Angedrohte Waffengewalt beendet die Aktionen
von Bravo, Collectivo Socialismo Revolucionario (17. September 2007)
Am Mittwoch, 15. August 2007, besetzten 40 Arbeiterführer zusammen mit ArbeiterInnen die Büroräume des Arbeitsministeriums. Sie waren zu den Büroeinrichtungen des Arbeitsministeriums gekommen, um eine Diskussion mit dem Minister über die Tarifverhandlungen für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes einzufordern.
Als sie dort ankamen wurde den ArbeiterInnen mitgeteilt, dass die Verträge in einem Zimmer im fünften Stockwerk des Ministeriums unterzeichnet werden würden. Nach zwei Stunden Wartezeit und ohne Information durch die dortigen Angestellten wurde eine Delegation unter den Gewerkschaftsführern und den ArbeiterInnen gewählt, die herausfinden sollte, was dort vor sich ging. Die Delegation erhielt schließlich von den Ministeriumsangestellten die Auskunft, dass die für die Unterzeichnung verantwortliche Landesinspektorin für Arbeit und Vertragsangelegenheiten nicht im Gebäude sei, da sie sich mit dem Arbeitsminister zu einem Treffen verabredet hatte. Mit dieser Situation konfrontiert entschieden sich die Gewerkschaftsführer, den Druck durch eine Besetzung der Büros zu steigern, um sicher zu stellen, dass die Tarifforderungen umgesetzt würden. Dies wurde von den 40 bis 50 ArbeiterInnen entschieden. Danach nahmen 30 Menschen an der Besetzungsaktion teil und verbrachten die Nacht in dem Gebäude.
Am Donnerstag Morgen mussten einige der ArbeiterInnen die Besetzungsaktion verlassen. Dann wurden die 17 Leute, die ausgeharrt hatten, vom Sicherheitspersonal des Arbeitsministeriums eingekreist. Der fünfte Stock wurde abgeriegelt und die ArbeitervertreterInnen waren damit im Gebäude eingeschlossen. Ihnen wurde nicht gestattet, Kontakt nach außen aufzunehmen.
Die auf Anweisung des Arbeitsministeriums erhobenen Maßnahmen des Sicherheitspersonals sind ein Beispiel für die repressiven Methoden, die vom Staatsapparat gegen ArbeiterInnen angewandt werden. Als Reaktion auf diesen Vorfall mobilisierte eine Gruppe zwischen 20 und 30 Leuten, hauptsächlich Familienangehörige und andere führende GewerkschafterInnen, eine Mahnwache vor dem Eingang des Arbeitsministeriums und zeigte Solidarität mit den im Gebäude eingesperrten ArbeiterInnen. Dieses Zeichen der Solidarität bezog sich in erster Linie auf die körperliche Unversehrtheit der im Gebäude Festgehaltenen. Die Antwort der Funktionäre des Ministeriums war die Abriegelung des Eingangs zum Ministerium und die Festsetzung der Menschen davor. Sie blockierten die, die Lebensmittel zu den Eingesperrten bringen wollten. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Situation schon reichlich beunruhigend. Die FührerInnen der UNT [ein Gewerkschaftdachverband], Orlando Chirino und Marcella Maspero, trafen ein, um ihre Solidarität mit der Besetzung auszudrücken. Dennoch organisierten sie keinen Massenprotest oder Aufruf zur Beteiligung an der Mahnwache. Mit zunehmender Verzweiflung begannen dann Frauen aus der Mahnwache heraus zu versuchen, die Eingangstüren des Ministeriums aufzutreten, um Lebensmittel zu den im fünften Stock eingesperrten Gewerkschaftsmitgliedern und -führern bringen zu können. Die Reaktion der Minsteriumsfunktionäre darauf war, dass sie die Eingangstüren mit Ketten dicht machten.
Verzweifelte Situation
Verschiedene JournalistInnen von Zeitungen und Fernsehen trafen ein, um sich ein Bild von dem zu verschaffen, was dort vor sich ging. Doch lediglich die Privatsender berichteten auch von der Lage vor und in dem Arbeitsministerium. Die von der Regierung kontrollierten Medien blieben still.
Am Freitag machten wir uns auf, um einen Staatsanwalt zu finden, der einen amtlichen Bericht über die Dinge anfertigen würde, die dort vor sich gingen. Zwei Staatsanwälte erschienen auch, keinem von ihnen wurde jedoch Zutritt zu den Büros im Ministerium gewährt, wo die ArbeiterInnen eingesperrt blieben.
Am Samstag waren die einzigen, die noch vor dem Arbeitsministerium ausharrten, um die Menschen zu unterstützen, die weiterhin im fünften Stock des Hauses festgehalten wurden, die Familienangehörigen. Am Sonntag wiederholte sich diese Situation und Verzweiflung machte sich breit.
Am Montag wurde dann die Idee diskutiert, eine Petition beim Gerichtshof einzureichen und eine habeas corpus-Akte anzulegen (im bürgerlichen Recht steht habeas corpus für den juristischen Vorgang, mit dem eine Person Entlastung von einer gesetzwidrigen Behandlung einfordern kann. Das Gericht kann auf dieser Grundlage dann entscheiden, dass ein Gefangener vor Gericht zitiert wird, um darüber zu urteilen, ob diese Person ein Gerichtsverfahren erhält). Eine Pressekonferenz wurde organisiert und die Fernsehkanäle Globovision, Televen und Venezolana de Televisión nahmen teil. Diese Pressekonferenz wurde von den Medien manipuliert als Fernsehbilder Orlando Chirino dabei zeigten, wie er eine Erklärung abgab. In Wahrheit hat er niemals ein Pressestatement auf dieser Konferenz abgegeben.
Für diese Aktionen erhielten wir Unterstützungsschreiben aus Brasilien, Argentinien, der Schweiz und anderen Ländern. In Argentinien wurde eine Mahnwache vor der venezolanischen Botschaft abgehalten. Die dort anwesenden Menschen forderten das Ende der feindseligen Aktionen gegen Gewerkschaftsmitglieder. Sie forderten auch, dass Gewerkschaftsführer wie Orlando Chirino und Marcelo Maspero ArbeiterInnen und die Bevölkerung im allgemeinen mobilisieren und eine Kampagne gegen die Internierung der GewerkschafterInnen im Arbeitsministerium starten sollten.
Eine Protestdemonstration fand zwar statt, allerdings war die Mobilisierung dafür und schließlich die Teilnehmerzahl daran enttäuschend. Es war ein Zeichen dafür, dass die Gewerkschaftsbewegung gespalten ist und dass einige der Gewerkschaftsführer nicht auf besonders starke Unterstützung zählen können.
Am Dienstag, als sich die GewerkschafterInnen bereits den sechsten Tag infolge in illegalem Gewahrsam im Arbeitsministerium befanden, stellte sich die Lage nicht viel besser dar. Wir erwarteten weitere Repressionen durch den Minister und die ihn unterstützenden Gewerkschaftsführer wie Franklin Rondon. Der Minister sandte unbewaffnete Polizeioffiziere der Bundespolizei, um so genannte Verhandlungen mit den im fünften Stock Festgehaltenen zu führen. Gleichzeitig sammelte sich eine Gruppe bewaffneter Berufsschläger – mit Unterstützung durch die tupamaros (einer bewaffneten Einheit aus dem „23. September-Wohnviertel“ in Caracas) – vor dem Gebäude. Sie drangen in das Ministerium ein und skandierten dabei: „fuera los escuálidos“ („Raus mit den Dreckigen“ – Der Begriff „escuálidos“ wird in Venezuela weithin gegen die Unterstützer der pro-imperialistischen Opposition und der nationalen Oligarchie gebraucht). Sie nahmen ihren Weg durchs Gebäude, demolierten Gegenstände und zerstörten Mobiliar. Als sie im fünften Stock ankamen, zogen sie ihre Waffen und bedrohten damit die gefangen gehaltenen GewerkschafterInnen.
Einer der Gewerkschaftsaktivisten erkannte zwei der Schläger wieder und begann mit ihnen zu verhandeln, um ein Blutbad zu verhindern. Die beiden erwiderten, dass sie angewiesen worden seien, die Besetzungsaktion zu beenden. Wir wissen aus anderen Quellen, dass das Arbeitsministerium und die ihm untergeordneten Stellen diese Schlägertruppe bezahlt haben. Die Besetzung wurde daraufhin beendet, um ein Blutvergießen zu verhindern. Die Offiziere der Nationalgarde, die die ganze Zeit über im fünften Stock anwesend waren, hatten nicht eingegriffen; selbst, als Menschenleben bedroht waren nicht.
Als die Besetzung zu Ende war und die ArbeiterInnen aus dem Arbeitsministerium heraus waren, erzählten sie von dem brutalen Vorgehen der bewaffneten Schlägertruppe und wie sie über ihr Leben zu verhandeln hatten.
Diese ganze Episode zeigt auch die Komplikationen, mit der die Gewerkschaftsbewegung in Venezuela konfrontiert ist. Für einige in der Gewerkschaftsbewegung waren die Reaktionen des Arbeitsministers ein Schockerlebnis. Vor allem, da es sich bei ihm um eine Person handelt, die sich selbst öffentlich als Trotzkisten bezeichnet. Auf der anderen Seite mag die Besetzung des Arbeitsministeriums von anderen, nicht unmittelbar einbezogenen ArbeiterInnen nicht gerade als die beste Taktik verstanden worden sein. Wie dem auch sei: Die Unerfahrenheit oder auch falsche Taktik der involvierten GewerkschafterInnen ist keine Entschuldigung dafür, dass bezahlte Schläger eingesetzt werden und eine Einschüchterung der Gewerkschaftsbewegung stattfindet von einer Regierung, die den Anspruch erhebt, den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ einzuführen. Diese Erfahrung zeigt die widersprüchliche Natur des Regimes und des venezolanischen Prozess und wie sie Schlägertrupps einsetzen können, um unabhängige Klassen-Demonstrationen der venezolanischen ArbeiterInnen in Zaum zu halten.