DIE LINKE braucht sozialistische Politik

Vier Monate nach der Gründung wächst der Einfluss der neuen Partei


 

Am 12. September fragte Oskar Lafontaine die Bundeskanzlerin im Parlament: „Wer ist "Deutschland"?“ Dabei bezog er sich auf die Aussage Merkels, Deutschland habe wieder allen Grund zur Zuversicht. Er konkretisierte seine Frage und sagte: „Verstehen Sie unter "Deutschland" auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (…)? Gehören zu Deutschland auch die Rentnerinnen und Rentner (…)? Gehören zu "Deutschland" auch die Empfänger sozialer Leistungen?“ Selten wird im Bundestag so einfach erklärt, dass wir in einer Klassengesellschaft leben und die Regierung bei ihrer Politik nur an die Klasse der Kapitalbesitzer denkt.

von Sascha Stanicic, Berlin

Die Partei DIE LINKE und Lafontaine bringen zumindest im Ansatz die Wut und Unzufriedenheit zum Ausdruck, die Millionen Menschen gegenüber der herrschenden neoliberalen Politik empfinden. Dass im Bundestag eine Partei vertreten ist, die dies tut, ist ein Fortschritt.

4.000 Neueintritte seit der Gründung der Partei sind zwar kein Massenzustrom, aber – angesichts der Mitgliederverluste aller anderen Parteien – auch nicht wenig. Sie ist zu einem gewissen Bezugspunkt für Aktive aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen geworden, wobei abzuwarten bleibt, wie viele Mitglieder sich aktiv beteiligen werden.

In Westdeutschland finden lebendige Debatten in der Partei statt und hat der Apparat die Partei nicht fest im Griff. Sonst hätte sich in Schleswig-Holstein nicht der Linke Lorenz Gösta Beutin als Landessprecher durchgesetzt, wäre Peter Erlanson nicht zum Spitzenkandidaten in Bremen gewählt worden und hätte es die Auseinandersetzung um den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Hessen nicht gegeben.

Druck von Links

Die neue Partei ist, als Folge der WASG-Gründung, Produkt der Massenproteste gegen die Agenda 2010 und kann sich auf ein verändertes Massenbewusstsein stützen, welches sie wiederum in ihrem Auftreten nach links verschiebt. Meinungsumfragen belegen, dass in zentralen Fragen von der Privatisierung bis zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr eine große Mehrheit der Bevölkerung linke Forderungen unterstützt. Die Existenz der neuen Partei wandelt diese Stimmung in begrenztem Maße in politischen Druck um. Auf diesen reagiert die SPD, wenn sie sich für die Einführung von Mindestlöhnen ausspricht. Auf diesen reagiert der Parteitag der Grünen, wenn er sich (bei allen Einschränkungen) gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ausspricht. Und auf diesen reagieren auch Teile der alten PDS im Osten, wenn sie in Leipzig ein Volksbegehren gegen Privatisierungen unterstützen oder wenn in Dresden der rechte Flügel aus der Stadtratsfraktion faktisch rausgeworfen wird.

Druck von Rechts

Doch es gibt auch Gegendruck. Der Versuch, im Sommer eine Kampagne zum Thema „Mauerschützen“ zu starten, war eindeutig gegen DIE LINKE gerichtet. Die Bürgerlichen wollen DIE LINKE klein halten, weil sie ihnen die klassischen Regierungsoptionen versaut und die neoliberale Offensive bremst.

Aber auch in den eigenen Reihen wurde heftig quer geschossen, als André Brie in einem SPIEGEL-Interview vor der Entwicklung zur Protestpartei warnte und Lafontaine als Hindernis für Bündnisse mit der SPD darstellte.

Wohin geht DIE LINKE?

Tatsächlich stehen sich in der neuen Partei zwei dominierende Flügel gegenüber. Diese trennen weniger politische Prinzipien als taktische Fragen. Der Flügel der „Regierungssozialisten“ sieht möglichst viele Regierungskoalitionen auf Landesebene und möglichst viele Bürgermeisterämter auf kommunaler Ebene als Voraussetzung, in eine Bundesregierung eintreten zu können. Diese „Genossinnen und Genossen“ mobilisieren, um in Thüringen und Sachsen in die Landesregierungen einzuziehen. In Sachsen sind sie sogar zu einer Koalition mit der FDP bereit! Im Berliner Senat setzt dieser Flügel seine arbeitnehmerfeindliche Politik weiter um (siehe Seite 4).

Der Lafontaine-Flügel hat erkannt, dass der „Berliner Weg“ Stimmen kostet und will als linke Protestpartei an Stärke gewinnen. Ihre strategische Überlegung ist genauso eine Koalition mit der SPD auf Bundesebene, doch hoffen sie durch Druck von Außen einige Positionsveränderungen in der SPD herbei zu führen. Dieser Flügel tritt wortradikal auf, vertritt in Wirklichkeit nur marktwirtschaftliche Reformprojekte und stützt die Regierungsbeteiligung im Land Berlin, wenn es darauf ankommt.

Daneben entwickeln sich in Westdeutschland deutlich linkere Positionen, denen aber eine organisierte Struktur und ein sozialistisches Programm fehlen und die dem Druck des Parteiapparates kaum stand halten können. Dies zeigte sich in Hessen, als der demokratisch gewählte Spitzenkandidat Peter Metz, ehemaliges DKP-Mitglied und prinzipieller Gegner von Regierungsbeteiligungen, innerhalb einer Woche sein Amt niederlegte. Der Druck von Innen und Außen war zu groß geworden. Die hessische Affäre zeigt aber nicht nur, dass sich der Apparat in letzter Instanz durchsetzt, sie zeigt vor allem, dass es ein linkes und antikapitalistisches Potenzial in der Partei gibt. Dieses wurde mit dem neuen Spitzenkandidaten Willi van Ooyen befriedet, denn van Ooyen steht als Mann der Friedensbewegung für einen außerparlamentarischen Ansatz. Die Parteirechten können aber mit ihm leben, da er auch für eine an Bedingungen geknüpfte Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung steht.

Was tun?

Mit kämpferischer, sozialistischer Politik könnte DIE LINKE zu einer starken Kraft werden. Zur Zeit bewegt sich ihre Politik aber im Rahmen der kapitalistischen Verhältnisse, was zwangsläufig zur Beteiligung an Sozialabbau führen wird. Deshalb braucht sie eine sozialistische Opposition. Sie braucht Druck von Innen und von Außen durch außerparlamentarische Bewegungen. Am 14. Oktober kommen sozialistische Kräfte zusammen, die innerhalb und außerhalb der Partei agieren, um über die Bildung einer sozialistischen Koordination zu beraten. Ein solcher Schritt ist sinnvoll, wenn er zu einem koordinierten oppositionellen Handeln innerhalb und in Bezug auf DIE LINKE führt. Und wenn er solche Kräfte zusammen bringt, die einerseits für eine tatsächlich sozialistische und kämpferische Massenpartei eintreten und andererseits darin übereinstimmen, dass DIE LINKE derzeit der politische Ausdruck der anti-neoliberalen Massenstimmung ist und sie deshalb kritisch unterstützen – da, wo sie Teil der Opposition gegen Sozialabbau und Privatisierungen ist. Und sie politisch bekämpfen – da, wo sie sich an Sozialabbau und Privatisierungen beteiligt. Das macht einen unterschiedlichen Umgang in Ost und West zur Zeit unumgänglich.

Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV

Aufruf zur Beratung über die Bildung einer Koordination antikapitalistischer Kräfte am 14. Oktober