Am Donnerstag, dem ersten Streiktag im Personenverkehr, entschlossen sich gut 80 streikende S-Bahn-Berlin-Beschäftigte, Kundgebungen am Hauptbahnhof und am Bahn-Tower Potsdamer Platz zu machen.
von Johannes Ullrich, Berlin
Die Meldestelle der GDL-Ortsgruppe S-Bahn Berlin am Ostkreuz war schon um 7:30h morgens brechend voll. Die Stimmung war sehr kämpferisch, so dass der Vorschlag, eine öffentliche Aktion zu machen, mit Begeisterung aufgenommen wurde. Einige O-Töne, die sozialismus.info während der Versammlung sammelte:
„Man sollte ab Montag unbefristet Streiken – im Zweifel bis zum bitteren Ende.“
„Man hat in den 90igern in England gesehen, das das mit der Privatisierung nichts bringt.“
„Man muss hart bleiben. Das tun wir nicht nur für uns, sondern für alle. Man muss das Streikrecht erhalten. Die Gesetze dürfen auch nicht geändert werden. Das sind Arbeiterrechte, die jahrzehntelang erkämpft wurden.“
„Ich bin ein Vollblut-Eisenbahner. Aber das momentan ist, auf gut Deutsch, zum Kotzen. Ich habe zuhause ein Schild mit "Papa" an das Bild meiner Familie geheftet, damit meine Kinder nicht vergessen, wie ich aussehe.“
„Die Arbeitsbedingungen sind beim Abschluss wichtiger als die Prozente. Familie und Beruf muss vereinbar sein. In den Arbeitszeiten müssen Kinder betreut werden können. Momentan ist das sehr schwer.“
„Nach der Wende wurde der Betriebskindergarten abgeschafft. Ich kann nicht mein Kind morgens um 3 Uhr im Kindergarten abgeben um um 4 Uhr auf der Arbeit zu sein – und wenn mein Chef sagt, dass ich das Kind im Kinderhotel abgeben soll, ist das auch nicht schön.“
Um kurz nach 8 gingen die Kolleginnen und Kollegen dann in Richtung Hauptbahnhof los, wo sie aufgrund der nur sehr selten fahrenden Züge erst um kurz vor 9 ankamen (normalerweise dauert die Fahrt ca. 15 Minuten).
Am Hauptbahnhof angekommen, ergriff zuerst Enrico Forchheim, Vorsitzender der GDL-Ortsgruppe S-Bahn Berlin*, das Wort. Er verurteilte, dass die GDLer, die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen, von den Bahn-Managern als Terroristen abgekanzelt werden. Auch die Behauptung von den „Belegschaftsspaltern“ widerlegte er, denn von den 230.000 Bahnbeschäftigten gelte der Tarifvertrag nur für wenig mehr als 100.000. Insofern seien Transnet und GDBA die Spalter, wenn sie jahrelang Reallohnsenkungen vereinbarten und dadurch die GDL als einzig kämpferische Gewerkschaft zwangsläufig höhere Lohnforderungen stellen würde. Außerdem seien die LokführerInnen und ZugbegleiterInnen mitnichten darauf aus, nur für sich selbst mehr herauszuholen – die zwischen Transnet-Hansen und DB-Mehdorn vereinbarte Öffnungsklausel zeige, dass alle Bahner von einem Erfolg der GDL profitieren würden.
Der nächste Redner wurde von den KundgebungsteilnehmerInnen begeistert begrüßt: Es war Carsten Becker, ver.di-Betriebsgruppenvorsitzender der Berliner Uniklinik Charité und SAV-Mitglied, der seine Solidarität als ver.di-Mitglied ausdrückte und berichtete, dass 2006 die Charité-Beschäftigten auch erfolgreich gegen Lohnraub und Stellenkürzungen gestreikt haben. Solange Manager wie Mehdorn mehrere Millionen im Jahr „verdienten“, könne es keine Gewerkschaftsforderung geben, die „überzogen“ sei. Auch die Privatisierung der Bahn wurde von ihm angeprangert – Streckenstilllegungen, Ausdünnung der Verbindungen im Regionalverkehr und Preiserhöhungen seien die logische Konsequenz des einzig auf Profit ausgerichteten Börsengangs.
Auch Lucy Redler von der BASG – Berliner Alternative Solidarität und Gegenwehr kam bei den Protestierenden gut an. Sie zog die Parallele zu Frankreich, wo derzeit ein Streik gegen die neoliberalen „Reform“vorhaben der Regierung Sarkozy Eisenbahner, Elektrizitätsbeschäftigte und viele andere Gewerkschafter im Kampf vereint.
Als vorerst letzter Redner kam Michael Koschitzki von der SAV zu Wort, der die letzte Woche verbreiteten Gerüchte um eine Servicegesellschaft nur für das Fahrpersonal aufgriff und vor den Folgen warnte: Wie nicht zuletzt das Beispiel der Telekom-Zerschlagung gezeigt hätte, würde solch eine Aufsplittung nur Nachteile mit sich bringen und über kurz oder lang zu deutlichen Verschlechterungen führen. Um im Gegenteil den Streik zu einem vollen Erfolg zu machen, sei als nächster Schritt ein unbefristeter Streik nötig – in allen Bereichen -, um zu zeigen, dass ohne die Beschäftigten nichts geht. Michael wünschte den Streikenden zum Abschluß den besten Erfolg für ihren Kampf und betonte, dass die SAV auch weiterhin tatkräftig bei der Organisierung von Protesten helfen würde.
Im Anschluß an diese erste Kundgebung zogen die GDLer weiter zum „Bahn-Tower“, dem Hauptgebäude der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz. Dort veranstalteten sie erstmal ein minutenlanges Pfeifkonzert, um die Verärgerung und Wut über den Kurs des Bahn-Managements „rauszulassen“. Aus der Menge kamen Rufe wie „Hartmut raus“ und „Mehdorn weg“, und Enrico Forchheim griff dies in seiner Rede auf, indem er angesichts der gleichzeitig stattfindenden Aufsichtsratssitzung fragte, ob Mehdorns Uhr schon ticken würde.
Während der Kundgebung meldeten sich mehrere Passanten zu Wort, die ihre Solidarität mit den Bahnern ausdrückten und praktisch zum Generalstreik aufriefen („es müssen alle gemeinsam streiken, damit die da oben endlich kapieren“). Michael Begoll vom Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di rief Begeisterungsstürme unter den ZuhörerInnen hervor, als er von ver.di-KollegInnen in Halle berichtete, die eine Solidaritätsaktion planen würden.
Insgesamt war es ein sehr ermutigender Vormittag, der die kämpferischen GDLer in ihrem Streik bestätigte und ihnen zeigte, dass sie bei weitem nicht alleine in ihrem Kampf sind.
*dient nur zur Kenntlichmachung der Person