Streik in Frankreich: 700.000 auf der Straße gegen Sarkozy

700.000 Beschäftigte gingen in ganz Frankreich am 20.11. auf die Straße, davon mindestens 70.000 alleine in Paris. Dies ist Teil der Bilanz des gemeinsamen Streiktages des Öffentlichen Dienstes und der Bahnbeschäftigten der Frankreich lahm legte.


 

von Tinette Schnatterer, Montargis bei Paris

Bahnstreik seit dem 14.11.

Die Angestellten der französischen Bahn, SNCF, befinden sich bereits seit dem 14.11. im Streik gegen die Abschaffung der sogenannten Régime spexiaux. Diese „Reform“ sieht eine Erhöhung des Renteneinstiegsalters auf 40 Beitragsjahre (bis zum Jahr 2012 sogar 41 Jahre) an Stelle von heute durchschnittlich 37,5 Jahren vor. Dies würde eine Rentenkürzung von bis zu 25% für die Kollegen bedeuten. Begründet wird der Angriff damit, die betroffenen Kollegen bei der Bahn, Gas- und Elektrizitätswerken…. seien priviligiert. Die Kollegen antworten darauf, indem sie darauf hinweisen wie anstrengend ihre Arbeit ist. Philippe Roure, Mechaniker im Bahndepot Seinte-Saint-Denis, schildert seine „privilegierte“ Arbeit wie folgt: “Ich arbeite seit fast 30 Jahren im Lärm, mit gebeugtem Rücken unter den Zügen um die Achsen in Stand zu halten. Also meine Rente, das kommt nicht in Frage dass die angetastet wird.“

Tous ensemble am 20.11.

Heute (20.11.) streikten zudem die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes für mehr Kaufkraft d.h. gegen Reallohnverluste, gegen Stellenabbau und gegen schlechtere Verträge für Neueingestellte. Eine von zwei Schulen blieb wegen dem Streik geschlossen, Krankenhausbeschäftigte, Beschäftigte des Finanzamts und des Zolls, der Post und der Telekom, die Wetterdienste, Angestellte bei Air France und der Banque de France beteiligten sich am Streik. Vereinzelt streikten sogar Beschäftigte der Privatindustrie.

Auch die Studierenden sind schon länger auf der Straße. An 43 Unis ist der „Betrieb gestört“ d.h. sie wurden besetzt oder von der Univerwaltung vorbeugend geschlossen. Der Protest der Studierenden richtet sich gegen das Gesetz Pécresse, dass einen Schritt in Richtung der Privatisierung der Unis bedeutet. Neu ist, dass sich seit dem 20.11. auch Schüler dem Protest angeschlossen haben. Die beiden größten Organisationen der Lycée-Schüler FIDL und die UNL riefen ebenfalls zum Streik auf. Auch die Zeitungen konnten wegen einem Streik der Drucker am 20.11. nicht erscheinen.

Kampf um die öffentliche Meinung

Die Regierung betont immer wieder, dass eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Streik der Bahn ist. Tatsächlich ist ein Streik im Personenverkehr wie auch in Schulen oder Kindergärten … immer mit Stress für die betroffene Bevölkerung verbunden. Dies ist nichts anderes als ein erneuter Beweis dafür wie wichtig die Arbeit der streikenden Kollegen für die Gesellschaft ist. Die Beteiligung der verschiedensten Gruppen der Beschäftigten und Jugendlichen am 20.11. wie auch die parallel stattfindenden Proteste (siehe Streiks und Demos gegen Gerichtsschließungen…) zeigen wie groß die Unzufriedenheit und damit auch das Potential einer gemeinsamen Bewegung ist. Gleichzeitig verliert auch die Regierung an Unterstützung: Sarkozy hat seit Oktober fünf Prozentpunkte an Unterstützung eingebüßt. Auch bei den erfolgreichen Bewegungen 1995 und bei der Bewegung gegen das CPE, Ersteinstellungsgesetz, war anfangs eine Mehrheit gegen den Streik. Dies änderte sich erst im Verlauf der Proteste. Um die Unterstützung einer Mehrheit zu gewinnen, müssen die streikenden Kollegen und ihre Gewerkschaften aber erstens zeigen dass sie es ernst meinen mit ihrem Protest und dass er sich lohnen kann und zweitens die Brücke zwischen den verschiedenen Forderungen schlagen. Zwei Dinge, die die Gewerkschaftsführungen tunlichst versuchen zu vermeiden. Eine Umfrage der CSA, die am Montag veröffentlichte wurde, zeigt, dass 53% die Forderungen und den Streik im Öffentlichen Dienst unterstützen. Der gemeinsame Streik und die gemeinsamen Demonstrationen am 20.11. können auch dazu beitragen dass der Streik der Bahnbeschäftigten an Sympathie gewinnt.

Gleichzeitig nutzt die Regierung die Medien um gegen die Streikenden zu hetzen die „egoistisch“ die „ Nutzer als Geisel nehmen“……… Am 18.11. fand die erste Demonstration gegen den Streik statt, zu der ultraliberale Gruppen wie Liberté Chérie aufgerufen hatten. Die 8.000 Teilnehmer waren dementsprechend auch nicht typische Berufspendler sondern besser Betuchte aus den besseren Pariser Vierteln. Auch wenn die Regierung bisher Abstand zu dieser Demonstration gehalten hat um die Verhandlungen nicht zu gefärden, haben führende Politiker der Regierungspartei UMP bereits angekündigt, dass sie für die Zukunft solche Demonstrationen durchaus für unterstützendswert halten.

„Gewerkschaften von der Basis überboten“

Die Stimmung bei den Streikenden ist entschlossen und selbstbewusst.

«Wir werden nicht aufhören nachdem wir so schön angefangen haben und bereits einige Tage Lohn verloren haben. Und Pech, zur Not müssen wir eben Nudeln essen.“ , so ein Busfahrer der Pariser Verkehrsbetriebe, „Wir werden heute nicht opfern wofür unsere Vorgänger gekämpft haben.“

Die täglichen Vollversammlungen der streikenden Bahnbeschäftigten am Montag waren so gut besucht wie noch nie seit Beginn des Streiks, und alle stimmten für eine Fortsetzung des Streiks. Allerdings gehen die Vorstellungen der Basis und der Gewerkschaftsführungen darüber wie der Streik weitergeführt werden soll weit auseinander.

Die Zeitung Le Figaro titelte am 16.11.: « Gewerkschaften von der Basis überboten. Der Graben zwischen den Gewerkschaftsführungen und ihrer Basis vertieft sich.“ Tatsächlich haben die Gewerkschaftsführungen in den letzten Tagen alles dafür getan mit der Regierung zu verhandeln und den Streik zu beenden. Am Tag vor Streikbeginn machte M. Thibault, der Vorsitzende der Gewerkschaft CGT, der Regierung plötzlich das Angebot von Dreiergesprächen (Regierung, Gewerkschaft, Unternehmer) auf Unternehmensebene. Bis dahin hatten die Gewerkschaften dies abgelehnt und eine allgemeine Einigung gefordert. Die Regierung jubilierte. Ein Ende des Streiks schien in Sicht bevor er überhaupt angefangen hatte. Doch diese Rechnung hatten sie ohne die Basis gemacht, die in den Versammlungen trotzdem für einen unbefristeten Streik stimmte. Viele Kollegen waren sauer, dass ihre Führungen Verhandlungen vorschlägt bevor der Streik begonnen hatte, d.h. bevor er Druck auf die Regierung erzeugen konnte.

Einer der Hauptslogans auf den Demonstrationen am 20.11. war folglich „Pas de négotiations sans mobilisations“ – „Keine Verhandlungen ohne Mobilisierung“.

Bernhard Thibault, Vorsitzender der CGT, verteidigt dieses Verhandlunsgangebot:“ Ob die Regierung mit am Tisch sitzt ist kein Detail. Die Regierung kann sagen ob Lösungen conform sind und ob sie sie finanziell garantieren kann, das ist in Verhandlungen nicht unbedeutend.“ Dabei scheint Thibault vergessen zu haben von wem die Angriffe ausgehen. Von eben dieser Regierung die er hier versucht als Schiedsrichter zu präsentieren.

Stattdessen sind die Verhandlungen ein Eingeständnis, dass die Gewerkschaften nicht wirklich versuchen die Abschaffung der Régime speciaux zu verhindern sondern nur bei der Umsetzung mitreden möchten und gleichzeitig dem Druck der Basis nachgeben müssen. Diesen hatten sie jedoch offensichtlich unterschätzt.

François Chérèque, der Vorsitzende der Gewerkschaft CFDT (viertstärkste Gewerkschaft bei der SNCF) hatte für einen Abbruch des Streiks appeliert. Die Folge waren Sprechchöre bei der Demonstration am 20.11. in Paris wie „Chérèque macht gemeinsame Sache mit den Arbeitgebern“ und „ Chérèque, kein Messer in den Rücken“. Dieser musste die Demonstration darauf eilig und von seiner Eskorte geschützt verlassen.

Arnaud Morvan, Vorsitzender der CFDT-Bahn, musste seine Unterschrift unter ein Papier dass er in der Nacht vom 13. auf den 14. November mit der SNCF über den weiteren Verlauf der Verhandlungen unterzeichnet hatte nach Druck der Basis zurückziehen

Dabei hat die CFDT schon 2003 die Erfahrung gemacht dass ihr tausende Mitglieder den Rücken kehrten nachdem sie die damalige Rentenreform der Regierung unterstützt hatte. Gelernt hat sie daraus offensichtlich nicht. Die CGT, deren Führung mehrfach deutlich gemacht hat dass sie auch verhandlungsbereit ist, reagiert etwas geschickter auf den Druck der Basis. Ihr Vorsitzender betont immer wieder dass die Versammlungen der Streikenden über die Fortführung des Streiks entscheiden. Gleichzeitig wird die CGT aber am Mittwoch, gemeinsam mit den anderen großen Gewerkschaften am Verhandlungstisch mit der SNCF sitzen. Dabei hat die Regierung schon im Vorfeld ihre Bedingungen diktiert: damit ein Staatsvertreter kommt müssten die Gewerkschaften mit einer Verbesserung des öffentlichen Verkehrs guten Willen zeigen. Und Didier le Rest (CGT-Bahn) fällt nichts besseres ein als zu versichern: „in dem Moment in dem trotz dem Konflikt Züge fahren erfüllen wir diese Bedingung.“

Die letzten Tage haben gezeigt dass die Basis die Gewerkschaftsführungen unter Druck setzen kann. Trotzdem ist diesen leider zuzutrauen dass sie bei den Verhandlungen am 21.11. oder in den nächste Wochen einen faulen Deal unterzeichnet. Um dem vorzubeugen haben die Bahnbeschäftigten Paris-Nord einstimmig eine Resolution verabschiedet die an die Gewerkschaftsführungen gerichtet ist.“ Wir fordern, vor jeder Entscheidung die unsere Zukunft betrifft konsultiert zu werden und in jeder Etappe über den Inhalt der Diskussionen informiert zu werden“. Solche Resolutionen müssen überall verabschschiedet werden. Gleichzeitig ist es aber auch nötig Streikkommitees zu wählen die die Fortführung des Streiks organisieren können und vor allem auch den Kontakt zwischen den verschiedenen Regionen sicherstellen kann.

Wie weiter?

In den letzten Wochen machten die Vorsitzenden der verschiedenen Gewerkschaften den Eindruck als hätten sie nur eine Sorge: den Streik zu beenden. Und sie versicherten immer wieder, ihr Ziel sei nicht, die verschiedenen Bewegungen zusammen zu bringen.

Dabei zeigt die Erfahrung der französischen Beschäftigten, dass es gemeinsame Kämpfe sind die die Regierung zurückdrängen können. 1995 hat eine Bewegung von Beschäftigten der Privatindustrie und des Öffentlichen Dienstes gemeinsam die Regierung Jupée mit dem identischen Angriff auf die Renten zurückgeschlagen. Vor zwei Jahren gelang es den Studierenden und Beschäftigten gemeinsam das CPE, Erstenstellungsgesetz, zu verhindern. Aktuell waren es auch vor allem die Studierenden die für gemeinsame Proteste plädierten. Auf der Demonstration trugen sie Transparente mit Aufschriften wie: „Sie privatisieren, wir organisieren (uns). Für eine Zusammenführung der Kämpfe.“

Um eine gemeinsame Bewegung aufzubauen und zu verhindern dass die Regierung in Ruhe einen Angriff nach dem nächsten durchführen kann sind interprofessionelle Versammlungen der Streikenden nötig.

Politische Bewegung?

„Wir sind nicht in einer Anti-Sarkozy-Bewegung mit politischem Charackter“ betonte Jean-Claude Mailly, Vorsitzender der Gewerkschaft Force Ouvrier und M. Thibault (CGT) „lehnt die Idee einer sozialen dritten Runde [der Präsidentschaftswahl] ab“.

Aber die momentanen Angriffe auf die Beschäftigten sind politisch, also muss auch die Antwort eine politische sein. Es ist kein Zufall dass die Bahnbeschäftigten als erste angegriffen wurden. Sarkozy versucht gezielt einem der kampfstärksten Bereiche der französischen Arbeiterklasse eine Niederlage beizubringen um dann ungestörter seine restlichen Kürzungen und neoliberen Maßnahmen umzusetzen.

Dabei hat auch die PS (Parti Socialist) nocheinmal deutlich gemacht dass sie kein bißchen die Interessen der Beschäftigten und Jugendlichen vertritt. Francois Hollande, Vorsitzender der PS, erklärte : «  Wenn wir an der Regierung wären hätten wir die Baustelle der Regime speciaux auch eröffnet. […] Unser Ziel wäre es gewesen die Gewerkschaftsbewegung in die Verantwortung zu nehmen.“ Kritik hat die PS also nur an der Methode, sie hätte noch mehr auf die Einbindung der Gewerkschaftsführungen gesetzt.

Während die Unternehmer und Superreichen in Frankreich also mehrere Parteien zur Verfügung haben die ihre Interessen vertreten haben die Streikenden gar keine. Eine solche Partei ist ber bitter notwendig um der Propaganda der bürgerlichen Parteien und ihren Medien etwas entgegenzusetzen und einen Austausch und eine Vernetzung der verschiedenen Proteste zu organisieren.