Was sind die Ursachen für die jüngsten Preiserhöhungen bei Milch, Butter und anderen Lebensmitteln? Angeblich sind sie Folge der erhöhten Nachfrage, insbesondere aus China.
von Georg Kümmel, Köln
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gehen nach China und Indien zusammen lediglich 0,1 Prozent der deutschen Direkt-Exporte von Milch und Milchprodukten.
Für die EU lag der entsprechende Anteil höher, China und Indien beziehen zusammen aber auch da nur einen Anteil von 2,9 Prozent an den gesamten Exporten von Milch und Milchprodukten der EU.
Allerdings wuchs der Export von Milch, Butter, Käse, Joghurt aus Deutschland mengenmäßig tatsächlich im ersten Halbjahr um 9,2 Prozent. Wohin gehen diese Exporte? Zu 80 Prozent in die EU und dort wiederum insbesondere in die osteuropäischen Beitrittsländer.
Die Menschen in anderen Ländern, besonders in Osteuropa, essen eben wieder lieber Butter statt Margarine. Da kann man nichts machen – soll uns glauben gemacht werden.
Kühe zum Schlachthof
Erhellender ist da ein Statement des Hauptgeschäftsführers der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie aus dem vergangenen Jahr. Er schreibt: „Absatzchancen haben sich für deutsche Exporteure auf den neuen Märkten vor allem dort eröffnet, wo die einheimischen Produzenten noch mit dem Strukturwandel oder der Anpassung an EU-Standards zu kämpfen haben und eine hohe Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Produkten entsteht. Besonders Hersteller von Fleisch- und Wurstwaren, Milchprodukten, aber auch von Brot und Backwaren profitieren von den neuen Märkten“ (23. August 2006).
Mit anderen Worten: die Bauern, Genossenschaften und Lebensmittelproduzenten in Polen, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn und weiteren Beitrittsländern Osteuropas werden von der deutschen Lebensmittelindustrie an die Wand gedrückt. Angesichts der übermächtigen Konkurrenz aus Deutschland fehlen ihnen die Mittel und die Perspektive, um den bestehenden oder wachsenden Bedarf zu befriedigen. Viele Kleinbauern haben ihre Kühe zum Schlachthof geführt, weitere werden folgen. Beispiel Ungarn: „Bis 2009 wird durch die EU-Kommission für Ungarn ein Rückgang in der Milcherzeugung um minus 13,7 Prozent prognostiziert“ (Sächsische Landesanstalt für Landwirtschaft).
Die Bauern hierzulande haben wenig von den Preiserhöhungen. Nur circa zwei Cent erhalten sie jetzt mehr für den Liter Milch.
Es sind also knallharte Profitinteressen und die damit verbundene Politik der EU, die uns die höheren Preise bescheren. Die Länder, die derzeit Milchprodukte importieren, könnten ihre Landwirtschaft modernisieren und dann ihren Bedarf ohne weiteres selber decken, statt Bauern und Betriebe zu ruinieren.
Appetit auf Profit
Das gilt nicht nur für die Milchprodukte, sondern auch für Fleisch. Nach der Wende sank Anfang der neunziger Jahre die Fleischproduktion in den osteuropäischen Ländern. Unternehmer aus dem Westen hatten wenig Interesse, in die Viehwirtschaft zu investieren, denn: „Außerdem ist es plausibel, dass sich westliches Kapital und marktwirtschaftliches Know How nach dem Zusammenbruch des Sozialismus zunächst einmal auf den Bereich der pflanzlichen Produktion ausgerichtet haben, denn die dort getätigten Investitionen sind tendenziell risikoärmer, haben eine kürzere Pay-Back-Dauer und schaffen besser die Möglichkeit, das Nutzungsrecht für ein möglichst großes Stück Land zu erlangen“ (Professor Isermeyer, Fachtagung 2004/2005, Vilomix Tierernährung GmbH).
Die Preissteigerungen bei Lebensmitteln haben also wenig mit den Chinesen, aber viel mit dem ungezügelten Appetit der Kapitalisten nach Profiten zu tun.
Monopole und EU-Quote
In der BRD kontrollieren 100 Molkereien und fünf landesweit operierende Lebensmittelketten zwei Drittel des Marktes für Milchprodukte. Diese Position nutzen sie aus, um Preise zu diktieren.
Behindert sehen sie sich durch die EU-Milchquote. Diese beschränkt Produktionsausweitungen. Industrie und Handel plädieren deshalb für mehr „Freihandel“. Das würde aber zu verschärfter Konkurrenz und einer weiteren Stärkung der Großkonzerne – auf Kosten von Beschäftigten, Kleinbauern und Verbrauchern – führen.