Es besteht eine Chance, das Projekt Bahn-Privatisierung zu Fall zu bringen
von Winfried Wolf
Spätestens als am 30. August im Stern der von Arno Luik verfasste Artikel „Der große Eisenbahnraub“ erschien, wurde deutlich, dass auch in der veröffentlichten Meinung das Projekt Bahn-Privatisierung zunehmend kritisch bewertet wird. Seither hatten Dutzende Artikel in Printmedien und mehrere Beiträge in Fernsehsendungen wie Tagesthemen und Monitor eine ähnlich kritische Tendenz. Damit schlossen die führenden Medien zur in der Bevölkerung vorherrschenden Meinung auf.
In zwei repräsentativen Umfragen von November 2006 (Emnid) und Juli 2007 (Forsa) sprachen sich jeweils zwei Drittel der Befragten für eine Bahn in öffentlichem Eigentum aus.
Sand im Getriebe
Damit besteht eine echte Chance, das nach der Treuhand-Abwicklung der DDR zweitgrößte Privatisierungsprojekt in der deutschen Geschichte zu Fall zu bringen.
Wie so oft hat der Erfolg viele Väter. Tatsächlich sind es eine Reihe von Komponenten, darunter auch innere Widersprüche im bürgerlichen Lager, die die Bahn-Privatisierung auszubremsen scheinen. Doch es ist auch nicht zuletzt die intensive Kampagne des Bündnisses Bahn für Alle, die zum Erfolg beiträgt. Das wurde auch auf dem SPD-Parteitag deutlich, der Ende Oktober in Hamburg stattfand. Eines der zentralen Themen dort war die Bahn. Vor dem Hamburger Kongresszentrum agierte ein Theatertrupp mit einem Mehdorn-Stelzenmann, dessen Ohren aus Euro-Zeichen geformt waren. In der Halle verteilten ein Dutzend Bahn-für-Alle-Leute Flugblätter. Und unter den Delegierten gab es mit Peter Conradi, aktiv im Bündnis Bahn für Alle, einen Mann, der die Stimmung im Saal zum Kippen brachte.
SPD-Bundesparteitag
Bekannt sind die Rahmenbedingungen, die für den SPD-Parteitag galten: Um aus dem 25-Prozent-plus-x-Loch der Meinungsumfragen herauszukommen, sollte das unsoziale Profil der Partei aufgehübscht werden. Um den personellen Vorsprung der CDU-Kanzlerin abzubauen, sollte in Hamburg das Bühnenstück „Kurt der Starke“ aufgeführt werden. Brav bestätigten die Delegierten Kurt Beck mit 95,5 Prozent als Parteivorsitzenden. Worauf sich dieser fortan durch den Saal wie ein aufgeklärt absolutistischer Pfälzer Weinkönig bewegte. Der Parteitag fasste auch den Beschluss zum ALG I. Jeder im Kongresszentrum wusste, dass Angie als CDU-Kanzlerin und Münte als ihr SPD-Arbeitsminister die unter Schröder beschlossene Politik der sozialen Kälte fortsetzen werden.
Beim zentralen Thema Bahn erlebten Parteiführung und die selbsternannte Parteilinke dann eine deutliche Niederlage. Dabei verfolgten die Privatisierer eine durchdachte Dramaturgie: Hubertus Heil (Generalsekretär) und Wolfgang Tiefensee (Bundesverkehrsminister) erklärten den Delegierten die Welt, sprich, dass die Bahn nur als privatisiertes Unternehmen die notwendige Rolle als Global Player spielen könne. Hermann Scheer (MdB) und Björn Böhning (Juso-Bundesvorsitzender) plädierten als linker Flankenschutz für die Bahn-Privatisierung in Form von stimmrechtslosen Volksaktien – eine Position, der in der Debatte Tiefensee und sogar der Transnet-Chef Norbert Hansen, der ansonsten im engen Verbund mit Arbeitgeber Mehdorn gen Börse marschiert, zustimmten.
Doch als der ehemalige, langjährige Bundestagsabgeordnete Peter Conradi im ersten Satz seiner Rede mitteilte, er stimme gegen jede Art von Bahn-Privatisierung, spendete der Saal befreit den ersten, anhaltenden Applaus. Als der Delegierte ohne jegliche Hausmacht erklärte, das Modell einer Volksaktienbahn öffne die Tür für jede Art Privatisierung, wuchs die Zustimmung. Als er zum Schluss Becks Bekenntnis, „nah an der Bevölkerung“ sein zu wollen, in Verbindung mit den Mehrheiten in der Bevölkerung für eine Bahn in öffentlichem Eigentum brachte, erhielt er langanhaltenden Beifall.
Entscheidung des Parteitags
Nun präsentierte sich der Parteichef statt huldvoll als Basta-Beck: Wer ihn am Tag zuvor gewählt habe, müsse ihm nun auch vertrauen. Großes Pfälzer Ehrenwort: Stimme der Koalitionspartner dem Volksaktienmodell nicht zu, werde die neue Situation im Parteivorstand und auf einem neuen Parteitag diskutiert. Die Debatte wurde brüsk abgewürgt und ein entsprechender Beschluss herbeigeführt.
Nimmt man den Wortlaut der Entscheidung – ein Ja zu einer Teilprivatisierung von 25,1 Prozent in Form von Volksaktien – so ist diese ausgesprochen zwiespältig. Betrachtet man die Entscheidung im Kontext der übrigen Widersprüche in der Koalition, im Bundesrat und mit dem GDL-Streik, dann erlitten die Bahnprivatisierer eine weitere Niederlage.
Diese wird nur dann wirksam bleiben, wenn die Kampagne gegen die Bahn-Privatisierung fortgesetzt wird.