Die Mehrheit der Bevölkerung hat nach Jahren von Angriffen, von Hartz IV bis zur Rente mit 67, die Schnauze voll: Schluss mit dem Sozialabbau, Schluss mit Privatisierungen, Schluss mit Arbeitszeitverlängerungen und Lohnkürzungen. Bei Umfragen wird ein Ruck nach links sichtbar. Der Rechtfertigung der neoliberalen Politik durch die Große Koalition entzieht das die Grundlage. Die Unternehmer und ihre Politiker versuchen, dagegen zu schießen.
von Stephan Kimmerle, Berlin
Angestoßen durch die WASG und fortgesetzt durch die Positionierung Oskar Lafontaines als Vorsitzendem der neuen Partei DIE LINKE findet die allgemeine Ablehnung der Politik des Sozialabbau endlich einen politischen Ausdruck. Die unbestimmte Haltung gegen diese Angriffe bekommt einen konkreten Ausdruck. Eine Umfrage dazu fasst „Die Zeit“ wie folgt zusammen: „67 Prozent der Befragten wollen Unternehmen wie die Bahn sowie die Energieversorgung in staatlicher Hand lassen. Vor allem von Anhängern der Volksparteien wird diese Haltung geäußert; von den SPD-Anhängern sind 72 Prozent für Staatsunternehmen, von den Unionswählern immerhin 71 Prozent. 68 Prozent der Befragten sind für die Einführung von Mindestlöhnen. 62 Prozent halten die Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen in Afghanistan für "eher falsch"; 82 Prozent fordern, das gesetzliche Rentenalter wieder von 67 auf 65 Jahre zu senken.“
In der gleichen Umfrage weisen 54 Prozent einen Ausstieg aus dem Atomausstieg zurück. 29 Prozent wünschen sich, dass die Partei DIE LINKE eine wichtige Rolle in Deutschland spielt.
Der Wahlerfolg der Partei DIE LINKE in Bremen und die Aussicht auf weitere Wahlerfolge für sie stellt die Unternehmer und ihre Politiker vor größer werdende Probleme: Wie soll angesichts solcher Umfragen und der zunehmenden Fragmentierung der Parteienlandschaft eine Beschleunigung der Angriffe umgesetzt werden? Denn BDI-Chef Jürgen Thumann sind die „Reformen zu klein, zu langsam, nicht mutig genug“ (siehe „BDI: Auftrag an Merkel“).
DDR-Keule
Dass die Herrschenden bei der Durchsetzung ihrer Interessen nicht zimperlich sind, demonstrierte nochmals das Vorgehen der Justiz gegen den drohenden Streik der GDL bei der Bahn. Kurzerhand wurde das Streikrecht attackiert. (siehe: „Solidarität mit den Eisenbahnern“). Gegen die Linksverschiebung griff nun die Birthler-Behörde in die Akten: Der Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze sollte flugs zum Thema gemacht werden um „sozialistische“ Ideen zu diskreditieren.
Die DDR samt Schießbefehl hatte mit Sozialismus nichts zu tun. Sozialismus lebt von Demokratie und aktiver, lebendiger Beteiligung der Masse der Bevölkerung und ist keine Diktatur einer Bürokratie. Doch dieser Versuch die DDR-Keule zu schwingen, ging grundlegend daneben. Zu abgedroschen waren selbst den bürgerlichen Medien die „neuen“ Vorwürfe.
Dennoch: Auch der Wahlkämpfer Roland Koch, im Frühjahr will er in Hessen wiedergewählt werden, versuchte sich mit der gleichsetzung von DIE LINKE und der SED.
Leichter wäre dies sicherlich zu kontern, wenn größere Teile der Partei DIE LINKE ein klareres Verständnis von Sozialismus hätten: Die Bezeichnung der DDR als sozialistisch und die fortgesetzte Bezeichnung zum Beispiel der Berliner Regierungspolitik als „links“ trägt zur doppelten Diskreditierung sozialistischer Ideen bei.
Doch die Debatten um Mindestlohn und die Forderung nach einem Ende von Sozialabbau, Lohnraub und Arbeitszeitverlängerung werden die Herrschenden mit solchen Anwürfen nicht los.
„Populismus“
In die gleiche Richtung zielt der Vorwurf des „Populismus“ gegen Lafontaine. Der Tagesspiegel verglich Oskar Lafontaine gar mit dem rassistischen und nationalistischen österreichischen Rechtsextremen Jörg Haider.
Eine Mehrheit der WählerInnen aller im Bundestag vertretenen Parteien will einen Mindestlohn. Trotzdem geschieht das Gegenteil. Und dann wird Lafontaine als „populistisch“ angegriffen, der diese Forderung artikuliert – ein merkwürdiges Demokratieverständnis.
Konfrontation in der Partei DIE LINKE
Gleichzeitig sieht sich Lafontaine aber auch mit dem Widerstand der alten PDS-Landesfürsten in der Partei DIE LINKE konfrontiert. Klaus Lederer, Vorsitzender von DIE LINKE in Berlin, nimmt seinen Parteivorsitzenden zwar gegen den Vergleich mit Haider in Schutz, um aber unmittelbar nachzuschieben, „manche Zuspitzung Lafontaines geht auch mir zu weit“ (Berliner Zeitung, 17.8.). Er stellt der Politik Lafontaines die Frage gegenüber: „Sind wir nur auf Gewerkschaftskundgebungen unterwegs, oder suchen wir eine breitere Verankerung in der Gesellschaft?“
Sachsen-Anhalts DIE-LINKE-Fraktionschef Wulf Gallert kritisierte Lafontaine, indem er von Lafontaines Co-Vorsitzendem Lothar Bisky und dem Co-Fraktions-Chef Gregor Gysi lautere Töne einfordert. Wulf Gallert verschanzt sich dabei hinter der Kritik an reaktionären Positionen in der Familienpolitik, die Lafontaines Frau Christa Müller geäußert hatte und die Lafontaine verteidigte. Doch hinter der Kritik steht die Absicht, eine angepasstere Politik gegenüber Sozialabbau und Kürzungen auch mit Beteiligung der Partei DIE LINKE in Landesregierungen oder auf kommunaler Ebene durchzusetzen.
Dies wird am deutlichsten durch den früheren PDS-Vordenker und heutigen Europa-Abgeordneten André Brie. Er fordert eine Art innerparteiliche Opposition gegen Lafontaine und kritisiert psychologisierend Lafontaines angeblichen Kurs gegen Regierungsbeteiligungen mit der SPD aufgrund seiner SPD-Geschichte. „Wir stellen Forderungen und denken zu wenig darüber nach, welche realistischen Lösungsmöglichkeiten es gibt. Wir sind in der Gefahr, eine reine Protestpartei zu werden“, so Brie gegenüber dem Spiegel.
Kämen die Rechten in der Partei DIE LINKE damit durch, würde sich die Geschichte der PDS wiederholen: Ihre Anpassung und ihre Regierungsbeteiligung inklusive Ausverkauf von Wohnungen, Privatisierungen und Kürzungen führte zu einem Niedergang. In Berlin halbierte sie ihre Stimmen nach vier Jahren Sozialabbau in der Landesregierung, bundesweit flog sie (bis auf zwei Direktmandate) 2002 aus dem Bundestag.
Wie aber geht Lafontaine damit um? Wie kann die gesellschaftliche Verschiebung nach links genutzt werden?
Notwendig wäre eine klare Kampfansage an jede Form von Sozialabbau und Unterordnung unter die Interessen des Kapitals. Das Einknicken vieler Ost-Mandatsträger der PDS angesichts der angeblichen Sachzwänge vor Ort müsste endlich benannt und angegangen werden und einer Regierungsbeteiligung mit Sozialabbau eine klare, grundsätzliche Absage erteilt werden. Hier hält sich Lafontaine aber gerade mit Blick auf die Landtagswahl im Saarland, bei der er erneut Ministerpräsident werden will, zurück – und alle Türen offen. Das wird gerade diejenigen enttäuschen, die sich jetzt verstärkt an linken Ideen orientieren.