Lukrative Geschäfte winken, neue Ernährungs- und Umweltprobleme entstehen
Umweltfreundlich, billig und unbegrenzt produzierbar – Biotreibstoffe scheinen die Alternative zu Öl und Benzin zu sein. In Deutschland könnte Biodiesel aus Rapsöl bis Ende des Jahres fast ein Fünftel des gesamten Dieselbedarfs decken. Der Markt boomt – hat das Kapital endlich umgedacht?
von Conny Dahmen, Köln
Biotreibstoff entsteht aus einer Mischung von Benzin und pflanzlichem Ethanol beziehungsweise Biodiesel und besitzt ungefähr zwei Drittel der Ergiebigkeit herkömmlichen Benzins. Der weltweit größte Bioethanol-Produzent USA verarbeitete 2006 ein Fünftel seiner Maisernte zu Bioethanol.
Bei seiner letzten Rede zur Lage der Nation setzte US-Präsident George W. Bush ein Produktionsziel von 35 Milliarden Gallonen Biosprit bis 2017. Damit ist er keineswegs vom Klimaschwein zum Saubermann mutiert: Angesichts des steigenden Ölpreises wird es immer profitabler, aus Agrarprodukten Treibstoff statt Nahrungsmittel herzustellen. Bushs erklärtes Ziel ist die Überwindung der gefährlichen „Suchtabhängigkeit“ vom Erdöl (Frankfurter Rundschau vom 2. April) – und damit vom Nahen Osten und dem lästigen Hugo Chávez in Venezuela.
Hungerkrise
Aufgrund der US-amerikanischen Bioethanol-Produktion landeten im letzten Jahr 40 Millionen Tonnen Mais weniger auf dem Weltmarkt (das Doppelte der gesamten mexikanischen Maisproduktion), wo-raufhin der Weltmarktpreis um 50 bis 60 Prozent anstieg. In Mexiko kosten die Tortillas heute 738 Prozent mehr als 1994. Millionen von Bauern mussten infolge des Beitritts zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) unter dem Druck staatlich subventionierter US-Billigimporte den Maisanbau aufgeben. Heute importiert Mexiko einen Viertel des Mais aus den USA, der dort zu 52 Prozent gentechnisch verändert ist und die einheimischen Sorten durch Kontamination gefährdet.
Abholzen der Regenwälder
Während Maisbiodiesel nur unwesentlich sauberer ist als herkömmlicher Diesel, ist der Schadstoffausstoß des Zuckerrohrtreibstoffes achtmal niedriger (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Mai). Brasilien, der größte Zuckerproduzent der Welt, verarbeitet bereits heute die Hälfte der Ernte zu Ethanol, der Zuckerpreis ist heute doppelt so hoch wie 2004. Die Erweiterung des Zuckerrohranbaus und die mangelnden Kontrollen der vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen drängen unter anderem den Sojaanbau und Viehzucht wieder in die billigen Amazonasregionen. Die Abholzung der Regenwälder dort treibt den Klimawandel weiter voran – und der Biosprit ist gar nicht mehr so bio.
Auch in Ländern wie Indonesien und Malaysia sind die Palmölplantagen für den Großteil des Regenwaldverlustes verantwortlich. Nachdem in Indonesien bereits fünf Millionen Hektar Wald vernichtet wurden, planen die Regierung und Wirtschaftsverbände laut World Wide Fund for Nature (WWF) die weitere Vernichtung von 13.000 Quadratkilometer Wald bis 2011 durch erweiterte Anbauflächen. Palmöl ist der billigste Biodieselbestandteil, selbst inklusive Transportkosten kommt er hierzulande billiger als der Raps aus heimischer Produktion.
Klimawandel
Biosprit schafft neue Umweltprobleme. Die Treibhausgasemissionen werden – nach verschiedenen Prognosen – gleichzeitig kaum reduziert. Und selbst wenn die USA ihre ganze Mais- und Sojaproduktion zur Bioethanol- beziehungsweise Diesel-Produktion verwendeten, würde dies bloß zwölf Prozent der Benzin- und sechs Prozent der heutigen Dieselnachfrage decken.
Das Klima zu stabilisieren kostet dem 4. Klimabericht der Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe für Klimaänderungen (IPCC) zufolge im Jahr 2030 weniger als drei Prozent des Welt-Sozialproduktes (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Mai). Doch die Herrscher dieser Welt investieren kaum in regenerative Energien wie Wind– und Solarenergie oder energiesparende Maßnahmen, sondern lieber in Profitquellen wie Biotreibstoffe, die von den wirklichen Lösungen für das Klimaproblem nur ablenken.
Agrosprit und Ernährung
„Das Getreide, das nötig ist, um den 120 Liter fassenden Tank eines Geländewagens mit Ethanol zu füllen, reicht aus, um einen Menschen ein Jahr lang zu ernähren.“
US-Umweltaktivist Brian Tokar in SPIEGEL special vom 27. März