Als Berlusconi am 10. April letzten Jahres endgültig abtreten musste, freute sich nicht nur die Linke in Italien, ihn und seine Bande rechter Krimineller los zu sein. Doch seine Politik geht unter Prodi weiter.
von Conny Dahmen, Köln
Von Beginn an präsentierte sich das Mitte-Links- Bündnis „Unione“ aus neun Parteien nicht als Alternative, deren Politik das Leben der arbeitenden Massen verbessern wird. Die Erfahrungen mit der neoliberalen Politik Prodis zwischen 1996 und 1998 hatten „Unione“ nur einen kleinen Vorsprung von 25.000 Stimmen bei der Wahl verschafft. Und auch die rechten Kräfte der „Unione“ legten stellten ein neues Programm von Deregulierungen, Privatisierungen und Kriegseinsätzen auf, anstatt die Angriffe der Vorgänger-Regierung zurückzunehmen, wie sie es in ihrem Wahlmanifest behauptet hatten. Auch die Rentenreform „Scalone“ („großer Schritt“), die noch aus Berlusconis Zeiten stammt, will Prodi umsetzen. Der alte Entwurf sieht vor, das Renteneintrittsalter von 57 Jahre auf 64 ab 2008 heraufzusetzen. Der neuen Regierung zufolge solle es nur auf 58 Jahre angehoben werden, dann allerdings alle 18 Monate um ein weiteres Jahr steigen („scalini“ – „kleine Schritte“).
Der Plan, ein zweite US-Militärbasis in der italienischen Kleinstadt Vicenza aufzubauen und die italienischen Intervention in Afghanistan fortzusetzen, setzte die aufgestaute Wut frei und führte zur größten landesweiten Demonstration seit langem. Vier Tage, nachdem 200.000 Menschen in Vicenza auf die Strasse gegangen waren, stürzte die gesamte italienische Regierung am 21. Februar über ein Vertrauensvotum. Mangels Alternativen war sie kurze Zeit später wieder an der Macht, steht seither aber auf wackeligen Füßen.
Die Enttäuschung der Massen über die Regierungspolitik bekamen die Koalitionsparteien bei den Kommunalwahlen in Norditalien am 27. und 28. Mai zu spüren, als sie alle schwere Stimmenverluste erlitten. Gegenüber 2003 war die Wahlbeteiligung in den Städten von um 2%, in den Provinzen um 7% gesunken. Die Regierungsparteien gewannen in nur fünf von 26 Großstädten die Mehrheit, in vielen ihrer ehemaligen Hochburgen lagen die Kandidaten der Mitte-Rechts-Koalition »Haus der Freiheit« von Berlusconi vorn.
Die PRC (Partei der kommunistischen Neugründung) verlor nahezu die Hälfte ihrer Stimmen. Nachdem sie jahrelang als klare linke Opposition unter Berlusconi galt, ist sie heute voll in die Kürzungspolitik Prodis mit eingebunden. Die PRC, eine kleine Massenpartei von ca. 100 000 Mitgliedern, ging aus der Spaltung der KPI Anfang der 90er hervor. Zunächst entwickelte sich die PRC auf der Grundlage einer klar antikapitalistischen Richtung nach links und setzte auf sehr radikale, sozialistische und marxistische Rhetorik, was sich in ihren Taten weniger deutlich niederschlug. Die PRC konnte sich als linke Wahlalternative präsentieren, ihre Unterstützung in Schlüsselbereichen der Gewerkschaften aber nicht ausbauen.
Die PRC- Führung rückte bald immer weiter nach rechts und war nicht in der Lage, effektiv Widerstand gegen Berlusconi zu organisieren und Alternativen aufzuzeigen, bis sie schließlich zusammen mit bürgerlichen Kräften in Prodis „Unione“- Bündnis eintrat. Ihre Begründung ist, so besser Druck von links auf Prodi ausüben zu können. Prodi dagegen hat mit der PRC ein weiteres Mittel in der Hand, der Arbeiterklasse den Widerstand gegen die Regierungspolitik zu erschweren. So bereitet die PRC dadurch den Boden für einen erneuten Sieg der Rechten und untergraben gleichzeitig den Aufbau einer kämpferischen Arbeiterpartei. Der tiefe Graben zwischen PRC und der anti-kriegs- und antikapitalistischen Bewegung wurde besonders deutlich bei den Protesten anlässlich des Italien-Besuchs von George W. Bush am 9.Juni, als in Rom 150 000 Menschen einem Demonstrationsaufruf der Anti-Kriegs-Bewegung gegen die US-Kriegspolitik und den Afghanistaneinsatz Italiens folgten. Während sich große Teile ihrer Basis an dieser Großdemonstration beteiligten, organisierte die PRC-Führung mit einigen Regierungsparteien eine eigene Kundgebung mit einigen Hundert TeilnehmerInnen.
Die Zusammenarbeit der Parteien links von Sozialdemokraten und Liberalen, wie z.B. Grüne, PRC und ihrer Rechtsabspaltung Communisti Italiani soll in Zukunft mit der Bildung eines neuen Wahlblock auch formal manifestiert werden. Im „cantiere“ („ Baustelle“) wollen sie sich unter der Leitlinie, „Kritik an der derzeitigen Form des Kapitalismus (zu) üben“ (PRC- Führer Franco Giordano im Corriere della Sera) vereinen. Offensichtlich wäre das Ziel der neuen Formation keine andere Gesellschaftsform, sondern eine andere Form des Kapitalismus und „cantiere“ nichts weiter als eine neue sozial-liberale Partei, die keine Interessenvertretung für ArbeiterInnen und Jugendliche darstellen würde.
Denn eine solche Formation wird bereits von den rechteren Kräften der „Unione“ aufgebaut: Im Oktober steht die Gründung der „Demokratischen Partei“ (PD) an, hinter der vor allem die DS steht, die damals im „Ulivo-“, heute im „Unione“- Kabinett einen der Stützpfeiler darstellt und ursprünglich von der ehemaligen KPI – Mehrheit ins Leben gerufen wurde. Sie verfügt immer noch über eine gewerkschaftliche Basis. Prodis zweiter starker Regierungspartner Margherita, ein Überbleibsel der Christdemokratischen Partei Italiens DC, ist ebenfalls dabei. Zum Charakter der PD gab Berlusconi als Gast auf einer DS-Konferenz im März den treffendsten Kommentar: „95 % dessen, was ich gehört habe, kann ich zustimmen, ich könnte fast in die neue PD eintreten.“ Die Zustimmung breiter Schichten wird der PD wahrscheinlich verwehrt bleiben, schließlich schnitten sowohl DS als auch Margherita bei den Kommunalwahlen in allen Provinzen schlechter ab als 2002, Umfragen prophezeien der PD höchstens 23% Stimmenanteil.
Oppositionelle Strömungen in der PRC , darunter die marxistische Gruppe Controcorrente und die CWI-Gruppe in Italien "Lotta per il socialismo", wenden sich gegen das „Cantiere“- Projekt und versuchen, eine Einheitsfront aller kritischen Strömungen in der PRC zu bilden, um den Abriss der PRC und die Baustelle zu verhindern. Angesichts wachsender Wut, Frustration und Mitgliederschwund werfen einige die Frage auf, an der Rentenfrage mit Prodi zu brechen, denn der Zusammenbruch sowohl von PRC als auch „cantiere“ ist sicher, sollten sie Teil der Regierung bleiben und sich vom Klassenkampf und Antikapitalismus abwenden.
Mit 1,9% Wachstum in Italien ist die Einhaltung der Maastrichtkriterien langfristig nicht garantiert, das italienische Kapital drängt Prodi zu noch massiveren Konter-Reformen.
Nach den Streiks und Protesten gegen die Privatisierungen der Fluggesellschaft Alitalia, der Bahngesellschaft, Telekom und weiterer öffentlicher Einrichtungen im Frühjahr war es ruhiger geworden auf den Straßen. Einen Generalstreik im öffentlichen Dienst hatten die Gewerkschaften in letzter Minute nach kleinen Zugeständnissen abgesagt. Gegen die Rentenreform, welche die drei größten Gewerkschaften ablehnen, könnten sich jedoch ernstere Kämpfe entwickeln. Über eine halbe Million MetallarbeiterInnen der CGIL sind in ersten Warnstreiks auf die Straße gegangen und rufen zu einem Generalstreik auf. Angesichts die Unruhe an der Basis führen lokale Gewerkschaftsführungen schon Verleumdungskampagnen gegen linke AktivistInnen. Aber gerade diejenigen Kräfte, die sich aktiv an künftigen Arbeitskämpfen, gewerkschaftlichen und sozialen Bewegungen beteiligen, sind es, welche die Basis einer wirklichen Arbeitermassenpartei bilden können.