Pakistans Unabhängigkeit: 60 Jahre zerstörte Träume

Pakistan feiert am 14. August 2007 sein 60-jähriges Bestehen

von Khalid Bhatti, Socialist Movement Pakistan, Lahore


 

Übersetzung von Seán McGinley

Millionen armer Moslems aus ganz Indien machten sich auf den Weg in den neuen Heimatstaat ihrer Träume, als der britische Imperialismus im August 1947 die Aufteilung Indiens bekannt gab. Der indische Subkontinent war fortan auf religiöser Grundlage gespalten, was dem Hass und der religiös motivierten Gewalt zwischen Hindus, Sikhs und Moslems, der ca. 2 Millionen Todesopfer forderte, die Tür öffnete. Dies schuf die Grundlage für die lange anhaltende Feindschaft zwischen den neuen unabhängigen Nachbarstaaten Indien und Pakistan.

Millionen kamen nach Pakistan mit Hoffnungen auf ein besseres Leben für sich und die folgenden Generationen. Aber ihre Träume wurden durch die parasitäre herrschende Klasse und von einer Regierung nach der anderen zerstört. Chronische Armut, Arbeitslosigkeit, Hunger, Super-Ausbeutung, Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Polizeigewalt, religiöser Extremismus, Militärherrschaft und die verrotteten Systeme des Kapitalismus und Feudalismus stellen die alltägliche Situation dar, mit der sich die Massen nach 60 Jahren der Unabhängigkeit gegenüber sehen. Die Mehrheit der Bevölkerung muss ohne angemessene Gesundheitsversorgung, Bildung, Sanitäreinrichtung, sauberes Wasser, Wohnungen und Verkehrsmittel auskommen. Die Massen fühlen sich durch die herrschende Elite verraten, die Mehrheit sieht keine Zukunft. Gefühle der Enttäuschung und Verzweifelung sind weit verbreitet.

Die ganze Geschichte Pakistans ist voller Krisen, Kriege, militärischer Interventionen, Verrat, Experimente, Bewegungen der Arbeiterklasse sowie politischer und sozialer Explosionen. Die schwache einheimische herrschende Klasse, die koloniale Staatsstruktur und die starke imperialistische Beherrschung schufen viele Probleme für den neuen Staat – Probleme, die nicht nur weiter existieren, sondern sogar noch größer und komplizierter geworden sind. Um die aktuelle Situation zu verstehen, ist es wichtig sich anzuschauen, wie der pakistanische Staat, die herrschenden Klassen, die Arbeiterklasse, die Wirtschaft, die politischen Bewegungen und die Gesellschaft als Ganzes sich in den letzten 60 Jahren entwickelt haben.

Eine schwache herrschende Klasse

Pakistan erbte eine schwache herrschende Klasse, überwiegend bestehend aus muslimischen Feudalherren, ehemaligen Funktionsträgern der verschiedenen kleinen Staaten (es gab in Britisch-Indien mehrere kleine Staaten – ‚Rajs’, mit begrenzter Souveränität), muslimischen Händlern, einigen Kapitalisten und ehemaligen Beamten.

Eine Massenbewegung für Pakistan entwickelte sich erst in den 1940er Jahren. Die Führung der Muslimischen Liga (der politischen Partei, welche die Kampagne für einen eigenständigen muslimischen Staat begann) entstammte hauptsächlich der Aristokratie und der muslimischen Elite. Sie entwickelten diese Partei, um ihre Klasseninteressen gegenüber dem Aufstieg der Kongress-Partei zu schützen. Quid-e-Azam Muhammad Ali Jinnah (Der offizielle Gründer der Nation) war die einzige Figur in der Muslimischen Liga mit Autorität unter den Massen. Er starb 1948, nur ein Jahr nach der Unabhängigkeit.

Er hinterließ einen Haufen von Opportunisten und machtgierigen Politikern mit wenig Unterstützung durch die Massen. Sie brachten es nicht zustande, eine Verfassung für den Staat zu schreiben oder bundesweite Wahlen zu organisieren (die ersten nationalen Wahlen fanden 1970 statt, nach 23 Jahren der Unabhängigkeit). Die herrschende Muslimische Liga organisierte in der 1950er Jahren Wahlen auf Provinzebene in Punjab und Ostbengal (heute Bangladesh), aber die Ergebnisse waren ein Alptraum für die herrschende Elite. Sie verloren Haushoch in Ostbengal und gewannen in Punjab nur durch massiven Wahlbetrug. Die Mehrheit der herrschenden Klassen bestand aus Feudalherren aus Punjab und Sind, sowie aus Stammesführern aus Belutschistan und der Nordwestprovinz. Sie hatten Angst vor den Massen und den Folgen bundesweiter Wahlen.

Der Mangel an öffentlicher Unterstützung zwang sie zu einem Bündnis mit der zivilen Bürokratie und dem militärischen Establishment. Dieses Bündnis führte zur Einmischung dieses Establishments in die Politik. Die von den Massen entfremdete herrschende Elite wurde mehr und mehr vom Establishment abhängig, um ihre Macht zu erhalten. Die ohnehin schon sehr starke zivile Bürokratie wurde noch mächtiger. Innerhalb von zehn Jahren wurden fast ein Dutzend Premierminister ernannt und wieder entlassen.

Militärherrschaft

Das zivile Establishment nutzte die Schwäche der Politiker voll aus und machte sich zu einem dominierenden Faktor in der Politik. Auch die Justiz stellte sich auf die Seite der Bürokratie, so dass sich eine starke Verknüpfung entwickelte, die in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen sollte.

Die konstituierende Versammlung einigte sich schließlich 1956 auf eine Verfassung und nationale Wahlen waren für 1958 vorgesehen. Aber es war klar, dass die regierende Muslimische Liga bei den Wahlen eine Schlappe erleiden würde und die radikale links-nationalistische National Awami Party (NAP) eine Mehrheit gewinnen würde. Die NAP war ein Sammelbecken von KommunistInnen, radikalen ReformistInnen, Intellektuellen, NationalistInnen und linken Einzelpersonen. Es war eine pro-sowjetische Partei, die als anti-imperialistisch galt.

Dies war ein Alptraum für den US-Imperialismus, da Pakistan eine Schlüsselstellung in der Region als Verbündeter gegen das stalinistische Russland einnahm. Die USA ermutigten die Obersten Befehlshaber der Armee dazu, das Kriegsrecht auszurufen und die geplanten Wahlen 1958 abzusagen. Die politische Betätigung wurde verboten. General Ayub Khan wurde der erste Militärdiktator des Landes, mit voller Unterstützung des US-Imperialismus in Form von finanzieller Hilfe und günstigen Krediten. Diese Diktatur dauerte zehn Jahre und stellte den Anfang einer langen Periode von Interventionen und Herrschaft des Militärs dar, die bis zum heutigen Tage anhalten (die einzige Ausnahme war eine Periode Anfang der 1970er Jahre). Aktuell erlebt Pakistan die vierte Militärregierung seit 1958.

Während der Diktatur des Generals Zia-ul-Haq in den 1980er Jahren wurden die Generäle zum einflussreichsten Faktor in der Politik. Das Militär steigerte nicht nur seinen politischen Einfluss, sondern entwickelte auch eine eigene industrielle und kommerzielle Machtbasis. Generäle und Geheimdienste wurden in der Politik so dominant, dass sie schon vor den Wahlen mit der Regierungsbildung begannen.

Seit den 1980er Jahren wurden alle wichtigen innen- und außenpolitischen Entscheidungen im Hauptquartier des Militärs gefällt. Die Generäle sind zur herrschenden Klasse geworden, oder zumindest zum mächtigsten und einflussreichsten Teil der herrschenden Elite. Die wichtigsten kapitalistischen Parteien und Politiker haben diese Herrschaft akzeptiert und vollständig vor der Militärführung kapituliert. Seit 25 Jahren regieren die Generäle und Geheimdienste das Land mit Bequemlichkeit. Es gibt eine tödliche Verbindung zwischen Generälen, Feudalherren, Kapitalisten und großen Geschäftsleuten, und den Mullahs. Die Generäle sind dabei der wichtigste Teil, unterstützt durch reaktionäre Mullahs und Feudalherren. Religiöse politische Führer wurden in den frühen 1980er Jahren zum Teil der herrschenden Klasse und haben ihre Position seitdem weiter gefestigt.

Heute hat die Situation wieder begonnen, sich zu verändern. Ablehnung der Militärherrrschaft und Widerstand dagegen wachsen. Menschen haben angefangen, das Eingreifen des Militärs in die Politik in Frage zu stellen. Die Generäle beherrschen das Land seit 31 Jahren und haben es in dieser Zeit nicht geschafft, ein einziges Problem zu lösen, das für die arbeitenden Massen von Bedeutung ist. Es wird für die Generäle zunehmend schwierig, ihre Rolle und und ihre politische Dominanz zu rechtfertigen.

Staat in der Krise

Die zunehmende politische, soziale und wirtschaftliche Krise hat zu ernsthaften Spannungen innerhalb der staatlichen Institutionen geführt. Die alles dominierende Herrschaft des Militärs über alle anderen staatlichen Institutionen hat eine Situation geschaffen, in der unterschiedliche Teile der herrschenden Klasse es mit einander aufnehmen, im Kampf um die Kontrolle des Staatsapparates. Es hat eine sehr starke Reaktion einiger Teile der zivilen Bürokratie gegen die Militärherrschaft gegeben. Ehemalige und aktuelle Militäroffiziere nehmen fast alle wichtigsten Posten in der Verwaltung ein, das gleiche Bild präsentiert sich in den Ämtern und Unternehmen des öffentlichen Dienstes. Die attraktivsten Posten im zivilen Sektor gehen auch an Militäroffiziere.

Nach den Ereignissen des 11. September 2001 wurde das Regime von General Pervez Musharraf dazu gezwungen, die Jahrzehnte alte Politik des pakistanischen Staates zu verändern. Pakistan musste seine Afghanistan-Politik verändern. Es gab dramatische Kurswechsel in verschiedenen Politikbereichen. Der pakistanische Staat wurde gezwungen, gegen islamische fundamentalistische Gruppen aktiv zu werden, die er selbst in den 1980er und 1990er Jahren geschaffen hatte. Musharraf musste auch einige Veränderungen in der Kaschmir-Politik machen, und einen Dialog mit Indien aufnehmen. Er begann, gegen die Jihadi-Kultur zu sprechen und verbot einige islamistische Organisationen. Aber diese Politik hat nicht nur islamisch-fundamentalistische Elemente innerhalb des Staatsapparates wütend gemacht, sondern auch die Gefühle und Interessen konservativer und nationalistischer Elemente verletzt.

Die neuliche Entfernung des obersten Richters aus seinem Amt hat eine Veränderung der Haltung der Justiz herbeigeführt. Die Justiz hat sich entschieden gegen diese Amtsenthebung ausgesprochen und damit begonnen, unabhängige Entscheidungen gegen die Exekutive zu fällen. Einige Mitglieder der hohen Justiz stellen sich immer noch auf die Seite der Exekutive, aber sie sind isoliert. Dies ist das erste Mal dass diese alten traditionellen Partner sich gegenüberstehen.

Die meisten staatlichen Institutionen haben in den Augen der Arbeiterklasse ihre Glaubwürdigkeit verloren. Menschen haben keinen Respekt mehr vor der Polizei, der am meisten verhassten staatlichen Institutionen. Die Armee war in weiten Teilen des Landes die am meisten respektierte staatliche Institution, doch nun hat sogar die Armee einiges an Ansehen eingebüßt. Die Unterstützung für die Armee ist auf Grund ihrer politischen Rolle massiv eingebrochen.

Der Staat hat praktisch die Kontrolle über viele Teile des Landes verloren – entweder an islamistische Gruppen oder an nationalistische Milizen. Feudalherren und kriminelle Banden haben ihre eigenen Staaten innerhalb des Staates entwickelt. Die nationale Frage ist in Belutschistan und Sindh zu einem explosiven Thema geworden. Das Ansteigen des islamischen Extremismus, unter Beteiligung bewaffneter Gruppen, ist eine direkte Herausforderung für die Autorität des Staates, da diese Gruppen parallele Regierungsstrukturen gebildet haben. Die wachsende soziale und politische Polarisierung, zusammen mit verschärften Spannungen zwischen den Klassen, tragen ebenfalls zur Krise des Staates bei. Teile der herrschenden Klasse und einige Funktionsträger im Staatsapparat sind zunehmend besorgt über diese Situation.

Verzerrtes Wirtschaftswachstum

Es hat in den letzten vier Jahren hohes Wirtschaftswachstum gegeben, im Durchschnitt mehr als 7%. Aber dieses große Wachstum hat weder die Armut gemindert noch den Lebensstandard der Armen und der Arbeiterklasse verbessert. Wie die Geschichte zeigt, ist dies kein neues Phänomen in Pakistan. Die 1960er Jahre wurden als Jahrzehnt der Entwicklung und des Wirtschaftswachstums bezeichnet, das so genannte ‚goldene Jahrzehnt’, mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 6,7%. Es war auch die Zeit der Industrialisierung. Auf der einen Seite entstand dadurch die Situation, dass die 22 reichsten Familien Pakistans den größten Teil der Industrie und der Wirtschaft kontrollierten. Auf der anderen Seite wurde ein Meer der Armut geschaffen, in dem 46% der Bevölkerung leben mussten. Dieses hohe Wirtschaftswachstum und die Akkumulierung des Wohlstands schufen die Grundlage für den größten revolutionären Aufschwung der Arbeiterklasse in der Geschichte Pakistans, in den Jahren 1968-69.

Die Wirtschaft hatte sich zum Wohle der Elite entwickelt. Pakistan war zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit ein Agrarland, mehr als 85% der Bevölkerung lebte in ländlichen Regionen. Die Landwirtschaft stellte den größten Anteil am Bruttosozialprodukt. Im Zuge der Industrialisierung in den 1960er und 1970er Jahren begann die ländliche Bevölkerung, in die Industriestädte zu ziehen.

Heute leben fast 40% der Bevölkerung in den Städten. Einige hundert feudale Familien dominieren die ländliche Wirtschaft (die Industrie wird ebenfalls von einigen wenigen Dutzend Familien beherrscht), die Landwirtschaft beschäftigt 43% der Erwerbstätigen und trägt 23% zum BSP bei. Fast 60% der Bevölkerung ist immer noch von der sich in einer ernsthaften Krise befindlichen Landwirtschaft abhängig. Feudalismus, Wasserknappheit, überteuerte Preise für Strom, Düngermittel und Saatgut, immer weniger Anbaufläche, sehr geringe Erträge und Ernten sowie veraltete Methoden der landwirtschaftlichen Arbeit sind die Hauptgründe für diese Krise.

Die Textilindustrie ist die größte Industrie in Pakistan, und befindet sich ebenfalls in einer Krise. Mehr als 300 Textilbetriebe haben in den letzten zwei Jahren zugemacht. Textilexporte fallen ebenfalls angesichts zunehmender Konkurrenz aus China, Indien und Bangladesch. Es hat in den Bereichen Automobil- und Informationstechnologie sowie Elektronik Wachstum gegeben, und auch der Dienstleistungssektor boomt, vor allem der Bankensektor. Die Profite der Banken haben von 130 Millionen Dollar 2002 auf 1.8 Milliarden Dollar 2006 zugenommen. Pakistan liegt in Sachen Bankenprofite auf Platz drei in der Welt hinter Kolumbien und Venezuela.

Die pakistanische Wirtschaft ist zu einem großen Teil von ausländischen Hilfsleistungen und Krediten abhängig. In den 1960er und 1980er Jahren bekam Pakistan Hilfsleistungen und Kredite im Wert von 40 Milliarden Dollar. In den 1990er Jahren lag das Wirtschaftswachstum um die 4%, fiel aber in den letzten beiden Jahren des Jahrzehnts auf 3%. In den ersten drei Jahren des aktuellen Jahrzehnts betrug die Wachstumsrate 3.5%. Dies war die Zeit, in der die USA einige Sanktionen verhängte und auch das IWF und die Weltbank strenge Auflagen für Kredite stellten.

Superreichtum für wenige – Verzweiflung für die Armen

Nach dem 11. September 2001 startete die pakistanische Wirtschaft durch. In den letzten vier Jahren wurden Hilfsleistungen und Kredite im Wert von 12 Milliarden Dollar empfangen. Jährliche Überweisungen von pakistanischen Arbeitern in den USA, in Europa und im Nahen Osten haben die Marke von 5 Milliarden Dollar überschritten, insgesamt 21 Milliarden Dollar in den letzten vier Jahren. Dieser Geldfluss hat dem Finanz- und Bankensektor neues Leben eingehaucht. Private Kredite belaufen sich auf 6 Milliarden, während die gesamten Bankeinlagen 20 Milliarden Dollar betragen. Dies ist auf lange Sicht nicht haltbar. Diese Kredite und die ansteigenden Überweisungen aus dem Ausland haben einen Teil der Mittelschicht entwickelt und erhalten. Aber diese Schicht kann auf lange Sicht nicht erhalten werden.

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass das aktuelle Wirtschaftswachstum der herrschenden Elite gedient und eine neue Schicht arroganter Superreichen geschaffen hat. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde jedoch zurückgelassen. Die Armen sind ärmer geworden: 88% der Bevölkerung leben von weniger als 2 Dollar am Tag, 63% leben unterhalb der Armutsgrenze (weniger als ein Dollar); 72% haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Sanitäranlagen.

Inflation und Preissteigerungen treffen die arbeitenden Massen schwer. Die Preise von Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs haben sich in den letzten Monaten verdoppelt. Es hat Preissteigerungen von 200% bis 300% bei Lebensmitteln und anderen Waren gegeben. Der Mehlpreis stieg zwischen 1947 und 1997 um sechs Ruppee, aber allein in den letzten Jahren um elf Ruppee. Der Preis von Kochöl hat sich in den letzten Monaten verdoppelt. Diese Preissteigerungen unbekannten Ausmaßes haben das Leben aus Sicht der Arbeiterklasse noch miserabler gemacht.

Über 35 000 Grundschulen im Land haben keine richtige Infrastruktur wie fließendes Wasser, Sanitäranlagen, Begrenzungsmauern oder angemessene Sitzgelegenheiten. 17 000 Schulen haben keine richtigen Gebäuden, 12 000 Mittel- und Oberschulen haben keine Laborräume oder wissenschaftliche Instrumente. Es gibt eine akute Stromknappheit, Stromausfälle werden zum Teil des Alltags. Karatschi, die größte Stadt und das Industriezentrum Pakistans, wird häufig von mehrstündigen Stromausfällen getroffen. Die Arbeitslosigkeit steigt an, der Lebensstandard sinkt.

Die neoliberale Wirtschaftspolitik der Gegenreformen, der Privatisierung und Deregulierung, Strukturanpassung und Handelsliberalisierung begann in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren. Diese Zeit wurde als Ära der ‚freien Marktwirtschaft’ bekannt, und war von Preissteigerungen, Arbeitslosigkeit und Armut begleitet. 17% der Bevölkerung lebte 1988 unter der Armutsgrenze, diese Quote erhöhte sich bis 1999 auf 34% und stieg in den letzten acht Jahren erneut an. Dies zeigt die Brutalität und die Superausbeutung des kapitalistischen Systems, das in Pakistan mit dem Feudalismus koexistiert.

Gewerkschaftsbewegung

Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit gab es ein Dutzend Gewerkschaften in Pakistan. Die Eisenbahngewerkschaft war die größte und kämpferischste, und spielte eine wichtige Rolle bei der Herausbildung einer starken Gewerkschaftsbewegung. Es gab andere Gewerkschaften im Hafen und auf der Werft von Karatschi, bei der Post und in einigen Industrien. Die Gewerkschaftsbewegung florierte Ende der 1960er Jahre. Die Industrialisierung gebar das Proletariat und dieses junge Proletariat spielte die führende Rolle in der revolutionären Erhebung von 1968-69. Die Zeit von 1967 bis 1974 kann als goldene Ära der pakistanischen Gewerkschaftsbewegung bezeichnet werden. Tausende neue Gewerkschaften wurde gegründet und hunderte Streiks, Betriebesbesetzungen und Protestbewegungen wurden in dieser Zeit organisiert.

Vor 1968 drehten sich die Politik und die politischen Parteien nur um die herrschende Klasse. Es war keine Rede von der Arbeiterklasse und ihrer politischen Rolle, weder in den Medien noch unter den Intellektuellen. Aber das alles änderte sich. Mit einer außergewöhnlichen revolutionären Bewegung hievte sich die Arbeiterklasse auf die politische Bühne. Diese Bewegung begann mit von StudentInnen angeführten Protesten gegen das Regime von Ayub Khan im November 1968, und wuchs innerhalb weniger Monate zu einem Generalstreik unter Führung der Arbeiterklasse an.

ArbeiterInnen begannen, Fabriken zu besetzen und BäuerInnen übernahmen die Ländereien feudaler Großgrundbesitzer. In einigen Gebieten organisierte die Bauernschaft den bewaffneten Kampf gegen die Großgrundbesitzer. MieterInnen weigerten sich, die Miete zu zahlen. Die Arbeiterklasse übernahm die Kontrolle über die Städte und begann, die Verwaltung zu organisieren. Ein paar Städte blieben mehr als zwei Wochen unter Arbeiterkontrolle. Eine sozialistische Revolution lag in der Luft. Der Sozialismus war das wichtigste Schlagwort der Bewegung. Die herrschenden Klassen wurde in Angst und Schrecken versetzt.

Zulifqar Ali Bhutto, Gründer der Pakistanische Volkspartei (PPP), kam ihnen zur Hilfe. Es gab keine revolutionäre Partei und Führung, die in der Lage waren, die Revolution durchzuführen, Kapitalismus und Feudalismus zu stürzen und einen Arbeiterstaat zu gründen. Bhutto nutzte diese Situation aus und entgleiste die mögliche sozialistische Revolution zugunsten einer reformistischen demokratischen Bewegung. Die Arbeiterklasse verlor diese Möglichkeit und sollte später den Preis für dieses Scheitern bezahlen. Verschiedene Regierung griffen die kämpferischsten und klassenbewusstesten Teile der Arbeiterklasse scharf an, es wurden Gesetze eingeführt um Streiks und die Gründung von Gewerkschaften zu verbieten. In vielen Teilen der Wirtschaft wurde die gewerkschaftliche Betätigung verboten.

Die Gewerkschaft erlebte seit den 1980er Jahren einen Niedergang und ist seitdem deutlich geschwächt worden. Der Zusammenbruch des Stalinismus in der Sowjetunion und in Osteuropa wirkte sich ebenfalls auf die Gewerkschaftsbewegung aus. Viele linke Gewerkschaften, Gewerkschaftsdachverbände und ihre Führer kapitulierten vollständig vor dem Kapitalismus und begannen, ihrer Basis die freie Marktwirtschaft zu predigen. Viele Kämpfe gegen Privatisierung und Neoliberalismus wurden von Gewerkschaftsführern verraten. Die Führung der größten Gewerkschaften hat verfolgt einen Kurs des Kompromisses und des Opportunismus gegenüber den Angriffen der Regierung auf ArbeiterInnen und Gewerkschaften. Heute sind nur noch 3% der ArbeiterInnen gewerkschaftlich organisiert.

Die Gewerkschaftsbewegung befindet sich am Scheideweg. Kompromiss und Kapitulation werden zu einer weiteren Schwächung und zu einer Fortsetzung des Niedergangs führen. Aber Kampf und organisierter Widerstand können Kraft und dringend nötiges Selbstvertrauen für die Arbeiterbewegung zurückgewinnen. Neue Gewerkschaften haben sich gebildet, als sich neue Teile der Arbeiterklasse beginnen, sich zu organisieren. In den letzten Jahren hat es einige wichtige Kämpfe und Streiks gegeben, unter anderem der historische Streik der PTCL- (Telekommunikations-) ArbeiterInnen und der Beschäftigten der Textilindustrie. Auch LehrerInnen kämpfen für ihre Rechte, und IndustriearbeiterInnen haben einige wichtige Kämpfe gegeben. In den nächsten Jahren wird es einen Aufschwung der Kämpfe und Streiks geben.

Aufstieg und Fall der PPP

Die Pakistanische Volkspartei wurde 1967 von nur 35 Personen gegründet. Zulifqar Ali Bhutto war der erste Parteivorsitzende. Er war ein großer Feudalherr aus Sindh und diente als Minister in der Militärregierung von Ayub Khan. Er war ein schlauer Politiker. Er verstand die Stimmung der Massen und legte ein radikales Programm mit sozialistischen Parolen vor. Er forderte Brot, Wohnungen und Kleidung für alle. Er sprach außerdem von einer sozialistischen Planwirtschaft und einer klassenlosen Gesellschaft. Angesichts der Abwesenheit einer organisierten linken Partei und Bewegung trat er mit radikalen antikapitalistischen und antifeudalen Parolen auf.

In der Folgezeit der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse wurde die PPP innerhalb von nur wenigen Monaten zur größten politischen Partei in Pakistan. Sie wurde zur größten Partei in Westpakistan, während die Awami-Liga in Ostpakistan bei den ersten Wahlen 1970 einen Erdrutschsieg einfuhr. Das militärische und zivile Establishment weigerte sich, der Awami-Liga die Macht zu übergeben, was 1971 zum Bürgerkrieg und zur Abspaltung Ostpakistans (heute Bangladesch) führte. Bhutto wurde zum Führer des restlichen Pakistans. Er kam mit einer breiten Unterstützung an die Macht, führte am Anfang seiner Amtszeit einige Reformen durch und verstaatlichte mehr als 70% der Wirtschaft.

Er hatte allerdings Angst vor einer starken Arbeiterklasse und setzte repressive Mittel gegen die Gewerkschaften ein. Er verriet die Arbeiterklasse und begann ihre fortgeschrittenen Teile anzugreifen. Seine Unterstützung schwand in den letzten Jahren seiner Amtszeit. Das Militär organisierte 1977 einen Putsch gegen ihn, nachdem es eine gewalttätige rechtsgerichtete Kampagne gegen ihn gegeben hatte. Er wurde später von der Militärregierung erhängt. Seine Hinrichtung machte ihn bei den Massen beliebt, weil dadurch gezeigt wurde, dass er sich geweigert hatte, mit dem Militärdiktator Kompromisse zu machen.

Seine Tochter Benazir Bhutto wurde 1979 Vorsitzende der PPP. Die PPP organisierte ab 1983 eine Bewegung für die Wiederherstellung der Demokratie gegen die Militärdiktatur von General Zia-ul-Haq. Benazir machte Kompromisse mit dem Establishment und wurde nach den Parlamentswahlen 1988 Ministerpräsidentin. Es war ein Neuanfang für Benazir und die PPP. Sie verriet Millionen von armen arbeitenden Menschen und ParteiaktivistInnen die mehrere Jahre im Gefängnis verbracht hatten. Sie kapitulierte vollständig vor den herrschenden Klassen und dem US-Imperialismus. Die PPP-Regierung führte eine neoliberale Wirtschaftspolitik durch und bereitete den Weg für Privatisierung und Gegenreformen.

Ab 1993 begann die Unterstützung für die PPP zu schwinden. Tausende von überzeugten ParteiaktivistInnen verließen die Partei. Sie gilt nicht mehr als Partei der Armen und der Arbeiterklasse, ist aber immer noch eine Kraft auf Wahlebene, die in der Lage ist, Wahlen zu gewinnen – allerdings nur mit Unterstützung des Establishments. Die Führung der PPP besteht aus Feudalherren und Großkapitalisten. Sie war nie eine traditionelle Partei der Arbeiterklasse, sondern stets eine Partei, dessen Führung aus den Ober- und Mittelschichten stammte und solide Unterstützung seitens der Massen genoss.

Die heutige PPP ist nicht einmal ein Schatten der alten Partei. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass angesichts der Abwesenheit einer Alternative einige Teile der Arbeiterklasse erneut die PPP wählen werden. Es werden allerdings kritische Proteststimmen sein, die überhaupt nicht mit den Stimmen verglichen werden können, welche die PPP 1970 oder sogar 1988 noch erhielt. Die PPP hat als Partei der Massen und der Arbeiterklasse ausgedient. Der Verrat der PPP war und ist ein großer Rückschlag für die Politik der Arbeiterklasse. Aktuell gibt es in Pakistan keine Partei der Arbeiterklasse.

Welche Zukunft für Pakistan?

Viele westliche und US-amerikanische Think-Tanks und Kommentatoren äußern ernsthafte Zweifel über die Zukunft des Landes. Sie werfen die Möglichkeit einer Talibanisierung auf, sowie der Desintegration und der Bürgerkriege; nicht aber die Idee einer möglichen Erhebung und Revolution der Arbeiterklasse. Es steht außer Frage, dass Pakistan vor ernsthaften Problemen steht, darunter der Aufstieg des rechten politischen Islam, einer explosiven nationalen Frage, die Staatskrise und einem möglichen Zusammenbruch der Wirtschaft. Allerdings wird es im Kapitalismus und Feudalismus keine Zukunft für die Arbeiterklasse geben. Die herrschende Klasse hat es nicht geschafft, die grundlegenden Probleme der Bevölkerung zu lösen. Die herrschende Klasse hat es nicht geschafft, eine funktionierende Demokratie zu etablieren. Es gibt keinen Wohlstand, keine soziale oder wirtschaftliche Gerechtigkeit und keine politische Freiheit. Es wird auf dieser Grundlage keine Veränderung im Leben der Massen geben.

Die einzige Klasse die in der Lage ist, Veränderung herbeizuführen und das Leben der arbeitenden Massen zu verwandeln ist die Arbeiterklasse. Der Sozialismus ist das einzige lebensfähige System das den Kapitalismus ersetzen kann. Die Arbeiterklasse hat noch nicht angefangen, sich zu bewegen, doch wenn dies erstmal geschieht, wird sich das ganze politische Szenario verändern. Es gibt eine 43 Millionen starke Arbeiterklasse, ein Drittel der gesamten Bevölkerung. Die pakistanische Arbeiterklasse und die Massen haben gezeigt dass sie das Potenzial, den Mut und die Fähigkeit dazu haben, einen revolutionären Kampf gegen ihre verrotteten Herrscher zu führen. Die Arbeiterklasse braucht ihre eigene revolutionäre Partei und Führung, um den Kampf zu organisieren. Eine solche Partei, mit einem klaren Programm, klarer Strategie und Taktik, und mit der Unterstützung der Massen, kann die Zukunft für die Massen erobern.

Pakistan steuert auf einen erneuten Zusammenstoß zwischen den herrschenden Klassen und der Arbeiterklasse zu. Der Ausgang dieses Zusammenstoßes wird die Zukunft des Landes und der Massen bestimmen. Die Arbeiterklasse kann die Vorteile der Unabhängigkeit nicht voll ausschöpfen und kann keine echte Freiheit genießen, ohne den Kapitalismus und Feudalismus gestürzt zu haben.