Haben Ostdeutsche zu wenig Zivilcourage?
Am 18. August, einem Samstag, kam es während eines Stadtfestes in Mügeln (Landkreis Torgau-Oschatz in Sachsen) in der Nacht zu einem brutalen Angriff auf acht Inder. Nach einer Schlägerei auf der Tanzfläche machten bis zu 50 Personen Jagd auf die Inder, welche alle, teilweise schwer, verletzt wurden.
von Johannes Ullrich, Berlin
Auch die Flucht in einen Imbiss, den einer der Inder in Mügeln betreibt, stoppte die Angreifer nicht, die Fenster- und Autoscheiben einschlugen und versuchten, durch die Hintertür in den Laden einzudringen. Erst ein Großaufgebot der Polizei hielt sie von weiteren Gewalttaten ab.
Staatlicher Rassismus und die Medien
Die Reaktionen der Politiker und der Kapitalisten auf den Vorfall zeigen, dass weiterhin rechte Gewalt und ihre Ursachen verharmlost und geleugnet werden. So sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, man brauche „nicht mehr Geld [für soziale Projekte], sondern mehr Zivilcourage“. Und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sprach von einem „besonderen ostdeutschen gewalttätigen Akzent“. Zynisch wird gesagt, der „Wirtschaftsstandort Deutschland“ leide (Unternehmerverband Bitkom) oder einfach ein fremdenfeindlicher Hintergrund geleugnet (Sachsens CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt: „Es ist noch nicht geklärt, ob es fremdenfeindliche Motive gab“). Ganz zu schweigen vom Mügelner FDP-Bürgermeister Gotthard Deuse, der meinte, Parolen wie „Ausländer raus“ „können jedem mal über die Lippen kommen“.
Tatsache ist, dass die bürgerlichen Medien kräftig mithelfen, den staatlichen Rassismus mit ausländerfeindlicher Berichterstattung zu begleiten. Man denke nur an die ungefragte Übernahme von Klischees wie dem vom angeblich besonders gewaltbereiten Islam. Aber staatlicher Rassismus äußert sich auch in Zahlen wie den über 6.000 Toten pro Jahr allein bei dem Versuch, von Nordafrika in die „Festung Europa“ zu kommen – und der Gegenseite dazu, nämlich den Abschiebungen in Nacht-und-Nebel-Aktionen mittels Flügen in ihre „Heimatländer“.
Wirkliche Ursachen benennen und bekämpfen
Aber auch die Reaktionen aus den Reihen der LINKEN gehen zumeist nicht über schöne Worte hinaus. Wenn beispielsweise Petra Pau eine „Bundesbeauftragte für Demokratie und Toleranz“ fordert, dann ist das sicherlich keine Maßnahme, die das Übel an der Wurzel packt – nämlich Rassismus und seine gesellschaftlichen Ursachen bekämpft. Diese sind einerseits Perspektivlosigkeit angesichts der mit hoher Arbeitslosigkeit einher gehenden Krise des kapitalistischen Systems und andererseits der staatliche Rassismus mit seiner Widerspiegelung in Medien und Schulen, so dass uns eingeredet wird, „die Ausländer“ als Sündenböcke seien schuld an den Problemen – und nicht die eigentlichen Verantwortlichen in den Schaltzentralen der Banken und Konzerne.
Die Erkenntnis von Gregor Gysi, mit Polizei alleine kriege man in den Köpfen dieser jungen Leute nichts verändert, ist zwar richtig – aber warum stimmen sie immer wieder Kürzungen im sozialen Bereich zu und verzichten darauf, eine wirkliche Alternative hierzu aufzuzeigen?
Aufgabe von SozialistInnen ist es, nicht nur um jeden Euro für Jugendprojekte zu kämpfen, sondern auch langfristige Rezepte zur Überwindung von Rassismus und Chauvinismus anzubieten – und das geht nur mit der Perspektive einer Gesellschaft ohne Ausbeutung, in der die Kapitalisten uns nicht mehr nach „Rassen“, dem Geschlecht oder der Schuhgröße spalten, sondern wir selbst bestimmen, was gut für uns ist.
Wenn Gewerkschaften und DIE LINKE konsequent für unsere Rechte mobilisieren, entzieht jeder erfolgreich geführte Kampf um die gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse den Faschisten den Boden.