Daimler Untertürkheim: Druck auf Kranke nimmt zu. Jetzt wird auch gegen widerständige Betriebsräte vorgegangen. IG-Metall-Fraktion verweigert Solidarität
von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 28.8.07
Im Zuge des fortgesetzten Personalabbaus im Daimler-Konzern zieht das Management des Autobauers offenbar die Daumenschrauben gegen seine Beschäftigten an. Mit »Krankenrückkehrgesprächen« und der Suche nach Disziplinarverstößen macht die Personalabteilung Druck. Im Untertürkheimer Werk richtet sich dieser nun auch gegen kritische Betriebsräte.
Unter betrieblichen Aktivisten der IG Metall ist es üblich, daß kontrovers und oftmals heftig diskutiert wird. Wenn es allerdings disziplinarische Maßnahmen von seiten der Geschäftsleitung gegen einzelne Metaller gibt, werden diese geschlossen zurückgewiesen. Bei Daimler in Untertürkheim ist das – nach jahrelangen politischen Auseinandersetzungen zwischen IG-Metall-Mehrheitsfraktion und in der »alternative« zusammengeschlossenen oppositionellen Gewerkschaftern – offensichtlich nicht mehr so. Im Falle einer gegen einen »alternative«-Betriebsrat ausgesprochenen Abmahnung stellte sich die Mehrheit der Beschäftigtenvertretung öffentlich und nur leicht verklausuliert hinter die Maßnahme.
»Die Geschäftsleitung fährt seit einiger Zeit eine massiv verschärfte Gangart gegen kranke Kollegen und generell zur Disziplinierung der Belegschaften«, erläutert Tom Adler, IG-Metall-Mitglied und Betriebsrat der »alternative« im Daimler-Werk Untertürkheim, gegenüber junge Welt den Hintergrund des aktuellen Konflikts. Ihm zufolge wurde innerhalb der Personalverwaltung eine spezielle Abteilung gebildet, die mit dem Führen von Personalgesprächen mit Beschäftigten befaßt ist, die nach Ansicht des Unternehmens zu lange oder zu oft krankgeschrieben sind. Insbesondere ältere Arbeiter werden dabei häufig massiv bedrängt, über Frühverrentung oder Altersteilzeit »freiwillig« aus dem Unternehmen auszuscheiden. »Damit wird Druck ausgeübt, um nicht mehr so leistungsfähige Kollegen loszuwerden«, meint Adler, der auch über ein »Disziplinarteam« der Personalabteilung berichtet. »Dieses sammelt akribisch ahndbare Verstöße von einzelnen Beschäftigten, um mit einem möglichst großen Sündenregister die Rechtfertigung für Kündigungen aufzubauen.«
Die Betroffenen haben das Recht, zu solchen Personalgesprächen einen Betriebsrat ihrer Wahl hinzuzuziehen. In einem Fall zitierte ein Meister einen Arbeiter zum Termin, ohne Rücksicht auf die Möglichkeit zur Teilnahme des von diesem gewünschten Beschäftigtenvertreters zu nehmen. In der Folge entwickelte sich ein Konflikt, bei dem alle Verständigungsversuche des Betriebsrats André Halfenberg von den betreffenden Vorgesetzten ignoriert wurden. Daraufhin schrieb Halfenberg einen Artikel in der Betriebszeitung alternative, in dem dieser das Vorgehen der Manager mit Worten wie »Personalverfolger«, Krankenjagdgespräch« und »Machtarroganz« geißelte. Erst vier Wochen nach der Veröffentlichung reagierte die Werksleitung mit einer Abmahnung an den Betriebsrat »wegen Beleidigung und Störung des Betriebsfriedens«. »Daß die andere Seite zuvor alle geltenden Spielregeln und Vereinbarungen ignoriert hat, was überhaupt erst zur Eskalation des Konflikts geführt hat, spielte hingegen keine Rolle«, kritisiert Adler.
Die Mitglieder der IG-Metall-Fraktion im Betriebsrat sehen das aber offenbar anders. Erst auf einer drei Wochen nach dem Vorfall von der »alternative« erzwungenen Sitzung wurde dieser überhaupt zum Thema. Statt aber die Abmahnung gegen das Betriebsratsmitglied Halfenberg wie von der »alternative« vorgeschlagen als »völlig unverhältnismäßig« zurückzuweisen, beschloß das Gremium mit 27 zu 18 Stimmen in der vergangenen Woche ein Betriebsrats-Info mit dem Titel »Fairer Umgang im Betrieb«. Darin wird zwar festgestellt, »daß immer wieder von einzelnen Führungskräften Vereinbarungen, die zwischen Unternehmen und Betriebsrat getroffen wurden, nicht eingehalten werden«. Dann folgt aber eine offensichtliche Attacke auf Halfenberg, wenn es heißt, alle Mitarbeiter hätten »Anspruch darauf, vor unangemessenen Angriffen und der Verletzung von Persönlichkeitsrechten geschützt zu werden – unabhängig von der betrieblichen Position. (…) Eine öffentliche und zugleich beleidigende und herabsetzende Nennung einzelner Personen in Publikationen lehnt der Betriebsrat (…) ab.«
»Diese Stellungnahme ist ein Signal an das Personalbüro, daß dessen Vorgehen gutgeheißen wird – und diese Botschaft wird sicher ankommen«, kommentiert Adler. Die Mehrheitsfraktion ignoriere mit dieser Argumentation sowohl den Hintergrund des Konflikts als auch die bestehenden Machtverhältnisse im Betrieb. Bezeichnend sei auch das Zustandekommen des Beschlusses. So habe keinerlei Diskussion zum Thema stattgefunden. »Das wurde, ohne ein Wort zu verlieren, in geheimer Abstimmung durchgestimmt«, berichtet Adler. Offenbar sei der Betriebsratsmehrheit die Disziplinierung einer kritischen Strömung in der Belegschaft wichtiger, als der Widerstand gegen Maßregelungen durch das Management. Früher oder später werde dies der Beschäftigtenvertretung insgesamt auf die Füße fallen. »Die Betriebsratsspitze täuscht sich gründlich, wenn sie glaubt, daß wir uns durch solche Maßnahmen einschüchtern oder von unserem konsequenten Einsatz für die Kollegen abbringen lassen«, betont Adler. Zudem werde die »alternative« prüfen, wie juristisch gegen die Abmahnung Halfenbergs vorgegangen werden könne.