Unter dem Motto „Marxismus für das 21. Jahrhundert“ kamen auf den diesjährigen bundesweiten Sozialismustagen der SAV 270 TeilnehmerInnen zusammen, um in 15 Workshops, bei Podiumsdiskussionen und zusätzlichen Sonderveranstaltungen die brennenden Themen der Zeit zu debattieren. BesucherInnen kamen aus zwanzig Städten und aus Italien, Großbritannien, Costa Rica, Österreich, Belgien und Brasilien.
von Max Höhe, Köln
Mit dem Titel der diesjährigen SozialismusTage, die vom 28. bis 30. September im Berliner Kulturzentrum „Pumpe“ stattfanden, wurde der Ausspruch des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez aufgegriffen, der in Lateinamerika zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ aufruft. So nahm die Auseinandersetzung mit den momentanen Entwicklungen in Venezuela, Bolivien und weiteren Ländern Lateinamerikas auch einen größeren Raum bei den diesjährigen Sozialismustagen ein. Bei der Plenumsveranstaltung zur Frage „Lateinamerika auf dem Weg zum Sozialismus?“ gaben Allessandra Lacerda und Johannes Ullrich einen direkten Einblick in die Entwicklungen in Brasilien und Bolivien. Lacerda ist Mitglied der SAV-Schwesterorganisation Socialismo Revolucionario (SR), die in der neuen Linkspartei Brasiliens, P-SOL, mitarbeitet. Der Zuspruch den das CWI, das Komitee für eine Arbeiterinternationale, darüber landesweit erhalten hat, drückt sich darin aus, dass SR in den nächsten Monaten eine Rundreise durch das ganze Land plant, um mit verschiedenen Gruppen über einen Eintritt in SR und CWI zu diskutieren. Finanziert wird dieses Projekt u.a. von den 1.700 Euro, die bei einem Spendenappell, der vom CWI-Mitarbeiter Karl Debbaut vorgetragen wurde, für die Arbeit des CWI in Lateinamerika zusammen kamen. Anfang 2008 wird darüber hinaus auch eine alle lateinamerikanischen Länder umfassende marxistische Konferenz vom CWI organisiert werden. Ullrich machte deutlich, wie wichtig der Aufbau des CWI in Bolivien ist und wie erfolgreich dieser bisher verläuft.
Neue Linksparteien international
Aber auch in Europa geht der Aufbau des CWI voran. Marco Veruggio, Mitglied im Vorstand der italienischen Rifondazione Comunista (PRC) und ebenfalls organisiert in der marxistischen Strömung Controcorrente, berichtete über die Schwierigkeiten, die sich aus der Regierungsbeteiligung der PRC ergeben. Ähnlich wie in Deutschland mit der fusionierten Partei DIE LINKE führt auch in Italien die Beteiligung an kapitalistischen Regierungen dazu, dass die linke Bewegung insgesamt vor dem Dilemma „(Regierungs-)Macht oder Widerstand“ steht. Die Opposition gegen den Machterhaltungskurs der PRC wird dort stärker und die Kluft zwischen Parteiführung und -basis größer. Das CWI steht in Diskussionen mit Controcorrente über eine weitere enge Zusammenarbeit bzw. einen Beitritt zum CWI, dem auch die SAV als Sektion in Deutschland angehört.
Im Workshop „Was ist linke Einheit“ machten Hannah Sell (Socialist Party, Schwesterorganisation der SAV in England und Wales) und Sascha Stanicic, Bundessprecher der SAV, in einer Debatte mit Veruggio und dem Berliner BASG-Vorstandsmitglied Michael Prütz klar, dass eine Einheit der Linken nicht um jeden Preis betrieben werden darf. Sie sprachen sich für die Bildung neuer Arbeiterparteien aus, die ganz den Interessen der abhängig Beschäftigten, Jugendlichen, Erwerbslosen, Rentnerinnen und Rentner verschrieben ist, um echten Widerstand und eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen Wahnsinn zu schaffen. Genau dies propagiert seit einigen Monaten in Großbritannien die von der Socialist Party ins Leben gerufene Campaign for a new workers party (Kampagne für einen neue Arbeiterpartei). Gleichzeitig betonten SAV-Mitglieder in der Debatte die Notwendigkeit eine marxistische Organisation aufrecht zu erhalten und aufzubauen. Dem Vorschlag von Michael Prütz, dass sich die MarxistInnen in jedem Land in der jeweils stärksten Gruppe zusammen schließen sollten, entgegneten sie, dass dies nur auf der Basis ausreichender politischer und methodischer Übereinstimmung sinnvoll sei, da eine Vereinigung relativ kleiner Organisationen sonst eher zu weniger Handlungsfähigkeit führen würde.
In einer zweiten Debatte zu diesem Themenkomplex diskutierte die ehemalige Spitzenkandidatin der Berliner WASG und SAV-Bundesleitungsmitglied Lucy Redler mit der Bundestagsabgeordneten der Partei DIE LINKE Inge Höger und dem Mitglied der Strömung Sozialistische Linke in der Partei Ruben Lehnert.
„Marxismus für das 21. Jahrhundert“
Stehende Ovationen gab es auf der Hauptveranstaltung des Wochenendes für den 91-jährigen Kommunisten und Antifaschisten Theodor Bergmann. Dieser rief in seiner Rede dazu auf, sich im Kampf gegen die Nazis nicht auf bürgerliche Parteien oder den Staat zu verlassen. Neben ihm sprachen der ver.di-Betriebsrat am Berliner Universitätsklinikum Charité Carsten Becker und der Daimler-Betriebsrat und Mitglied der Gruppe kritischer IG Metall-Mitglieder „Alternative“ im Werk Untertürckheim Serkan Senol. Außerdem erklärte Lucy Redler, warum die Partei DIE LINKE eine kämpferische und sozialistische Politik braucht, wenn sie eine tatsächliche Alternative für ArbeiterInnen und Jugendliche sein will und warnte gleichzeitig vor dem Kurs der Regierungsbeteiligung der Berliner und vieler ostdeutscher Landesverbände der LINKEN.
Repressiver werdender Staat und bewusster agierender Widerstand
Die Themenpalette der Sozialismustage reichte von der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung bis zur Klimakatastrophe und von der Russischen Revolution 1917 bis zum modernen Kolonialismus in Kosova und Afghanistan.
Der marxistische Ökonom und Aktivist der Kampagne „Bahn für Alle“ gegen die Bahn-Priovatisierung Winfried Wolf hielt Vorträge zur Verkehrspolitik und das ehemalige Mitglied der Bewegung 2. Juni Bommi Baumann diskutierte mit dem SAV-Mitglied Gaetan Kayitare über die Lehren des „Deutschen Herbst“.
Holger Burner, linker Aktivist und Rapper aus Hamburg, legte im Workshop „Nach den G8-Protesten“ Wert auf die Feststellung, wie wichtig es für den bürgerlichen Staat ist, alles mögliche zu tun, um linken Widerstand von einer immer unzufriedener werdenden Bevölkerung fernzuhalten. Michael Kronawitter, der als Arzt in Heiligendamm war und dennoch verhaftet und kriminalisiert wurde, konnte aus erster Hand darstellen, wie weit Deutschland sich schon auf dem dem Weg zum Überwachungsstaat entwickelt hat.
Professor Peter Grottian von der FU Berlin forderte in diesem Kontext eine Radikalisierung der Protestbewegungen, die angemessen auf die Angriffe des Staates reagieren müssten und Stephan Kimmerle wies seitens der SAV-Bundesleitung darauf hin, dass die vermeintliche (geheimdienstliche, militärische, polizeiliche) Stärke des Staates vielmehr über die Angst und Schwäche der Herrschenden Auskunft gebe als über deren tatsächliche Machtposition.
Am Workshop zur Frage „Ist der Mensch zu schlecht für den Sozialismus?“ nahmen knapp 30 TeilnehmerInnen teil. In diesem Workshop wurde auch deutlich, dass die diesjährigen Sozialismustage zwar insgesamt nicht so gut besucht waren wie in den vorigen Jahren, dass das politische Niveau, auf dem diskutiert wurde, aber höher lag als in den Jahren zuvor. Allgemein waren die Debatten gezeichnet vom festen Bewusstsein, dass das kapitalistische System die gesellschaftlichen Missstände nicht beseitigen kann, sondern nur zu noch mehr Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Leid führt.
In der Veranstaltung zur Entwicklung in Betrieben und Gewerkschaften konnten die TeilnehmerInnen aus erster Hand erfahren, wie Arbeitskämpfe geführt werden können und welche bremsende Rolle die Gewerkschaftsführung dabei viel zu oft einnimmt. Mustafa Efe (Betriebsrat Daimler Berlin-Marienfelde), Serkan Senol und Hüseyin Akyurt (Vertrauenskörperleiter bei Bosch-Siemens-Hausgeräte, BSH) verdeutlichten eindringlich, dass betriebliche Initiativen zur selbständigen Aktivität und Organisierung von KollegInnen – auch unabhängig von den oftmals bürokratisch dominierten gewerkschaftlichen Strukturen – eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Gegenwehr sind.
Ein Filmausschnitt einer Dokumentation über den BSH-Streik von dem anwesenden Filmemacher Holger Wegemann illustrierte, wie sehr die Belegschaft in dieser Auseinandersetzung Selbstbewusstsein gewonnen hatte und kurz davor stand, den Streik in die eigenen Hände zu nehmen. Die Diskussion zum Verlauf des BSH-Streiks zeigte aber auch, dass die Organisierung kritischer KollegInnen in betrieblichen Gruppen, wie das bei Daimler in Untertürckheim und Berlin-Marienfelde geschieht, nicht erst während eines Streiks angegangen werden sollte.
Hier wurde auch noch einmal betont, wie nötig eine weitere Vernetzung linker Gewerkschaftsaktivisten – über Branchengrenzen hinaus – ist! Wie beeindruckend und informativ dieser Workshop war, wird auch daran klar, dass die Debatte um eine halbe Stunde verlängert werden musste, da so großer Diskusionsbedarf unter den über 50 TeilnehmerInnen herrschte.
Motivation für die Arbeit vor Ort
Dass zu den Sozialismustagen 2007 etwas weniger TeilnehmerInnen mobilisiert werden konnten als in den vergangenen Jahren, liegt vor allem daran, dass sie nicht – wie sonst üblich – über die Osterfeiertage stattfinden konnten, sondern in den Herbst verlegt werden mussten. Für viele der regelmäßigen TeilnehmerInnen waren es aber trotzdem die besten Sozialismustage bisher aufgrund der hohen politischen Qualität der Veranstaltungen.
Viele BesucherInnen drückten ihr Interesse aus, mehr über die SAV zu erfahren und mit der SAV aktiv zu werden. Dementsprechen motiviert verließen die TeilnehmerInnen die Veranstaltung – in dem Bewusstsein, dass Marxismus Anleitung zum Handeln ist und die gewonnenen Erkenntnisse in den örtlichen Kampagnen und Kämpfen angewendet werden müssen. Der erste Schritt dazu wird die Solidarität mit dem Lokführerstreik sein.