Am 18. Oktober hieß es: Rien ne va plus – Nichts geht mehr
Mitte Oktober fand in Frankreich ein massiver Streik statt: Über 70 Prozent aller Bahnarbeiter, 90 Prozent aller Lokführer protestierten gegen die Angriffe auf ihre Rente. Strom-Beschäftigte schalteten in Sarkozys Präsidentenresidenz den Strom ab. Auch Arbeits- und Postämter wurden bestreikt, LehrerInnen gingen auf die Straße. Die Pariser Oper Garnier sagte die Aufführung von Verdis „La Traviata“ ab, das Schauspielhaus Comedie Francaise Molieres „Der eingebildete Kranke“.
von Marie Rosa, Aachen
Im ganzen Land kam der Bahnverkehr zum Erliegen. Auch die U-Bahn und die Busse standen in Paris und in vielen anderen Städten still.
Hier war die Beteiligung an den Streiks sogar höher als 1995. Damals hatte die Juppé-Regierung ebenfalls versucht, die Rente zu demontieren. Sie scheiterte vor zwölf Jahren aufgrund eines über vier Wochen andauernden Streiks im Öffentlichen Dienst und wurde kurz darauf abgewählt.
Am 18. Oktober hatten alle Gewerkschaften im Bahnsektor gemeinsam zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Während die Gewerkschaften SUD Rail und Force Ouvriere den Streik am 19. und gar am Wochenende weiterführten, bestanden die Vorstände der großen Verbände CGT und CFDT darauf, den Streik auf 24 Stunden zu beschränken. Ihnen zum Trotz stimmten 95 Prozent der Arbeiter in den Bahnhöfen von Paris, Marseille und Lyon für die Fortsetzung des Ausstands.
Die Sarkozy-Regierung wird nicht so leicht locker lassen. Denn für sie geht es um viel. Aus ihrer Sicht hinkt Frankreich im europaweiten Vergleich beim neoliberalen Kahlschlag hinterher.
Die Beschäftigten im Transport- und Energiesektor sollen gezwungen werden, statt 37,5 Jahre 40 und ab 2012 41 Jahre Beiträge zahlen zu müssen, um eine Rente ohne Abstriche zu erhalten. Sarkozy hat sich allerdings zum Frontalangriff entschieden. 23.000 Stellen im Öffentlichen Dienst sollen gestrichen werden. Die Privatisierung des Gesundheitssystems wird vorbereitet. Ab Januar soll das Streikrecht im Verkehrswesen ausgehöhlt werden (unter anderem mit einer dann gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbesetzung).
Die Medien wollten von den Anliegen der Streikenden ablenken, in dem sie landauf landab über die Scheidung von Cecilia und Nicolas Sarkozy berichteten. Als diese Nachricht sich verbreitete, wurde das von DemonstrantInnen in Le Havre aufgegriffen. Ihre Parole lautete: „Cecilia, auch wir haben von Nicolas genug!“
Die Gewerkschaftsspitze versucht zu verhindern, dass eine breite Protest- und vor allem Streikbewegung entsteht. Der Druck ist jedoch so groß, dass sie bereits weitere Proteste ankündigen musste. Zudem traten eine Woche nach dem 18. Oktober auch die Beschäftigten bei Air France in den Ausstand, um Gehaltserhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen einzufordern. Es gibt also das Potenzial für eine Massenbewegung gegen Sarkozy – und das nur ein halbes Jahr nach seiner Amtseinführung.