Vertrag von Lissabon unterzeichnet: Portugiesen haben nichts zu feiern

Mit salbungsvollen Worten unterzeichneten die Staatschefs der EU-Länder am 13. Dezember den EU-Reformvertrag. Portugals Regierung ist besonders stolz, weil er nach dem Verhandlungsort den Namen "Vertrag von Lissabon" trägt. Die Menschen in Portugal haben andere Sorgen.

von Augusto Camba, Köln


 

Deshalb waren schon während der Verhandlungen, im Oktober, 200.000 Demonstranten in Lissabon zusammengekommen, um gegen die Politik ihrer Regierung zu protestieren. Es war die größte Kundgebung seit 20 Jahren. Und Portugal hat nur 10 Millionen Einwohner. Das Motto der Demonstration lautete „Für ein soziales Europa“. Der Protest richtete sich gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung und der Erwerbslosen in Portugal. Die portugiesische Regierung treibt unter dem schönen Namen "Flexiseguranca", was man am ehesten mit „Fordern und Fördern“ übersetzen könnte, eine ähnliche Sozialabbau-Politik wie in den letzten Jahren die Regierung in Deutschland.

Hintergründe

Zum besseren Verständnis: In Portugal organisieren sich die Konservativen in der Partei der "Sozialdemokraten" (PSD). Die Sozialisten (PS) entsprechen wiederum politisch der "sozialdemokratischen" SPD in Deutschland.

2002 gewannen die Konservativen unter Führung von Manuel Barroso die Parlamentswahlen. Als Barroso im Jahr 2004 Präsident der Europäischen Kommission wurde, übergab er das Amt des Ministerpräsidenten an Santana Lopes. Doch schon wenige Monate später mussten, aufgrund der weit verbreiteten Unzufriedenheit in der Bevölkerung, das Parlament aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen werden.

Diese Wahl Anfang 2005 gewannen die Sozialisten. Zum ersten Mal seit der Revolution von 1974 eroberten sie eine absolute Mehrheit. Doch nutzten sie diese nicht, um Reformen im Sinne von Verbesserungen durchzuführen. Der sozialistische Premierminister José Sócrates verstand die absolute Mehrheit vielmehr als Freibrief, einen besonders arroganten und autoritären Regierungsstil zu pflegen.

Dementsprechend war auch der Inhalt seiner Politik. Die jährliche Neuverschuldung betrug bei seinem Amtsantritt 6,5 Prozent des Bruttosozialproduktes. Es folgten permanente Angriffe auf die Arbeiterklasse und besonders auf die Staatsbeschäftigten. Sócrates griff zu den traditionellen Rezepten: die Steuern für die breite Masse der Bevölkerung erhöhen, staatliche Investitionen senken. Portugal war in den letzten zwei Jahren von allen 27 Ländern der EU dasjenige, mit der geringsten staatlichen Investitionsquote.

Statt den Abstand zu den wohlhabenderen Ländern der EU zu verringern, wuchs die Kluft in den letzten zwei Jahren. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, der Mindestlohn beträgt 420 Euro, der durchschnittliche Lohn liegt bei 700 Euro. Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist in Portugal besonders groß. Auch die Arbeitslosigkeit nimmt zu, obwohl Sócrates im Wahlkampf 150.000 neue Arbeitsplätze versprochen hatte. Viel Geld wurde in den vergangenen Jahre für Großprojekte verpulvert, wie die Expo 98 und die Ausrichtung der Fußballeuropameisterschaft 2004, die vor allem dazu führte, dass privaten, reichen Fußballvereinen der Stadionausbau mit öffentlichen Geldern finanziert wurde.

Die Regierung Sócrates ist nicht besonders stabil. Allerdings beherrscht Sócrates die Kunst, seine Politik als Show zu inszenieren. Immer wenn seine Popularität sinkt, kündigt er große Investitionen an.

In der Realität gibt es höchstens kleine Projekte, die aber mit viel Aufwand medial in Szene gesetzt werden. Man darf davon ausgehen, dass Sokrates im Wahljahr 2009 mit vollmundigen Wahlversprechen versuchen wird, eine zweite absolute Mehrheit zu gewinnen. Dass er dieses Ziel erreicht, ist aber eher unwahrscheinlich, schließlich war seine Politik nicht gerade dazu angetan, sich eine treue Wählerschaft unter der Beschäftigten und Erwerbslosen aufzubauen.