Treffen kritischer Gewerkschafter bei Daimler: Kritik an Leistungsverdichtung und fortgesetztem Personalabbau. Betriebsratsspitze gibt sich kämpferisch
von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 30.10.07
Der Leistungsdruck bei Daimler ist enorm – und der Unmut auch.« Dies war der Tenor aller Berichte auf einem Treffen kritischer Gewerkschafter, der »Daimler-Koordination«, das in der vergangenen Woche im Sauerland stattfand. Der fortgesetzte Personalabbau, das »Auspressen« der weniger werdenden Arbeitskräfte, habe für die Beschäftigten des Autobauers mittlerweile dramatische Auswirkungen. Ein Beleg hierfür: der insbesondere in Bereichen mit großer Arbeitsbelastung hohe Krankenstand. Dennoch werde weiter an der Leistungsschraube gedreht – ohne daß dies auf ernsthaften Widerstand der Betriebsratsspitzen treffe, so der Vorwurf der linken Aktivisten.
Rationalisierung
»Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß (KVP)«, »New Management Model (NMM)«, »Optimierung indirekter Leistungen (OIL)«, »Logistisch-optimierte Fabrik (LOF)« – bei den Namen der verschiedenen Rationalisierungsprogramme kennt die Kreativität des Daimler-Managements offenbar keine Grenzen. »Die erfinden jeden Monat einen neuen Begriff, was dabei aber am Ende rauskommt, ist immer dasselbe: Arbeitsverdichtung und Personalabbau«, meinte Martin Bott, Betriebsrat der Oppositionsgruppe »Alternative« im Daimler-Werk Untertürkheim. »Wir sind bis zur Oberkante Unterlippe zu mit Arbeit, dabei werden wir als Überhangwerk gezählt, in dem angeblich zu viele Leute beschäftigt sind«, ergänzte sein Kollege André Halfenberg. Mehr als 30000 Arbeitsplätze hat Daimler in den vergangenen drei Jahren in Deutschland abgebaut – trotz des aktuellen Booms, von dem auch der Stuttgarter Autobauer profitiert. In den meisten Werken wurden zusätzliche Schichten verordnet, damit die Maschinen fast rund um die Uhr laufen können. Dennoch erweitert der Konzern die Belegschaft auch jetzt kaum.
Statt dessen werden Leiharbeiter und befristet Beschäftigte eingesetzt. Eigentlich dürfen – so steht es im 2004 geschlossenen »Zukunftssicherungsvertrag« – nur vier Prozent der Belegschaften befristet eingestellt sein. Die gleiche Quote gilt für Leiharbeiter. Beide Gruppen zusammen dürfen konzernweit maximal 2500 Personen ausmachen. Die Daimler-Spitze will diese Zahl jetzt auf 3500 erhöhen. An vielen Standorten sind die Quoten ohnehin bereits überschritten. »Die Werksleitung kann sich – auch wegen der Politik des Betriebsrats – erlauben, die Absprachen einfach zu ignorieren«, berichtete Angela Hidding, ehemalige Betriebsrätin bei Daimler in Mannheim. Dabei habe der Gesamtbetriebsrat (GBR) die Begrenzung von Leiharbeit und Befristungen zum zentralen Thema erklärt. Dennoch passiere wenig.
Klemm gibt sich radikaler
Auch insgesamt schlagen der sonst stets auf »sozialpartnerschaftliche Kooperation« bedachte GBR-Vorsitzende Erich Klemm und seine Gefolgsleute mittlerweile offenbar radikalere Töne an. Neben der vom IG-Metall-Apparat derzeit intensiv propagierten Begrenzung der Leiharbeit wird in der Betriebsratsspitze auch über eine härtere Gangart bei der Genehmigung von Überstunden nachgedacht. Die linken Gewerkschafter sind dennoch skeptisch, ob den Worten auch entsprechende Taten folgen werden. Ulf Wittkowski, Betriebsrat bei Daimler in Hamburg, erklärte, die Politik der Mehrheit des GBR sei »ganz eindeutig gescheitert«. Der Kasseler Betriebsrat Erich Bauer, der vor einigen Jahren wegen der Kandidatur auf einer »gegnerischen Liste« aus der Gewerkschaft ausgeschlossen wurde, meinte: »Das Problem für die IG-Metall-Fraktion ist, daß die Kritiker recht hatten – damit kann sie nicht umgehen.« Die GBR-Spitze wolle durch ihr kämpferisches Auftreten »wieder als Komanager ernst genommen werden«, glaubt Bott. Das sieht auch der Untertürkheimer Betriebsrat Halfenberg so. »Wenn sie wieder mitspielen dürfen, ist alles schnell vergessen. Deshalb ist es wichtig, daß wir an unseren Positionen festhalten und deutlich machen, daß wir nur durch eine Mobilisierung der Belegschaften aus der Defensive herauskommen können.«
Dennoch wollen die linken Kritiker alle Initiativen der Betriebsrats- und Gewerkschaftsspitzen nutzen, um die Aktivität der Belegschaften zu fördern. So zum Beispiel das von IG Metall und DGB betriebene Projekt »Gute Arbeit«, das sich mit den Bedingungen in den Betrieben beschäftigt und diese zum Beispiel mit Hilfe von Fragebögen untersucht. »Wir sollten dies aufgreifen, zuspitzen und die IG Metall so unter Zugzwang setzen«, meinte Hidding. Der Ansatz des Projekts sei zwar richtig, in seiner jetzigen Form führe es jedoch nicht zu einer Aktivierung der Belegschaften, kritisierte Bott, der für den Einsatz von »Gesundheitsmapping« plädierte. Bei dieser Methode werden die Beschäftigten dazu angehalten, sich selbst mit den krankmachenden Bedingungen an ihrem Arbeitsplatz und möglichen Verbesserungen auseinanderzusetzen. »Auf jeden Fall müssen wir klarmachen, daß der hohe Krankenstand vor allem auf die miserablen Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist, und nicht auf ›individuelles Fehlverhalten‹, wie es die Gegenseite immer so gerne darstellt«, betonte Bott. Jeden Tag werde den Beschäftigten gepredigt, die »Effizienz« müsse gesteigert werden, um die »Wettbewerbsfähigkeit des Standorts« zu erhalten. »Dem müssen wir entgegenhalten: Der jetzige Umgang mit den Menschen ist nicht effizient, sondern zerstörerisch.«
Weitere Infos: labournet.de/branchen/auto/dc