näher gebracht. Sie haben die PKK eher zu einer „normalen“ kurdischen Partei gemacht, die in wechselnden Bündnissen mit Despoten und Imperialisten der Illusion hinterherjagt, dabei wenigstens einmal als Gewinner hervorzugehen.
Öcalans Zickzack
Nach seiner Festnahme ist Öcalan dem türkischen Staat sehr weit entgegengekommen. Statt Autonomie zu fordern, lobte er die Türkei und schwor auf deren Einheit. Diese Fast-Kapitulation brachte die Bewegung an den Rand des Kollapses.
Doch in den letzten Jahren ist auch Öcalan wieder offensiver geworden. Vom Marxismus hat er sich auch verbal verabschiedet, aber er vertritt eine Mischung aus utopischem Sozialismus, geschichtlich basierten Mesopotamien-Kult und feministischen Parolen. Die Frage einer grundlegend anderen Gesellschaft wird von Öcalan und der PKK wieder deutlicher gestellt und scheint erneut Anziehungskraft auf die unterdrückten Menschen auszuüben.
Sozialistische Perspektive für Nahost
Wenn es gelingt, den kurdischen Kampf zu verbinden mit dem Leben der ArbeiterInnen, Bauern und Jugendlichen in der Türkei, im Iran, Irak und Syrien, wenn die Perspektive eines besseren Lebens für alle in einem multiethnischen sozialistischen Nahen Osten aufgestellt wird, wird die Befreiung der Kurdinnen und Kurden näher rücken.
Dazu braucht es eine bewusste Strategie der kurdischen Bewegung und demokratische Organisationen, um gegen Krieg und Kapitalismus zu kämpfen. Der bewaffnete Kampf der Guerilla-Einheiten kann nicht im Zentrum stehen, sondern sollte lediglich ein Hilfsmittel zur Selbstverteidigung sein.
Die SAV und das CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale) sind für das Recht des kurdischen Volkes, selbst darüber zu bestimmen, wie es leben will. Wir fordern demokratische und kulturelle Rechte für alle ethnischen und religiösen Gruppen in Nahost.
Eine echte Befreiung für die kurdischen Massen kann es nur geben, wenn Großgrundbesitz und Kapitalismus und damit Unterentwicklung und Armut abgeschafft werden. Wir machen uns dafür stark, dass der kurdische Widerstand sich an die Arbeiterklasse und die Armen in der Türkei und den anderen Nachbarländern wendet und zum gemeinsamen Kampf gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung aufruft.
Wir treten für ein sozialistisches Kurdistan und eine sozialistische Türkei als Teil einer freiwilligen sozialistischen Föderation von Staaten sowie für die internationale Kooperation bei voller Wahrung der Rechte aller Minderheiten ein.
Claus Ludwig ist Mitglied im Rat der Stadt Köln und stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE/Gemeinsam gegen Sozialraub. Er gehört dem Bundesvorstand der SAV an